SRF-Berichterstattung über den Fall Jürg Jegge beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 14. April 2017 kritisieren Sie das Verhalten der Medien im Fall Markus Zangger/Jürg Jegge ganz allgemein und meinen damit wohl die aktuelle Presse als auch die aktuellen Sendungen von Radio und Fernsehen, gleichgültig, ob der SRG oder privat. Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass die Ombudsstelle der SRG Deutschschweiz nur für Radio- und Fernsehsendungen sowie Online-Publikationen von SRF zuständig ist. Soweit Sie sich über Privatrundfunksendungen, beispielsweise von «Telebasel» oder von «Radio Basilisk» ärgerten, müssen Sie sich an die entsprechende Ombudsstelle wenden (Herrn Oliver Sidler, sidler@ombudsman-rtv-priv.ch), und soweit Sie die Zeitungen meinten, an den Schweizer Presserat (info@presserat.ch).

Ich selber kann mich also nur zum Verhalten der SRF-Sendegefässe äussern. So beziehe ich mich auf die Sendungen bei Radio und Fernsehen SRF über das Buch von Markus Zangger «Jürg Jegges dunkle Seite». Im speziellen beanstanden Sie die Berichterstattung über die Hausdurchsuchung der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Die Fernsehsendung 10vor10 berichtete am 13. April 2017 darüber.[1]

Ihre Eingabe erfüllt die formalen Voraussetzungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

Ein Missbrauchsopfer klagt an, dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden.

Ebensowenig ist den Medien vorzuwerfen, wenn sie dazu beitragen möchten, das Thema Missbrauch aufarbeiten.

Was ich in der ganzen Angelegenheit aber absolut stossend finde, ist, dass infolge des verhängnisvollen Buchtitels Herr Jegge völlig ungeschützt der ganzen Medienkonsumentenschaft gegenübersteht.

Für den Titel des Buches tragen die Medien keine Verantwortung wohl hingegen dafür, wie sie in der ganzen Angelegenheit die Menschenwürde von Herrn Jegge wahren.

Es ist doch nicht nötig, dass Herr Jegge unaufhörlich namentlich genannt wird. Obendrein wird in den Nachrichten von einer Hausdurchsuchung bei ihm berichtet, statt ihn endlich aus dem Schussfeld zu nehmen und das Thema auf sachlicherer Ebene zu behandeln. Seine persönlichen Verfehlungen gehen nun wirklich nicht die ganze Schweiz etwas an.

Ich bedaure, dass Herr Stamm Herrn Zangger nicht darauf aufmerksam gemacht hat, dass es nicht um einen Rachefeldzug, sondern um die Aufarbeitung von dessen Traumatas gehen sollte. So hat er ihm einen Bärendienst erwiesen und die Medien sollten dazu nicht auch noch Hand bieten.

Ich bitte Sie, zu veranlassen, dass von Seiten der Medien verantwortungsvoller mit dem Persönlichkeitsschutz umgegangen wird.

B. Ihre Beanstandung wurde den zuständigen Chefredaktionen (Radio und Fernsehen) zur Stellung­nahme vorgelegt. Herr Rolf Hieringer, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF schrieb:

Frau X wirft den Medien vor, die Menschenwürde von Jürg Jegge nicht genügend zu wahren. Und sie ruft dazu auf, dass die Medien verantwortungsvoller mit dem Persönlichkeitsschutz umgehen sollen.

So sei es nicht nötig, unaufhörlich Herrn Jegge namentlich zu nennen. Konkret kritisiert Frau X Nachrichten, die von der Hausdurchsuchung berichteten, welche die Kantonspolizei Zürich zusammen mit Staatsanwaltschaft am Wohnort von Jürg Jegge durchführten.

https://www.srf.ch/news/schweiz/hausdurchsuchung-bei-juerg-jegge

Frau X fordert von den Medien, Jürg Jegge aus dem Schussfeld zu nehmen und das Thema auf sachlicher Ebene zu behandeln. Die persönlichen Verfehlungen Jegges gingen – so die Beanstandung - nicht die ganze Schweiz etwas an.

Hier unsere Stellungnahmen dazu:

Frau X kritisiert die Medien sehr allgemein. Da die Medien sehr unterschiedlich auf die Buch-veröffentlichung mit den Missbrauchsvorwürfen reagiert haben, ist auch unsere Stellungnahme eher allgemein gehalten.

Den Vorwurf, SRF hätte die Menschenwürde Jürg Jegges nicht genügend gewahrt, können wir aller-dings nicht nachvollziehen. Im Gegenteil: Während die meisten anderen Medien die Nachricht sofort veröffentlicht haben, hat SRF in den Informationssendungen von Radio und TV erst zwei Tage nach der Buchvernissage über den „Fall Jegge“ berichtet. Als eines der wenigen Schweizer Medien hat SRF nämlich vor der Veröffentlichung der Vorwürfe in den Primetime-Sendungen eine Stellungnahme des Angeschuldigten eingeholt. Wir haben uns dabei streng an unsere „Publizistischen Leitlinien“ gehalten.

Obwohl uns die Schilderungen in Zanggers Buch durchaus glaubwürdig schienen und obwohl der Co-Autor, Hugo Stamm, ein vertrauenswürdiger Journalist ist, haben wir das Recht auf Stellungnahme sehr hoch gewichtet. Wir haben dabei auch in Kauf genommen, später über den „Fall Jegge“ zu berichten als andere Medien. Diese Zurückhaltung hat SRF übrigens Kritik von Seiten anderer Medien eingebracht. Der Vorwurf: Wir würden Jürg Jegge schützen.

Wir sind deshalb überzeugt, dass SRF sich gegenüber Jürg Jegge fair verhalten.

Zum zweiten Kritikpunkt, der konkreter gefasst ist. SRF hat in Radio und Fernsehen über die Haus-durchsuchung der Polizei und der Staatsanwaltschaft berichtet. So wie es die Informationspflicht von uns verlangt. Die Hausdurchsuchung war Pflichtstoff, da die Zürcher Staatsanwaltschaft damit ein Vorabklärungsverfahren gegen Jürg Jegge eingeleitet hat; zudem wurde eine polizeiliche Einver-nahme angeordnet. Dies ist relevant, bei einem Thema, das in allen Medien und in der Bevölkerung grosse Beachtung fand. Es wäre eine publizistische Verfehlung gewesen, hätte die Nachrichten-sendungen von SRF darüber nicht berichtet.

Die Forderung, sachlich über das Thema zu berichten, aber den Namen Jürg Jegges nicht zu nennen, ist nicht umsetzbar. Es handelt sich um ein Thema, das eng mit der Person „Jürg Jegge“ verknüpft ist. Beim Thema Reformpädagogik war er damals eine der Leitfiguren – und war es für einige bis heute. Wenn nun bekannt wird, dass dieser Reformpädagoge seine Macht missbraucht und ihm anvertraute Jugendliche sexuell missbraucht hat, geht dies eine breite Öffentlichkeit sehr wohl etwas an. Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen war lange ein Tabuthema. Es ist für die Opfer und die ge-samte Gesellschaft wichtig, dass die Opfer ihre Stimme erheben und die Täter benennen können. Prominenz ist überhaupt kein Grund, den Täter zu schützen.

Im Übrigen hat SRF das Thema in mehreren Sendungen aus einem grösseren Blickwinkel betrachtet. Nur ein Beispiel dafür: Das Echo der Zeit stellte die Frage: „Was bleibt von der Reformpädagogik“.

http://www.srf.ch/news/schweiz/was-von-der-reformpaedagogik-bleibt
Fazit:
Wir sind der Überzeugung, dass SRF fair mit Jürg Jegge umgegangen ist. Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung abzulehnen.

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung.

Die Meldung, dass Jürg Jegge ihm anvertraute Jugendliche sexuell missbrauchte, hat ein gewaltiges Medieninteresse und -echo ausgelöst. Ich habe den Fall in den Medien intensiv verfolgt und auch immer wieder beobachtet, wie das Schweizer Radio und Fernsehen SRF im Radio, am TV-Bildschirm und auch Online an die Berichterstattung herangeht.

Erstens ist mir aufgefallen, dass SRF erst nach zwei Tagen berichtet hat. In den meisten anderen Medien wurde der Fall inzwischen ausgiebig breitgetreten, teilweise auch ohne gesicherte Fakten aufzuzeigen. Zweitens stellte ich fest, dass SRF vor der Veröffentlichung der Vorwürfe in den Prime­time-Sendungen eine Stellungnahme von Herrn Jegge eingeholt hat. Das Schweizer Radio und Fernsehen hat sich also strikt an seine publizistischen Leitlinien gehalten. Insofern kann den Verantwortlichen von SRF hier also mit Bestimmtheit kein Vorwurf gemacht werden, es habe Herrn Jegge unfair behandelt – ganz im Gegenteil!

Jürg Jegge ist zumindest in der Deutschschweiz ein bekannter Mann; in der Pädagogik galt er jahrelang als Vorzeigepädagoge. Seine Taten stehen indes im krassen Widerspruch zu den Aussagen, die ihn weitherum berühmt gemacht haben. Es liegt also auf der Hand, dass er sich nicht auf den Persönlichkeitsschutz berufen kann. Herr Jegge ist ein Mensch und vor allem ein Pädagoge von öffentlichem Interesse und die Bevölkerung hat das "Recht", über seine Taten und den weiteren Verlauf des Falles informiert zu werden. Das Schweizer Radio und Fernsehen hat – wie das Rolf Hieringer unterstreicht – quasi die "Pflicht", die Bevölkerung zu informieren.

Betrachtet man die Schwere von Jürg Jegges Taten im Zusammenhang mit seinen Aussagen über Pädagogik, über den Umgang mit Kindern und Jugendlichen sowie über Werthaltungen und die Menschenwürde wird schnell klar, dass SRF gar nicht anders konnte, als in aller Deutlichkeit zu berichten. Das Thema des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen wurde zudem in verschiedenen Sendegefässen und Hintergrundberichten (bspw. «Club» vom 11.04.2017; «Kontext» vom 10.04.2017; «Wer Gewalttaten aufdecken will, hat einen Kraftakt vor sich» Online-Chat vom 13.04.2017; «Diese Art von Täter hat kein Unrechtsbewusstsein» Interview mit Jürgen Oelkers, emeritierter Professor der Erziehungswissenschaft, vom 11.04.2017; «Pädophilie. Eine Neigung, über die man schweigt» Sternstunde vom 14.04.2017; «Sexueller Missbrauch: Das Schicksal der Opfer wird oft ignoriert» Interview mit Regula Schwager, Co-Leiterin Castagna am 14.04.2017) bei SRF aufgenommen.

Die Verantwortlichen von Schweizer Radio und Fernsehen sind die Berichterstattung zum Fall Jürg Jegge mit der notwendigen journalistischen Sorgfalt mustergültig angegangen. Ich kann Ihre Beanstandung daher auf keinen Fall stützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Manfred Pfiffner, stellvertretender Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/news/schweiz/hausdurchsuchung-bei-juerg-jegge

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