Sendung «Kassensturz» zu DPD beanstandet II
4490
Mit Ihrer E-Mail vom 9. Februar 2017 beanstandeten Sie die „Kassensturz“-Sendung des Fernsehens SRF vom 7. Februar 2017 und zwar den Beitrag „Undercover“ über die Paketpost-Kurierfahrer.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann deshalb auf sie eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Der Bericht ist in meinen Augen äusserst notwendig und sehr gut gemacht. Mit einem Kritik-Punkt:
Es kann nicht angehen, dass im Schweizer Fernsehsender minutenlang Fahrer und SRF-Reporter ohne Sicherheitsgurte herumfahren und das gesetzwidrige Verhalten dem Publikum vorgeführt wird. Gerade im Staatsfernsehen SRF ist das nicht tolerierbar. Die Reporter sollten, wenn möglich, ein positives Beispiele sein und nicht vor der Kamera Verstösse gegen das Gesetz vormachen. Genau genommen sollte die Polizei von sich aus aktiv werden, auch wenn das fehlbare Verhalten kein Offizialdelikt ist.
Ich bitte Sie, doch in diesem Sinne auf die Filmemacher einzuwirken.“
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Frau Ursula Gabathuler, Redaktionsleiterin Kassensturz/Espresso, schrieb:
„Zur Beanstandung gegen den «Kassensturz»-Beitrag vom 7. Februar 2017 zum Thema ‚Missstände bei DPD‘ nehme ich gerne Stellung. Der Beanstander bemängelt, dass im SRF ‚minutenlang Fahrer und SRF-Reporter ohne Sicherheitsgurte herumfahren und das gesetzeswidrige Verhalten dem Publikum vorgeführt wird‘. Wir verstehen den Ärger des Beanstanders, doch der Eindruck täuscht. Wir können versichern, dass der SRF-Reporter den Sicherheitsgurt während der Fahrt immer trug, da, wo es gesetzlich vorgeschrieben war.
Der Kurier selber fuhr tatsächlich nicht angegurtet. Vom Reporter während der Fahrt darauf aufmerksam gemacht, erklärte der Kurier, dass er den Sicherheitsgurt selten trage. Er würde unnötig mehr Zeit verlieren. Zudem müssten Kuriere die Gurten bei der Auslieferung nicht tragen, Letzteres stimmt teilweise (siehe unten). Es hätte demnach die Realität verzerrt, wenn der Reporter darauf bestanden hätte, dass der Kurier für die Filmaufnahmen den Gurt trägt.
Zu den Bildausschnitten im Einzelnen:
Bild 1, Timecode 3:41, Fahrt auf der Autobahn:
Der Reporter trägt den Sicherheitsgurt, dies ist deutlich erkennbar. Der Kurier trägt keinen Gurt.
Bild 2, Timecode 7:55, Fahrt in der Industriezone
Dies ist die einzige Einstellung (wenige Sekunden), bei der der Reporter keinen Gurt trägt. Das Interview wurde während der Auslieferung geführt, also während der Von-Haus-zu-Haus-Auslieferung (auch in der Industriezone, bei welcher eine Fahrt nur ein paar Sekunden dauert von Stopp zu Stopp), und bei dieser Tätigkeit sind die Personen von der Gurtentragpflicht ausgenommen. So steht es in der gültigen Verkehrsregelnverordnung (VRV) Artikel 3A Absatz 1b. [2]
Bild 3 (Anhang), Timecode 9:26, Fahrt innerorts:
Der Bildausschnitt ist so, dass der Sicherheitsgurt beim Reporter nicht ersichtlich ist.
Zusammenfassend:
Es freut uns, dass der Beanstander den Bericht als ‚äusserst notwendig und sehr gut gemacht‘ beurteilt. Inhalt des Beitrages war ja gerade, den Druck auf die Kuriere aufzuzeigen, der auch zu gesetzeswidrigem Verhalten führt. Das Nichttragen der Gurten ist ein solches Verhalten, wie auch das Überladen der Fahrzeuge, das im Beitrag explizit erwähnt wird, oder das Fälschen von Unterschriften. Es war Absicht der Reportage, auf diese Missstände aufmerksam zu machen.
Der Reporter selber hat sich dem Gesetz entsprechend verhalten.
Deshalb bitte ich Sie, Herr Blum, die Beanstandung als unbegründet zurückzuweisen. Vielen Dank.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Beurteilung des Verhaltens des Journalisten. Zunächst bin ich mit Ihnen einig, dass es sich beim Beitrag „Undercover“ um eine sehr wichtige und instruktive Reportage handelte. Deprimierend fand ich die Kaltschnäuzigkeit der Leitung von dpd Schweiz, die nicht bereit war, vor der Kamera Red und Antwort zu stehen und zynisch behauptete, ihre Geschäftspraxis sei vollkommen gesetzes- und gesamtarbeitsvertragskonform und es sei Sache der in Vertrag genommenen Transport-Kleinunternehmen, wie sie ihre Mitarbeiter entschädigten. Und deprimierend fand ich den Auftritt von Daniel Münger von der Gewerkschaft syndicom, der lediglich bemerkte, es gebe weiße und schwarze Schafe, aber trotz des skandalösen Verhaltens von dpd keinerlei Handlungsbereitschaft zeigte. Wozu braucht es denn eigentlich noch Gewerkschaften?
Was das Gurtentragen betrifft, geht es nur um das Verhalten des Journalisten Philippe Odermatt und nicht um das Verhalten des Kuriers. Medien bilden die Realität ab, sie sind keine Weltverbesserungsanstalten. Wenn der Kurier den Sicherheitsgurt nicht trägt, so ist das zwar aus Sicht der Verkehrssicherheit und der Rechtsordnung verwerflich, aber ein Aspekt der Realität, der nicht vertuscht werden soll. Hingegen ist es nicht egal, ob der Journalist den Sicherheitsgurt trägt oder nicht. Journalisten haben vorbildlich zu sein; sie sollen sich an Recht und Gesetz halten, solange es nicht medienethisch geboten ist, anders zu handeln. Ein Journalist kann beispielsweise bewusst gegen das Gesetz verstoßen, wenn er aus einem amtlichen Geheimpapier zitiert, weil er damit einen Skandal öffentlich macht. Solche Regelverstöße sind medienethisch geradezu zwingend. Regeln aber, die mit dem Journalismus nichts zu tun haben, sollen Journalistinnen und Journalisten nicht verletzen – sie sollen also nicht ohne Führerschein ein Auto lenken, nicht schwarz Bahn oder Tram fahren, nicht Steuern hinterziehen usw.
Im konkreten Fall kann ich Frau Gabathuler absolut beipflichten. Der Journalist hat sich korrekt verhalten, wie auch die Bilder zeigen. In mehreren Sequenzen (veranschaulicht an Bild Nr. 3) sieht man nur seine linke Schulter (also jene, die vom Betrachter aus rechts ist), und da kann gar kein Gurt sichtbar sein, weil dieser beim Beifahrer immer über die rechte Schulter läuft. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
Noch ein Hinweis: Sie reden vom „Staatsfernsehen“. In der Schweiz gibt es aber kein Staatsfernsehen, im Unterschied etwa zu China, Nordkorea, Vietnam, Venezuela, Ägypten, Syrien oder Russland. Ein Staatsfernsehen ist immer der Lautsprecher der Regierung. Das ist aber Fernsehen SRF gewiss nicht. Zwar wird die SRG durch vom Staat festgesetzte Gebühren subventioniert, aber in Bezug auf die Programme sind die SRG und damit auch Fernsehen SRF vom Staat unabhängig. SRF ist autonom. Es hat daher auch das Recht, den Staat, den Bundesrat, das Parlament, die Verwaltung, die Kantone und die Gemeinden zu kritisieren.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] http://www.srf.ch/news/schweiz/miese-loehne-enormer-zeitdruck-und-strafpunkte
[2] https://www.admin.ch/opc/de/official-compilation/2005/4487.pdf
Kommentar