USA – Gender – Stau. Langzeitbeobachtung von Radio und Fernsehen SRF beanstandet
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Mit Ihrem Brief vom 19. März 2017 reichten Sie nicht eine Beanstandung gegen eine bestimmte Sendung ein, sondern Sie kritisierten bestimmte Begriffe, Sprachregelungen und Redewendungen als Folge einer eigenen Langzeitbeobachtung. Sie erwähnten, dass Sie sich seit Mai 2014 schon mehrfach an die verschiedensten Stellen gewandt hätten, so an „Hallo SRF“ mit SRF-Direktor Rudolf Matter, an die SRG Ostschweiz und an die Ombudsstelle, aber ohne sichtlichen Erfolg. Sie wollten deshalb Ihre Feststellungen nochmals bei mir deponieren. Sie wiesen auch darauf hin, dass Sie eigentlich ein zufriedener und regelmäßiger Zuhörer und Zuschauer der SRF-Programme und ein Mitglied der SRG Ostschweiz seien, außerdem kein Oberlehrer oder sogenannter „Klugscheißer“.
Sie brachten dann drei Themen vor: Erstens die Verwendung des Begriffs „Amerika“ für die USA, zweitens die „inkonsequente Gendersensibilität“ und drittens die Sprachregelung bei Staumeldungen.
1. USA
a. Ihre Begründung
Sie schrieben, dass in fast allen Berichten von Amerika und von Amerikanern und Amerikanerinnen gesprochen werde, auch wenn ausschließlich die USA gemeint seien. „Diese letztlich journalistisch wie auch geographisch unpräzise Wortwahl ist der hierzulande wohl immer noch sehr USA-fokussierte Weltanschauung von Politik und Wirtschaft und, wie es scheint, eben auch unserer Medienschaffender, zuzuschreiben.“ Aus Sicht des Bildungsauftrags der SRG seien solche unkorrekten Verallgemeinerungen zu vermeiden, denn: „Amerika ist ein vielschichtiger Doppelkontinent, welcher vom Süden Chiles bis in den Norden Kanadas reicht. Amerika ist viel mehr als eben nur die USA“. Darauf dezidiert zu achten, scheine Ihnen gerade seit den letzten Wahlen in den USA noch wichtiger denn je. Wenn über die USA berichtet werde, dürfe nicht von Amerika gesprochen werden, sondern man müsse von den „Vereinigten Staaten von Amerika“ (USA) bzw. von den US-Amerikanerinnen und/oder US-Amerikanern reden. Die Medienschaffenden von SRF dürften nicht den gleichen Fehler begehen wie der neue USA-Präsident, der mit seinem „Make America great again!“ in arroganter Weise lediglich an sein Land denke und die anderen 38 amerikanischen Staaten komplett ausblende.
b. Meine Antwort
Im Prinzip haben Sie Recht: Die Vereinigten Staaten von Amerika machen nicht Amerika aus, nicht einmal Nordamerika. Sie sind ein Staat auf einem vielfältigen, englisch, französisch, spanisch und portugiesisch sprechenden Kontinent, wenn auch der mächtigste und derjenige, der am längsten eine unabhängige selbstbestimmte Nation bildet. Aber leider können wir in unserem Sprachgebrauch nicht durchgehend exakt sein. Vieles hat sich einfach eingebürgert. Wir sprechen von der amerikanischen Geschichte, der amerikanischen Politik, der amerikanischen Literatur, dem amerikanischen Film, dem amerikanischen Journalismus, dem „American Way of Life“, der Amerikanisierung, und meinen dabei stets nur die USA. Wenn wir andere amerikanische Länder meinen, dann sprechen wir von der kanadischen Literatur, der mexikanischen Geschichte, der brasilianischen Wirtschaft oder aber von der lateinamerikanischen Kultur. Alle wissen im Grunde stets, was gemeint ist.
Was Sie vorschlagen, wäre zwar präzis und korrekt, aber auch etwas kompliziert, denn man müsste dann in allen Weltregionen so verfahren. Ich bringe ein paar Beispiele: Zu den britischen Inseln gehören Großbritannien, Irland, die Isle of Man sowie weitere kleine Inseln. Aber wenn wir von den Briten reden, meinen wir die Bewohnerinnen und Bewohner Großbritanniens, also von England, Schottland, Wales und Nordirland, nicht aber beispielsweise auch jene der Republik Irland. Und wir sagen nicht: Die Briten des Vereinigten Königreichs oder die UK-Briten. Wenn wir in der Schweiz im politischen Kontext vom Jura sprechen, meinen wir den 1974 gegründeten und 1978 von der Eidgenossenschaft akzeptierten jungen Kanton, obwohl es in Frankreich ebenfalls ein Departement mit dem Namen Jura gibt und obwohl den geografisch definierten Jura die Schweizer Kantone Waadt, Neuenburg, Bern, Jura, Solothurn, Baselland und Aargau sowie die französischen Departemente Ain, Jura und Doubs bestreichen. Um genau zu sein, müssten wir beim Schweizer Kanton Jura immer „Republik und Kanton Jura“ sagen. Luxemburg heißen sowohl das selbständige Großherzogtum als auch eine belgische Provinz. Um genau zu sein, müsste man beim souveränen Staat jedes Mal „Großherzogtum Luxemburg“ sagen. Mazedonien heißen ein selbständiger Staat und eine griechische Provinz. Müssten wir also, wie es die Griechen wünschen, beim selbständigen Staat immer schreiben: „Die frühere jugoslawische Republik Mazedonien“? Die Republik Südafrika liegt in Südafrika, aber dort liegen auch Lesotho und Swaziland, Namibia, Botswana, Simbabwe und Moçambique. Es hat sich aber eingebürgert, dass mit „Südafrika“ im politischen Sinn stets die Republik am Kap der guten Hoffnung gemeint ist.
Die „Vereinigten Staaten“ sind zudem ein Begriff, der Amerika nicht geografisch genauer verortet, sondern der bloß eine Beschreibung der politischen Struktur darstellt, ähnlich wie „Bundesrepublik“ oder „Eidgenossenschaft“. Auf diese Weise werden ja auch die beiden Kongo unterschieden: „Demokratische Republik Kongo“ mit der Hauptstadt Kinshasa und „Republik Kongo“ mit der Hauptstadt Brazzaville. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hat man einen Staat sogar nur mit der Staatsform beschrieben, ohne ihn geografisch zu verorten: die „Sowjetunion“ als Kurzform für „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“. Man wusste also, dass es ein Zusammenschluss von sozialistischen Republiken war, an deren Spitze Räte standen und nicht Fürsten oder Konsuln. Wo diese Union lag, sagte der Name nicht. Der Staat hieß nicht: Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Eurasiens, auch nicht: Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Russlands und Umgebung. Es war eigentlich ein vorweggenommener Name für ein Weltreich. Doch niemand hat sich daran gestört, alle haben stets von der Sowjetunion gesprochen, und man hat daraus sogar die Bezeichnung für die Bewohnerinnen und Bewohner abgeleitet: Sowjetbürgerinnen und Sowjetbürger, also Rätebürgerinnen und Rätebürger!
Man Fazit lautet daher: Akzeptieren wir, was sich eingebürgert hat, zumal jedermann weiß, was gemeint ist. Verlangen wir nicht, dass komplizierte Wendungen gebraucht werden müssen und dass aus dem „amerikanischen Traum“ der „Traum der Vereinigten Staaten von Amerika“ wird, was nicht mehr dasselbe heißt.
2. Gender
a. Ihre Begründung
Sie finden die Gendersensibilität inkonsequent. Sie schreiben: „Mit der teils bis zur Unverständlichkeit führenden, politisch jedoch stets so korrekten, gendergerechten und genderbewussten Sprache und Schrift müssen wir inzwischen leben, auch damit, dass dies im konkreten Leben kaum zu den notwendigen Änderungen geführt hat. So spricht/schreibt man dann korrekterweise von Ärztinnen und Ärzten, von Professorinnen und Professoren, von Direktorinnen und Direktoren, von Arbeitsgeberinnen und Arbeitsgebern. Warum aber hört man bei Moderationen und Berichterstattungen in Radio und Fernsehen nie von Täterinnen und Tätern, Verbrecherinnen und Verbrechern, Mörderinnen und Mördern, Dieben und Diebinnen, Wilderer und Widerinnen? Ich kenne die stereotype Antwort dazu: ‚Die Kriminalität und Gewalt sei eben mehrheitlich und vorwiegend männlich, weshalb man auf die weibliche Form verzichte!‘ Gewalt und Kriminalität sind tatsächlich mehrheitlich männlich, dem stimme ich vorbehaltlos zu. Wieso aber wird dann für Direktoren, Arbeitgebern, Professoren etc. trotzdem und konsequent auch die weibliche Form verwendet, obwohl man ja weiss, dass Frauen in diesen Bereichen immer noch eine grosse Minderheit darstellen?“ Sie schlagen daher vor, dass man sich entweder vom „teils doch sehr schwerfällig wirkenden Gender-Sprachkorsett“ verabschiede oder man ziehe die politische Gender-Korrektheit konsequent und kohärent durch, „auch wenn’s um Negatives geht, und deshalb nicht gefällt." Der letzte Walliser Wolf könnte ja auch von einer Frau abgeschossen worden sein. Beide Varianten könnten guten Gewissens gewählt werden, denn man wisse ja, dass allein durch die Gender-Sprachkorrektheit die Ursachen der Geschlechterdiskriminierung nicht beseitigt würden. Die Korrektheit führe auch zu Ungenauigkeiten, etwa wenn die Afrika-Korrespondentin berichte, dass 25 Millionen Südafrikanerinnen und Südafrikaner zur Urne gegangen seien. Das sei falsch, denn es gebe keine 50 Millionen Wahlberechtigte in Südafrika, sondern nur etwa 25 Millionen. Es seien nämlich nicht 25 Millionen Südafrikanerinnen und Südafrikaner zur Urne gegangen, sondern 25 Millionen Südafrikanerinnen oder Südafrikaner.
b. Meine Antwort
Das Radio- und Fernsehgesetz verbietet jegliche Diskriminierung. Artikel 4, Absatz 1 verlangt:
„Alle Sendungen eines Radio- oder Fernsehprogramms müssen die Grundrechte beachten. Die Sendungen haben insbesondere die Menschenwürde zu achten, dürfen weder diskriminierend sein noch zu Rassenhass beitragen noch die öffentliche Sittlichkeit gefährden noch Gewalt verherrlichen oder verharmlosen.“[1] Daraus kann abgeleitet werden, dass die Geschlechterdiskriminierung auch in der Sprache zu vermeiden ist. Die „Publizistischen Leitlinien“ von SRF sagen indes nichts darüber, wie dies umzusetzen ist. Die gesprochene Sprache, die an Radio und Fernsehen im Vordergrund steht, hat dabei noch eingeschränktere Möglichkeiten als die geschriebene.
Persönlich finde ich die drei folgenden Lösungen grässlich:
- SchweizerInnen
- Schweizer_innen
- Schweizer/innen
Das sieht unschön aus, es liest sich eigentlich nur falsch und es spricht sich überhaupt nicht, es sei denn, man wolle dartun, dass es gar keine Männer mehr gibt. Für mich kommen eigentlich nur die drei folgenden Lösungen in Frage:
- Überall, wo es möglich ist, neutrale Formulierungen suchen, also: Studierende, Dozierende, Referierende, Reisende, Konsumierende, Stimmberechtigte, Stimmende, Wählende, Wildernde, Jagende, Pendelnde, Gläubige, Protestierende, Demonstrierende, Rezipierende, Zuhörende, Erkrankte, Gefangene, Angestellte, Deutsche.
- Dort, wo es nicht möglich ist, Doppelformen benützen, also Schweizerinnen und Schweizer, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Polizistinnen und Polizisten, Täterinnen und Täter, Verbrecherinnen und Verbrecher, Anhängerinnen und Anhänger, Journalistinnen und Journalisten, Italienerinnen und Italiener.
- Dort, wo sich die Doppelformen extrem häufen, variieren zwischen männlichen und weiblichen Formen: Journalistinnen, Schriftsteller, Politikerinnen, Bündner, Katholikinnen, Juristen.
Ihrer Kritik, dass eine Menge, die aus Männern und Frauen zusammengesetzt ist, nur quantifiziert werden kann, wenn zwischen die Geschlechter ein „oder“ gesetzt wird, kann ich nicht folgen. Die Formulierung „Acht Millionen Schweizerinnen und Schweizer“ sagt doch, dass die acht Millionen aus Frauen und Männern zusammengesetzt sind. Da braucht es kein „oder“.
3. Staumeldungen
a. Ihre Begründung
Sie unterstreichen, dass Staumeldungen für autofahrende Radiohörende nützlich seien, finden aber, die oft verwendete Durchsage „Verkehrsbehinderung oder Stau wegen eines Pannenfahrzeuges“ mache den Helfer zum Täter. Das sei verkehrserzieherisch unglücklich formuliert. Sie schlagen vor zu formulieren: „Verkehrsbehinderung oder Stau wegen eines Unfalls“.
b. Meine Antwort
Mir scheint das Problem an den Haaren herbeigezogen. Natürlich kann man so formulieren wie Sie vorschlagen. Aber auch die Formulierung „Stau wegen eines Pannenfahrzeugs“ ist nicht falsch, drückt sie doch einfach die Wahrheit aus und ist streng neutral. Das Pannenfahrzeug wird nicht angeklagt, sondern bloß als Ursache angegeben. Das ist legitim und zugleich faktentreu.
Dies ist mein Schlussbericht im Sinne von Artikel 93 Absatz 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Da Sie keine eigentliche Beanstandung gegen eine bestimmte Sendung oder gegen eine ganze Serie von Sendungen oder Publikationen (Zeitraumbeanstandung) eingereicht haben, ist dagegen keine Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) möglich. Dem Schlussbericht liegt daher auch keine Rechtsbelehrung bei. Hingegen gebe ich ihn – und damit Ihre und meine Überlegungen – den Chefredaktionen von Radio und Fernsehen SRF zur Kenntnis.
[1] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html
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