«Tagesschau» zum «Gedenktag Fukushima» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 17. März 2017 beanstandeten Sie den Beitrag zum «Gedenktag Fukushima» in der «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom 11. März 2017[1]. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Hiermit lege ich Beschwerde ein:

  • Sachgerechtigkeitsgebot: Rückkehr in die wenige Kilometer entfernte Stadt Namie sei möglich ..... aber Namie habe noch ein Problem: Wildschweine ...

Hier werden ganz offensichtlich und bewusst die Zuschauer getäuscht, dass die Strahlung mittlerweile unbedenklich und die Situation im AKW unter Kontrolle sei. Das stimmt laut diversen, kritischen Berichten in keiner Art und Weise, was Sie zwar mit einem Nebensatz kurz anmerken, aber durch das Statement des Bürgermeisters sofort wieder als belanglos abtun. Die Strahlung ist nur ‚unbedenklich‘, da die Grenzwerte von der Regierung erhöht wurden. Die Situation im AKW ist noch überhaupt nicht unter Kontrolle, der Kern liegt frei und selbst Roboter sind nur Stunden betriebsfähig bei der aktuell austretenden starken Strahlung.

Es ist unerträglich und verantwortungslos, solch beschwichtigende Berichte in einem von der öffentlichen Hand bezahlten Medium den Zuschauern zu präsentieren. Sie verheimlichen die Probleme, welche aktuell im und um die AKW's noch herrschen.

Ich muss davon ausgehen, dass Sie entweder kläglich recherchieren oder die Öffentlichkeit ganz bewusst täuschen wollen, in wessen Interesse auch immer. Ich erwarte, dass Sie die Sachverhalte objektiv in einem weiteren Beitrag korrigieren und die Öffentlichkeit umfassen informieren.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die „Tagesschau“-Redaktion antwortete Herr Franz Lustenberger wie folgt:

„Mit Mail vom 17. März beanstandet Herr X die Berichterstattung der Tagesschau vom 11. März zum Gedenktag in Fukushima. Die Tagesschau habe bewusst das Publikum über die aktuelle Situation rund um das AKW Fukushima getäuscht.

Gedenktag

Die Tagesschau geht sehr zurückhaltend mit Gedenktagen um. Angesichts der Fülle historischer Ereignisse könnte die Redaktion jeden Tag mindestens einen oder zwei Berichte zu Gedenkanlässen machen. In der Regel gedenkt die Tagesschau im unmittelbaren Jahr nach einem Ereignis und dann erst wieder bei Jahrestagen mit runden Zahlen. Ausnahmen sind Ereignisse, die sich tief in die Geschichte der Menschheit ‚eingegraben‘ haben (Ausbruch oder Ende von Weltkriegen, Holocaust-Day als Beispiele).

Ausnahmen macht die Tagesschau auch bei Ereignissen, wenn der Jahrestag mit einer aktuellen Entwicklung verbunden ist. Dies trifft auf das Beispiel des Seebebens 2011 vor der japanischen Pazifikküste zu, da die Regierung Japans in diesen Tagen Gebiete in der Nähe des zerstörten Atomkraftwerkes Fukushima zur Wiederbesiedlung freigegeben hat.

Moderation

In der Moderation und der dazu gehörenden Video-Sequenz geht es um den Gedenktag und die Erinnerung an die Ereignisse 2011. Dabei wird nichts verharmlost; die Moderation spricht von einer ‚Natur- und Atomkatastrophe‘ (Seebeben mit anschliessendem Tsunami, Reaktorunglück Fukushima). Die Moderation leitet dann über zur aktuellen Situation, zu den Bemühungen der japanischen Regierung nach einer Rückkehr in gewisse Dörfer und den damit zusammenhängenden Schwierigkeiten.

Beitrag

Der Beitrag beschreibt am Beispiel Namie, wie eine Rückkehr in eine Stadt in der Nähe des Atomkraftwerkes Fukushima möglich ist. Auf der einen Seite spricht der Bürgermeister, der von der bevorstehenden Arbeit erzählt. Auf der anderen Seite wird mit dem Bild des Geigerzählers auch die Kritik sichtbar und hörbar: ...<Das Unsichtbare zeigt der Geigerzähler mit den aktuellen Strahlenwerten an. Umweltorganisationen kritisieren die Rückkehr als verfrüht.> Die Tagesschau stellt die vorgesehene Rückkehr nach Namie nicht als ‚unbedenklich‘ dar. Die Tagesschau stellt im Bericht beide Positionen einander gegenüber.

Im mittleren Teil des Beitrages wird die Wildschwein-Problematik kurz gestreift. Nach der Evakuierung der Menschen sind Tiere, allen voran Wildschweine, in die leeren Städte und Dörfer, ‚eingewandert‘.[2]

Im letzten Teil des Beitrages wird darauf hingewiesen, dass nur ein Teil der ursprünglichen Bevölkerung wieder in die Dörfer und Städte zurückkehren wird. In den bisher freigegebenen fünf Gemeinden waren es im Schnitt nur 13,5 Prozent. Im Beitrag wird auf eine Umfrage verwiesen, nach der etwa 20 Prozent zurückkehren werden. Auch weil sich viele Menschen nach sechs Jahren Evakuierung anderswo eine neue Eistenz aufgebaut haben.

Funktion des Beitrages

Die Tagesschau greift aus Anlass des sechsten Jahrestages der Natur- und Atomkatastrophe in Japan den Aspekt der möglichen Rückkehr von Menschen in die damals verlassenen Dörfer und Städte heraus. Der Beitrag zeigt die Bemühungen um eine Wiederbelebung am Beispiel der Stadt Namie. Dabei wird die Kritik von Umweltorganisationen an den Beschlüssen der japanischen Regierung nicht ausgeblendet.

Die Tagesschau nimmt die Aktualität rund um den Jahrestag auf und thematisiert diese Aktualität.

Im Beitrag der Tagesschau geht es nicht um die Situation im AKW Fukushima selber und um die Gefahr, die vom AKW ausgeht. Es ging auch nicht um eine fundierte wissenschaftliche Analyse der radioaktiven Strahlung rund um das havarierte AKW. Im Beitrag wird auch nirgends gesagt, dass die Situation im AKW Fukushima unter Kontrolle sei. Die Reaktoren selber sind nicht das Thema des Tagesschau-Beitrages.

Fazit

Die Tagesschau kann in einem Beitrag von 2‘40“ (inkl. Moderation) nie ein komplees Thema in der ganzen Breite abhandeln. Sie ist immer gezwungen, einen relevanten und aktuellen Aspekt herauszugreifen. Die Tagesschau hat aus Anlass der Gedenkfeiern sechs Jahre nach dem Seebeben vor der japanischen Küste, dem darauffolgenden Tsunami und der Atomkatastrophe in Fukushima den Aspekt der Wiederbesiedlung von Orten in der näheren Umgebung des AKW-Standortes beleuchtet. Sie hat dies sachgerecht gemacht; im Bild und im Off-Tet findet die Kritik aus Umweltschutzkreisen am Entscheid der japanischen Regierung ihren Platz. Neben dem Bürgermeister, der keineswegs euphorisch für die Rückkehr eintritt, sondern sachlich von einem Neustart spricht, kommt auch ein ehemaliger Bewohner zu Wort, der nicht mehr in diese Stadt zurückkehren will.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. In der Sache haben Sie völlig Recht: Die Folgen von Reaktorkatastrophen werden in der Regel heruntergespielt und verharmlost, vor allem von der Energiewirtschaft, aber auch von den Regierungen. Dabei zeigen Studien gerade im Zusammenhang mit Fukushima, dass die Veränderung der Schilddrüsen bei Kindern und Jugendlichen zugenommen hat, dass die Säuglingssterblichkeit angestiegen ist, dass die Geburtenrate sinkt und dass mit rund 41‘000 Krebserkrankungen zu rechnen ist.[3] In Bezug auf den „Tagesschau“-Beitrag kann ich hingegen Ihrer Argumentation nicht folgen: Die Redaktion verharmlost nichts. Sie berichtet über die geplante partielle Rückkehr, die aber keineswegs problemlos ist und die auch 80 Prozent der früheren Bevölkerung nicht realisieren. Dass auch die Wildschwein-Plage erwähnt wird, gehört zur Vollständigkeit des Bildes. Die Situation wird sachlich und nüchtern geschildert. Eigentlicher Aufhänger des Beitrags ist der Unglücks-Gedenktag, den aber der japanische Premierminister dazu benutzt, um „eine neue Phase des Wiederaufbaus“ einzuläuten. Das konkretisiert der „Tagesschau“-Beitrag am Beispiel der Stadt Namie, in die die frühere Bevölkerung nach sechs Jahren „Eil“ zurückkehren soll. Der Beitrag ist nicht „kläglich recherchiert“, wie Sie es formulieren, denn die Recherche erfolgte für einen kurzen Beitrag in der „Tagesschau“, nicht für eine Reportage in der „Rundschau“ oder in einer DOK. Ich kann auch nichts erkennen, was darauf hindeutet, dass die Redaktion die Öffentlichkeit bewusst täuschen wollte. Dazu gab es keinen Anlass. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-11-03-2017-1930?id=a275fd66-34e1-411b-9e32-5ca13e9ba1d3

[2] siehe auch „Haut ab, ihr Schweine!“, Spiegel Online vom 11.03.2017 http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/wildschweine-in-fukushima-erst-der-meiler-jetzt-die-keiler-a-1138342.html und „Zurück nach Fukushima“, Frankfurter Rundschau vom 11.03.2017, http://www.fr.de/politik/japan-zurueck-nach-fukushima-a-1154451

[3] http://www.n-tv.de/panorama/Fukushima-wird-noch-viele-Opfer-fordern-article16986076.html; http://www.n-tv.de/wissen/Fukushima-und-das-jahrzehntelange-Leid-article17159726.html; http://www.lpb-bw.de/atomkatastrophe.html

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