«10 vor 10» über den Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 16. Januar 2017 beanstandeten Sie die Sendung „10 vor 10“ des Fernsehens SRF vom 13. Januar 2017 und dort im Rahmen der Berichterstattung über den Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Bern den Rückblick auf den letzten chinesischen Staatsbesuch von 1999.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„In dieser Sendung wurde in der Berichterstattung ein Schwerpunkt auf den anstehenden Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping gelegt. Unter anderem wird auch zurück geblickt auf den 1999 erfolgten Staatsbesuch seines Vorvorgängers Jian Zemin.

Während dessen Empfang fand auf dem Bundesplatz und auf umliegenden Dächern eine Demonstration statt, mit welcher die chinesische Tibet-Politik kritisiert wurde.

Gegen Schluss des Beitrags endet die Berichterstattung über die damaligen Ereignisse und SRF-Bundeshauskorrespondent Gion-Duri Vincenz berichtet über den kommenden Staatsbesuch. Er beendet den Beitrag mit den de Worten <Grund für diese Vorsicht liegt auf der Hand, bei diesem Staatsempfang soll kein Fehler passieren.>

Das ist ein starkes Stück.

SRF-Korrespondent Vincenz impliziert mit seiner Aussage, dass das Zulassen der friedlichen Wahrnehmung des Grundrechts der freien Meinungsäusserung und des Demonstrationsrechts anlässlich des Staatsbesuches von 1999 ein Fehler war. Das ist eine unhaltbare Aussage.

Die freie Meinungsäusserung und das Demonstrationsrecht gehören zu den Grundrechten der Schweiz. Das SRF soll diese hoch halten und nicht deren Einschränkung fordern. Auch – oder gerade – beim Besuch des Staatspräsidenten einer autoritären Einparteiendiktatur hat die Schweizer Rechtsordnung zu gelten und sollte diese verteidigt werden.

Das SRF, gerade als öffentlich-rechtliche Anstalt, sollte dazu beitragen unsere Rechtsordnung und Werte zu verteidigen und sich nicht zum Gehilfen derer zu machen, welche diese einschränken möchten.“

B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Herr Christian Dütschler, Redaktionsleiter der Sendung „10 vor 10“, schrieb darauf:

„X beanstandet den Beitrag ‚Der Eklat von 1999‘, welchen wir am
13. Januar 2017 ausgestrahlt haben.

Der Beitrag war ein Teil des Sendungsschwerpunkts zum bevorstehenden Besuch des aktuellen chinesischen Präsidenten Xi Jingping. Das Fokusthema machte insgesamt über zehn Minuten der 25minütigen Sendung aus. Im ersten Beitrag ging es um Präsident Xi Jingping, nicht zuletzt auch um seine Haltung in Menschenrechtsfragen. Unser China-Korrespondent erklärte darauf ausführlich, weshalb der Chinese die vergleichsweise kleine Schweiz überhaupt besuchen wird. Es folgte der beanstandete Beitrag, ein Rückblick auf den Eklat im Zusammenhang mit dem chinesischen Staatsbesuch im Jahr 1999.

Der beanstandete Beitrag endet mit einem Ausblick auf die Vorkehrungen in Bern für den aktuellen chinesischen Staatsbesuch. Wörtlich sagt unsere Bundeshauskorrespondent:

<Mit Details zum Sicherheitsdispositiv oder zum genauen Ablauf des Besuchs halten sich die Polizei und das zuständige Departement zurück. Klar ist aber, am Sonntag wird der Bundesplatz weiträumig gesperrt und auf die üblichen militärischen Ehren wird verzichtet. Präsident Xi Jingping wird also erst im Bundeshaus vom Gesamtbundesrat empfangen. Der Grund für diese Vorsicht, der liegt auf der Hand, bei diesem Staatsempfang soll kein Fehler passieren.>

Herr X ist nun der Meinung, unser Kollege impliziere mit seinem letzten Satz, ‚dass das Zulassen der friedlichen Wahrnehmung des Grundrechts der freien Meinungsäusserung und des Demonstrationsrechts anlässlich des Staatsbesuches von 1999 ein Fehler war‘. Gerne nehmen wir zu diesem Vorwurf Stellung.

In unserem Beitrag haben wir die Vorkommnisse von 1999 ausführlich beleuchtet. Es wird deutlich, dass der Bundesrat die Demonstrationen so nicht erwartet hatte und der Besuch darum nicht nach Plan verlief. Adolf Ogi erklärte im Beitrag anschaulich, wie das Programm kurzfristig umgestellt werden musste:

<Das Protokoll der Chinesen sieht in dieser Situation... mit den Tibetern auf dem Dach, mit diesem Lärm, kommt unser Präsident nicht und schreitet diese Kompagnie – was üblich ist – nicht ab. Also was macht man? Im Dialog hat man gesagt, gut, man verzichtet auf das Abschreiten der Ehrenkompagnie, was ich als VBS-Chef natürlich sehr bedauert habe. Man fährt ihn direkt vor das Bundeshaus und so schnell wie möglich in die Sicherheit, sprich Bundeshaus.>

Im Beitrag wird auch thematisiert, dass sich der Staatsgast provoziert fühlte und entsprechend harsch reagierte. Adolf Ogi, der damals dabei war, ordnet die Reaktion des Chinesen mit kritischen Worten ein. So heisst es im Beitrag wörtlich:

Noch heute findet Adolf Ogi: Chinas Staatspräsident hat masslos übertrieben.

Adolf Ogi, Alt Bundesrat:

<Too much is too much. Da hat er auch seine Sympathien verscherzt, diejenigen, die er noch hatte. Das war so unüblich. Man sieht es ja an den Bildern, man war konsterniert.>

Der Beitrag macht aber auch deutlich, dass die Verantwortlichen aufgrund der damaligen Vorkommnisse dieses Mal anders vorgehen wollen. Die Vorgehensweise und Sicht der Behörden zeigt unser Bundeshauskorrespondent in einem abschliessenden Statement auf.

Bundeshauskorrespondent:

<...Klar ist aber, am Sonntag wird der Bundesplatz weiträumig gesperrt und auf die üblichen militärischen Ehren wird verzichtet. Präsident Xi Jingping wird also erst im Bundeshaus vom Gesamtbundesrat empfangen...>

Wenn unser Kollege diese Aussage mit dem Zusatz versieht <...der Grund für diese Vorsicht liegt auf der Hand, bei diesem Staatsempfang soll kein Fehler passieren>, dann verweist er auf die Sicht des Bundesrates. So sprach die damalige Bundespräsidentin Ruth Dreifuss durchaus von einem ‚Fehler‘. Wörtlich sagte sie im Sonntagsblick vom 28. März 1999 [2] zu den Vorfällen:

<Aber die Präsenz der Demonstranten auf dem Dach war ein Fehler. Dafür haben wir uns entschuldigt. Wir waren nie der Ansicht, man dürfe seine Meinung nicht frei ausdrücken während des Besuchs von Herrn Jiang.>

In der Aussage unsers Korrespondenten schwingt mit, dass der Bundesrat aus Angst vor neuerlichen diplomatischen Unannehmlichkeiten peinlich darauf bedacht scheint, nur ja nichts Falsches zu machen. Und zwar ‚falsch‘ aus Sicht des Bundesrates, nicht aus Sicht des Bundeshauskorrespondenten.

Die Verwendung des Begriffs ‚Fehler‘ in der Aussage unseres Bundeshauskorrespondenten scheint uns auf jeden Fall zulässig und impliziert keineswegs wie der Beanstander meint, dass SRF eine Einschränkung der freien Meinungsäusserung oder des Demonstrationsrechts fordern würde.

Selbst wenn die Verwendung des Begriffs ‚Fehler‘ im obigen Zusammenhang als unzutreffend angesehen werden sollte, sind wir der Meinung, dass es sich höchstens um eine redaktionelle Unvollkommenheit handelt, welche den Gesamteindruck des Beitrages nicht beeinflusst.

Abschliessend möchten wir festhalten, dass wir im Beitrag kritisch über den Besuch von 1999 berichtet haben. Im Zentrum der Kritik standen nicht die Demonstranten oder der Bundesrat, sondern der damalige chinesische Präsident und seine Reaktion auf die Demonstrationen. Auch die Haltung des aktuellen Präsidenten Chinas gegenüber der freien Meinungsäusserung wird in der Sendung kritisch beleuchtet. So hiess es im vorangehenden Porträt über ihn wörtlich:

<Xi Jinpings wachsende Macht bekommen aber auch seine Kritiker zu spüren: Demonstrationen werden in China immer heftiger niedergeknüppelt, Menschenrechtsanwälte weggesperrt und an den Pranger gestellt, das Internet wird weiter zensiert. Kaum ein Akademiker will noch kritische Fragen zu Xi Jinping beantworten.>

Der Vorwurf des Beanstanders, wir würden uns ‚zum Gehilfen derer machen‘, welche eine Einschränkung der freien Meinungsäusserung und des Demonstrationsrechts forderten, scheint uns deshalb absurd.

Aus diesen Gründen bitten wir Sie, die Beanstandung zurückzuweisen.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Sie haben absolut Recht: Die Meinungsäußerungsfreiheit und das Demonstrationsrecht gehören zu den Grundrechten und sind in einem demokratischen und pluralistischen Rechtsstaat heilig. Die Medien, die von der Meinungsäußerungsfreiheit leben, können sich von den Grundrechten nicht distanzieren. Wenn sich freiheitliche Medien entscheiden müssen, dann stehen sie auf der Seite des Demonstrationsrechts und nicht auf der Seite der Staatsgewalt.

Umgekehrt ist klar, dass die Diplomatie zunächst nicht unterscheidet zwischen demokratischen und autoritären Staaten. Die Schweiz unterhält diplomatische Beziehungen mit allen regulären Staaten, unabhängig von ihren Regierungssystem und der Art und Weise, wie sie mit der Opposition umgehen. So gibt es schweizerische Botschaften auch in Ägypten, Libyen, Algerien, Simbabwe, Saudi-Arabien, Iran, Kasachstan, Kuba, Vietnam und eben China. Wenn die Realpolitik bzw. wirtschaftliche Interessen es erfordern, besuchen Schweizer Bundesräte auch totalitär und autoritär regierte Länder und laden die Präsidenten dieser Länder in die Schweiz ein. Die Kritik an den Zuständen dort geschieht dann eher hinter den Kulissen.

Aus der Sicht der schweizerischen Regierung und der Sicherheitsorgane muss ein Staatsbesuch in Bern diplomatisch korrekt ablaufen. Das heißt: Je weniger er durch Demonstrationen gestört wird, umso eher können in den Gesprächen kritische Punkte offen angesprochen werden. Diese Position ist aber nicht zwingend die Position auch von Medien. Für Medien liegt es auf der Hand, dass im Zusammenhang mit einem Staatsbesuch positive und negative Punkte angesprochen werden, im Fall von China also Fragen des Freihandels, der wirtschaftlichen, technologischen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit, des Tourismus, aber auch des politischen Systems Chinas, des Personenkults, der Medienfreiheit sowie des Umgangs mit ethnischen, religiösen und politischen Minderheiten, des Justizsystems und der Todesstrafe.

Genau in diese Richtung lief der Schwerpunkt in der Sendung „10 vor 10“ vom 13. Januar 2017. Neben einem kritischen Porträt des Parteichefs und Präsidenten Xi Jinping blickte die Redaktion auch zurück auf den letzten Staatsbesuch aus China, als der damalige Präsident Jiang Zemin wegen der Tibet-Demonstration auf dem Bundesplatz einen diplomatischen Ecclat entfachte. Und in diesem Beitrag fiel der Satz, den Sie beanstanden. Auch hier haben Sie Recht: Man kann diesen Satz – „bei diesem Staatsempfang soll kein Fehler passieren“ - so verstehen, dass dies Bundeshauskorrespondent Gion-Duri Vincenz so meint. Man kann ihn aber auch so verstehen, wie Herr Dütschler es erläutert, nämlich dass der Korrespondent die Sicht der Behörden darlegt. Auf jeden Fall war der Satz missverständlich, und Ihre Beanstandung kann dazu beitragen, dass die Redaktion künftig noch präziser formuliert und immer die Distanz zu den Mächtigen aufrechterhält, wie es die Philosophie des politischen Journalismus in demokratischen und pluralistischen Gesellschaften ist.

Das Bundesgericht und die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) verlangen in ihrer Rechtsprechung, dass stets die gesamte Sendung beurteilt wird und nicht nur ein einzelner Beitrag. Der China-Schwerpunkt in dieser Sendung von „10 vor 10“ bestand aus drei Teilen (Porträt Xi Jinping, Einschätzung des China-Korrespondenten, Rückblick auf den Ecclat von 1999) und war weder devot gegenüber China noch gegenüber dem Schweizer Bundesrat. Der missverständliche Satzteil war daher aus meiner Sicht ein Fehler in einem Nebenpunkt, der nicht dazu angetan war, die freie Meinungsbildung des Publikums zu manipulieren. Ich kann daher Ihr Anliegen sehr gut verstehen und es als Mahnung an die Redaktion weiterleiten, aber die Beanstandung formal nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/sendungen/10vor10/xi-jinping-praeventivverbote-der-mythos-vom-lauberhorn

[2] Vgl. Beilage

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