Radio-Satiresendung «Zytlupe» über Niklaus von Flüe beanstandet I

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Mit Ihrer E-Mail vom 6. März 2017 beanstandeten Sie die Satire-Sendung „Zytlupe“ von Radio SRF 1 vom 4. März 2017, in der sich Bänz Friedli mit Bruder Klaus („Ein Klaus für alle Fälle“) beschäftigte.[1] Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Folglich kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Ich halte mich kurz:
Bänz Friedlis ‚Zytlupe‘ vom vergangenen Samstag, 04.03.2017, ist unter aller Würde.

Er verunglimpft unseren Nationalheiligen Bruder Klaus in übelster Art und Weise.

Was hat das mit Satire zu tun?

Gegen diese Sendung erhebe ich Einspruch und erhoffe mir, dass dieser Autor seines 'ironischen'

Beitrags wegen in die Schranken gewiesen wird.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Frau Dr. Anina Barandun, Redaktionsleiterin Hörspiel und Satire von Radio SRF, schrieb.

„Herr X beanstandet den ‚Zytlupe‘-Beitrag von Bänz Friedli ‚Ein Klaus für alle Fälle‘. Für Herrn X ‚verunglimpft‘ der Autor ‚unseren Nationalheiligen Bruder Klaus in übelster Art und Weise‘.

Als verantwortliche Redakteurin bedaure ich es, dass Herr X diese ‚Zytlupe‘ so heftig kritisiert. Denn Bänz Friedli greift in seinem Text Niklaus von Flüe nicht an, er nimmt ihn vielmehr in Schutz, und zwar vor all jenen, die ihn für ihre Zwecke brauchen und manches Mal auch missbrauchen.

Historisch belegt ist nur wenig über den Einsiedler. Sogar der Ausspruch ‚Machet den Zaun nicht zu weit‘ taucht erst 1537, also 50 Jahre nach von Flües Tod, in einer Kampfschrift gegen die Reformation auf. Bänz Friedli argumentiert, durchaus schlüssig: Weil man so wenig von ihm weiss, ist Bruder Klaus zu einer idealen Projektionsfläche geworden.

Dass Bänz Friedli seine Kritik an den unterschiedlichsten Bruder Klaus-Verehrern in deutlich satirischem Tonfall vorträgt und sich ein paar weitere Situationen ausdenkt, in denen der Heilige zu Rate gezogen werden könnte, entspricht den Regeln der Satire: Sie spitzt zu, übertreibt und entwickelt einen Gedanken weiter bis an sein absurdes Ende.

Im Grunde aber möchte Bänz Friedli Niklaus von Flüe vor dem Ansturm, der anlässlich seines 600. Geburtstags über ihn hereinbricht, schützen. In seinem breiten Berndeutsch sagt es Friedli in seiner ‚Zytlupe‘ so: <Würdsch em liebschte säge: Löht mer um ds Himmus Gotts Wille dä vo Flüeh i Rueh.>“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Wir müssen von Bruder Klaus reden, von der Satire und von der Religion.

Niklaus von Flüh war ohne Zweifel eine großartige Figur der frühneuzeitlichen Mystik und der damaligen Diplomatie, aber da nichts Schriftliches von ihm überliefert ist, ist auch vieles interpretationsbedürftig. Man weiß nicht, was er Ratsuchenden tatsächlich gesagt hat und welches sein Vorschlag war zur Lösung des innereidgenössischen Konfliktes, der 1481 zum Stanser Verkommnis geführt hat. Man weiß nicht, welcher Art die Visionen waren, die ihn bewogen haben, sein bisheriges Leben als Bauer, Familienvater, Ratsherr und Richter im Alter von 50 Jahren aufzugeben und zum Einsiedler zu werden. Man weiß nicht, wie er es fertiggebracht hat, 20 Jahre lang ohne Nahrungszunahme zu leben. Im Historischen Lexikon der Schweiz (HLS) steht über die Zäsur in seinem Leben:

<Am 16. Okt. 1467 nahm F. Abschied von seiner Familie und begab sich auf eine Pilgerreise. Sie führte ihn bis Liestal, wo er sich - die ganze Stadt schien ihm in feuriges Rot getaucht - zur Umkehr entschloss. Er kehrte jedoch nicht zu seiner Familie zurück, sondern übernachtete in einem Kuhstall in der Nähe seines Hauses. Am nächsten Morgen zog er sich in den Wald im Melchtal zurück, in dem er nach einigen Tagen von Jägern entdeckt wurde. Aufgrund einer Vision baute er sich in der Ranftschlucht in der Nähe seines Hofes eine Hütte, in der er fortan leben wollte. Die Kunde, dass Klaus ohne Nahrung lebe, verbreitete sich rasch, zog Neugierige an und alarmierte weltl. und kirchl. Behörden. In Obwalden wurden durch Ratsbeschluss Wächter angestellt, welche den Eremiten während eines Monats sorgfältig beobachteten, doch fand man nichts, "was religiöse Heuchelei aus eitler Prahlerei verriet" (gemäss Heinrich Wölfli). Von kirchl. Seite wurde 1469 bei der Einweihung der Kapelle im Ranft im Auftrag des Konstanzer Bischofs die Abstinenz von Klaus geprüft und weder Betrug noch Dämonie festgestellt.> [2]

An der Figur von Niklaus von Flüh ist wichtig, dass er auch als Einsiedler Verbindung zu seiner Familie und zur Außenwelt hielt. Er wurde als Weiser konsultiert, man suchte seinen Rat. Darüber heißt es im Historischen Lexikon der Schweiz:

<Trotz der Zäsur, die das Jahr 1467 darstellt, gibt es Verbindungen zwischen den Lebensabschnitten vor und nach der Hinwendung zum Eremitentum. In Visionen und mystischen Meditationen bereitete sich F. darauf vor. Zu den Besonderheiten von Bruder Klaus, welcher der Bewegung der spätma. Gottesfreunde zuzuordnen ist, zählt seine Verbundenheit mit der oberrhein. Mystik; seine Äusserungen weisen insbesondere Berührungspunkte zum Sprach- und Gedankengut von Heinrich Seuse auf. Auch als Mystiker blieb F. jedoch durchaus an weltl. Dingen interessiert. Der Rat des ‚lebendigen Heiligen‘ wurde nicht nur von einfachen Leuten gesucht, wie ein Bericht offenbart, den der Gesandte des Hzg. von Mailand, Bernardino Imperiali, im Juni 1483 über seinen Besuch im Ranft erstattete. Er fand den Einsiedler ‚informato del tutto‘ vor, also bestens unterrichtet über die Angelegenheit, derentwegen er in die Innerschweiz geschickt worden war. Der vermittelnde Einfluss, den Bruder Klaus, ohne persönlich anwesend zu sein, beim Abschluss des Stanser Verkommnisses 1481 ausübte, gilt als erwiesen. Am Ende seines Lebens nannte F. gegenüber dem vier Jahre älteren Erni Anderhalden ‚dry gros gnaden‘, für die er Gott zu danken habe: die erste, dass die Trennung von der Familie mit deren Einverständnis einhergegangen sei, die zweite, dass er nie die Anfechtung verspürt habe, zur Familie zurückzukehren und schliesslich, dass er ohne leibl. Speise und Trank leben konnte.> [3]

Gerade weil nicht verbürgt ist, ob Bruder Klaus den Satz "Machet den zun nit zu wit", den der Chronist Hans Salat 1537 überliefert hat, wirklich gesagt hat, und falls er ihn gesagt hat, wie er ihn gemeint hat, kann Niklaus von Flüh von vielen beansprucht werden – beispielsweise von EU-Gegnern und von EU-Befürwortern, von Anhängern einer restriktiven Flüchtlingspolitik und von Anhängern einer liberalen Asylpolitik. Genau das war das Thema von Bänz Friedli.

Er bedient sich der Satire. Was ist Satire? Satire ist die scharfe, sarkastische, bissige, witzige Übertreibung und Überspitzung der Wirklichkeit, die Sachverhalte und menschliches Handeln zur Kenntlichkeit entstellt. Der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky schrieb 1919, Satire dürfe alles. Auch der Komiker Oliver Polak sagt heute: „Man kann Witze über alles machen.“[4] Dieser Meinung bin ich nicht. Der Spielraum der Satire ist zwar weit, aber es sind ihr auch Grenzen gesetzt. So ist es beispielsweise allzu billig, wenn sich Humoristen und Witzbolde über menschliche Eigenschaften wie Kleinwüchsigkeit oder Dickleibigkeit oder über die Hautfarbe lustig machen. Die Satire kann nicht scharf genug sein, wenn deplatziertes menschliches Handeln zur Debatte steht, sie kann nicht bissig genug sein, wenn Fehlleistungen oder Größenwahn-Entwicklungen von Politikern oder Wirtschaftsbossen aufs Korn genommen werden, aber sie sollte über angeborene menschliche Merkmale nicht spotten. Die Satire stützt sich auf die Kunstfreiheit und auf die Meinungsäusserungsfreiheit, und wenn sie über Medien vermittelt wird, auch auf die Medienfreiheit. Aber diese Freiheiten stehen nicht absolut. Sie müssen abgewogen werden gegenüber anderen Grundrechten wie: Recht auf Menschenwürde, Religionsfreiheit, Diskriminierungsverbot. Und Satire muss von einem wahren Kern ausgehen.

Satire im Bereich der Religion ist besonders heikel. Aber die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) hat in ihrer Rechtsprechung Kriterien entwickelt, die ziemlich genau abgrenzen, was der Satire zugänglich ist und was nicht. Nicht satirisch verspottet werden darf der Kernbereich der Religion. Dazu zählen bei den Christen Gott, Jesus, der Heilige Geist und die Sakramente wie beispielsweise das Abendmahl. Der Satire zugänglich sind aber die kirchlichen Institutionen und ihre Repräsentanten. Ein Bischof, der sich einen Palast mit einer Prachts-Badewanne und ähnlichen Möbelstücken baut, muss kritisiert werden können, auch satirisch. Ein Bischof, der eine Priesterschule schliesst, muss sich Fragen stellen lassen, auch satirische. Priester, die sich an Minderjährigen vergehen, müssen Gegenwind ertragen, auch satirischen. Nach dieser Logik sind auch die Heiligen nicht zum vorneherein über alles erhaben, denn die Heiligen wurden ja nicht als solche geboren, sondern sie wurden aus irgendeinem besonderen Grund heiliggesprochen. In der Regel erfolgt die Heiligsprechung erst nach ihrem Tod. Das heißt: Sie lebten ein anfechtbares Leben. Und da darf auch Satire greifen.

Ich verstehe, dass Sie in Religionsfragen besonders empfindlich sind, aber ich finde, die UBI hat eine praktikable Abgrenzung getroffen: Ein Christ hat Anspruch darauf, dass Gott und Jesus und die Bibel nicht lächerlich gemacht werden. Ein Muslim hat Anspruch darauf, dass Gott und der Koran nicht in den Schmutz gezogen werden. Ein Jude hat Anspruch darauf, dass Gott und der Talmud nicht verspottet werden. Aber die jeweiligen Kirchen und ihre Diener sind durchaus auch für Satire offen. Aus diesem Grund kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/sendungen/zytlupe/ein-klaus-fuer-alle-faelle-von-baenz-friedli
[2] http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10224.php

[3] Ebenda, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10224.php

[4] „Der Spiegel“ Nr. 16, 16.4.2016, S. 18.

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