Fernsehen SRF, «Tagesschau», Beitrag über «Wikileaks-Enthüllungen» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 27. März 2017 beanstandeten Sie die „Tagesschau“ von Schweizer Fernsehen SRF vom 8. März 2017 und dort den Beitrag über Wikileaks-Enthüllungen.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Die Berichterstattung zu den Wikileaks Depeschen ist nicht objektiv. Länder haben keine Freunde sondern Interessen. Die USA nimmt in der Berichterstattung eine Opferrolle ein. Es wird stattdessen über die Motive des Messengers spekuliert:

Florian Inhauser:

<Wenn die Enthüllungsplattform Wikileaks in Sachen Geheimdienste ihrem Kerngeschäft nachgeht, und enthüllt, dann sind es zumeist die amerikanischen Geheimdienste die enthüllt werden. Thomas von Grünigen in New York warum eigentlich?>

Thomas von Grünigen:

<(...) Schauen wir kurz zurück auf den US-Wahlkampf, da veröffentlichte Wikileaks unliebsame Informationen über die Demokratische Partei. Die US-Behörden gehen davon aus, dass die Russen damals hinter den Enthüllungen steckten. Das nährt natürlich den Verdacht, dass vielleicht auch diesmal die Russen in irgendeiner Form Ihre Finger im Spiel gehabt haben könnten.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist das reine Spekulation, es gibt keine Beweise dafür. Wikileaks streitet irgendeine Kooperation mit Russland ab. Eine definitive Antwort auf Ihre Frage, nach den Motiven von Wikileaks gibt es im Moment nicht.>

Analyse:

Journalisten dürfte das Kredo „don’t blame the messenger“ bekannt sein. Es wird das Motiv der Enthüllungsplattform Wikipedia aufgegriffen, im Sinne einer Verschwörung gegen die USA und deren Feinde. Eine kritische Auseinandersetzung, was die CIA, mit den am Anfang im Beitrag genannten Möglichkeiten machen kann, unter anderem hier in der Schweiz, wird nicht erörtert.

Es ist mir schleierhaft, wie eine Berichterstattung aufgrund nicht gesicherter Informationen der Bevölkerung vorgetragen werden kann. Die wiederholte Andeutung Russland sei an Hackerangriffen beteiligt oder begünstigter beruht auf purerer Spekulation und suggeriert dem Zuschauer eine klare Tendenz. Wenn Russland jeden Tag einer Tat bezichtigt wird ohne Beweise vor zu legen, scheint es auch nicht mehr notwendig zu sein, kritisch zu hinterfragen.

Mit dem zitieren von Regierungsvertreter oder Regierungssprecher, wird die Verantwortung um die Korrektheit einer Nachricht abgeben, selbst wenn unlängst bekannt ist, dass es beispielsweise im US-Wahlkampf keine russische Einflussname gegeben hat. Zumindest liegen der Öffentlichkeit keine Beweise vor.[2]

Gegenüber der US-Regierung, fehlt eine kritische Haltung, welche faktisch versucht unsere Gesellschaft und Industrie auszuspähen. Stattdessen wird die Stellung der US-Regierung, im Schweizer Fernsehen, repräsentativ vom USA-Korrespondent eingenommen. Fragen zur Inneren Sicherheit bleiben komplett ungeklärt. Keine Stellungnahme des Fedpol, Politiker oder des Hackervereins Schweiz (CCC-Schweiz). Ich frage mich, wem sich die Tagesschau Redaktion verpflichtet fühlt. Als Schweizer sehe ich keine kritische Auseinandersetzung im Bezug zur Schweiz und der Bevölkerung.

Russland wird in diesem Beitrag 5-mal genannt, ohne das Beweise für die Anschuldigungen geliefert werden. Die Berichterstattung ist damit tendenziös und erfüllt nicht das Sachgerechtigkeitsgebots.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die „Tagesschau“ antwortete Herr Franz Lustenberger wie folgt:

„Mit Mail vom 27. März beanstandet Herr X die Berichterstattung der Tagesschau vom 8. März zum Thema Wikileaks-Enthüllungen. Konkret beanstandet wird ein Teil des live-Gesprächs zwischen Moderator Florian Inhauser und SRF-Korrespondent Thomas von Grünigen in New York.

Beitrag und live-Gespräch

Herr X fokussiert sich in seiner Beanstandung einzig und allein auf eine Passage im live-Gespräch. Er wirft der Tagesschau eine fehlende kritische Distanz zu den USA vor. Dies trifft nicht zu. Denn Moderation, Beitrag und live-Gespräch müssen als Ganzes gesehen werden.

Bereits in der ersten Anmoderation wird das Ausmass der Wikileaks-Enthüllungen aufgezeigt: <Demnach hat die CIA aus Smartphones, aus Computern oder auch aus Fernsehgeräten regelrechte Wanzen gemacht. Die US-Regierung will die Echtheit der Dokumente nicht bestätigen, aber Experten bewerten die Daten als glaubwürdig.>

Allein schon diese Passage widerlegt die Behauptung, SRF sei gegenüber den USA nicht kritisch. Wenn vom CIA als einem Geheimdienst gesprochen wird, der elektronische Alltagsgegenstände zum Ausspionieren benutzt und diese als Wanzen einsetzt, dann ist das sehr USA-kritisch.

Im Beitrag selber betont ETH-Professor Ueli Maurer, dass die Wikileaks-Enthüllungen eine Bestätigung dafür seien, dass, was technologisch möglich sei, von den Geheimdiensten auch angewendet würde. Man habe nur die Spitze des Eisberges von Geheimdienstoperationen gesehen. Es geht immer um den CIA, also um den amerikanischen Geheimdienst, dessen Arbeitsweise ein klein wenig aufgezeigt wird.

Russland und der US-Wahlkampf

Herr X schreibt in seiner Beanstandung dass es bekannt sei, ‚dass es beispielsweise im US-Wahlkampf keine russische Einflussnahme gegeben hat‘. Er verweist auf einen Artikel auf der privaten Internet-Security-Plattform ‚Heise Security‘, welcher besagt, dass der entsprechende US-Regierungsbericht keine Beweise vorlege.

SRF-Korrespondent Thomas von Grünigen hat in seinem live-Gespräch auch nirgends von Beweisen gesprochen. Er hat gesagt, dass die US-Geheimdienstbehörden davon ausgingen, dass Russland hinter den Enthüllungen während des Wahlkampfes stecke. Der entsprechende Bericht spricht von ‚high confidence‘ (Seite 11 des Berichts)[3]:

Putin Ordered Campaign to Influence US Election

<We assess with high confidence that Russian President Vladimir Putin ordered an influence campaign in 2016 aimed at the US presidential election, the consistent goals of which were to undermine public faith in the US democratic process, denigrate Secretary Clinton, and harm her electability and potential presidency. We further assess Putin and the Russian Government developed a clear preference for President-elect Trump. When it appeared to Moscow that Secretary Clinton was likely to win the election, the Russian influence campaign then focused on undermining her expected presidency.>

Die Behauptung in der Beanstandung, im US-Wahlkampf habe es keine russische Einflussnahme gegeben, ist eine Aussage von Herr X, die er nicht beweist und wohl auch nicht beweisen kann. Auch der vom Beanstander zitierte Artikel legt keine Beweise vor, sondern folgert nach Sichtung des Berichts der Geheimdienste nur: <Allerdings fehlen in dem Bericht handfeste Beweise, die einen Eingriff russischer Hacker einwandfrei belegen. Dass die russischen Regierung direkt involviert war, kann der Bericht ebenfalls nicht eindeutig zeigen.>

Die wertungsfreie Aussage von Thomas von Grünigen, die US-Behörden gingen von einem russischen Einfluss aus, ist daher sachgerecht. Sie macht auch die Quelle der Aussage, nämlich die US-Behörden, transparent. Mit dem Verweis – ‚Zitieren von Regierungsvertretern oder Regierungssprechern‘, so Herr X – wird keineswegs die Verantwortung um die Korrektheit einer Nachricht abgegeben. Im Gegenteil, SRF-Korrespondent macht die Quelle transparent, die Argumentation wird dadurch nachvollziehbar.

SRF übernimmt die Verantwortung für Aussagen, die widerspruchsfrei bewiesen sind und die also der Faktenlage entsprechen. SRF verweist auf die Quellen, wenn ihre Mitarbeitenden die Faktenlage nicht selber abschliessend feststellen können. Vor allem bei Themen rund um die Geheimdienste ist die richtige Quellenangabe zentral. Denn welcher Aussenstehende verfügt in diesen Bereichen über eine absolute Sicherheit?

Dieses Vorgehen steht übrigens in Übereinstimmung mit den Publizistischen Leitlinien von SRF: ‚Sachgerechtigkeit... erfordert Transparenz, indem Quellen nach Möglichkeit offen gelegt werden...‘

‚Verschwörung gegen die USA‘

Weder im Beitrag noch im live-Gespräch wird von einer Verschwörung gegen die USA gesprochen. Im Gegenteil, Thomas von Grünigen betont, dass Wikileaks jede Korporation mit Russland abstreitet. Eine sichere Antwort auf die Frage nach den Motiven von Wikileaks gebe es nicht. Trotzdem ist die Frage nach den politischen Motiven von Wikileaks legitim und journalistisch zwingend. Denn Wikileaks ist nicht nur ‚Messenger‘, sondern mit den Enthüllungen auch Akteurin auf dem politischen Parkett.

Fazit

Die Tagesschau berichtet breit über die Enthüllungen von Wikileaks und damit über die Spionagemöglichkeiten des amerikanischen Geheimdienstes. Sie fragt im Beitrag und dann im live-Gespräch mit Thomas von Grünigen nach den Motiven von Wikileaks, ohne eine abschliessende Antwort geben zu können. Thomas von Grünigen verweist auf die amerikanischen Behörden, welche eine Einflussnahme Russlands während des Wahlkampfes als sehr wahrscheinlich einschätzen. Thomas von Grünigen erwähnt aber auch Wikileaks, das jede Kooperation mit Russland verneint.

Ich bitte Sie, die Beanstandung von Herrn X in diesem Sinne zu beantworten.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Rekapitulieren wir nochmals die Fakten: Wikileaks macht umfangreiche Enthüllungen über die Methoden der CIA. Die CIA ist blamiert – und zwar doppelt: Erstens, weil diese Enthüllung möglich wurde. Zweitens, weil die Methoden zum Himmel schreien. Sofort wird spekuliert, wer ein Interesse an den Enthüllungen haben könnte. Da im Zusammenhang mit dem Präsidentschaftswahlkampf ein Verdacht auf Russland fiel, wird auch jetzt wieder Russland ins Spiel gebracht. Das Aberwitzige am Ganzen aber sind die Möglichkeiten des Cyber War. Die „Tagesschau“ informiert über all das – und nennt Fakten Fakten und Spekulationen Spekulationen. Ich kann keinen Verstoß gegen das Sachgerechtigkeitsgebot erkennen. Insofern kann ich Ihrer Beanstandung nicht zustimmen.

Umgekehrt haben Sie natürlich Recht: Die Schweiz ist ein kleines Land, das immer Gefahr läuft, von Mächtigen abhängig zu sein und ihnen nach dem Mund zu reden. Im Laufe der letzten 2060 Jahren war das Territorium, das heute Schweizerische Eidgenossenschaft heißt, zuerst von den Römern abhängig, dann von den Karolingern, dann von den Habsburgern, dann von den Franzosen, dann von Metternich, dann von Bismarck und von den deutschen Kaisern, dann von Hitler und Mussolini, dann von den Amerikanern und von der Europäischen Union. Die Abhängigkeiten hatten eine gewisse Logik: Helvetien wurde von starken Nachbarn im Süden, im Westen, im Norden oder im Osten dominiert und protegiert, die „Gravitationszentren“ lagen in Rom, in Aachen, in Paris, in Berlin oder in Wien, schliesslich auch in Washington/New York und Brüssel, und der damit verbundene Geist war immer okzidental, vorwiegend lateinisch-christlich (d.h. katholisch oder protestantisch) und zunehmend aufgeklärt. Da ist es natürlich naheliegend, dass man jenen, die diesem Geist verbunden sind, eher glaubt als jenen, die ihre Inspiration im Orient, im griechisch geprägten (orthodoxen) Christentum oder im Islam finden.

Das bedeutet: Journalistinnen und Journalisten in der Schweiz müssen aufpassen, dass sie nicht reflexartig den Amerikanern mehr glauben als den Russen, sogar dann, wenn eine Nachricht nicht belegt ist. Umgekehrt darf man auch nicht ins Gegenteil verfallen und den Russen blind alles glauben. Die Behauptungen aller Seiten verdienen es, jeweils kritisch geprüft zu werden.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-08-03-2017-1930?id=91eecaa7-e350-410e-b515-a64b6f51351b

[2] https://www.heise.de/security/meldung/US-Regierungsbericht-enthaelt-keine-Beweise-fuer-russischen-Hack-im-Wahlkampf-3585937.html

[3] https://www.intelligence.senate.gov/sites/default/files/documents/ICA_2017_01.pdf

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