Radio SRF, Sendung «Heute morgen» über die gfs-Trendumfrage zur Unternehmenssteuerreform III beanstandet

4479

Mit Ihrer E-Mail vom 1. Februar 2017 beanstandeten Sie den Beitrag über die Meinungsumfrage im Vorfeld der Volksabstimmung vom 12. Februar 2017 in der Sendung „Heute morgen“ vom Radio SRF vom gleichen Tag und dort vor allem die Ausführungen zur Unternehmenssteuerreform III.[1] Ihre Eingabe erfüllt die formalen Bedingungen für eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Es ging um vorerst um die Abstimmungsumfragewerte, allem voran über die USRIII.

Der folgende Kommentar warum bei diesen Abstimmungswerten das JA-Lager verliert war dann eine reine Aufzählung von USRIII-Contra Argumenten.

Danach folgte noch, es hörte sich so an, wie ein SP-Wahlaufruf gegen die Vorlage - und so Fragmente wie: ‚die Reihen schliessen sich‘ im Zusammenhang mit der SP, sind irrelevant.

Nur pauschale Contra-Argumente:

-Widmer Schlumpf: Da wurde angefügt Frau Widmer Schlumpf sei auch dagegen, das warum Sie dagegen ist, und das Sie auch teilweise ihre eigenen Vorschläge als sie noch Bundesrätin war, heute kritisiert, von dem kein Wort. Einfach pauschal, Sie ist dagegen.

-Die Behörden lügten das Volk bei USRII an. Dies ist auch ein so eine pauschale und sehr gewagte Aussage. Klar kam es mit der Einführung von USRII zu kurzfristigen Steuerausfällen, die Zeit nach der Einführung wo aufgrund der USRII erst die Folgen wirkten und heute gesteigerte Unternehmenssteuern im Vergleich zum BIP bringen, davon kein Wort.

Den Nachrichtenbeitrag hätte man schlicht und einfach mit der Vorstellung der Umfragezahlen bewenden lassen können, eine Wertung warum die JA-Zahlen nun nach unten zeigen war nicht nötig - Sie war nur einseitig, pauschal und reisserisch.

SRF1 hat den Auftrag sachlich zu Stellung zu nehmen und nicht seine persönliche Meinung mit einseitigen pauschalen Nachrichtensendungen kundzutun. Man kann verschiedener Meinung sein, aber als ‚Staatsradio‘ hat man immer beide Seiten zu beleuchten - und pauschales einseitiges hat in einer Hauptnachrichtensendung nichts verloren.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Frau Elisabeth Pestalozzi, stellvertretende Chefredaktorin von Radio SRF, schrieb:

„Besten Dank für die Möglichkeit, zur Beanstandung Nr. 4479 Stellung nehmen zu können.

Die Beanstandung

Herr X beanstandet einen Beitrag in der Sendung Heute Morgen von Radio SRF vom 1.2.17 zur Trendumfrage von gfs.bern zu den Volksabstimmungen vom 12. Februar. Namentlich die Berichterstattung zu den Umfrageresultaten über die Unternehmenssteuerreform III sei pauschal, einseitig und reisserisch gewesen. Konkret kritisiert Herr X folgende Punkte:

1. Wir hätten nicht nur über die jüngsten Umfragezahlen zur Unternehmenssteuerreform III berichtet, sondern auch über die Gründe, wie es zu einem Rückgang im Ja-Lager gekommen sei. Das sei eine reine Aufzählung von Argumenten gegen die Unternehmenssteuerreform III.

2. Die Aussage, die Reihen der SP würden sich schliessen, höre sich an wie ein ‚SP-Wahlaufruf gegen die Vorlage‘.

3. Alt-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpfs Distanzierung von der Vorlage hätte nur zusammen mit den Gründen der Alt-Bundesrätin und einem Hinweis auf ihr eigenes Wirken bei dieser Vorlage zu ihrer Zeit als Finanzministerin thematisiert werden dürfen.

4. Im Beitrag werde behauptet, die Behörden hätten die Stimmbevölkerung bei der Unternehmenssteuerreform II angelogen. Das sei ebenfalls eine pauschale und gewagte Aussage.

Der kritisierte Beitrag

Die Sendung Heute Morgen von Radio SRF brachte den Beitrag am 1.2.17 in ihren Ausgaben um 06:00 Uhr und 07:00 Uhr auf SRF1 und SRF 4 News sowie um 06:30 Uhr auf SRF 2 Kultur.

Unsere Stellungnahme :

Herr X kritisiert die Berichterstattung in der Sendung Heute Morgen von Radio SRF1 zur Trendumfrage von gfs.bern zu den Volksabstimmungen vom 12. Februar 2017 als pauschal, einseitig und reisserisch. Er empfindet die Berichterstattung als persönliche Meinung des Journalisten.

Dem widersprechen wir: Die im Beitrag erwähnten Veränderungen der Umfragewerte und die möglichen Gründe dafür entsprechen der Analyse der Meinungsforscher von gfs.bern.[2] Die Quelle – also gfs.bern - wird in der Ansage zum Beitrag und im Schlusssatz explizit erwähnt.

Aus Sicht des Beanstanders hätte es genügt, die reinen Umfrageergebnisse zu vermelden, ohne die Erklärungen der Meinungsforscher. Auch da sind wir dezidiert anderer Meinung: Genau diese Ergänzungen sind wichtig, denn mit ihnen lässt sich erklären, wie es zum Meinungsumschwung gekommen sein kann.

Zu den einzelnen Punkten:

1. Von einer ‚reinen Aufzählung‘ von Argumenten gegen die Unternehmenssteuerreform III, wie der Beanstander kritisiert, kann keine Rede sein. Im Radiobeitrag wird EIN Argument der Gegner – und zwar das zentrale – ausgeführt: <Dass nämlich der Bundesrat bei der letzten Abstimmung über Unternehmenssteuern 2008 falsch informiert hat. Es kam dann zu viel höheren Steuerausfällen als der Bundesrat vorausgesagt hatte. Und nun befürchten viele, dass die Steuerzahler für die USR III geradestehen müssen.> Die Erwähnung dieses Arguments ist wichtig, denn es ist laut der Analyse der Meinungsforscher eine Hauptursache für den wachsenden Nein-Stimmen-Anteil. gfs.bern schreibt dazu: < Die Zustimmung zu dieser Einschätzung ist mit dem Abstimmungskampf gestiegen und zwischenzeitlich mehrheitlich.> Ohne diese Erklärung hätten die HörerInnen nicht verstanden, weshalb das Nein-Lager seit der letzten Umfrage zulegen konnte.
​2. Die Aussage, dass die SP ‚ihre eigenen Reihen mittlerweile sehr gut schliessen‘ könne, ist eine wichtige Erkenntnis der Umfrage. Die starke Mobilisierung der SP-Wählerschaft ist eine relevante Erklärung für den gewachsenen Nein-Trend. gfs.bern beschreibt es so: <Das parteipolitische Muster der Beteiligungsabsichten bleibt durch Polarisierung geprägt, der ursprüngliche Vorsprung für die rechte Seite ist allerdings aufgrund starker Mobilisierungswirkungen im rot-grünen Lager erodiert. Die Teilnahmeabsichten von Stimmberechtigten mit einer Affinität für Mitte-Parteien liegen unter jenen der Polparteien.>

Dass der Beitrag diesen Aspekt betont, ist also Ausdruck der korrekten Wiedergabe der gfs-Umfrage. Dasselbe gilt auch für den Aspekt der Städte: Zahlreiche Schweizer Städte sind SP-dominiert. Weil dicht besiedelt, könnten sie am 12. Februar bei der Abstimmung Gewicht haben.

3. Der Beanstander stört sich an der Aussage, Alt-Bundesrätin Widmer-Schlumpf ‚sei auch dagegen‘. Der Wortlaut im Beitrag lautete etwas anders, nämlich: <Eveline Widmer-Schlumpf wählte genau die Befragungszeit, um sich medial von der Vorlage zu distanzieren>. Dass sie sich distanziert hat, ist nicht ein Argument, sondern ein – beim Ausstrahlungszeitpunkt bekanntes - Faktum, nachzulesen im Blick vom 22-1-2017.[3]

An dieser Stelle hätte sich der Beanstander weitere Informationen gewünscht ‚warum Sie dagegen ist, und dass Sie auch teilweise ihre eigenen Vorschläge als sie noch Bundesrätin war, heute kritisiert, von dem kein Wort. Einfach pauschal, Sie ist dagegen.‘

Die inhaltlichen Vorbehalte von Alt-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf gegen die USRIII sind nicht Gegenstand des gfs-Berichts. Deshalb werden sie im Beitrag auch nicht vertieft. Ausserdem wurden die Intervention der früheren Finanzministerin und ihre Argumente in den Tagen vor der gfs-Publikation bereits breit diskutiert, zum Beispiel im Heute Morgen auf SRF 1 und SRF4 News vom 25. Januar 2017.

Wir stellen zudem fest, dass der Beanstander widersprüchlich argumentiert: Während er die Umfrageergebnisse nicht begründet und eingeordnet haben möchte, vermisst er bei den Aussagen zur Alt-Bundesrätin die Begründung, obschon diese zum Zeitpunkt der kritisierten Sendung allseits bekannt war.

4. Weiter kritisiert Herr X, im Beitrag sei gesagt worden ‚Die Behörden lügten das Volk bei USRII an. Dies ist auch ein so eine pauschale und sehr gewagte Aussage.‘ Diese Aussage hat Radio SRF nicht gemacht. Der Wortlaut im Beitrag war: <Dass nämlich der Bundesrat bei der letzten Abstimmung über Unternehmenssteuern 2008 falsch informiert hat. Es kam dann zu viel höheren Steuerausfällen, als der Bundesrat vorausgesagt hatte. Und nun befürchten viele, dass die Steuerzahler für die USR III geradestehen müssen.> Der Begriff der Lüge kommt also gar nicht vor.

Auch diese Beitragspassage stützt sich auf die gfs-Umfrage und gibt nicht die persönliche Meinung des Journalisten wieder. Es gibt zudem ein Urteil des Bundesgerichts, dass die Sachlage gleich beurteilt. Im Fall 138 I 61 Kiener-Nellen schreiben die Richter: <Bei Steuervorlagen kommt der Frage, welche Beträge dem Gemeinwesen zufliessen, stets ausschlaggebende Bedeutung zu. (...) Es war den Stimmberechtigten allerdings nicht möglich, sich eine zuverlässige und sachgerechte Meinung zu bilden. Sie verfügten über keine Prognosen zu den Auswirkungen des Kapitaleinlageprinzips. Es fehlten ihnen gar Hinweise darauf, dass diese Auswirkungen nicht abschätzbar waren und einen wesentlichen Unsicherheitsfaktor darstellten. Solche Hinweise wären umso wichtiger gewesen, als die ausgewiesenen Steuereinbussen in den Bereichen der Dividenden und Liquidationsgewinne den Eindruck von Sicherheit und Verlässlichkeit hinterliessen. Damit wurde den Stimmberechtigten eine ganz wesentliche Grundlage für eine verlässliche Meinungsbildung vorenthalten.

Die Informationslage vor der Abstimmung zeigt somit gesamthaft, dass den Stimmberechtigten ausschlaggebende Elemente für die Meinungsbildung und -äusserung fehlten. Die bundesrätlichen Abstimmungserläuterungen vermittelten ihnen die unerlässliche Transparenz nicht. Diese waren nicht bloss unvollständig, sondern erwiesen sich wegen Unterdrückung wichtiger Elemente und bedeutender Gegebenheiten als unsachlich im Sinne der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung (oben E. 6.2). Die umfassende Betrachtung des Vorfeldes der Abstimmung führt somit zum Schluss, dass die Abstimmungsfreiheit im Sinne von Art. 34 Abs. 2 BV anlässlich der Volksabstimmung vom 24. Februar 2008 verletzt worden ist.> (Erwägung 8.6)[4]

Auf dieses Bundesgerichtsurteil ist Radio SRF bereits in einem Beitrag am 4. Januar 2017 eingegangen. In diesem Beitrag sind Gegner und Befürworter zu Wort gekommen, ganz im Sinne des Beanstanders.

FAZIT: Der kritisierte Beitrag ist korrekt. Er enthält weder einen Kommentar noch eine persönliche Meinung. Der Begriff ‚Lüge‘ kommt darin nicht vor. Es ist eine sachliche Zusammenfassung der 2. Trendumfrage des Forschungsinstituts gfs.bern. Das wird in der Ansage und im Schlusssatz des Beitrags explizit gesagt. Diese Art der Berichterstattung entspricht der Kernaufgabe im Sinne des Informationsauftrags von Radio SRF. Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung abzulehnen.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Beurteilung des Radio-Beitrags. Sie beanstanden, dass im Beitrag nicht einfach Fakten vermittelt, sondern Kommentare abgegeben wurden. Da muss man vielleicht kurz aufzeigen, über welchen Werkzeugkasten die Journalistinnen und Journalisten verfügen. In diesem Werkzeugkasten befinden sich nämlich nicht nur die Bericht-Zange und der Kommentar-Hammer, sondern auch der Interpretations-Schraubenzieher. Es gibt drei Gruppen von Darstellungsformen:

Gruppen

Darstellungsformen

Rolle des Journalisten

Referierende Darstellungsformen

Meldung, Bericht, Dokumentation

berichtet neutral

Interpretierende Darstellungsformen

Analyse, Interview, Feature, Reportage, News-Story

interpretiert, lässt subjektive Note zu

Kommentierende Darstellungsformen

Kommentar, Kolumne, Leitartikel, Glosse, Satire, Literatur-, Film-, Theater-, Kunst-, Architektur-, Musik- und Medienkritik

ergreift Partei, bezieht Position, engagiert sich

Worum handelt es sich bei dem von Ihnen kritisierten Beitrag? Sicher nicht um einen Kommentar, also nicht um eine kommentierende Darstellungsform, die in Radio und Fernsehen als solche bezeichnet werden müsste. Allenfalls um eine Analyse, also um eine interpretierende Darstellungsform. Wenn man aber genau hinsieht, dann ist es die Berichterstattung über eine Analyse, nämlich über die Analyse des Forschungsinstituts gfs-Bern, das für die Umfrage verantwortlich ist und sie in seinem Bericht auch analysiert. Wir haben es also letztlich mit einer referierenden Darstellungsform zu tun, bei der der Journalist Lukas Schmutz eine neutrale Haltung einnimmt. Ich kann daher – im Einklang mit Frau Pestalozzi - keinem einzigen Ihrer Kritikpunkte beipflichten und muss Ihrer Beanstandung eine Absage erteilen.

Radio SRF betreibt übrigens klassischen Präzisionsjournalismus[5]: Es gibt die Erkenntnisse der Meinungsforschung wieder, nennt das verantwortliche Institut, den Befragungszeitraum sowie die Anzahl Befragter. Damit kann sich das Publikum eine Meinung bilden.

Noch etwas: Sie reden von „Staatsradio“. Die Schweiz kennt aber keinerlei Staatsradio oder Staatsfernsehen, im Unterschied etwa zu China, Nordkorea, Vietnam, Venezuela, Ägypten, Syrien oder Russland. Staatsmedien sind immer Lautsprecher der jeweiligen Regierungen. Das ist aber Radio SRF gewiss nicht. Die Tatsache, dass der Staat die Gebühren festsetzt, mit dem die SRG und auch private TV-Sender und Radios subventioniert werden, macht Radio SRF noch nicht zum Staatsradio. SRF besitzt Programmautonomie und ist journalistisch vom Staat unabhängig. Darum kann es auch den Staat und dessen Behörden kritisieren.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/play/radio/heutemorgen/audio/die-befuerworter-der-unternehmenssteuerreformiii-verlieren-an-boden?id=bdb077db-98e7-4829-b32e-d0ab6cc6e7b5

[2] http://www.gfsbern.ch/de-ch/Detail/vorabstimmungsanalyse-zur-eidg-abstimmung-vom-12-februar-2017-144.

[3] http://www.blick.ch/news/politik/abstimmungen/alt-bundesraetin-eveline-widmer-schlumpf-distanziert-sich-von-ihrer-eigenen-vorlage-die-steuerreform-ist-aus-der-balance-id6097538.html

[4] http://www.bger.ch/index/juridiction/jurisdiction-inherit-template/jurisdiction-recht/jurisdiction-recht-leitentscheide1954.htm

[5] Präzisionsjournalismus (precision journalism) geht zurück auf den amerikanischen Journalistikprofessor Philip Meyer, der 1973 das Konzept erfunden hat, wonach Medien über Demoskopie und über Statistiken mit sozialwissenschaftlichen Knowhow berichten müssen.

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