Sendung «Einstein» zu Verschwörungstheorien beanstandet I
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Mit Ihrer E-Mail vom 28. Januar 2017 beanstandeten Sie die Sendung „Einstein“ von Fernsehen SRF vom 26. Januar 2017[1]. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.
A. Im Wortlaut Ihrer Beanstandung nummeriere ich die Abschnitte, weil die Redaktion nachher abschnittsweise darauf antwortet. Sie begründeten Ihre Eingabe wie folgt:
1) Die Anatomie der Berichterstattung von Leitmedien unterscheidet sich nicht wesentlich von jener, mit der SRF in oben genanntem Beitrag dem Publikum Verschwörungstheorien erklären will. Die Beschreibung des Mechanismus, des psychologischen Effekts, ist sogar genau der gleiche wie bei den Mainstream-News: Halten wir uns an diese, so hören wir in diesem Raum auch immer nur die gleichen Stimmen. Also auch ein einziger Kreislauf von Bestätigungen - z.B. über die russische Aggression, al-Assads Giftgaseinsätze, die ach so friedensstiftende US-Administration unter Obama, den Klimawandel oder eben die Terroranschläge auf das World Trade Center.
Wenn wie im Einstein-Beitrag Dr. Daniele Ganser schon als Verschwörungstheoretiker zum Thema 9/11 herangezogen wird, dann hätte auf keinen Fall versäumt werden dürfen, zu erwähnen, dass es noch über 2500 Architekten und Ingenieure gibt, die dann gemäss Einstein-Narrativ gleichfalls alle Verschwörungstheoretiker sind.[2]
2) Ebenfalls wurde - ob wissentlich oder einfach aus mangelnder Recherche - versäumt zu erwähnen, wer sich in WTC 7 so alles eingemietet hatte: Die CIA, der Secret Service, das Verteidigungsministerium, die Börsenaufsicht und - was für ein Zufall! - die Kommandozentrale der Stadt New York zur Abwehr von Terrorangriffen. Nebst dem symmetrischen Einsturz des Gebäudes also ein weiterer Umstand, der Stoff für eine Verschwörungstheorie liefert. Ein Umstand auch, der eigentlich jeden nur halbwegs seriösen Journalisten aufhorchen lassen und zu Fragen verleiten müsste. Fragen, wie Herr Ganser sie eben stellt.
3) Dass sogenannte Verschwörungstheorien, gerade etwa zu 9/11 und zur ‚Klima-Lüge‘, so attraktiv sind - dieser Frage wollte der Einstein-Beitrag ja nachgehen - liegt zu einem wesentlichen Teil daran, dass die sogenannten Qualitäts- oder Leitmedien keinen hinreichenden investigativen Journalismus mehr betreiben. Stattdessen werden praktisch ungefiltert Nachrichten von AP, AFP und Reuters übernommen - welche ihrerseits zu einem wesentlichen Teil lediglich amtliche Medienmitteilungen verbreiten -, was die gleichförmigen, undifferenzierten Informationen gerade zu internationalen politischen Themen auch belegen und darum letztlich einer Gleichschaltung der Medien sehr nahe kommt.
4) Das Einstein-Video mit dem Titel ‚Die Anatomie von Verschwörungstheorien‘ beanstande ich vor allem deshalb, weil es dem Sachgerechtigkeitsgebot ungenügend entspricht. Ferner erachte ich die Darstellung von Dr. Daniele Ganser in besagtem Video als Versuch, ihn als Wissenschaftler zu diskriminieren. Wer aus dem Publikum nicht mit der Thematik vertraut ist, wird ausserdem - nicht zuletzt durch die selbstgefällige Mimik, das ständige bornierte Lächeln der Moderatorin - in seiner Meinungsbildung dahingehend beeinflusst, geradezu gedrängt, Ganser als Spinner und Verführer, zumindest aber als unseriösen Forscher zu verstehen. Beweise dafür bleibt der Beitrag jedoch schuldig.“
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Herr Thorsten Stecher, Redaktionsleiter „Einstein“, schrieb:
1) Die Beanstanderin bemängelt, im Beitrag hätte erwähnt werden müssen, dass es noch 2500 Architekten und Ingenieure gäbe, die die Terroranschläge des 11. September 2001 auf andere Ursachen und Täter zurückführen als der offizielle US-Bericht. Dass es unzählige weitere Personen und Fachpersonen gibt, die Zweifel am offiziellen US-Bericht haben, ist uns bewusst. Im Beitrag wurde erwähnt, dass in der Schweiz unter anderem einige prominente Politiker eine Petition unterschrieben haben, die fordert, dass 9/11 neu untersucht wird. Auch wird gesagt, dass sich diese Politiker in eine weltweit vernetzte Bewegung einreihen, die sog. ‚9/11 truther‘. Eine für die Schweiz relevante Persönlichkeit aus diesem Kreis ist Herr Daniele Ganser. Seine Bücher sind hierzulande Bestseller, seine Vorträge ausverkauft. Daniele Ganser ist damit eine öffentliche Person. Uns hat das ‚Phänomen Ganser‘ interessiert. Deshalb haben wir seine Publikationen und deren Erfolg von unabhängigen Kommunikationsexperten und Fachleuten für Verschwörungstheorien analysieren lassen.
2) Die Beanstanderin hat sicher Recht, wenn sie schreibt, dass die oben erwähnten Mieter im WTC7-Gebäude den Stoff für Verschwörungstheorien liefern könnten. Unsere Absicht war es aber nicht, die unterschiedlichen Thesen der Verschwörungstheorien zu 9/11 zu untersuchen. ‚Einstein‘ legte den Fokus der Sendung darauf, wie Verschwörungstheorien funktionieren, warum sie so attraktiv sind und welche Rolle das Internet bei ihrer Verbreitung spielt. Zudem zeigte ‚Einstein‘ die Geschichte der Verschwörungstheorien und spannte den Bogen zur Gegenwart.
3) Ich versichere, dass wir für unsere Sendung keine ungefilterten Nachrichten der erwähnten Agenturen verwendet haben. Unsere Berichterstattung stützt sich auf eine akribische und professionelle Recherche und ausgedehnte Gespräche mit Fachleuten und Experten.
4) Den Vorwurf, wir hätten gegen das Sachgerechtigkeitsgebot verstossen, weise ich entschieden zurück. Wir haben Herrn Ganser mit seinen besten Argumenten (Ausschnitte aus seinen Vorträgen) zu Wort kommen lassen. Und waren gewillt, ihm viel Raum für seine Sicht der Dinge zuzugestehen. Er selbst hat sich leider nicht bereit erklärt, vor unserer Kamera seine Sicht der Dinge darzulegen.
Wir diskreditieren Herrn Ganser in keinem Moment als Wissenschaftler, noch machen wir ihn als Verschwörungstheoretiker lächerlich. ‚Einstein‘ erklärt im Beitrag, dass er die offizielle Darstellung der Ereignisse kritisch hinterfragt. Dass Daniele Ganser selbst auch nicht den Eindruck hatte, er sei von uns ‚diskriminiert‘ worden, zeigt die Mail, die er unserem Produzenten Peter Höllrigl kurz nach Ausstrahlung der Sendung am 26.1.17 zukommen liess:
Lieber Peter
Ich fand den Teil zu 911 und WTC7 fair und sachlich. Danke.
Der Mix mit "Klimalüge" und Protokolle hingegen fand ich schlecht.
Herzlich
Daniele
Genauso entschieden weise ich die Beleidigung unserer Moderatorin Kathrin Hönegger zurück. Sie hat keine ‚selbstgefällige Mimik‘ an den Tag gelegt und ihr Lächeln ist auch nicht ‚ständig borniert‘. Ihr Auftritt in der Sendung ist ein Musterbeispiel für journalistische Neugierde und professionelle Sachlichkeit.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Zunächst muss ich auf die Programautonomie aufmerksam machen. Es ist das Recht und die Freiheit jeder Redaktion eines schweizerischen Radio- oder Fernsehveranstalters, über die Wahl von Themen zu bestimmen und auch darüber, wie diese Themen bearbeitet werden. Es geht lediglich darum, zu prüfen, ob das Publikum durch die Art der Themenpräsentation in irgendeiner Weise manipuliert worden ist.
Verschwörungen hat es im Großen und Kleinen immer wieder gegeben, man denke nur an die vielen Komplotte, die an den Höfen des römischen und des byzantinischen Kaiserreiches geschmiedet wurden oder die Shakespeare beschrieben hat. Die Französische Revolution war voller Verschwörungen. Die Hitler-Gegner des 20. Juli 1944 waren Verschwörer, ebenso die Putschisten in Algerien unter de Gaulle, jene rund um Pinochet gegen Allende 1973 in Chile und jene, die 1991 in der Sowjetunion gegen Gorbatschow zu putschen versuchten. Verschwörer waren auch die Angehörigen der Geheimarmeen in den Nato-Staaten, die in der Schweiz in den Geheimorganisationen P 26 und P 27 ein Pendant hatten. Fast alle diese Verschwörungen sind aufgedeckt worden.
Dort, wo Verschwörungen im Dunkeln liegen, nur vermutet werden oder jedenfalls nicht zweifelsfrei bewiesen werden können, entstehen Verschwörungstheorien. Um diese ging es in der beanstandeten Sendung „Einstein“. Die Sendung zeigte, dass in der amerikanischen Bevölkerung gezweifelt wird, ob die offizielle Version zu verschiedenen markanten Ereignissen und Entwicklungen (wie: Terroranschlag auf die Twin Towers 2001, Kennedy-Mord 1963 oder Klimawandel) richtig ist. Der amerikanische Wahlkampf hat solchen Zweifeln Auftrieb gegeben, weil Kandidat Trump laufend Verschwörungstheorien in die Welt setzte. „Einstein“ handelte das Thema dann vor allem am Beispiel von 9/11 ab und zeigte, wie der Historiker Dr. Daniele Ganser argumentiert, wenn er über 9/11 redet. Die Moderatorin überprüfte darauf die Zweifel an der offiziellen Version von 9/11 mit einem Experiment bei Passanten. Danach kam die Rede auf Alternativmedien und auf Social Media, die Verschwörungstheorien befeuern und die vor allem zu einem „confirmation bias“ beitragen, also dazu, dass jene, die etwas Unbewiesenes glauben, sich gegenseitig in diesem Glauben bestärken, so dass er immer mehr zur Gewissheit wird. Den Abschluss bildete der Rückblick auf die – gefälschten bzw. frei erfundenen - „Protokolle der Weisen von Zion“, mit denen die jüdische Weltverschwörung dokumentiert werden sollte.
Als die Moderatorin Kathrin Hönegger sich mit Passanten unterhielt, sagte eine Frau, dass es „schwierig ist, Wahrheit und Realität von Trug zu unterscheiden“. Und ein Mann bemerkte: „Es ist viel Halbwissen da. Wenig wissen ist manchmal schlimmer als gar nichts wissen.“ Wie wahr die beiden gesprochen haben! Als die Aufklärung die Dominanz der Religion zurückdrängte und den bloßen Glauben durch das Wissen ersetzte, schien die Zeit der Rationalität und der empirischen Beweisführung angebrochen zu sein. Sie hielt jedoch nicht lange vor. Im 20. Jahrhundert dominierten in weiten Teilen der Welt Ideologien, in denen die Propaganda an die Stelle der Wahrheit trat, und neuerdings ist das postfaktische Zeitalter angebrochen, in dem vieles, was empirisch beweisbar ist, schlicht als Lüge abgetan wird – selbst vom amerikanischen Präsidenten. Das Halbwissen siegt wieder über das Wissen. Wohin das führt, zeigte das Unheil der nationalsozialistischen Diktatur und das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs: Hitler war ein klassischer Halbwissender.
Das Ziel muss sein, dass wir die Informationen prüfen, bevor wir sie als gesichert betrachten. Und da haben Sie natürlich Recht: Es ist fatal, nur westlichen Agenturen wie AP, Reuters oder AFP zu glauben. Diese Agenturen selektionieren die Nachrichten nach einem Raster, der stark von einem kapitalistischen, christlichen und demokratisch-konstitutionellen Weltbild geprägt ist. Es ist aber ebenso fatal, nur TASS, APN, IRNA oder Xinhua zu glauben. Auch diese Nachrichtenagenturen unterliegen einer Tendenz. Es ist daher wichtig, dass Medien – überall in der Welt – auf eine Vielzahl von Quellen zurückgreifen und eigenständig recherchieren. Und hier muss ich Ihnen widersprechen: Sie schreiben, „dass die sogenannten Qualitäts- oder Leitmedien keinen hinreichenden investigativen Journalismus mehr betreiben.“ Das Gegenteil ist der Fall: Gerade in den „Hoheitsgebieten“ der Nachrichtenagenturen AP, Reuters und AFP haben wichtige Leitmedien immer wieder große Affären enthüllt. Wer hat den Watergate-Skandal öffentlich gemacht und letztlich zum Sturz des amerikanischen Präsidenten Nixon beigetragen? Die „Washington Post“! Wer hat die „Pentagon Papers“ veröffentlicht und damit dokumentiert, dass die amerikanische Regierung die Bevölkerung in Bezug auf den Vietnamkrieg angelogen hatte? Die „New York Times“! Wer hat die verschiedenen deutschen Parteispenden-Affären enthüllt? Der „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“! Wer hat die NSA-Überwachungsaffäre ans Licht gebracht? Der „Guardian“! Gleichartige investigative Großtaten vermisst man in Russland, in Iran, in China oder in Indonesien. Es ist daher etwas kurz gegriffen, wenn Sie unterstellen, dass wir in der Schweiz immer wieder nur die gleichen Stimmen hören, weil die Medien alle demselben Mainstream folgen, so dass auch hier ein „confirmation bias“ entsteht. In Wirklichkeit gibt es eine Bandbreite von WOZ bis „Weltwoche“, von „Courrier“ bis „Basler Zeitung“, von „Radio Lora“ bis „teleblocher“, und die Schweizer Medien sind zwar nicht sonderlich aggressiv, aber durchaus machtkritisch.
Zurück zur Sendung: Ich kann keinen Verstoß gegen die Sachgerechtigkeit erkennen. Selbst die Moderatorin Kathrin Hönegger fiel mir nicht durch „ihre selbstgefällige Mimik“ oder „ihr borniertes Lächeln“ auf, wie Sie es nennen, sondern durch ihre natürliche Freundlichkeit. Der Historiker und Friedensforscher Dr. Daniele Ganser wurde fair behandelt. Da er sich nicht vor der Kamera äußern wollte, zitierte man aus seiner schriftlichen Antwort. Er wurde in keiner Weise diskriminiert und bestätigte dies auch mit einer E-Mail (deren Veröffentlichung ich allerdings etwas problematisch finde, sowohl hier in der Stellungnahme der Redaktion als auch in der Sendung „Arena“ vom 24. Februar 2017, handelt es sich doch um eine Mitteilung, die nicht a priori für die Öffentlichkeit bestimmt ist). Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] http://www.srf.ch/sendungen/einstein/die-anatomie-von-verschwoerungstheorien
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