Radio SRF, Sendung «Heute morgen» über Erdbeben beanstandet
4886
Mit Ihrer E-Mail vom 7. März 2017 beanstandeten Sie die 8-Uhr-Nachrichtensendung des gleichen Tages in der Sendung «Heute morgen» von Schweizer Radio SRF.[1] Ihre Eingabe erfüllte die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Zum gestrigen Erdbeben in der Schweiz haben Sie heute in den Morgennachrichten von 8 Uhr einzig den abstrakten Begriff ‚Infrastruktur‘ gebracht, und dann als Beispiel dasjenige der Sicherung von möglicherweise ‚umstürzenden Transformatoren in Unterwerken‘. Wie herzig. Dabei hatten Sie ja Fachleute vom Erdbebendienst befragt. Was hat da die Redaktion unterschlagen?
Kein Wort von den Gefahren resp. Risiken, welche unsere welt-ältesten AKW-Anlagen, unsere zahlreichen Staumauern (z.B. genau im Kt. Glarus!), tausende Brücken, Hochhäuser, Strommasten oder das empfindliche Wasserversorgungsnetz (Gefahr von Rohrbrüchen etc.) bergen.
Ausgewogene, verständliche Berichterstattung geht anders. Der Durchschnitts-Radiohörer ist nicht Fachmann/-frau. Im ausführlichen Nachrichtenblock wie jenem von Morgen/Abend muss bei solchen Themata genauer informiert werden!
Wozu zahlen wir denn der BILLAG jährlich Steuern?“
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Herr Michael Bolliger, stellvertretender Chefredaktor und Bereichsleiter SRF 4 News, antwortete wie folgt:
„Ich danke Ihnen bestens für die Möglichkeit, zur Beanstandung 4886 Stellung nehmen zu können. Ich tue das gleichzeitig als Mitglied der Radio-Chefredaktion, wie auch als Leiter von SRF4News, welches die Morgensendung ‚Heute Morgen‘ auf SRF1, SRF2Kultur, der SRF Musikwelle und SRF4News produziert.
In seinem Schreiben kritisiert Herr X, wir hätten in unserer Berichterstattung vom 7. März zum Erdbeben im Kanton Glarus zu wenig über Gefahren und Risiken berichtet. Er fragt, was die Redaktion da unterschlagen habe und beanstandet, dass ausgewogene und verständliche Berichterstattung anders gehe.
Ich nehme zu dieser Beanstandung wie folgt Stellung:
Herr X bezieht sich in seiner Beanstandung auf den Beitrag von Inland-Redaktor Elmar Plozza in der 8h-Ausgabe der Sendung ‚Heute Morgen‘.
In diesem Beitrag wurde zuerst die Stärke des Erdbebens eingeordnet. Diese Information ist relevant, weil sie einerseits deutlich macht, dass ein Erdstoss der Stärke 4,6 in der Schweiz selten vorkommt, aber – und das war der zweite Teil der Aussage – trotzdem kaum Schäden an Gebäuden oder Einrichtungen verursacht.
Konkret lautete die Formulierung, dass ‚laut Experten kleine Rissen in Wänden etwa, oder abbröckelnder Putz‘ als Schaden vorkommen können. Anschliessend folgte die Aussage, dass weitere Nachbeben möglich sind. Dazu war ein O-Ton des ETH-Seismologen Florian Haslinger zu hören:
<Wir müssen damit rechnen, dass die Nachbeben jetzt weiter gehen die nächsten Tage. Sie werden in der Regel in Stärke und Anzahl abnehmen über die nächsten Tage, aber so ein Beben, das geht jetzt sicher noch ein paar Tage oder sogar Wochen mit kleineren Nachbeben weiter.>
Damit kam in diesem Beitrag klar zum Ausdruck, dass das Beben der letzten Nacht kaum Schäden verursacht hatte, dass man über weitere Erdstösse nicht überrascht sein dürfe, dass diese aber in der Stärke stetig abnehmen, also von ihnen noch weniger Gefahr ausgeht, als vom Erdstoss am Vorabend.
Sinngemäss heisst das: Dieser erste Teil des Beitrags informierte unser Publikum darüber, welche konkreten Schäden entstanden sein könnten, keine und welche noch zu befürchten sind – ebenfalls keine. Ich halte das für eine relevante Information, weil sie sachlich die Fakten beleuchtet und aus Expertensicht die Risiken einschätzt.
Ab diesem Punkt machte der Autor des Beitrages einen Schritt zurück, wenn Sie so wollen, und kam auf das allgemeine Erdbebenrisiko in der Schweiz zu sprechen. Die Schweiz, hiess es da, sei ein Land mit mittlerer Erdbebengefährdung, allgemein rechne man alle hundert Jahre mit einem Erdbeben der Stärke 6. Ein solcher Erdstoss würde möglicherweise grössere Schäden verursachen. Deshalb sei die entsprechende Vorsorge wichtig. Florian Haslinger wird zitiert mit der Aussage, dass in Sachen Vorsorge die Sensibilität in der Schweiz grösser geworden sei. Ein besonderes Augenmerk – so die weitere Formulierung des Beitrag-Autors – müsse hier der Infrastruktur gelten, ‚wie etwa der Stromversorgung‘. Implizit stellt sich die Frage, wie dieses ‚besondere Augenmerk‘ denn aussehe. Der Autor erläutert es am Beispiel des Baus für Unterwerke. Er lässt dabei Sven Heunert, Bauingenieur im Bereich der Erdbebenvorsorge beim Bundesamt für Umwelt BAFU, zu Wort kommen.
O-Ton Heunert:
<Dort geht es zum Beispiel darum, dass Transformatoren gegen das Kippen gesichert sind und so natürlich das Unterwerk weiterhin funktionstüchtig ist. Dort ist man dran das umzusetzen, zum Teil auch bei bestehenden Unterwerken.>
Schlussformulierung des Autors: einiges sei also schon erreicht, einiges bleibe aber noch zu tun im Bereich der Erdbebenvorsorge in der Schweiz.
In seiner Beanstandung schreibt Herr X, unser Beispiel der Erdbebenvorsorge bei Unterwerken sei ‚herzig‘. Er fragt sich, was die Redaktion da unterschlagen habe.
Man kann am Beitrag dieses Morgens kritisieren, er habe mit sehr pauschalen Formulierungen gearbeitet, habe nicht im Detail und an verschiedenen unterschiedlichen Beispielen mögliche Risiken, respektive Massnahmen zur Vorsorge beschrieben. Dafür gibt es inhaltliche und formale Gründe.
Formal: Die Morgeninformationssendung ‚Heute Morgen‘ arbeitet mit kürzeren Beitragsformaten als die Mittags- und Abendprimetime ‚Rendezvous‘ respektive ‚Echo der Zeit‘. Das führt dazu, dass wir in den Morgenformaten die Aussagen verdichten, statt einer detaillierten Beschreibungen eines Umstands eher die kompakte Formulierung wählen und allenfalls auch ein Beispiel stellvertretend für andere nehmen, anstatt mehrere in ihren Unterschiedlichkeiten aufzuzählen.
Wichtiger ist mir an dieser Stelle aber die inhaltlich/publizistische Überlegung. Es war uns bei der ganzen Berichterstattung zum Erdbeben vom Abend des 6. März in Linthal, also vom Vorabend, ein Anliegen, eine seriöse Balance zwischen Berichterstattung und Dramatisierung zu finden. Das Erdbeben an sich wäre nach strengen Relevanz-Kriterien am nächsten Morgen, also rund 10 Stunden nach dem Ereignis, kein Thema mehr gewesen. Die Erde hatte gebebt, das kommt vor, wenn auch diesmal in grösserer Stärke als in den letzten Jahren, aber Schäden, das war schon am Abend durch die zuständigen Polizeibehörden in den betroffenen Kantonen signalisiert worden, waren keine zu befürchten.
Über die News selber und die Aussage, dass über Schäden nichts bekannt sei, berichteten wir in den Nachrichten ab 22h am Vorabend stündlich auf allen Programmen von Radio SRF. Unsere Informationspflicht war insofern erfüllt. Weil aber offensichtlich war, dass in weiten Teilen der deutschen Schweiz das Beben verspürt worden war, entsprechend viele Menschen ‚betroffen‘ waren, entschieden wir uns am nächsten Morgen, das Thema nochmal aufzunehmen und mit Aussagen von Experten anzureichern. Das taten wir übrigens nicht nur in der Sendung ‚Heute Morgen‘, sondern auch in den Frühausgaben der betroffenen Regionaljournal Ostschweiz/Graubünden und Zentralschweiz. Ebenso in den Mittagsformaten ‚Rendezvous‘ und ‚Tagesgespräch‘. Eine Aussage aller befragten Experten, seien es die Seismologen des Bundes oder die regionalen Sicherheitskräfte und Kraftwerksbetreiber gewesen, zog sich wie ein roter Faden durch die Berichterstattung: das Beben stellte zu keiner Zeit eine Gefahr für Gebäude oder Anlagen schon gar nicht für gut gesicherte, wie Staudämme oder Atomkraftwerke.
Es hätte lediglich der Emotionalisierung oder Dramatisierung des Themas gedient, hätten wir in diesem Beitrag, wie das Herr X implizit verlangt, das Gefahrenpotential von Atomkraftwerken oder Staumauern in den Kontext des vorliegenden Ereignisses gebracht.
Es widerspricht unsern journalistischen Kriterien, erst recht in solchen Momenten, die bei den Betroffenen ein gewisses Angstpotential haben, Emotionen zu schüren. Unser Auftrag ist es, sachlich und sachgerecht zu informieren. Wir reden hier von einem Erdbeben der Stärke 4,6, respektive der ‚mittleren Erdbebengefährdungszone‘ mit der möglichen Stärke 6, wie sie statistisch alle 100 Jahre auftritt, darauf haben wir uns am frühen Morgen konzentriert. Staumauern und Atomkraftwerke sind auf Ereignisse ausgerichtet, wie sie alle 10‘000 Jahre erwartet werden.[2]
Am Mittag, mit einer grösseren Distanz zum Ereignis, war Stefan Wiemer, Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes der ETH Zürich, im ‚Tagesgespräch‘ zu Gast. Er ging auf diese grössere Dimensionen ein. Unser Publikum erhielt also in diesem längeren Gespräch auch Informationen zu Risiken für Staumauern und AKW.
Zusammenfassend: Ich erachte unsere Berichterstattung zum Erdbeben und den entsprechenden Vorsorge-Massnahmen in der Morgensendung ‚Heute Morgen‘ vom 7. März als verständlich, sachlich und sachgerecht. Wir haben es bewusst vermieden, Ängste zu schüren, Emotionen zu wecken. Stattdessen haben wir uns an den vorliegenden Fakten orientiert und dann am Mittag das Thema breiter und hintergründig analysiert.
In diesem Sinne bitte ich Sie, die Beanstandung abzuweisen.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Sie fragen, wozu Sie eigentlich der Billag jährlich Steuern zahlen. Ja, wofür bezahlen Sie Radio- und Fernsehgebühren? Damit Sie ein hochwertiges Menu aus einer Spitzenküche erhalten statt billiges Fast-Food von der Imbiss-Bude um die Ecke. Billiges Fast-Food durch das Radio nach einem Erdbeben: Das würde bedeuten, in Panik zu machen, jedes Gerücht zu veröffentlichen, die Leute auf der Straße werweissen zu lassen, wie lange es geht, bis alles zusammenbricht, und Sammeltaxis anzubieten für die Flucht. Radio und Fernsehen SRF leisten sich, nicht zuletzt dank der Gebühreneinnahmen, den Luxus eines hochwertigen Menus. Sie prüfen die Quellen, wägen Aktualität, Betroffenheit und Relevanz ab, ziehen kompetente Experten zu, stellen das Ereignis in größere Zusammenhänge und vermeiden es, unnötig Emotionen zu schüren. Genau das hat Radio SRF nach dem Erdbeben mit dem Epizentrum im Kanton Glarus getan. Ich kann mich daher Herrn Bolliger voll anschließen: Die Berichterstattung zum Erdbeben war weder unausgewogen noch unverständlich. Sie war im Gegenteil sachgerecht, vielfältig, verhältnismäßig und unterfuttert mit viel Expertenwissen. Aus diesen Gründen kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] Audiodatei
[2] https://www.ensi.ch/de/2016/05/30/aktualisierte-gefaehrdungsannahmen-fuer-erdbeben-erfordern-neuen-sicherheitsnachweis-der-schweizer-kernkraftwerke/
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