Radio SRF, Sendung «Echo der Zeit», Beiträge «Gasangriff im Nordosten Syriens?» und «Faktencheck zum Giftgasangriff in Syrien» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 6. April 2017 beanstandeten Sie den Beitrag „Gasangriff im Nordosten Syriens?“ in der Sendung „Echo der Zeit“ von Schweizer Radio SRF vom 4. April 2017.[1] Mit Ihrer weiteren E-Mail vom 15. April 2017 beanstandeten Sie den Beitrag „Faktencheck zum Giftgasangriff in Syrien“ im „Echo der Zeit“ vom gleichen Tag.[2] Ihre Eingaben entsprechen den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten. Sie erhalten den Schlussbericht leider ziemlich verspätet. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Der Grund liegt darin, dass mich die Bearbeitung der Massen-Beanstandungen gegen die Sendung „Arena“ mit Dr. Daniele Ganser einen ganzen Monat beansprucht hat, was zu einem Rückstau bei allen anderen hängigen Fällen geführt hat. Ihre Rechte sind indessen dadurch nicht tangiert. Die Frist für eine Beschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) läuft von dem Tag an, an dem Sie den Schlussbericht in Händen halten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandungen wie folgt:

1. Zur Sendung vom 4. April 2017:

„Hiermit lege ich Beschwerde wegen Missachtung des Sachgerechtigkeits- und Transparenzgebotsgebots ein.

<... die ‚Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte‘ hat aber sehr viele Informanten im Land selber ...>

Das suggeriert, dass diese Informanten aus unterschiedlichen Parteien rekrutiert sind. Fakt ist aber, dass diese nur aus der Anti-Regierungs-Ecke stammen.
- <... es gibt die ‚Syrischen Weisshelme‘, das ist eine humanitäre Organisation ...>

Das glauben Sie wohl nicht im Ernst. Hat diese Recherche eigentlich einen Anspruch auf Professionalität? Kaum. Würde Herr Gsteiger sich breit und sachlich informieren, würde er nicht mehr von einer humanitären Organisation sprechen können.

<... die Informationen dieser beiden Organisationen haben sich in der Vergangenheit in sehr vielen Fällen als richtig erwiesen ...>

Das ist eine kühne Behauptung, ist die Ansicht von Herrn Gsteiger und kann so als Fakt nicht genügen. Ich bitte Herrn Gsteiger, diese vielen Fälle mal zu dokumentieren.

<... sehr viele Belege von unabhängigen Quellen, von den Vereinten Nationen, welche in vielen Fällen nachgewiesen haben, dass die syrische Regierung in den Jahren 2014 und 2015, es gibt auch neuere Angaben vom UNO Menschenrechtsrat, dass das auch im laufenden Jahr schon mehrfach passiert sein soll ...>

Sein soll? Ist sich Herr Gsteiger nicht ganz sicher, oder was? Was sollen diese tendenziösen Formulierungen? Was ist das für ein schwammiger ‚Journalismus‘. Das hat ja schon fast Stammtischcharakter. Herr Gsteiger sollte seine Ansichten klar als solche deklarieren oder für die vielen Behauptungen auch Fakten/Quellenangaben liefern.

Ich freue mich schon jetzt auf die verschiedenen Quellenangaben und erwarte von einer Zwangsgebühren-finanzierten Sendung Aussagen und Darstellungen, die einer detaillierten, umfassenden Recherche auch standhalten.“

2. Zur Sendung vom 15. April 2017:

Hiermit lege ich Beschwerde wegen Missachtung des Sachgerechtigkeits- und Transparenzgebots ein.

- Herr Gsteiger[20:11]: <Es ist natürlich nicht völlig offen, wer sie eingesetzt hat, es gibt viele Indizien ... aber dafür gibt es bislang noch keine unabhängige Bestätigung der Vereinten Nationen oder der Chemiewaffenbehörde.>

Wenn Herr Gsteiger noch nicht im Besitze der Bestätigungen von unabhängigen Stellen ist, so ist die Situation ungeklärt und VÖLLIG offen. Was soll diese spekulative und tendenziöse Beurteilung, die in sich selbst widersprüchlich ist, nicht den Fakten gerecht wird und somit eine freie Interpretation von Herrn Gsteiger ist.

Herr Gsteiger [22:40]: <... was nützt es der Türkei, irgendwelchen Gruppierungen in Syrien Giftgas zu verschaffen... >

Also wenn Herr Gsteiger dem Dreizack Türkei - Kurden - Syrien keine Theorien und Planspiele abgewinnen kann, scheint er von der Situation wenig Ahnung zu haben oder eben was ich eher vermute, will er den Zuhörern bewusst die Vorteile der Türkei durch eine schnelle Verurteilung Syriens enthalten. Das zeigt doch eindeutig, dass hier ganz im Sinne der USA Bericht erstattet wird und schlussendlich in dasselbe Kriegsgeheule eingestimmt wird, wie es die NATO seit Längerem kund tut.

- Herr Gsteiger [22:55]: <... dann wird in dieser Theorie auch ein bekannter türkischer Journalist zitiert...>

Weiss Herr Gsteiger, wer hier zitiert wird? Warum nennt er keine Namen? Oder vielleicht nur vom Hören-Sagen? Was soll das? Ist das postfaktischer Journalismus?

Es stimmt mich schon nachdenklich, dass ich in einem ‚neutralen‘ Land solchen Journalismus ertragen muss. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, eines schönen Tages mal eine neutrale, umfassende, mit Quellenangaben dotierte Beurteilung hören zu dürfen.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für sie antwortete Herr Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor von Schweizer Radio SRF, wie folgt:

1. Zur Sendung vom 4. April 2017:

Besten Dank für die Gelegenheit zur Stellungnahme im Ombudsfall 5044. Herr X sieht in seiner Beanstandung das Sachgerechtigkeits- und Transparenzgebot verletzt.

Er schreibt, wir hätten es versäumt darzulegen, dass es sich bei der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte um eine den Rebellen nahestehende Organisation handle. Wir hätten fälschlicherweise die syrischen Weisshelme als humanitäre Organisation bezeichnet. Und wir behaupteten zu Unrecht, die Informationen dieser beiden Organisationen seien in vielen Fällen zutreffend.

In dem Beitrag im ‚Echo der Zeit‘, einem Moderationsgespräch, sprechen wir bereits in der allerersten Frage und Antwort die unsichere Quellenlage an. Die erste Antwort beginnt mit der Aussage, es gebe vorläufig noch keine harten, von unabhängigen Stellen bestätigten Informationen. Und macht dann transparent, auf welche Quellen wir – und die allermeisten übrigen Medien – uns beriefen.

Die Informationsbeschaffung in Syrien ist schwierig. Normale journalistische Recherchen im Land selber sind überaus gefährlich und aufwendig. Sie müssen in den meisten Fällen ‚eingebettet‘ bei einer der Kriegsparteien erfolgen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte ist seit Jahren eine der wichtigen Quellen, allerdings keine unabhängige und keine neutrale. Sie steht erklärtermassen den Rebellen nahe. Dennoch wird sie seit Jahren genutzt - als eine Quelle unter anderen. Auch und nicht zuletzt von den grossen internationalen Nachrichtenagenturen wie Reuters, AP, DPA oder AFP. Ebenso von Leitmedien wie der BBC. Und auch von uns. Unser Nahostkorrespondent und unsere Auslandredaktion berichten nun seit mehr als sechs Jahren fast täglich über den Krieg in Syrien. In dieser Zeit haben wir gelernt – und lernen wir weiter -, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wir haben festgestellt, dass die Beobachtungsstelle nicht immer, aber doch grossmehrheitlich Informationen liefert, die später von unabhängigen Quellen (Uno-Untersuchungsausschuss, IKRK, Menschenrechtsorganisationen und andere) bestätigt wurden. In manchen Fällen ist es ja so: Unmittelbar lassen sich manche Nachrichten aus Syrien weder verifizieren noch falsifizieren. Selbst Redaktionen mit viel grösseren Ressourcen, als sie uns zur Verfügung stehen, tun sich schwer damit. Doch mit der Zeit, nach Tagen, Wochen oder manchmal Monaten kommt die Wahrheit doch ans Licht. Wir privilegieren selbstverständlich jene Organisationen und Instanzen als Quellen, deren Angaben sich in der Mehrheit der Fälle nachträglich als richtig herausgestellt haben. Dennoch gehen wir, der Transparenz halber, weiter als die Mehrheit anderer Medien, indem wir nämlich regelmässig deutlich machen, dass es sich bei der Beobachtungsstelle um eine den Rebellen nahestehende Organisation handelt. Wir taten das explizit auch im beanstandeten Beitrag.

Die syrischen Weisshelme werden in der Berichterstattung wechselweise als humanitäre Organisation, als Zivilschutz- oder Rettungsorganisation oder allgemein als Hilfsorganisation bezeichnet. Auch diese Organisation ist nicht neutral – worauf wir ebenfalls explizit immer wieder hinweisen. Auch im beanstandeten Beitrag taten wir das. Die Weisshelme wurden 2016 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Sie erhielten den deutsch-französischen Preis für Menschenrechte, der von den Aussenministerien in Paris und Berlin ausgelobt wird. Sie werden finanziell unterstützt von Ländern wie den USA, Grossbritannien, Deutschland oder den Niederlanden. Also von demokratisch-rechtsstaatlichen Ländern, die eine solche Unterstützung offen deklarieren und vor ihren jeweiligen demokratischen Kontrollinstanzen rechtfertigen müssen. Ich hatte ausserdem vorigen Herbst Gelegenheit, eine der Schlüsselfiguren der Weisshelme kennenzulernen. Auf einer Veranstaltung am Rande der Uno-Generaldebatte, die von Menschenrechts- und Friedensorganisationen sowie von mehreren Botschaften organisiert worden war. Er stellte sich dort Fragen, kritischen Interviews und hinterliess, nach Ansicht der zahlreichen Anwesenden, einen glaubwürdigen Eindruck.

Bereits eine kurze Quellensuche zeigt übrigens, dass es fast ausschliesslich die syrische und die russische Regierung und mit ihnen verbundene Medien sind, die den beiden genannten Organisationen konsequent die Legitimität und Seriosität absprechen.

Dennoch haben wir in dem Beitrag im ‚Echo der Zeit‘ unserem Publikum gesagt, dass die Positionen zur Tragödie von Khan Sheikhoun weit auseinanderklaffen und wir haben – gemäss unseren journalistischen Prinzipien – auch die syrische Regierung zitiert, die einen Gasangriff entschieden bestreitet. Wir haben ebenfalls noch Tage nach dem Ereignis von einem ‚mutmasslichen‘ Giftgaseinsatz gesprochen – bis die Weltgesundheitsorganisation WHO diesen bestätigt hat. Und wir machen auch jetzt noch keine Schuldzuweisungen. Anders als unter anderen die Aussenminister der G7-Staaten. Wir warten damit, bis wir eine Bestätigung aus unabhängiger Quelle haben. Uno und OPCW[3] sind daran, der Sache unter sehr erschwerten Bedingungen auf den Grund zu gehen.

Die Dokumente, die sich zu Giftgasangriffen in der Vergangenheit äussern, sind leicht zu beschaffen. Die Hintergründe über die gemeinsame Untersuchungskommission von OPCW und Uno liefert beispielsweise ein Reuters-Artikel.[4] Aussagekräftig ist ausserdem der Bericht des Ausschusses selber, wohl das wichtigste Dokument in diesem Zusammenhang.[5] Es lohnt sich auch ein Blick in die Unterlagen des Uno-Menschenrechtsrates und von dessen Syrien-Untersuchungsausschuss. Sie sind auf der Webseite zu finden.[6] Schliesslich hat die renommierte Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zu Giftgasangriffen im laufenden Jahr eine Untersuchung publiziert, ebenfalls eine lohnende Lektüre.[7]

Wir sind überzeugt, in dem beanstandeten Beitrag das Sachgerechtigkeits- und Transparenzgebot nicht bloss nicht verletzt, sondern ihm sogar ganz bewusst und klar entsprochen zu haben.“

2. Zur Sendung vom 15. April 2017:

„Gerne nehme ich die Gelegenheit wahr, auch zu den ergänzenden Beanstandungen von Herrn X Stellung zu nehmen:

Wir haben im ‚Echo der Zeit‘ vom Ostersamstag, 15. April 2017, einen ‚Faktencheck‘ zum Giftgaseinsatz in Syrien gesendet. Und zwar, weil viele Fragen noch immer ungeklärt sind, weil sehr unterschiedliche Theorien zirkulieren und weil es uns wichtig schien, dem Publikum aufzuzeigen, was gesichert und was bloss behauptet wird und welche Plausibilität für diese oder jene Einschätzung spricht.

Nachdem inzwischen nicht nur die amerikanische, sondern auch die europäischen Regierungen fast einhellig von einem Giftgasangriff durch die syrische Armee sprechen – eine Position, die sich auch in der Erklärung zum Aussenministertreffen der G7-Staaten findet –, gehören wir inzwischen zu den wenigen Medien, die weiterhin konsequent darauf verweisen, dass die Täterschaft noch nicht von einer unabhängigen Quelle bestätigt ist.

Zu den konkreten Vorwürfen: Herr X erwartet von uns eine neutrale Berichterstattung. Neutralität ist jedoch ein politisches, kein journalistisches Kriterium. Für uns sind Sachgerechtigkeit und Fairness massgeblich. Es kann auch nicht unsere Aufgabe sein, uns in einem Konflikt zwischen demokratisch-rechtsstaatlichen Ländern und einem Unrechtsregime wie jenem in Syrien ‚neutral‘ in der Mitte zu positionieren.

Herr X moniert, wir stimmten ins Kriegsgeheul der Nato ein. Gerade im Fall Syrien spielen zwar einzelne Nato-Länder, vor allem die USA, eine Rolle – hauptsächlich im Kampf gegen den sogenannten ‚Islamischen Staat‘. Die Nato selber jedoch ist praktisch nicht involviert. Eine kleine Rolle spielt sie einzig bei der Schlepperbekämpfung auf der Flüchtlingsroute von Syrien und Irak Richtung Türkei und Griechenland. Die Nato hat auch im ganzen Syrien-Krieg nie den geringsten Willen erkennen lassen, dort militärisch einzugreifen.

Wir sagen in unseren Sendungen klar, dass die Schuldfrage am Giftgaseinsatz von vorletzter Woche nicht abschliessend und aus unabhängiger Warte geklärt ist. Daraus zu schliessen, die Frage sei völlig ungeklärt, wie Herr X das tut, ist jedoch nicht statthaft. Es gibt viele Indizien, die auf das syrische Regime hindeuten. Die Tatsache, dass Damaskus zumindest Sarin besass – und dass die C-Waffenbehörde OPCW explizit nicht bestätigen kann, dass es seinerzeit alle Bestände deklariert hat. Oder wieder neues Sarin herstellte. Die Tatsache auch, dass Syrien nachgewiesenermassen (durch die Uno und die OPCW) schon Giftgas eingesetzt hat. Die Tatsache, dass es bislang keinerlei Belege dafür gibt, dass die in der diesmal betroffenen Provinz Idlib aktiven Rebellen jemals Giftgas eingesetzt haben. Nachgewiesen ist lediglich ein Senfgas-Einsatz, allerdings durch den IS, der in Idlib praktisch nicht vertreten ist. Dazu kommt, dass C-Waffenexperten, auch jene der OPCW, erklären, Sarin lasse sich weder ganz einfach herstellen noch lagern. Es braucht also ein beträchtliches Knowhow und eine entsprechende Infrastruktur. Ob beides bei den Rebellen in Idlib vorhanden ist, ist höchst zweifelhaft. Und schliesslich gibt es bei sämtlichen bisher vorgebrachten Alternativ-Theorien massive Ungereimt-heiten und Widersprüche.

Die ‚Türkei‘-Theorie beispielsweise, auf die sich Herr X bezieht, ist wenig plausibel. Denn sie setzt voraus, dass die Türkei Giftgas besitzt. Man traut der aktuellen türkischen Regierung zwar manches zu. Aber dass sie ein geheimes Giftgasprogramm betreibt, ist reine Spekulation, für die es keine Anhaltspunkte gibt. Auch die OPCW, die im Land regelmässig Inspektionen durchführt, deklariert die Türkei als Land, das keine C-Waffen besitzt.

Und beim Journalisten, der im Radio-Beitrag erwähnt wird, handelt es sich um Can Dündar, einen der profiliertesten türkischen Journalisten. Und einer, der der Erdogan-Regierung sehr kritisch gegenübersteht, weshalb er zurzeit im Exil in Deutschland leben muss. Er bestreitet, jemals berichtet zu haben, der türkische Geheimdienst habe C-Waffen nach Syrien geliefert – was von Anhängern der ‚Türkei-Theorie‘ behauptet wird. Es findet sich in den Archiven auch kein einziger Zeitungs-, Fernseh- oder Radiobericht von ihm, in dem er diese Behauptung geäussert hätte.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendungen. Es handelt sich, entgegen Ihrer Wahrnehmung, um Beiträge, die Distanz nach allen Seiten wahren und die Informationen, die nicht bestätigt oder unsicher sind, als solche bezeichnen. Es handelt sich um Journalismus, wie er im Buche steht. Journalismus muss, da pflichte ich Fredy Gsteiger absolut bei, nicht neutral sein, er muss sachgerecht und fair sein und er muss sich als Fremddarstellung aller Phänomene, Personen, Ereignisse, Zustände und Entwicklungen erweisen und sich insofern von Public Relations und Propaganda unterscheiden. Er soll sich „mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten“, sagte mal der deutsche Journalist und „Tagesthemen“-Moderator Hans-Joachim Friedrichs. Allerdings gibt es hier eine rote Linie: Niemand kann von Journalistinnen und Journalisten verlangen, dass sie zu einem Friedensstifter die gleiche Distanz wahren wie zu einem Kriegstreiber oder Kriegsverbrecher. Niemand kann von Journalistinnen und Journalisten verlangen, dass sie darauf verzichten, Benachteiligten eine Stimme zu geben (anwaltschaftlicher Journalismus). Niemand kann von Journalistinnen und Journalisten verlangen, dass sie auf eine eigene Position verzichten. Niemand kann von Journalistinnen und Journalisten verlangen, dass sie keine eigene Wertordnung haben. Und diese Wertordnung umfasst in der Schweiz die Menschenrechte und die Demokratie. Daran misst sich auch die Berichterstattung über kriegerische Konflikte wie in Syrien.

Kriege sind schrecklich und unter praktisch keinem Titel zu rechtfertigen. Giftgaseinsätze sind besonders schrecklich. Es ist logisch, dass die halbe Welt herausfinden will, wer jeweils der Schuldige ist. Wenn ich Sie richtig interpretiere, so dürfte man über die Schuldigen ohne weiteres spekulieren, wenn alles auf die Amerikaner oder die islamistischen syrischen Rebellen hindeutete, nicht aber, wenn der Hauptverdacht auf die syrische Armee fällt.

Ich verstehe nicht, warum Sie sich derart vehement für die syrische Regierung einsetzen. Ich kenne die syrische Regierung. Ich war in Damaskus im Regionalkommando der Baath-Partei, im Informationsministerium, beim Chefredaktor der Parteizeitung „Al-Baath“ sowie beim Gouverneur der Provinz Suweida. Die Verantwortlichen sind sehr charmant, aber sie verfolgen einen rigiden, autoritären Kurs, der jegliche Opposition unterdrückt und der nötigenfalls vor keiner Brutalität zurückschreckt. Damit Sie mich richtig verstehen: Die anderen Konfliktparteien – die islamistischen Rebellen, der IS, die „demokratischen“ Rebellen, die Kurden, aber auch die involvierten ausländischen Kräfte – die Saudis, die Katari, die Türken, die Iraner, die Hisbollah, die Amerikaner, die Russen – sind kein Haar besser: Wenn nötig schlagen sie zu. Und wenn nötig lügen sie. Das erste Opfer eines Krieges ist immer die Wahrheit.

Ihr Engagement für Syrien hat vermutlich nichts mit Syrien zu tun, sondern mit einer anti-amerikanischen und damit pro-russischen Haltung. Und da Russland die syrische Regierung unterstützt, kritisieren Sie jede Sendung, die nicht positiv für die syrische Regierung herauskommt. Wenn Sie sich aber die Beiträge unbefangen anhören, können Sie keinerlei einseitige pro-amerikanische Tendenz feststellen. Ihr Satz „...dass hier ganz im Sinne der USA Bericht erstattet wird und schlussendlich in dasselbe Kriegsgeheule eingestimmt wird, wie es die NATO seit Längerem kund tut“, entspricht nur Ihrer Unzufriedenheit darüber, dass die syrische und die russische Position in Bezug auf den Giftgasangriff sehr wackelig ist und dass dies in den beiden Beiträgen auch zum Ausdruck kommt.

Ich habe nicht den Eindruck, dass Radio SRF die amerikanischen, britischen, französischen, saudischen, katarischen und israelischen Interessen in der Region falsch einschätzt oder verharmlost, aber auch nicht die russischen, iranischen, syrischen, libanesischen, türkischen und irakischen. Eine komplexe, verworrene Lage mit vielen Mitspielern und mancherlei Falschspielern braucht genau die nüchterne, vorsichtige, unvoreingenommene, sachkundige Analyse, wie sie Fredy Gsteiger geboten hat. Ich kann keinerlei Verstoß gegen das Sachgerechtigkeits- und das Transparenzgebot erkennen und folglich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/gasangriff-im-nordosten-syriens

[2] https://www.srf.ch/play/radio/-/audio/faktencheck-zum-giftagasangriff-in-syrien?id=eae2f7c0-7b42-4512-8c6a-3dc4a2d50661

[3] Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons https://www.opcw.org/special-sections/syria/

[4] http://www.reuters.com/article/us-chemicalweapons-syria-idUSKCN10Z2KY

[5] http://undocs.org/S/2016/738

[6] www.ohchr.org/hrc

[7] https://www.hrw.org/news/2017/02/13/syria-coordinated-chemical-attacks-aleppo

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