«Visionär, werteorientiert, bedingungslos neugierig»

RTR-Direktorin Ladina Heimgartner spricht über die Medienarbeit von morgen. Ein Gastkommentar, erschienen im Bündner Tagblatt.

Bereits als junge Mitarbeiterin des «Bündner Tagblatts» hat mich der damalige Chefredaktor, Christian Buxhofer, mit dem Prinzip der «Produktedifferenzierung» vertraut gemacht. «Produktedifferenzierung» bedeutete damals, dass das «Bündner Tagblatt» andere Themen oder aber andere Aspekte eines Themas beleuchtete, als die Konkurrenz. Macht ja auch durchaus Sinn.

Wenn Produktedifferenzierung so richtig greift, entfaltet sich mit ihr auch die politische Meinungsvielfalt. Meinungsvielfalt ist in allen demokratischen Staaten (wo es mit Demokratie wirklich etwas auf sich hat) eine tragende Säule: Bürgerinnen und Bürger sollen bei ihrer politischen Meinungsbildung aus verschiedenen Informationsquellen schöpfen können, um in ungefilterter Kenntnis aller relevanten Argumente an die Urne zu schreiten. Diese Art von Freiheit ist in der Schweiz ausgesprochen weit entwickelt und zeigt sich heute als regelrechte helvetische Errungenschaft. Sie ist wohl auch ein Grund, weshalb es uns in der Schweiz eigentlich recht gut geht.

Nicht ganz so gut präsentieren sich derzeit die Zukunftsperspektiven der Meinungsvielfalt. Dass nächstes Jahr voraussichtlich über die Initiative zur Abschaffung des öffentlichen Radios und Fernsehen abgestimmt wird, ist der eine Aspekt. In der Suisse romande etwa ist in den letzten Jahren eine Zeitung nach der anderen eingegangen. In der Deutschschweiz werden zusehends redaktionelle Arbeitsplätze gestrichen, und bei uns in Graubünden schwebt das Damoklesschwert über der einzigen rätoromanischen Zeitung. Im kleinen Schweizer Markt ist das Geschäft mit klassischen Medien nicht mehr lukrativ, namentlich, da heute immer mehr im Internet konsumiert, aber auch geworben wird.

Grosse Teile der Werbegelder fliessen nicht zu Schweizer Anbietern, sondern zu internationalen Giganten. Google beispielsweise weiss so viel über seine User, dass die Werbung unheimlich zielgruppenspezifisch platziert werden kann. So erscheint bei mir Werbung für Ferienreisen, nicht aber für Katzenzubehör. Dies einfach, da Google aufgrund meiner Aktivitäten im Internet weiss, dass ich gerne reise, aber nie irgendeine Recherche zum Thema «Katzen» getätigt habe. Dieses permanente «Scannen» der Web-Aktivität und die darauf basierenden Empfehlungen stossen nicht nur auf Begeisterung. Fakt ist jedoch, dass viele Menschen dies als durchaus praktisch empfinden. Übrigens: Auch die berüchtigten «Fake News», also medial bewusst verbreitete Lügen, vermögen es nicht, massive Proteststürme auszulösen. Entsprechend wollen auch nicht alle Strategien von Medienhäusern, die sich mit einer bewussten Anti-Fake-News-Haltung positionieren, richtig durchstarten.

Wie soll es angesichts dieser Entwicklungen also weitergehen mit der professionellen Medienarbeit? Sicher ist – es muss weitergehen! Denn trotz aller neuen Angebote schätzen und mögen die Menschen in der Schweiz «ihre» Medien nach wie vor. 94 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer konsumieren wöchentlich ein SRG-Produkt. Und auch Textangebote aller Art erfreuen sich grosser Beliebtheit. Spätestens, wenn sich Elementares oder Schlimmes auf der Welt ereignet, greifen Schweizerinnen und Schweizer reflexartig nach den vertrauten, etablierten Medienmarken.

Die Politik hat es in der Hand, eine Vision für die demokratierelevante Medienpolitik zu entwerfen. Einen Beitrag leisten können aber auch wir Medienschaffenden selber. Professioneller Journalismus steht ein für Werte, die geradezu zeitlos sind: Unabhängigkeit, Solidarität, Transparenz und Fairness – Werte, die sich heute durchaus mit dem Lebensgefühl der jüngeren Generationen vereinbaren lassen. Wir Medienschaffenden sollten uns flexibel und bedingungslos neugierig auf gesellschaftliche und technologische Entwicklungen einlassen, um die professionelle und werteorientierte Medienarbeit in jeweils passender Form zu den Zielgruppen zu bringen. Produktedifferenzierung halt. Einfach in einem neuen Zeitalter.

Dieser Artikel erschien am 15. Juni 2017 im Bündner Tagblatt

Text: SRG/Ladina Heimgartner

Bild: SRG SSR/RTR

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