Fernsehen SRF, Sendung «10vor10» über Whistleblower deckt Tricks von Schweizer Banken auf beanstandet
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In Ihrem Namen reichte Rechtsanwalt Dr. Andreas Meili am 17. Februar 2017 eine umfängliche Beanstandung gegen die Sendung „10 vor 10“ von Fernsehen SRF vom 30. Januar 2017 ein. Die Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Also kann ich auf sie eintreten.
A. Ihr Anwalt begründete Ihre Beanstandung ausführlich. Da er immer wieder auf beigelegte Belege Bezug nimmt, kann ich die Begründung hier nicht im Wortlaut geben, sondern muss sie zusammenfassen. Die Redaktion erhielt natürlich den vollständigen Wortlaut samt allen Beilagen als Grundlage für ihre Stellungnahme. Ihr Anwalt schreibt:
1. Die beanstandete Sendung
„In einem 5:53-minütigen Bericht von ‚10vor10‘ vom 30. Januar 2017 wurde ein ehemaliger Kadermitarbeiter der Beanstandenden, Herr Rolf Schnellmann, als sog. Whistleblower präsentiert. Im genannten Beitrag, der bis heute auch online verbreitet wird, wurde Herr Schnellmann Gelegenheit geboten, gegen verschiedene Schweizer Finanzinstitute, darunter u.a. die Beanstandende, im Zusammenhang mit der angeblichen Verschleierung von unversteuerten Geldern Vorwürfe zu erheben. Konkret soll Herr Schnellmann als ehemaliger Geschäftsführer einer Treuhandgesellschaft damit beauftragt gewesen sein, für Banken Lösungen bzw. komplexe Strukturen auszuarbeiten, um Schwarzgelder von ausländischen Geschäftskunden weiterhin verwalten zu können, damit die Behörden nicht mehr erkennen können sollen, wohin die Gelder tatsächlich gehörten, indem die elektronische Datenspur unterbrochen werden sollte usw.“
Ihr Anwalt erwähnt dann, dass die Vorwürfe von Herrn Schnellmann durch diverse Grafiken untermalt worden seien, um sie für das Publikum leichter verständlich zu machen. Man habe zudem Geschäftsunterlagen Ihrer Firma gezeigt, auf denen Unterschriften/Namen von ihr und ihren Organen sichtbar seien (min. 2:10 f.). Diese Unterlagen gehörten zur Geheimsphäre. Daher sei die Weitergabe durch Herrn Schnellmann eine Verletzung seiner Geheimhaltungspflicht und deren Weiterverbreitung durch SRF eine Verletzung der durch Art. 28 ZGB geschützten Persönlichkeitsrechte. Auch zur Aussage eines Steuerexperten (min. 3:05) seien bei entsprechender Vergrösserung und Auflösung die Firmennamen Ihres und mit Ihnen verbundener Unternehmen sichtbar. Obwohl Ihre Firma nicht namentlich erwähnt werde, sei durch die Nennung des Namens von Herrn Schnellmann, seiner früheren beruflichen Stellung und deren Dauer (2008-2010) sowie weiterer identifizierbarer Merkmale, darunter, dass er im Bild gezeigt werde, für den Durchschnittszuschauer aus dem geschäftlichen und sozialen Umfeld leicht erkennbar, um wen es sich bei der im Bericht genannten Treuhandgesellschaft handelt. Dies bewiesen auch zahlreiche interne und externe Reaktionen, die die Firma nach dem Bericht von „10 vor 10“ erhalten habe.
2. Informationen im Vorfeld der beanstandeten Sendung
Ihr Anwalt schreibt weiter, der Autor der Sendung, Herr Christian Schürer, habe Ihre Firma am 19. Mai 2016 per E-Mail darüber informiert, dass ein Beitrag mit Herrn Schnellmann geplant sei, in dem dieser als Whistleblower beschreibe, wie von der Schweiz aus Gelder ausländischer Kunden versteckt worden seien. Es gehe dabei weniger um die Strafklage gegen Herrn Schnellmann als um die aufgesetzten Strukturen. Dabei spiele auch Ihre Firma eine Rolle, weshalb es wichtig sei, deren Sichtweise zu kennen. In der Folge hätten zwei vertrauliche Hintergrundgespräche stattgefunden: Im Mai 2016 mit Ihnen, und im November 2016 mit Ihnen und mit Herrn Y, Head Legal & Compliance. In diesen Gesprächen hätten Sie versucht, Herrn Schürer davon zu überzeugen, dass die von Herrn Schnellmann erhobenen Vorwürfe nicht zuträfen, dass dieser vielmehr aus rein egoistischen Motiven allein gehandelt habe. Weitere Fragen von Herrn Schürer habe Ihre Firma per E-Mail beantwortet und dabei insbesondere festgehalten, dass sie sich stets mit grösstmöglicher Sorgfalt an die regulatorischen Vorgaben für Kundenbeziehungen gehalten habe und dass sie sich von Herrn Schnellmanns Aussagen zu den angeblichen Strukturen zur Steuervermeidung für ausländische Kunden distanziere.
Am 9. Januar 2017 habe Ihr Anwalt Herrn Schürer auf folgende Fakten hingewiesen:
- Das Strafverfahren gegen Herrn Schnellmann wegen Veruntreuung, eventualiter ungetreuer Geschäftsbesorgung, das am 1. Februar 2017 zur Verhandlung bei der 9. Abteilung des Bezirksgerichts Zürich gelange, richte sich nur gegen ihn als einzigen Beschuldigten. Weder Ihre Firma noch deren Organe seien als Beschuldigte in dieses Verfahren involviert. Sie selber seien vielmehr als Zeuge befragt worden.
- In der Anklageschrift werde ausdrücklich festgehalten, dass Herr Schnellmann bei seinen Handlungen frei und ohne Mitwirkung Ihrer Firma und ihrer Organe vorgegangen sei, die veruntreuten Werte für eigene Zwecke unrechtmässig verwendet habe, die anderen Mitglieder der Geschäftsleitung Ihrer Firma weder vorher noch nachher über seine Aktivitäten informiert oder ihnen Vertragsgrundlagen vorgelegt habe, diese Taten vorsätzlich begangen habe und sich damit der mehrfachen qualifizierten Veruntreuung, eventualiter der mehrfachen qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung, schuldig gemacht habe.
Jeder Versuch von Herrn Schnellmann, sich als sogenannter Whistleblower, der auf Anweisung oder mit Wissen seiner Arbeitgeberin und/oder deren Organe gehandelt habe, von seiner strafrechtlichen Verantwortung zu entlasten, widerspreche damit nach Erkenntnis der Zürcher Staatsanwaltschaft den aktenkundigen Feststellungen der zuständigen Untersuchungs- und Anklagebehörde. Dies werde auch nicht in Frage gestellt durch Strafanzeigen von Herrn Schnellmann in Zürich und Liechtenstein, denen nirgendwo Folge gegeben worden sei.
Herr Schürer sei aufgefordert worden, Ihrem Anwalt sämtliche Vorwürfe, die im geplanten Bericht über Ihre Firma und deren Organe verbreitet werden sollen, und sämtliche Zitate, die von ihrer Seite verwendet werden sollen, vor der Ausstrahlung zur Stellungnahme bzw. Autorisierung vorzulegen. Herr Schürer habe dem Anwalt am 16. Januar 2017 mitgeteilt, dass Ihre Firma und die mit ihr verbundenen Personen nicht namentlich erwähnt würden und dass auch keine Vorwürfe gegen sie erhoben würden. Am 19. Januar 2017 habe Herr Schürer mitgeteilt, der Beitrag werde Konstrukte und Strukturen thematisieren, die Herr Schnellmann für ausländische Kunden entworfen habe.
3. Ereignisse nach der Ausstrahlung der beanstandeten Sendung
Ihr Anwalt verweist darauf, dass Herr Schnellmann ein Tag nach der Ausstrahlung des Bericht von „10 vor 10“ von der 9. Abteilung des Bezirksgerichts Zürich wegen erwiesener qualifizierter Veruntreuung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren sowie zur Zahlung von Schadenersatz von mehr als 4,3 Millionen Euro an die Privatklägerin sowie zur Tragung sämtlicher Verfahrenskosten verurteilt worden sei. Der Entscheid sei noch nicht rechtskräftig, habe aber ganz die Argumentation der Staatsanwaltschaft übernommen, wonach Herr Schnellmann ohne Wissen Ihrer Firma und ihrer Organe gehandelt habe, sondern ausschliesslich in seinem eigenen Interesse und aus egoistischen Motiven, was ein schweres Verschulden begründe. Ihr Anwalt zitierte aus dem Plädoyer der Staatsanwältin vom 31. Januar 2017 wie folgt:
„In der Strafuntersuchung und noch vor kurzem – zuletzt diesen Montag im Schweizer Fernsehen, 10vor10 – brachte der Beschuldigte Rolf Schnellmann zahlreiche Einwendungen und Erklärungen zu den Geschehnissen und angeklagten Tatvorwürfen vor. Stets geht es dabei darum, von den eigenen Tathandlungen abzulenken. Ungeachtet der Ablenkungsmanöver und Vernebelungstaktik von Rolf Schnellmann...“
Ihr Anwalt habe am 3. Februar 2017 aufgrund dieses Urteils Herrn Schürer aufgefordert, seinen Bericht auf www.srf.ch zu löschen, da es keinen legitimen Grund gebe, Ihre Firma im Zusammenhang mit den kriminellen Handlungen von Herrn Schnellmann in irgendeiner Weise zu kritisieren oder sie sogar der Mitwirkung an solchen Machenschaften zu verdächtigen. Die Rechtskonsulentin von SRF habe indes mitgeteilt, man lehne die Löschung ab, da ihre Firma weder in einem erweiterten Kreis erkennbar sei, noch werde sie wegen krimineller Handlungen kritisiert oder einer Mitwirkung daran verdächtigt.
4. Rechtliches (Verletzung des Sachgerechtigkeitgebotes)
In der Folge fasst Ihr Anwalt die Rechtsprechung zum Sachgerechtigkeitsgebot wie folgt zusammen: „Bei Sendungen mit Informationsgehalt muss das Publikum in die Lage versetzt werden, sich aufgrund der vermittelten Fakten und Ansichten eine eigene Meinung zu den behandelten Themen bilden zu können (Art. 4 Abs. 2 RTVG). Umstrittene, nicht erhärtete Aussagen müssen als solche klar erkennbar sein, und zwar nicht nur formell durch den sprachlichen Hinweis, dass dem Publikum blosse Indizien präsentiert werden, sondern materiell in der Weise, so dass es versteht, dass weder höchstwahrscheinliche noch gar feststehende Tatsachen, sondern lediglich Spekulationen und Hypothesen thematisiert werden. Fehler in Nebenpunkten und redaktionelle Unvollkommenheiten, welche nicht geeignet sind, den Gesamteindruck der Ausstrahlung wesentlich zu beeinflussen, sind programmrechtlich nicht relevant. Soweit die Fehler jedoch einzeln oder in ihrer Gesamtheit dazu beitragen, dass das Publikum einen falschen Eindruck von den tatsächlichen Verhältnissen des behandelten Themas erhält, handelt es sich um Fehlleistungen, die das Sachgerechtigkeitsgebot nach Art. 4 Abs. 2 RTVG verletzen. Die Gewährleistung des Sachgerechtigkeitsgebots und der freien Meinungsbildung des Publikums erfordert im Rahmen der gesetzlich und konzessionsrechtlich[1] vorgegebenen Programmqualität die Einhaltung journalistischer Professionalität[2] und die Beachtung von zentralen journalistischen Sorgfaltspflichten. Dazu gehören vorrangig die Pflicht zur wahrheitsgemässen und tatsachengerechten Berichterstattung[3], aber auch die Pflicht, Abmachungen, die zwischen dem Medienschaffenden und dem Betroffenen im Hinblick auf die Durchführung eines Interviews getroffen werden, einzuhalten.[4]
Ihr Anwalt argumentiert dann weiter, dass in Sendungen wie hier, in denen schwerwiegende Vorwürfe gegen Personen, Unternehmen oder Behörden erhoben werden, qualifizierte Anforderungen bezüglich der Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflichten gelten würden. Der Standpunkt der Angegriffenen sei in geeigneter Weise darzustellen. Dies bedinge aber, dass er über die Vorwürfe und ihre Grundlagen genügend umfassend informiert werde, damit er überhaupt in der Lage sei, zu den Vorwürfen konkret Stellung zu nehmen und seinen Standpunkt zu vertreten. Irreführungen in Bezug auf die Vorwürfe und/oder ihre Grundlagen seien mit dem Sachgerechtigkeitsgebot nicht vereinbar und würden in der Regel auch das Publikum in die Irre führen.
Aus der Sicht Ihrer Firma hätten die Verantwortlichen von „10 vor 10“ das Sachgerechtigkeitsgebot mit der Verbreitung von Vorwürfen des als Whistleblower präsentierten Rolf Schnellmann, mit der Aussage des Moderators, wonach der Prozess gegen Herrn Schnellmann ein neues Licht auf diffuse Praktiken zur Steuerhinterziehung werfe, und mit der Behauptung des als Steuerexperten befragten Rechtsanwalts, solche Strukturen seien für Steuerhinterziehungen genutzt worden, gleich mehrfach verletzt:
- Herr Schnellmann sei von Ihrer Firma nie beauftragt worden, für Banken Lösungen bzw. komplexe Strukturen auszuarbeiten, um Schwarzgelder von ausländischen Geschäftskunden weiterhin verwalten zu können;
- Herr Schnellmann sei von Ihrer Firma nie beauftragt worden, irgendwelche Massnahmen zu treffen, damit die Behörden nicht mehr erkennen konnten, wohin die Gelder tatsächlich gehörten;
- Herr Schnellmann sei von Ihrer Firma nie beauftragt worden, irgendwelche Massnahmen zu treffen, um die elektronische Datenspur zu unterbrechen;
- Herr Schnellmann sei von Ihrer Firma nie beauftragt worden, irgendwelche Massnahmen zu treffen, um diese für Steuerhinterziehung zu nutzen.
- Herr Schnellmann sei definitionsgemäss kein Whistleblower[5], sondern ein gewöhnlicher Krimineller, der ohne Wissen Ihrer Firma oder deren Organe gehandelt und keinerlei öffentliche Interessen, sondern ausschliesslich sein eigenes Interesse wahrgenommen und aus rein egoistischen Motiven gehandelt habe, was ihm im Strafverfahren vor dem Zürcher Bezirksgericht zu schwerem Verschulden gereicht habe.
Vor Gericht sei Steuerhinterziehung weder in Bezug auf Herrn Schnellmann noch in Bezug auf Ihre Firma oder andere Dritte Gegenstand der Anklage und des Urteils gewesen. Es sei ausschliesslich um Vermögensdelikte von Herrn Schnellmann gegangen. Die Präsentation von Herrn Schnellmann als Whistleblower habe dem Publikum den falschen Eindruck vermittelt, er habe Kenntnis von rechtlichem oder moralischem Fehlverhalten Ihrer Firma oder anderer Dritter oder sei von ihnen zu seinen Taten instrumentalisiert worden, was nicht der Fall gewesen sei, da er erwiesenermassen auf eigenen Entschluss hin kriminell gehandelt habe. Seine Taten, für die er nur zwei Tage nach der Sendung zu einer mehrjährigen unbedingten Strafe verurteilt worden ist, würden dadurch verharmlost.
Darum, so argumentiert Ihr Anwalt weiter, hätte der beanstandete Bericht gar nie ausgestrahlt werden dürfen, da er dem Publikum ein völlig falsches Bild vermittelte. Die Präsentation von Herrn Schnellmann als Whisteblower und „Instrument“ sei bereits aufgrund der Anklageschrift höchst fragwürdig gewesen. „Herr Schürer wäre gut beraten gewesen, wenigstens die öffentliche Verhandlung vor dem Bezirksgericht und dessen Urteil vom 1. Februar 2017 abzuwarten, statt noch kurz vor dieser Verhandlung Aussagen und Informationen von Herrn Schnellmann, die in erkennbarer Weise äusserst zweifelhaft waren, gegen die Beanstandende und andere Dritte zu verbreiten und sie zusammen mit den weiteren Aussagen des Moderators und des befragten Steuerexperten – in für Dritte erkennbarer Weise – in ein falsches Licht zu stellen. Herr Schürers unkritischer Umgang mit den Informationen, die offenbar von Herrn Schnellmann bzw. seinen Anwälten mehreren Medien (darunter das SRF) zusammen mit Unterlagen, die Geschäftsgeheimnisse der Beanstandenden darstellen, zugespielt worden sind, um noch kurz vor dem Hauptprozess im Sinne eines sog. Trial by media Stimmung zu machen und das Gericht im Hinblick auf ein günstigeres Urteil unter Druck zu setzen, zeigt, dass er nicht frei von Vorurteilen an das Thema herangegangen ist, über das er berichtet hat. Nur so ist erklärbar, wie leichtfertig er sich von Herrn Schnellmanns Desinformationskampagne täuschen und sich von ihm für dessen durchsichtigen Motive instrumentalisieren liess.“
Daraus zieht Ihr Anwalt den Schluss, dass „10 vor 10“, wenn es ihm um sachgerechte Information gegangen wäre, entweder hätte über das Urteil berichten und damit den eigenen Bericht korrigieren müssen oder den Bericht auf der SRF-Website hätte löschen oder mit einem Zusatz über die Verurteilung von Herrn Schnellmann versehen müssen. Nichts von all dem sei geschehen.
Ausserdem habe es „10 vor 10“ unterlassen, Ihrer Firma vorgängig Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Es habe zwar Hintergrundgespräche gegeben. Herr Schürer habe aber mitgeteilt, dass im Beitrag keine Vorwürfe gegen Ihre Firma erhoben werde, was aber nicht zugetroffen habe. Es sei vielmehr der falsche Eindruck vermittelt worden, Ihre Firma oder andere Dritte hätten sich rechtlich oder moralisch fehlverhalten. Durch die Zusicherung von Herrn Schürer vor der Ausstrahlung sei Ihrer Firma die Wahrnehmung des Rechts genommen worden, zu den konkreten Vorwürfen konkret Stellung zu nehmen.
Aus diesen Gründen seien durch den Beitrag in „10 vor 10“ der Programmauftrag von SRF bzw. die gesetzlichen und konzessionsrechtlichen Programmpflichten sowie insbesondere das Sachgerechtigkeitsgebot nach Art. 4 Abs. 2 RTVG verletzt worden. Ihr Anwalt stellte daher die folgenden Anträge:
1. „Es sei eine Verletzung von Art. 4 Abs. RTVG (Sachgerechtigkeitsgebot) festzustellen.
2. Es seien dem Programmveranstalter zur Erledigung dieses Beanstandung die geeigneten Empfehlungen abzugeben.“
B. Die zuständige Redaktion erhielt, wie bereits erwähnt, Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Herr Christian Dütschler, Redaktionsleiter der Sendung „10 vor 10“, schrieb:
„Der Beitrag zeigt dem Publikum auf, welche Praktiken in der Finanzbranche angewendet worden sind, um Geld vor dem Fiskus zu verstecken. Im ersten Teil wird Rolf Schnellmann als Insider eingeführt, der nun auspackt. Gleichzeitig wird das laufende Strafverfahren wegen Veruntreuung gegen Schnellmann transparent gemacht, und der Reporter fragt ihn direkt nach seinen Motiven für das Whistleblowing (‚Ist das nicht ein persönlicher Rachefeldzug von Ihnen?‘). In einer Rückblende zeigt der Bericht sodann auf, wie es dazu kam, dass Schnellmann für seine Kunden komplexe Strukturen ausarbeitete, welche das Hinterziehen von Steuern ermöglichten.
Im dritten Teil wird ausführlich und mit Hilfe von Grafiken erklärt, wie solche Strukturen genau funktionieren. Dann können ein Experte aus der Schweiz und ein spezialisierter Anwalt in den USA die von Schnellmann publik gemachten Strukturen einordnen und beurteilen. Im letzten Teil des Beitrages wird Schnellmann noch einmal kritisch befragt (‚Haben Sie kein schlechtes Gewissen?‘), worauf dieser die Rechtmässigkeit des Vorgehens betont. Abschliessend wird ein weiteres Mal auf den anstehenden Prozess und dessen Bedeutung für Schnellmanns Zukunft hingewiesen.
Vorweg möchten wir festhalten, dass Rolf Schnellmann am 1. Februar 2017 vom Bezirksgericht Zürich wegen qualifizierter Veruntreuung verurteilt worden ist. In diesem Verfahren hat das Gericht ausschliesslich über die ihm vorgeworfene Veruntreuung geurteilt. Diese hat grundsätzlich nichts mit den von uns thematisierten Strukturen zum Verstecken von Schwarzgeld zu tun. Es mag durchaus sein, dass Rolf Schnellmann im Prozess die beiden Themen zu seinem Vorteil zu vermischen versucht. Deshalb haben wir diesen Punkt im Beitrag auch direkt angesprochen und ihn gefragt: ‚Ist das nicht ein persönlicher Rachefeldzug von Ihnen?‘ Darauf antwortet er im Beitrag: ‚(...) Klar geht es mir auch um meinen eigenen Fall (...)‘. Zu unserem Erstaunen vermischt auch die Beanstandende in ihrem Schreiben die beiden Themen – obwohl wir bereits in den Vorgesprächen die Veruntreuung klar von den Praktiken zur Steuervermeidung getrennt haben. (siehe auch Mail vom 19. Mai 2016 im Anhang). Auch in unserem Beitrag haben wir die beiden Themen sauber getrennt. Der Prozessauftakt war unser aktueller Aufhänger und der Vorwurf der Veruntreuung wurde gleich zu Beginn des Beitrages thematisiert, da er uns für die Meinungsbildung des Publikums wichtig erschien. Thema unseres Beitrages aber waren die Methoden zur Verschleierung der wirtschaftlichen Berechtigung an Geldern. Diese Praktiken bewegen sich, wie im Beitrag mehrfach erwähnt, im legalen Bereich. Sie waren deshalb auch nicht Teil des Prozesses gegen Schnellmann. Ziel des Beitrages war es, dass das Publikum die dargestellten Methoden versteht und sich eine eigene Meinung darüber bilden kann.
Die Beanstandende ist nun der Meinung, dass wir mit dem Beitrag das Sachgerechtigkeitsgebot in verschiedener Hinsicht verletzt hätten. Aus dem ausführlichen Schreiben der Beanstandenden haben wir folgende Vorwürfe herauskristallisiert und nehmen gerne dazu Stellung.
1. Vorwurf: Treuhandgesellschaft X AG ist im Beitrag identifizierbar
Die Beanstandende ist der Meinung, dass sie im Beitrag als ‚X AG‘ identifizierbar sei – und zwar für ‚den Durchschnittszuschauer aus dem betr. geschäftlichen und sozialen Umfeld‘. Damit sind wir nicht einverstanden. Wir haben der Beanstandenden im Vorfeld zugesichert, dass wir ‚die X AG sowie mit ihr verbundene Gesellschaften und Personen nicht namentlich erwähnen‘. Daran haben wir uns gehalten.
a. Nennung des Namens, der (früheren) beruflichen Stellung und ihrer Dauer (2008-2010), Bild Schnellmanns
Die Beanstandende ist der Meinung, dass der ‚Durchschnittszuschauer aus dem betr. geschäftlichen und sozialen Umfeld‘ aufgrund ‚der Nennung des Namens, der (früheren) beruflichen Stellung und ihrer Dauer (2008-2010) sowie weiterer identifizierender Merkmale (Bild usw.) von Herr Schnellmann (...)‘ leicht erkennen könne, ‚um wen es sich bei der in ihrem Bericht genannten Treuhandgesellschaft handelt‘.
Entgegen der Annahme der Beanstandenden stammt der Durchschnittszuschauer eben gerade NICHT aus dem geschäftlichen und sozialen Umfeld von Rolf Schnellmann und kann deshalb von seiner Person und den zusätzlichen Angaben im Beitrag nicht auf seinen früheren Arbeitgeber schliessen. Nur wer mit dem Werdegang von Rolf Schnellmann vertraut ist oder diesen persönlich kennt, wird wissen, dass dieser im genannten Zeitraum für die X AG tätig war. Das ist diesen Personen aber auch sonst bekannt.
Der Beanstandenden war bekannt, dass wir einen Beitrag mit Rolf Schnellmann planen. Bereits im Mail vom 19. Mai 2016 schrieben wir (siehe Anhang):
<Wir planen in der Sendung ‚10vor10‘ von SRF einen Bericht zu den Aussagen von Rolf Schnellmann, der als Whistleblower beschreibt, wie von der Schweiz aus Gelder ausländischer Kunden versteckt wurden. Im Bericht geht es weniger um den Rechtsstreit und die Strafklage gegen Schnellmann, sondern um die aufgesetzten Strukturen zur Steuervermeidung.>
Auch in den Vorgesprächen mit der Beanstandenden war stets klar, dass Schnellmann in unserem Beitrag als Person und mit Nennung seines Namens auftreten würde. Dass wir dabei im Beitrag auch seine berufliche Stellung und die zeitliche Einordnung seiner Tätigkeit erwähnten, ist eine Selbstverständlichkeit. Erst das ermöglichte dem Publikum, die Handlungen Schnellmanns im Kontext der Finanzkrise richtig zu beurteilen.
Zu erwähnen ist, dass wir im Beitrag freiwillig und konsequent auf die Nennung des Namens der Beanstandenden verzichtet haben. Dies obwohl der Name der Beanstandenden in anderen Medien genannt wird (siehe dazu den beigelegten Artikel des renommierten amerikanischen Fachjournals ‚Taxnotes‘). Im erwähnten Artikel machte die Beanstandende die Verbindung zwischen ihr und Rolf Schnellmann offenbar sogar selbst bewusst öffentlich:
<The whistleblower is not named in the letters, but X AG, which the letters allege assisted IHAG in its efforts to hide assets from the IRS, identified him to Tax Analysts as Rolf Schnellmann, a former employee who will go to trial February 1 on charges that he misappropriated funds.>
(Frei übersetzt: <Der Whistleblower wird in den Briefen nicht namentlich genannt. Aber die Firma X AG, welche gemäss den Briefen der Bank IHAG geholfen haben soll, Vermögenswerte vor dem IRS zu verstecken, identifizierte den Whistleblower der Organisation Tax Analysts gegenüber als Rolf Schnellmann – ein früherer Mitarbeiter, der sich am 1. Februar wegen dem Vorwurf der Veruntreuung vor Gericht verantworten muss.>)
Die Beanstandende machte also gegenüber der Presse die Verbindung zwischen ihr und Schnellmann publik - und ermöglichte so natürlich, dass umgekehrt auch von der Person Schnellmanns auf die Beanstandende geschlossen werden kann. Der nachträgliche Vorwurf an uns, dass das Auftreten von Rolf Schnellmann auf die Beanstandende schliessen lasse, scheint uns deshalb widersprüchlich.
b. Lesbarkeit des Namens in einem Dokument
Die Beanstandende ist der Meinung, dass an zwei Stellen im Beitrag der Name der Beanstandenden sichtbar sei (Timecode 2:10 und 3:05).
Auch hier ist die Beanstandende der Meinung, dass „der Durchschnittszuschauer aus dem betr. geschäftlichen und sozialen Umfeld“ ihren Namen erkennen könne. Auch hier sei noch einmal erwähnt, dass der Durchschnittszuschauer eben gerade nicht aus dem nahen Umfeld von Rolf Schnellmann stammt.
Der Durchschnittszuschauer, der sich den Beitrag am Fernsehen ansieht, wird mit Sicherheit keinen Namen entziffern können. Auch dem interessierten Zuschauer aus der Bankenbranche wird es nicht gelingen. Er müsste erstens auf die Idee kommen, die entsprechende Bildeinstellung genauer zu untersuchen. Dann müsste er die Einstellung Frame für Frame durchklicken, um an eine Stelle zu gelangen, bei der sich vom Text – der im einen Fall notabene auf dem Kopf steht – einzelne Buchstaben erahnen lassen könnten. Uns ist es trotz wiederholten Versuchen nicht gelungen, dabei ein Frame zu erwischen, bei dem die Schrift entzifferbar wäre. Die von der Beanstandenden beigelegten Beweisstücke scheinen uns deshalb zusätzlich computertechnisch optimiert zu sein. Selbst in der Vergrösserung und (allenfalls) technisch bearbeitet sind keine ganzen Namen lesbar.
Anders mag es sich verhalten, wenn ein Zuschauer über ein Vorwissen verfügt und die Verbindung zwischen Rolf Schnellmann und der X AG bereits kennt. Das wird auf die in der Beanstandung erwähnten ‚Mitarbeiter‘ und ‚Geschäftspartner‘ zutreffen. Wir glauben aber, dass diese aus der Person von Rolf Schnellmann auf die Beanstandende schlossen – und nicht aufgrund eines verschwommenen Schriftzuges in einem Bilddetail, der beim normalen Ansehen des Beitrages selbst für Insider nicht lesbar ist.
Selbst wenn der Name der Beanstandenden tatsächlich entzifferbar wäre: Die Tatsache, dass der Name einer Firma auf einem einzelnen Dokument in einem ganzen Ordner voll Dokumenten (der illustrierend durchgeblättert wird) verschwommen erscheint, lässt nicht darauf schliessen, dass die entsprechende Firma die dargestellten Praktiken anwendet. Wie im Beitrag dargestellt, sind in den komplexen Strukturen weit mehr Firmen involviert als die verantwortlichen Auftraggeber.
2. Vorwurf: Sachgerechtigkeitsverbot verletzt
Die Beanstandende ist der Meinung, der Beitrag habe das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt, mit <der Verbreitung von Vorwürfen des als Whistleblower präsentierten Rolf Schnellmann, der Aussage des Moderators, wonach der Prozess gegen Herr Schnellmann ein neues Licht auf diffuse Praktiken zur Steuerhinterziehung werfe, und der Behauptung des als Steuerexperten befragten Rechtsanwalts Tobias F. Rohner, solche Strukturen seien für Steuerhinterziehungen genutzt worden.>
Tatsache ist, dass 10vor10 die Dokumente und Aussagen von Rolf Schnellmann von verschiedenen Experten prüfen liess. Die Abklärungen erstreckten sich über mehrere Monate. Während dieser Zeit haben wir nicht nur mit Rolf Schnellmann, sondern auch mit der Beanstandenden das Gespräch gesucht. Wir sind zum Schluss gekommen, dass die Aussagen von Schnellmann hinsichtlich der Steuerstrukturen grundsätzlich glaubwürdig und zudem von öffentlichem Interesse sind, weshalb wir uns trotz Vorbehalten der Beanstandenden und ihres Anwalts entschieden haben, darüber zu berichten.
Es schien uns zwingend, die Aussagen von Rolf Schnellmann im Beitrag durch einen Experten einordnen zu lassen. Wir haben deshalb die Unterlagen und Aussagen Schnellmanns dem Anwalt Tobias F. Rohner vorgelegt. Er ist auf Unternehmenssteuerrecht spezialisiert und doziert das Fachgebiet auch an der ZHAW und im Executive MBA Programm an der Universität Zürich. Die Beanstandende zieht nun auch die Aussage des Steuerrechtsexperten Tobias F. Rohner in Zweifel. Wörtlich sagte dieser im Beitrag:
>Solche komplexen Strukturen, wie man sie in diesem Beispiel gesehen hat, hat man genutzt für Steuerhinterziehung. Eine Struktur hat man deshalb genutzt, weil dann der Kontoinhaber nicht direkt ersichtlich gewesen ist, sondern eine dazwischen geschaltete Gesellschaft, und der Kontoinhaber, der hinter der Gesellschaft ist - das ist eben der wirtschaftlich Berechtigte -, ist nirgends in Erscheinung getreten.>
Tobias F. Rohner hat die Unterlagen eingehend studiert und äusserte sich im Beitrag als neutraler Steuerrechtsexperte. Er hat kein Interesse, irgendeine Firma zu diffamieren. Seine Aussage scheint uns deshalb glaubwürdig und sachgerecht. Einen Gegenbeweis liefert die Beanstandende nicht.
Auch die Aussage des Moderators verletze gemäss der Beanstandenden das Sachgerechtigkeitsgebot. Der Moderator sagte wörtlich:
<Wir kommen in die Schweiz - und zwar auf den Finanzplatz. Dort wird ein Problem, von dem man dachte es sei gelöst, nun wieder akut: Der Steuerstreit mit den USA. Diese Woche beginnt ein Prozess in Zürich, der ein neues Licht wirft auf diffuse Praktiken zur Steuerhinterziehung - und angeklagt ist dieser Mann: Rolf Schnellmann. Ein Insider, dessen Aussagen nun zeigen ...>
Die Aussage des Moderators stützt sich auf die Einordnung und Aussagen des oben erwähnten Steuerrechtsexperten im Beitrag. Eine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebotes können wir auch hier nicht erkennen.
In ihren weiteren Ausführungen zur angeblichen Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebotes hält die Beanstandende vehement (und in verschiedenen Versionen) fest: ‚Herr Schnellmann war von der Beanstandenden nie damit beauftragt worden, für Banken Lösungen bzw. komplexe Strukturen auszuarbeiten, um Schwarzgelder von ausländischen Geschäftskunden weiterhin verwalten zu können.‘ Die Beanstandende unterstellt uns also, wir hätten sie im Beitrag als Auftraggeberin Schnellmanns dargestellt. Dazu halten wir deutlich fest, dass wir an keiner Stelle im Beitrag in irgendeiner Form erwähnten, dass Rolf Schnellmann von der Beanstandenden mit irgendetwas ‚beauftragt‘ worden war. Vielmehr geht aus dem Bericht klar hervor, dass Herr Schnellmann als Geschäftsführer selbst gehandelt hat. So hiess es wörtlich:
<Als Geschäftsführer einer Treuhandgesellschaft arbeitete Schnellmann für Banken Lösungen aus: Die Behörden sollten nicht mehr erkennen können, wem die Gelder tatsächlich gehörten. Schnellmann entwarf komplexe Strukturen.>
Wir haben bewusst den Eindruck vermieden, Schnellmann habe beispielsweise im Auftrag des Verwaltungsrates des beanstandenden Unternehmens gehandelt. Im Beitrag ging es ausschliesslich darum, dass solche Strukturen tatsächlich angewendet wurden. Wer im konkreten Fall genau was gewusst hatte, war nicht Thema unseres Beitrages und ist allenfalls Gegenstand weiterer behördlicher Untersuchungen.
Die Beanstandende ist zudem der Meinung, dass es falsch sei, Rolf Schnellmann als Whistleblower zu bezeichnen. Er sei ‚ein gewöhnlicher Krimineller‘, dessen Bezeichnung als Whistleblower seine Taten verharmlose. Mit der Verwendung des Begriffs hätten wir das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt.
Rolf Schnellmann wird nicht nur von uns als „Whistleblower“ bezeichnet. Auch das renommierte amerikanische Fachjournal „Taxnotes“ verwendet den Begriff (siehe Beilage). Es gibt verschiedene Definitionen des Begriffs ‚Whistleblower‘. Umgangssprachlich im Wortlaut des Dudens ist damit jemand gemeint, ‚der Missstände an (seinem Arbeitsplatz) öffentlich macht‘. Das trifft auf Rolf Schnellmann zu. Wir sind zudem der Meinung, dass die öffentlich gemachten Praktiken zur Vermeidung von Steuerzahlungen auch von öffentlichem Interesse sind, weshalb wir uns für einen Beitrag entschieden haben. Dass beim Entscheid von Schnellmann, diese Informationen publik zu machen, persönliche Interessen im Vordergrund stehen mögen, ändert nichts an der Tatsache, dass diese von öffentlichem Interesse sind.
Zu der von der Beanstandenden verwendeten Bezeichnung ‚gewöhnlicher Krimineller‘ möchten wir anmerken, dass wir die Schnellmann vorgeworfene Veruntreuung explizit erwähnt haben. Tatsache ist, dass Rolf Schnellmann in der Zwischenzeit in erster Instanz wegen Veruntreuung verurteilt worden ist. Tatsache ist aber auch, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist und Schnellmann dagegen Berufung eingelegt hat. Die Bezeichnung ‚gewöhnlicher Krimineller‘ scheint uns also eine Vorverurteilung von Seiten der Beanstandenden. Umgekehrt zeigt die Geschichte, dass die meisten Whistleblower selbst mit der Justiz in Konflikt standen (Ex-UBS-Banker Bradley Birkenfeld, der ehemalige Julius-Bär-Banker Rudolf Elmer sowie der HSBC-IT-Spezialist Hervé Falciani). Auch wer sich persönlich strafbar gemacht hat, kann also durchaus ein ernstzunehmender Whistleblower sein.
3. Vorwurf: Keine Stellungnahme gewährt
Die Beanstandende ist der Meinung, wir hätten ihr keine Stellungnahme gewährt. Die Beanstandende wusste aus den Vorgesprächen und dem Mailverkehr (siehe oben), dass die ‚Strukturen zur Steuervermeidung‘ Thema das Beitrages sein würden.
Indem wir keine Vorwürfe gegen die Beanstandende erhoben, ja auf die Nennung ihres Namens gar freiwillig verzichtet und Schnellmann als eigenmächtig handelnde Person dargestellt haben, war eine Stellungnahme von Seiten der Beanstandenden obsolet. An die Adresse der Beanstandenden richteten sich keine Vorwürfe.
Zudem hat sich die Beanstandende uns gegenüber via Rechtsanwalt Andreas Meili am
9. Januar 2017 schriftlich ausführlich geäussert. Der Kernpunkt des Schreibens war, dass sich die Beanstandende an die regulatorischen Vorgaben gehalten hat. Analog hielt der Bericht an zwei Stellen fest, dass die angewandten Strukturen gesetzlich erlaubt waren:
<(...) Die Gelder des Fonds wurden wieder bei der Schweizer Bank deponiert und verwaltet – ohne dass die Bank gegen Schweizer Gesetze verstossen hat.>
Rolf Schnellmann:
<(...) Wir haben eine Dienstleistung angeboten, die offensichtlich gefragt gewesen ist auf dem Markt. Und wir haben versucht, diese nach bestem Wissen und Gewissen, im Rahmen was gesetzlich möglich gewesen ist in der Schweiz, zu vollziehen.>
Damit sich die Zuschauer ein möglichst vollständiges Bild machen können, haben wir in der Abmoderation zudem eine Stellungnahme der Branche publiziert. Wörtlich hiess es:
<(...) Die Schweizerische Bankiervereinigung schreibt 10vor10 auf Anfrage, der Schweizer Finanzplatz habe einen Paradigmen-Wechsel vollzogen und sich zum automatischen Informationsaustausch bekannt. Es sei in der Schweiz grundsätzlich nicht mehr möglich, den wirtschaftlich Berechtigten an einem Vermögen zu verschleiern. Und Zitat: ‚Was bislang unversteuerte Vermögen betrifft, haben die Schweizer Banken ihre Kunden aktiv dahingehend beraten, mit ihrer Steuer-Situation ins Reine zu kommen.‘>
4. Zusammenfassung
Unsere mehrmonatigen Recherchen und weitgehenden Abklärungen mit verschiedenen Experten haben ergeben, dass die Aussagen von Rolf Schnellmann über die von ihm entwickelten Strukturen zur Steuerhinterziehung sehr plausibel sind. Wir sind der Meinung, dass wir diese Praktiken in unserem Bericht sachgerecht dargestellt haben. Der Bericht nahm dabei klar eine kritische Distanz gegenüber Rolf Schnellmann ein und wies mehrfach auf dessen Strafverfahren hin. Von einer Instrumentalisierung unsererseits, wie sie die Beanstandende befürchtet, kann also keine Rede sein. Die Beanstandende haben wir weder namentlich genannt, noch war sie für den Durchschnittszuschauer identifizierbar. Wir haben der Beanstandenden auch keine Vorwürfe gemacht, sondern umgekehrt betont, dass Schnellmann die Strukturen als Geschäftsführer selbst entwickelt hat. Eine Stellungnahme von Seiten der Beanstandenden innerhalb des Berichts war deshalb obsolet. Gleichzeitig haben wir deutlich gemacht, dass die Strukturen gegen kein Schweizer Gesetz verstossen haben. Abschliessend zitierte der Moderator die Schweizerische Bankiervereinigung zur heutigen Situation auf dem Schweizer Finanzplatz. Der Beitrag ermöglichte dem Publikum in jeder Hinsicht, sich eine eigene Meinung über die dargestellten Strukturen und das Vorgehen von Rolf Schnellmann zu bilden.
Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung zurückzuweisen.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des Beitrags in „10 vor 10“. Im Wesentlichen erheben Sie durch Ihren Anwalt gegenüber der Sendung „10vor10“ sieben Vorwürfe:
- Durch die Verbreitung geheimer Geschäftsunterlagen Ihrer Firma seien Persönlichkeitsrechte verletzt worden.
- Durch die gezeigten Dokumente und weitere Angaben sei Ihre Firma identifizierbar gewesen, obwohl zugesichert worden sei, sie nicht zu nennen.
- Sie hätten im Beitrag nicht Stellung nehmen können.
- Das Publikum sei in die Irre geführt worden, weil der Eindruck erweckt worden sei, Ihre Firma habe Rolf Schnellmann beauftragt, Strukturen zu errichten, die letztlich der Steuerhinterziehung dienten.
- Rolf Schnellmann sei im Beitrag zu Unrecht als Whistleblower dargestellt worden; in Wirklichkeit sei er ein gewöhnlicher Krimineller.
- Im Gegensatz zu den Aussagen von „10 vor 10“ habe die Steuerhinterziehung vor Gericht überhaupt keine Rolle gespielt.
- SRF habe sich geweigert, den Beitrag nach der Verurteilung Rolf Schnellmanns zu löschen.
Was ist die Aufgabe der Ombudsstelle? Sie muss das Publikum vor Manipulation schützen. Sie ist die falsche Adresse, wenn es darum geht, Grundrechte von betroffenen Einzelpersonen oder Unternehmen zu schützen. Dafür muss der zivilrechtliche Weg beschritten werden. Es ist daher nicht erheblich, ob die Persönlichkeitsrechte Ihrer Firma und bestimmter Organe oder Personen der Firma verletzt worden sind oder nicht, entscheidend ist, ob Ihre Firma in den Augen des Publikums in ein schiefes Licht gerät. Und da ist die Argumentation der Redaktion überzeugend: Weder die Dokumente noch andere Angaben machen Ihre Firma identifizierbar. Das Publikum kann nicht wissen, um welche Firma es sich handelt. Deshalb ist es auch nicht nötig, dass eine Firma, die nicht genannt wird und die auch nicht erkennbar wird, im Beitrag Stellung nehmen kann. Ihre Firma, die das Publikum nicht kennt, kann beim Publikum durch den Beitrag nicht in ein schiefes Licht geraten sein. Zwar erweckt Rolf Schnellmann durch eigene Aussagen im Beitrag entgegen Ihrer Darstellung den Eindruck, er habe im Auftrag gehandelt, als er solche Strukturen konstruierte, sagt er doch: „Wir haben eine Dienstleistung angeboten...“. Dies ist aber nicht weiter erheblich, weil das Publikum nicht erfährt, wer der angebliche Auftraggeber war. In den ersten drei Punkten muss ich daher Ihre Beanstandung zurückweisen.
Was „10 vor 10“ thematisiert, ist tatsächlich von öffentlichem Interesse: Komplizierte Strukturen aufzuzeigen, die nicht einmal illegal sind und die dazu dienen, Eigentümer von Finanzvermögen zu verstecken und so Steuerhinterziehung zu ermöglichen. Die Redaktion stützt sich bei ihren Kenntnissen auf einen Whistleblower. Für die Definition, was ein Whistleblower ist, stütze ich mich auf Urs Dahinden und Mitwirkende, die schreiben:
„Whistleblower sind Informantinnen und Informanten, welche Hinweise in Bezug auf organisationsinternes Fehlverhalten an Dritte, meist organisationsexterne Stellen (Medien, Strafverfolgungsbehörden etc.) weitergeben.“ [6]
Die Churer Forscher lassen offen, ob Whistleblower a priori uneigennützig handeln müssen oder ob auch Eigeninteressen im Spiel sein können, zumal es in den USA häufig auch die zweite Variante gebe. Nach dieser Definition ist der Treuhänder Rolf Schnellmann ein Whistleblower. Trotzdem wurde das Publikum in die Irre geführt, und zwar in doppelter Hinsicht:
Erstens sagt Artur Honegger in seiner Anmoderation: „Diese Woche beginnt ein Prozess in Zürich, der ein neues Licht wirft auf diffuse Praktiken zur Steuerhinterziehung“. Dieser Hinweis war falsch, und ein Blick in die Anklageschrift, die seit dem 23. März 2016, also seit zehn Monaten vor der Sendung, vorlag, hätte genügt, um zu sehen, dass es im Prozess gegen Rolf Schnellmann vor Bezirksgericht Zürich allein um die Veruntreuung fremden Geldes durch den Angeklagten ging. Die Problematik von Strukturen zur Ermöglichung der Steuerhinterziehung spielte keine Rolle.
Zweitens wurde das Publikum im Glauben gelassen, es gebe zwar einen Prozess gegen Rolf Schnellmann, aber in Wirklichkeit sei er ein wahrer Whistleblower, der endlich auspackt und der, wie er selber sagt, das Anliegen hat, „dass die wahren Strukturen offengelegt werden und nicht die geschönten.“ Die Argumente in der Anklageschrift von Staatsanwältin Franziska Keller sind indes erdrückend: Rolf Schnellmann hatte Geld veruntreut, um einem Gläubiger eine hohe Summe zurückzuzahlen, wegen der ihm das Wasser am Hals stand und wegen der er das Risiko lief, dass drei ihm gehörende Wohnungen beschlagnahmt würden. Das Urteil der ersten Instanz fiel denn auch unbarmherzig voll im Sinne der Staatsanwaltschaft aus: Dreieinhalb Jahre Gefängnis unbedingt. Zwar ist das am 1. Februar 2017 gefallene Urteil noch nicht rechtskräftig, weil Rolf Schnellmann Berufung eingelegt hat, insofern gilt weiter die Unschuldsvermutung. Doch der Beitrag von „10 vor 10“ hatte die Tendenz, die kriminelle Energie des Whistleblowers teils zu vertuschen, teils zu verharmlosen.
Ob die Redaktion tatsächlich die Absicht hatte, mit dem Beitrag „trial by media“ zu betreiben und den Prozess zu beeinflussen, kann hier offen bleiben, denn entscheidend ist, wie der Beitrag auf das Publikum wirkte, nicht, wie er auf das Gericht wirkte. Und offen bleiben muss auch, ob Ihre Firma mit den von Rolf Schnellmann errichteten internationalen Strukturen zum Zwecke der Steuerhinterziehung etwas zu tun hatte, denn in der Voruntersuchung des Strafprozesses wurde ja lediglich zweifelsfrei festgestellt, dass Sie und die Organe Ihrer Firma mit der Veruntreuung durch Rolf Schnellmann nichts zu tun haben. Soweit das Publikum durch den Beitrag in die Irre geführt wurde, war er nicht sachgerecht. Insofern kann ich Ihre Beanstandung unterstützen.
Da der Beitrag öffentliches Interesse in Anspruch nehmen konnte, war es nicht nötig, ihn zu löschen, zumal auch Ihre Firma nicht in ein schiefes Licht gestellt wird. Da aber die Glaubwürdigkeit des Whistleblowers durch die Anklageschrift und das erstinstanzliche Urteil doch ziemlich erschüttert ist, würde ich empfehlen, auf der Website von SRF einen Hinweis anzubringen, dass der Kronzeuge des Beitrags in erster Instanz wegen Veruntreuung zu dreieinhalb Jahren Gefängnis unbedingt verurteilt worden ist, dass aber das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.
Sie stellen übrigens Anträge. Anträge kann man nur dort stellen, wo etwas zu entscheiden ist. Der Ombudsmann aber kann nichts entscheiden. Darum lege ich die Anträge ad acta.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] Siehe Art. 2 und 3 der SRG-Konzession, insbesondere Art. 2 Abs. 4 lit. a; https://www.bakom.admin.ch/bakom/de/home/elektronische-medien/informationen-ueber-radio-und-fernsehveranstalter/srg-ssr/konzessionierung-und-technik-srg-ssr.html
[2] Art. 3 Abs. 1 der SRG-Konzession; https://www.bakom.admin.ch/bakom/de/home/elektronische-medien/informationen-ueber-radio-und-fernsehveranstalter/srg-ssr/konzessionierung-und-technik-srg-ssr.html
[3] Vgl. Ziff. 1 des Journalistenkodex; http://www.presserat.ch/Documents/Erklaerung2008.pdf
[4] Vgl. Ziff. 4 des Journalistenkodex und Richtlinie 4.4; http://presserat.ch/Documents/Richtlinien_2015.pdf sowie Stellungnahme des Schweizer Presserates Nr. 62/2013 (http://www.presserat.ch/_62_2013.htm)
[5] Siehe BGE 6B_305/2011, Erw. 3.4., ferner http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/whistleblowing.html. Beim Whistleblowing werden Hinweise auf Missstände in Unternehmen, Hochschulen, Verwaltungen etc. gegeben, die die Whistleblower innerhalb der jeweiligen Organisation wahrgenommen haben und deren Aufdeckung im öffentlichen Interesse steht.
[6] Dahinden, Urs/ Vincenzo Francolino/ Christian Hauser/ Ruth Nieffer (2016): Whistleblower und Medien in der Schweiz – Situationsanalyse und Empfehlungen für die Zukunft. Chur: HTW.
http://ghvs.ch/wp-content/uploads/Whistleblower_und_Medien_in_der_Schweiz_Dahinden_et_al_2016.pdf
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