Radio und Fernsehen SRF, «Echo der Zeit» und «Rundschau», Interview mit Jochen Hippler und Beitrag «Israelische Siedlungen» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 14. Mai 2017 beanstandeten Sie zwei Beiträge in Sendungen von Radio und Fernsehen SRF, nämlich das Interview mit Privatdozent Jochen Hippler im „Echo der Zeit“ von Radio SRF vom 3. Mai 2017[1] und den Beitrag „Israelische Siedlungen: Bauen für die Besatzer“ in der „Rundschau“ von Fernsehen SRF, ebenfalls vom 3. Mai 2017 [2]. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
Sie erhalten diesen Schlussbericht leider mit Verspätung. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Der Grund liegt darin, dass mich die Massen-Beanstandungen gegen die Sendung „Arena“ mit Dr. Daniele Ganser einen ganzen Monat beanspruchten, was zur Folge hatte, dass all die andern hängigen Beanstandungen einen Rückstau erlitten. Ihre Rechte werden dadurch allerdings nicht tangiert: Die 30tägige Frist für eine allfällige Beschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) beginnt an dem Tag zu laufen, an dem Sie diesen Schlussbericht in Händen halten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Beide Sendegefässe verkaufen sich als Nachrichtenportale. Hier erwartet das Publikum seriös recherchierte Berichte und Hintergrundinformationen. Wenn stattdessen ‚Meinungen‘ gesendet werden, so müssen diese klar als solche gekennzeichnet werden und es müssen ihr (womöglich in einer nachfolgenden Sendung zum gleichen Thema, doch darauf muss hingewiesen werden!) auch andere Meinungen gegenüber gestellt werden.
Zum wiederholten Mal publiziert SRF israelkritische Meinungen und verkauft sie dem Zuschauer als Tatsachen. Bitte lesen Sie den verlinkten Artikel aus Audiatur;,er listet die Einzelheiten auf.“ [3]
B. Die zuständigen Redaktionen erhielten Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für Schweizer Radio SRF antwortete Herr Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor:
„Gerne nehme ich die Gelegenheit wahr, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Herrn X. Herr X verlangt von unserer Hintergrundsendung ‚Echo der Zeit‘ seriöse Berichte und Hintergrundinformationen. Zu oft würden jedoch, seiner Ansicht nach, Meinungen gesendet.
Mit Herrn Xs Erwartung nach seriösen und Hintergrundberichten stimmen wir voll und ganz überein. Wir sehen genau das als unsere Aufgabe an. Zu einer Hintergrundsendung gehören auch Gespräche mit politischen und wirtschaftlichen Akteuren und mit Fachleuten. Beim ‚Echo der Zeit‘ haben letztere sogar eine lange Tradition. Sie sind Kernelemente der Sendung. Dass in solchen Gesprächen auch die Meinung des Interviewpartners ausgedrückt wird, ist selbstverständlich. Diese Meinung muss sich keineswegs mit jener der Redaktion decken und ist auch nicht als redaktionelle Stellungnahme zu interpretieren. Selbstverständlich wollen wir jedoch extremen Ansichten keine Plattform bieten.
Entscheidend ist für uns bei der Auswahl von Experten, ob sie auf dem Fachgebiet, zu dem sie sich äussern, über einen Leistungsausweis verfügen. Ob sie an einer seriösen Universität lehren oder für eine anerkannte, ernstzunehmende Organisation tätig sind. Ob sie über ein Gebiet regelmässig publizieren. Und natürlich spielen auch unsere Erfahrungen mit einem Gesprächspartner eine Rolle. Für Jochen Hippler lassen sich all diese Fragen positiv beantworten. Wir hatten ihn schon während des Irak-Krieges häufig auf dem Sender mit kompetenten Einschätzungen. Wir schätzen bei ihm als wohltuend ein, dass er nüchtern und fair argumentiert und seine persönliche Meinung nicht in den Vordergrund stellt.
Im Einzelnen untermauert Herr X seine Kritik mit einem Artikel auf der Webseite ‚Audiatur Online“‘ Dort werden aus dem Gespräch mit Jochen Hippler zwei Punkte angeführt.
Erstens seine Aussage, Marwan Barghouti gelte als Symbol des Widerstandes. Man kann das richtig finden oder nicht. Doch Tatsache ist, dass Barghouti in der palästinensischen Bevölkerung genau so gesehen wird. Oft als Gegenfigur zum palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas, dessen Mandat zunehmend illegitim ist, weil er schon vor Jahren hätte Neuwahlen durchführen müssen. Worauf übrigens auch die israelische Regierung, insbesondere Israels Uno-Botschafter in New York, regelmässig hinweist. Viele Umfragen lassen erkennen, dass Barghouti weitaus beliebter ist unter den Palästinensern als Abbas, ja, dass er die wohl populärste Figur in Palästina ist. Seine Beteiligung an mehreren Morden ist natürlich genauso eine Tatsache. Sie ändert aber nichts daran, dass Hippler mit seiner Aussage Recht hat.
Zweitens geht es darum, ob US-Präsident Donald Trump den richtigen Akzent setzt, wenn er fordert, die Palästinenser müssten aufhören, Straftäter, etliche darunter Gewalttäter, Terroristen, die in israelischen Gefängnissen inhaftiert seien, zu bezahlen. Die Frage, ob hier das prioritäre Problem liegt, lässt sich kaum objektiv beantworten. Es ist Ansichtssache. Es spricht allerdings einiges für die Ansicht von Jochen Hippler, dass es sich bei dieser Frage nicht um das Kernproblem des israelisch-palästinensischen Konfliktes handelt. Es ist vielmehr ein weiteres Beispiel, ein weiterer Ausdruck für das zutiefst zerrüttete Verhältnis zwischen Israel und Palästina. Die Frage des Rückkehrrechtes der Palästinenser, die Jerusalem-Frage, aber auch der Siedlungsbau sind jedoch weitaus gewichtigere und vor allem grundsätzlichere Probleme, die angegangen und gelöst werden müssen, wenn es zu einer Friedenslösung kommen soll.
Wir teilen also in diesem Punkt die Sichtweise Jochen Hipplers, wonach Trump hier ein nicht unerhebliches Problem anspricht, aber eben keinen der ganz zentralen Konflikte in der israelisch-palästinensischen Auseinandersetzung. Aber selbst wenn wir mit Hippler in diesem Punkt uneinig wären, dürfte er selbstverständlich seine Meinung dazu äussern in unseren Sendungen.
Insgesamt sind wir der Ansicht, dass in diesem Fall sämtliche Aussagen von Hippler ausgesprochen ausgewogen waren. Obschon sie das gar nicht sein müssten. Er wies wiederholt darauf hin, dass der Weg zu einer Friedenslösung, ja schon der Anlauf dazu zurzeit in beiden Lagern blockiert ist. Und vor allem: Er stellte nicht nur seine Sichtweise dar, sondern er begründete sie jeweils auch.“
Für Schweizer Fernsehen SRF wiederum antwortete Herr Mario Poletti, Redaktionsleiter der „Rundschau“, wie folgt:
„Gerne nehmen wir Stellung zur Beanstandung von Herrn X zum Rundschau-Beitrag vom 3. Mai 2017 mit dem Thema ‚Israelische Siedlungen‘.
Der Beanstander verweist auf einen Artikel der Online-Publikation ‚audiatur‘ von Stefan Frank, der SRF vorwirft, die Fakten zu verdrehen.[4]
Die ‚Rundschau‘ weist die im Artikel erhobenen Vorwürfe zurück. Aus unserer Sicht verletzt unser Beitrag weder die journalistischen Sorgfaltspflichten noch beinhaltet er propagandistische, einseitige oder gar falsche Aussagen.
Unser Film folgt einem klaren, filmischen Plot: Wir erzählen die Geschichte von Israr Samra und Yaki Hershkop. Grundsätzlich sind wir überzeugt, dass sich das Publikum auch bei einer Berichterstattung ‚von unten‘ (also aus der Sicht von Betroffenen wie die beiden Protagonisten im Film) genauso eine Meinung bilden kann wie bei der Stellungnahme von Experten oder offiziellen Stellen.
Im Folgenden gehen wir auf die einzelnen, im Artikel erhobenen Vorwürfe ein:
(1) Der Artikel in ‚audiatur‘ vergleicht die Situation der palästinensischen Arbeiter mit anderen Arbeitsmigranten. Dies ist eine im Grunde zynische Aussage: Palästinenser, die für israelische Siedler arbeiten, gehen ihrer Tätigkeit im Nahbereich ihrer kulturellen und persönlichen Identität und Herkunft nach. Die Palästinenser sind keine Migranten, sondern Einheimische.
In unserem Beitrag geht es um das besondere Arbeitsverhältnis zwischen Israeli und Palästinensern, das sich nicht mit Polen oder Spanien vergleichen lässt. Den Siedlungsbau in der Westbank betrachten sie neben der Präsenz der IDF (Israel Defence Forces) als Ausdruck der Besetzung ihres eigenen Landes. Der Kampf um dieses Gebiet mit unterschiedlichen Argumenten beider Seiten ist unter anderem Grund für den langjährigen Konflikt.
Die Kritik der Palästinenser wird von internationalen Organisationen wie der UNO und auch vom Bundesrat geteilt: Israel hält die 1967 eroberten und bis heute nicht zurückgegebenen Gebiete besetzt. Diese Meinung vertreten auch israelische Historiker und Autoren (z. B. Tom Segev oder Ari Shavit) – oder die israelische Tageszeitung Haaretz.
Im Film ging es also um ein spezifisches, lokales Dilemma: Wie geht ein palästinensischer Arbeiter damit um, dass er einerseits angewiesen ist auf den Job bei den Israeli, anderseits aber vom Siedlungsbau profitiert? Und weshalb engagiert ein israelischer Bauunternehmer in einer israelischen Siedlung vor allem arabische Arbeiter? Dies, obwohl viele Israeli Angriffe von Palästinensern fürchten?
(2) Die beiden Protagonisten wurden keineswegs nach dem Schema gut und böse ausgewählt. So erwähnt der Bericht im Kommentartext auch die Attacken von Palästinensern auf israelische Siedler. Umgekehrt betont der israelische Bauunternehmer Yaki Herskhop, dass die Israeli in der Westbank einfach in Frieden leben möchten. Er wird als anständiger Arbeitgeber bezeichnet, der seine Arbeiter rechtens entlöhnt.
(3) Der Begriff ‚Spiessrutenlauf‘ im Zusammenhang mit den Sicherheitskontrollen der israelischen Armee ist hier selbstverständlich umgangssprachlich gemeint und bedeutet (laut Duden) ‚sich einer Sache aussetzen‘. Es beschreibt das Empfinden, das uns die meisten Palästinenser im Gespräch schilderten: Das Gefühl, durch die täglichen Personenkontrollen Willkür und Schikanen ausgesetzt zu sein. Die Mehrheit der Palästinenser leidet unter der eingeschränkten Bewegungsfreiheit - und auch unter den Massnahmen der israelischen Armee, die nach Attacken von Palästinensern regelmässig ergriffen werden.[5]
(4) Im Beitrag ging es nicht um die IDF, sondern um die Arbeitssituation von Israr Samara, seinen Arbeitsweg und die damit verbundenen Unsicherheiten. Die von uns dokumentierten Einschränkungen der Bewegungsfreiheit stehen im Einklang mit einschlägigen Berichten des (umstrittenen) UNO-Menschenrechtsrats.[6] Doch auch die israelischen Behörden stellen fest, dass die Arbeitswege für palästinensische Arbeitskräfte beschwerlich sind – und versuchen (auch aus wirtschaftlichen Gründen) die Kontrollen bei gleichem Sicherheitsstandard zu beschleunigen.[7]
(5) Die Geschichte des jüdisch-arabischen Konflikts beginnt für die ‚Rundschau‘ selbstverständlich nicht 1967. Aus aktuellem Anlass (50 Jahre Sechstagekrieg) konzentrierte sich die ‚Rundschau‘ allerdings auf dieses Ereignis. Dass Israel eine Invasion befürchtete, wird im Bericht explizit erwähnt. Es versteht sich von selbst, dass die ‚Rundschau‘ in dieser Anlage und bei diesem Fokus die Ereignisse des Sechstageskrieges verdichtet wiedergibt. Den Begriff Präventivschlag benutzen auch offizielle israelische Organe.[8] Im Übrigen bezweifelt der israelische Historiker Tom Segev den Mythos der Unvermeidlichkeit des Krieges in seinem Werk ‚1967 - Israels zweite Geburt‘.[9]
(6) Wie oben bereits erwähnt, stuften die internationale Gemeinschaft, viele Regierungen, darunter auch die Schweiz, Israel als Besatzungsmacht ein: ‚Die Schweiz ist der Ansicht, dass die israelischen Siedlungen gegen das humanitäre Völkerrecht verstossen und zudem ein grosses Hindernis für den Frieden und für die Umsetzung einer Zweistaatenlösung darstellen.‘ [10] Der internationale Gerichtshof der UNO bejaht in verschiedenen Resolutionen, dass sich die Genfer Konvention auf Israel bzw. die palästinensischen Gebiete anwenden lasse.[11]
Mit den ersten Siedlungen nach dem Sechstagekrieg sind in diesem Zusammenhang Siedlungen wie Ofra gemeint – und nicht zwingendermassen Jerusalem oder Hebron, wie vom Autor in ‚audiatur‘ behauptet.
Die Besiedelung des Westjordanlandes durch Israeli begann nach 1967 und mit dem Yom-Kippur-Krieg 1974. Anschaulich beschreibt etwa der renommierte israelische Journalist Ari Shavit die Anfänge und Beweggründe der Siedlerbewegung – in seinem preisgekrönten Buch ‚Mein gelobtes Land‘. <Die Siedlungen stellen unmittelbare Reaktionen auf die Kriege dar>, schreibt er da. Auch: <Die Siedlungen haben eine Schlinge um Israels Hals gelegt. Sie haben eine unhaltbare demografische, politische, moralische und juristische Situation geschaffen.>
In verschiedenen Erklärungen stuft die UNO die Siedlungen als illegal ein. Auch israelische Gerichte haben Aussenposten israelischer Siedlungen bereits als nicht rechtens beurteilt.[12]
Der Bericht erwähnt ausserdem explizit, dass Israel die Gesetze bezüglich Rechtsstatus der Siedlungen anders interpretiert und lässt auch den Hauptprotagonisten Yaki Hershkop zum Thema zu Wort kommen.
Fazit: Wir können die Beanstandung nicht nachvollziehen.
Die ‚Rundschau‘ hat aus aktuellem Anlass mit einem eigenen journalistischen Zugriff eine Reportage realisiert, welche die Komplexität des Zusammenlebens in dieser Region aufzeigt. Der palästinensische Arbeiter und der israelische Bauunternehmer erzählen beide entwaffnend offen und sympathisch aus ihrer Lebenswelt. Sie zeigen insbesondere, dass ökonomische und soziale Realitäten Menschen einander näher bringen können als es starre ideologische Positionen vermuten lassen.
Wir haben die Konfliktlinien klar umrissen und transparent herausgearbeitet. Darum sind wir überzeugt, dass der Beitrag sachgerecht und ausgewogen war und sich das Publikum jederzeit eine eigene Meinung bilden konnte.
Wir bitten Sie deshalb, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzuweisen.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendungen. Eigentlich würde ich mich gerne mit Ihren Argumenten auseinandersetzen. Ich muss mich aber mit dem freischaffenden Publizisten Stefan Frank auseinandersetzen, der die beiden Sendungen in „audiatur-online“ kommentiert hat und den Sie für sich reden liessen. Herr Frank sagt viel durchaus Richtiges. Aber er setzt die Akzente anders und er deutet die Geschichte Israels, die eine Opfer- und Täter-Geschichte ist, in eine reine Opfer-Geschichte um.
Damit wir uns nicht missverstehen: Israel wurde in der Schweiz 20 Jahre lange nur bewundert. Die politische Linke war begeistert von der Kibbuz-Bewegung, welche jüdische Identität und sozialistische Gleichheitsidee kombinierte. Die politische Rechte war begeistert vom Widerstandsgeist und von der Schlagkraft der israelischen Armee, die ebenfalls einen Kleinstaat verteidigte. Diese positive Grundstimmung Israel gegenüber trugen auch die Schweizer Medien mit. Der Sechstagekrieg vor 50 Jahren steigerte die Begeisterung noch: Dass David einmal mehr Goliath besiegt hatte, galt als Meisterleistung. Und in der Schweiz zog man neuerdings Parallelen zum eigenen Land: Acht Jahre zuvor hatte „Weltwoche“-Chefredaktor Lorenz Stucki sein auf die Schweizer Armee bezogenes Buch „Davids Chancen gegen Goliath“ geschrieben. [13]
Doch dieser Krieg veränderte Manches. Israel wurde überheblich. Und die internationalen Organisationen, namentlich die Uno, aber auch die Großmächte, wurden ungeduldig, weil auch nach dem Krieg von 1973 – dem Wüstenkrieg oder Jom-Kippur-Krieg – zunächst kein Frieden zustande kam. Die große Geste ging vom ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat aus, der 1977 nach Jerusalem reiste und vor der Knesset sprach. Die Folge waren Separatfrieden mit Ägypten und Jordanien, aber der Konflikt zwischen Israeli und Palästinensern blieb ungelöst. Da nicht nur die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) und später die Palästinensische Autonomiebehörde Lösungen hintertrieben, sondern auch Israel immer wieder für Blockaden sorgte, wurde der jüdische Staat zunehmend kritischer gesehen, auch von vielen Israelis selber.
Es lohnt sich vielleicht, sich die Fakten in Erinnerung zu rufen, die die Grundlage schweizerischer Medienberichterstattung über Israel und Palästina bilden:
- Palästina, das „Heilige Land“, ist altes jüdisches, biblisches Territorium, aber nachdem die Römer 70 nach Christi die Juden brutal unterdrückt und deren Tempel zerstört hatten, verstreuten sich die Verfolgten in die ganze Welt. Im Osmanischen Reich, zu dem vor 1917 Palästina gehörte, gab es überall Juden, aber keinen territorialen Schwerpunkt mehr in Palästina.
- Erst die Zionistische Bewegung, die im 19. Jahrhundert entstand, zielte wieder auf eine Heimstätte der Juden in Palästina, und erst die Balfour-Deklaration von 1917 öffnete einen Weg zur Errichtung eines jüdischen Staates. Palästina wurde nach dem Ersten Weltkrieg britisches Mandatsgebiet, was der Völkerbund 1922 bestätigte, aber die Briten, die sowohl den Juden wie den Arabern sich widersprechende Zusagen gemacht hatten, gaben das Mandat 1948 an die Uno zurück. Seither liegt völkerrechtlich die Verantwortung für die Region bei der Uno.
- Den Uno-Teilungsbeschluss von 1947, der 56 Prozent des Gebietes an den jüdischen und 43 Prozent an den angedachten arabischen Staat gab, lehnten die Araber ab. Der darauf gegründete Staat Israel konnte sich nur mit Gewalt behaupten, was zur Folge hatte, dass Tausende von Palästinensern flohen.
- Israels Existenzrecht war immer wieder bedroht. Militärisch sah sich der jüdische Staat vier Mal allen arabischen Nachbarländern gegenüber, weitere kriegerische Auseinandersetzungen fanden mit Libanon und den Palästinensern statt. Diplomatisch wird Israel von der überwiegenden Mehrheit der Staaten anerkannt, inzwischen auch von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO)[14], aber noch immer verweigert ihm eine beträchtliche Zahl von Ländern die Anerkennung, so Libanon, Syrien, Irak, Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Oman, Jemen, Somalia, Sudan, Tschad, Niger, Mali, Mauretanien, Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Iran, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch, Malaysia, Indonesien, Bhutan, Taiwan, Nordkorea, Kuba, Nicaragua, Venezuela, Bolivien und Kosovo.
- Umgekehrt sind die Autonomen Palästinensischen Gebiete nicht einfach ein „Kanton“ Israels, sondern die Vorstufe zu einem unabhängigen Staat. Sie besitzen ihre eigene Staatsverfassung.[15] Sie haben Beobachter-Status bei der Uno. Sie werden von den meisten Ländern Lateinamerikas, Afrikas, Asiens und Osteuropas, ebenso durch Schweden, diplomatisch anerkannt. Auch die Schweiz hat eine diplomatische Vertretung in Ramallah, ohne Palästina bereits als Staat anzuerkennen.[16] Faktisch fehlen zum Staat das geschlossene Territorium und die volle territoriale Souveränität, zumal das Westjordanland einem Flickenteppich von Zuständigkeiten gleicht. In zwei von drei ausgeschiedenen Zonen verfügt Israel über Teil-Rechte oder vollständige Rechte.
- Seit 1967 ist Israel Besatzungsmacht. Da die völkerrechtliche Verantwortung für den Nahen Osten bei der Uno liegt, gelten auch deren Begrifflichkeiten, und die Uno spricht von „besetzten Gebieten“. Auch die Schweiz sieht das so. Das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) schreibt auf seiner Website: „Die Schweiz setzt sich für einen auf dem Verhandlungsweg erzielten, gerechten und dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern ein, der auf einer Zweistaatenlösung basiert. Sie anerkennt den Staat Israel innerhalb seiner Grenzen von 1967 und engagiert sich für einen lebensfähigen, zusammenhängenden und souveränen Staat Palästina auf der Grundlage der Grenzen von 1967 und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Nach Auffassung der Schweiz gelten alle von Israel kontrollierten Gebiete, die ausserhalb der Grenzen von 1967 liegen, gemäss humanitärem Völkerrecht als besetzte Gebiete. Die Schweiz ist der Ansicht, dass die israelischen Siedlungen gegen das humanitäre Völkerrecht verstossen und zudem ein grosses Hindernis für den Frieden und für die Umsetzung einer Zweistaatenlösung darstellen.“[17]
- Israel ist im Nahen Osten die einzige Demokratie mit freien Wahlen, einem funktionierenden Parlament und einer funktionierenden Gerichtsbarkeit. Aber als Besatzungsmacht hält sich Israel oft nicht ans humanitäre Völkerrecht, wie beispielsweise der Jahresbericht 2016/17 von Amnesty International belegt: Es kommt zu Folterungen und anderen schweren Verstößen.[18]
- Der Siedlungsbau in den besetzten Gebieten hat einerseits mit dem Bevölkerungsdruck zu tun, dem Israel wegen der Zuwanderung unterliegt: Israel hat heute gleich viele Einwohner wie die Schweiz bei einem halb so großen Territorium, wobei allerdings die unbewohnbaren Alpen-Gebirgszüge in der Schweiz einen deutlich größeren Anteil ausmachen als die unbewohnbare Negev-Wüste in Israel. Anderseits ist der Siedlungsbau Teil einer Politik, die die Zweistaatenlösung unterläuft.
Wenden wir uns jetzt zuerst der „Rundschau“-Sendung über den Siedlungsbau zu. Was haben die Zuschauerinnen und Zuschauer gesehen? Ein Stück palästinensische Realität, die darin besteht, dass die Gesamtbevölkerung auf die Vollendung des eigenen unabhängigen Staates hofft, während zahlreiche Einzelne aus wirtschaftlichen Gründen letztlich dazu beitragen, dass dieses Ziel sicher nicht näher rückt. Das Publikum lernt ein palästinensisches Dilemma kennen. Dabei kommen beide Hauptprotagonisten, sowohl der palästinensische Bauarbeiter als auch der israelische Bauunternehmer, ohne Abstriche ehrlich und sympathisch hinüber. Das Publikum kann sich über dieses palästinensische Dilemma frei eine eigene Meinung bilden.
Da der 50 Jahre zurückliegende Sechstagekrieg der Anlass für diese Reportage war, fasste der Beitrag auch kurz Verlauf und Ergebnis des Krieges zusammen. Angesichts des Fokus‘ dieses Beitrags ist es nur zynisch, wenn Stefan Frank vermutet, Fernsehen SRF hätte sich gewünscht, dass 1967 „die Juden den Krieg verloren hätten“. Niemand verwechselt bei diesem Krieg Ursache und Wirkung. Und es ist auch aus meiner Sicht richtig unverschämt zu behaupten: „Diese Geschichtsklitterung, bei der die Rollen von Aggressor und Angegriffenem bewusst vertauscht werden, die israelische Friedensbereitschaft und die arabische Kompromisslosigkeit der folgenden Jahrzehnte bis heute verschwiegen werden und die Juden als expansionslüstern dargestellt werden, ist die Kardinalslüge des Films.“
Stefan Frank hat nicht begriffen, was das Thema des Beitrags war, noch hat er kapiert, dass Schweizer Journalistinnen und Journalisten durchaus bewusst ist, wer 1967 Aggressor war. Es nutzt auch nicht, immer wieder zu leugnen, dass Israel zu einer Besatzungsmacht geworden war. Alles andere hat Herr Mario Poletti in seiner Stellungnahme schon behandelt. Als Fazit bleibt: Die „Rundschau“ hat keine israelkritischen Meinungen als Tatsachen verkauft, sondern Fakten und Ansichten säuberlich getrennt und als solche gekennzeichnet. Das Publikum wurde nicht in die Irre geführt oder angelogen.
Kommen wir nun zur Sendung „Echo der Zeit“. Hier geht es um das Interview mit dem Politologen und Friedensforscher Jochen Hippler, Privatdozent an der Universität Duisburg-Essen.[19] Er ist nicht Historiker, wie Stefan Frank meint, aber ein kompetenter Experte für den Nahen Osten, Afghanistan und Pakistan, zumal er die Region immer wieder bereist und über die aktuelle Entwicklung bestens im Bild ist. In einem Experteninterview geht es um Einschätzungen aufgrund vertiefter Kenntnisse und aufgrund der Fähigkeit, Phänomene in einen analytischen Rahmen einordnen zu können. Solche Einschätzungen können auch zu Positionen führen, die sich im einen oder anderen Fall mit der Position einer Konfliktpartei decken. Jochen Hippler, der die aktuelle Lage sehr skeptisch beurteilt und wenig Chancen für Bewegung im Friedensprozess sieht, beurteilt aber beide Kontrahenten gleichermaßen kritisch. Ich kann mich daher Herrn Fredy Gsteiger voll anschliessen: Der Beitrag manipulierte das Publikum nicht. Die Redaktion arbeitete journalistisch absolut vorbildlich.
Alles in allem: Ich kann Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[2] http://www.srf.ch/sendungen/rundschau/energiewende-sprachenstreit-s-steiner-israelische-siedlungen
[3] http://www.audiatur-online.ch/2017/05/11/bauen-fuer-die-besatzer-srf-verdreht-fakten/
[4] http://www.audiatur-online.ch/2017/05/11/bauen-fuer-die-besatzer-srf-verdreht-fakten/ , der seine Argumente darlege.
[5] https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/israel-and-occupied-palestinian-territories/report-israel-and-occupied-palestinian-territories/
[6] http://www.ohchr.org/Documents/Countries/PS/SG_Report_FoM_Feb2016.pdf
[7] http://www.cogat.mod.gov.il/en/Our_Activities/Pages/A-Day-in-the-Life-of-a-Palestinian-Worker-10.5.17.aspx
[8] Vgl. Israel Ministry of Foreign Affairs: Facts about Israel, 2010, S.44
[9] http://www.zeit.de/2007/24/P-Segev/seite-2
[10] https://www.eda.admin.ch/countries/israel/de/home/vertretungen/botschaft/konflikt-im-nahen-osten--haltung-der-schweiz.html
[11] https://www.un.org/press/en/2016/sc12657.doc.htm
[12] vgl. http://www.jpost.com/Arab-Israeli-Conflict/Court-orders-demolition-of-17-homes-in-Netiv-Haavot-outpost-466690 oder http://www.haaretz.com/israel-news/1.741701
[13] Stucki, Lorenz (1959), Davids Chancen gegen Goliath. Die Schweizer Armee heute. Bern: Scherz. 103 S
[14] Die PLO hat 1998 einer Änderung ihrer Charta zugestimmt, aber die neue Fassung nie publiziert. Die Hamas hielt in ihrer Charta an der Ablehnung des Staates Israel fest, anerkennt aber in ihrer praktischen Politik den jüdischen Staat faktisch.
[15] http://www.palestinianbasiclaw.org/basic-law/2002-basic-law
[16] https://www.eda.admin.ch/ramallah
[17] https://www.eda.admin.ch/countries/occupied-palestinian-territory/de/home/vertretungen/vertretungsbuero/konflikt-im-nahen-osten--haltung-der-schweiz.html
[18] https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/israel-and-occupied-palestinian-territories/report-israel-and-occupied-palestinian-territories/
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