Fernsehen SRF, Sendung «DOK» vom 31. Mai 2017, «Israel und die Ultraorthodoxen» beanstandet II

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Mit Ihrem Brief vom 13. Juni 2017 beanstandeten Sie die Sendung „DOK“ des Fernsehens SRF vom 31. Mai 2017 zum Thema „Israel und die Ultraorthodoxen“.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Ich wurde gestern mit einem Link auf die oben zitierte Sendung aufmerksam gemacht.

Mit Entsetzen verfolgte ich dieses durch und durch reisserisch aufgemachte und manipulierte Machstück, welches in gar keiner Art und Weise den Tatsachen entsprechend informieren soll. Die Macher haben dies hergestellt, OK, wir leben in einer Demokratie; die SRF aber sendet dieses Machwerk einfach so, dass lässt sich mit freiheitlicher Demokratie nicht mehr verantworten; dass geht schon in Richtung rassistischer Gesetzgebung, die auch in einer Demokratie zu gelten haben.

Hier einige beispielhafte Hinweise:

Während der ganzen Sendung werde immer wieder von einer Million ‚Ultraorthodoxen‘ gesprochen! Gezeigt wurden Ultraorthodoxe aus einem kleinem Quartier Mea Shearim, welches wie auch erwähnt, noch schon vor der Gründung des Staates Israel existierte und eine radikale Gruppe von Juden beherbergte, die so genannte Neture Karta, welche aus ideologischen Gründen den Staat Israel nicht nur de jure nicht anerkennen wollen, sondern auch nicht de facto. Es handelt sich um höchstens ein paar hundert Aktivisten, die damals, nach der Staatsgründung von der Weltpresse als ‚ULTRAORTHODOXE JUDEN‘ bezeichnet worden sind.

Herr Blum, nun zu sagen, es gäbe heute bereits eine Million ‚ULTRAORTHODOXE‘, die möchten, dass die Gesellschaft sich ihnen anpasst ist eine niederträchtige Gemeinheit! Ein Aufhetzen gegen religiöse Menschen in Israel, etwa ein Drittel der jüdischen Bevölkerung, welche orthodox lebt aber keinesfalls ULTRAORTHODOXE sind wie der Film das wie oben beschreibt und durch gezielt manipulierte Aufnahmen belegen will. In Israel leben neben dem Drittel religiös praktizierende (also Orthodoxe aller Schattierungen) ein weiteres Drittel Konservativer, welche weniger praktizierend sind, aber keinesfalls antireligiös bezeichnet werden können; sowie ein weiterer Drittel, der sich säkular bezeichnet. Von diesen gibt es etwa 10% der jüdischen Bevölkerung, die aktiv und lautstark antireligiös sich verhalten und auch von vorwiegend linken Politikern dazu angeregt werden. Die Auseinandersetzungen in Israel, Säkulare kontra Religion, geht von den Säkularen aus, die sich gegen Gesetze des STAATES auflehnen, die den jüdischen Grundcharakter des an und für sich laizistischen Staatgebildes ausmachen sollen, welche ihren Ursprung von der jüdischen Religion nun eben haben und die minimale Anforderung an die Bevölkerung stellen, im öffentlichen Rahmen diese zu respektieren; ohne jedoch jeden einzelnen Mensch auch in seinem privaten Leben irgendetwas vorschreiben zu wollen.

Der jüdische Staat ist kein religiöser Staat, aber es leben dort alle Schattierungen von Juden und niemand versucht dem anderen vorzuschreiben, wie er zu leben hat. Die Religiösen achten darauf für sich religiös zu sein und praktizieren keinerlei Missionstätigkeit gegenüber den anderen. Sie machen ihre Arbeit, ob Akademiker, Kaufleute, oder Handwerker und absolvieren auch den Militärdienst, auch wenn es für die aktiven Thora-Studenten da Sondervereinbarungen gibt, weil auch der Staat es für richtig hält, die geistige Erhaltung des Judentums zu fördern. Die konservative Bevölkerung respektiert dies. Die Säkularen aber, die haben ein Problem: schon der Anblick eines Juden mit Kipa bringt diese in rage; geschweige denn, wenn sie einem Mitglied der chassidischen Gruppe in der alten osteuropäischen Bauerntracht in Schwarz/weiss erblicken, bringt der Anblick diesen das Blut zum kochen, ohne dass doch irgendwelche religiöse, oder konservative Menschen diesen Säkularen auch nur ein einiges Wort sagen. Und die ‚Ultraorthodoxen‘?, was machen die? Politisch haben die nichts zu sagen, sie ziehen sich zurück in ihre kleinen Gassen in Mea Shearim, wo man sie ansonsten einfach in Ruhe lässt, bis, ja bis dann PROVZIEREND ein Fernsehteam daher kommt und die Frechheit hat, diese Menschen zu stören und aufzureizen! Das ist der Zweck dieses Filmes. Da kann man die schwarzen Juden vor aller Welt blossstellen und zeigen und sagen so sind eine Million ultraorthodoxe Juden in ganz Israel, die nicht arbeiten, die was weiss ich nur demonstrieren, die nur Container anzünden und Krawall machen und lautstark verlangen, dass die israelische Gesellschaft sich ihnen anpasst!

Die Szene im Shuk am Freitagnachmittag, wo eine handvoll Krawallmacher (Einer im Bild im Banker-Anzug mit Krawatte plus Borsalino Hut scheint gar nicht dazuzugehören) wird schon jahrelang von diversen Fernsehanstalten genüsslich gefilmt! Wer feinhörig zugehört hat, wie die säkularen Verkäufer reagiert haben, sah, dass diese gar kein erregtes Wesen davon machten sondern sich mehr über die Typen amüsierten Es sind 3-5 Typen und der Film macht aus Ihnen Millionen.

Da ist auch in Beth Schemes ein Strassenzug gezeigt worden, wo die Leute nicht wollten, dass gefilmt werde; auch da waren es anscheinend Millionen, die so seien. Beth Schemes ist zwischenzeitlich doch riesig gross geworden und da zeigt man eine kleines Viertel und dann ist ganz Beth Schemes so.

Ein flegelhaftes Verhalten eines einzelnen Krawallmachers in Beth Shemes ging um die Welt, weil er ein religiöses Mädchen anschnauzte welches seiner Ansicht nach auf der ‚falschen‘ Strassenseite ging; so wieder Flegel sind Millionen.

Eine ‚Dame‘ erlaubte sich in einen Privatbus provokativ einzusteigen, der Orthodoxen gehörte, welche getrennte Abteilungen haben, obwohl daneben der offizielle ganz normale Bus stand, den sie eigentlich benützen kann. Nein, und das ging um die Welt, die Frau wollte bei den Männern einsteigen um der Welt zu zeigen, wie diese ‚Ultraorthodoxe‘ unanständig seien, weil der Chauffeur verlangte, sie solle doch bitte auszusteigen. Millionen sind ebenso.

Ein Fernsehteam wollte eine ‚Dame‘ filmen, die ebenfalls provokativ in Mea Shearim eindrang um einen nur für Herren gedachten Laden zu benützen, um damit der Welt zu beweisen die Juden......, es ist bereits zum Ankotzen.

Der SRF Film war voll derartiger Filmeinstellungen, der interviewte angeblich Ultraorthodoxe war ja kein echter Neture Karta und der arme Junge, den man im Video vor seinem Ausstieg aus dem Milieu sah, erzählte dann eine unglaubliche Geschichte seiner Hochzeitsnacht, die nur aus einer ausnahmst, extrem widernatürlichen fundamentalistischen Familie stammen kann, jedoch in keiner Art und Weise der jüdischen Religion entspricht. Doch eine solche Einzel Geschichte eines Jungen, der einem wirklich leid tun kann, nimmt im Film zum Anlass, um das Judentum schlecht zu machen.

Die Ausführung über das sexuelle Verhalten während der Periode der Frau, ohne Körperkontakt, war so gestaltet, dass der Betrachter des Filmes das gar nicht begriff. Würde die Religion diese Pause im Eheleben nicht vorschreiben, müsste man sie heute neu erfinden! Wie viele weltliche Ehen Herr Blum stumpfen ab? Wäre eine derartige Pause nicht doch ein Wundermittel, durch die das Eheleben wieder monatlich neu belebt werden kann?

Die Darstellung über das Studium der heiligen Schriften war natürlich hervorragend geeignet, das Thorastudium lächerlich zu präsentieren. Das Thorastudium in den Jeshiwoth weltweit, nicht nur in Israel, ist für jeden jungen religiösen die Grundlage überhaupt, etwas von der jüdischen Anschauung zu verstehen und mitreden zu können. Ganz unabhängig davon welchen Weg der Junge später beruflich einschlagen wird. Das Thorastudium schärft das Gehirn in unglaublich starkem Masse: Nicht ohne Grund finden Sie die meist bedeuteten IT Fachleute und Mathematiker (nicht nur in Israel) bei den Orthodoxen.

Aber eben der Film will zeigen, dass die Ultraorthodoxen Nichtstuer sind....Millionen.

Der Film schreckt auch nicht zurück den säkularen Jerusalemer Bürgermeister zu verunglimpfen, nur weil er es für seine Pflicht hält den bestehenden Gesetzen Nachachtung zu verschaffen. Der Filmausschnitt im Lebensmittelladen am Sabbat, der illegal offen halten will, um – da alle anderen am Feiertag geschlossen sind – unbedingt seine Kasse füllen will, nicht den Bürgermeister sondern die an allem schuldigen Orthodoxen wiederum beschimpfen. Bei uns in Zürich sind es die Linken, welche die Sonntagsruhe in den Läden fordern und in Israel angeblich die Million schlimmer Ultraorthodoxen.

Was für abscheuliche Bilder über die angeblich Million Ultraorthodoxer zeigt der Film, mittels der ankotzenden Begegnung einer handvoll geistig kranker, in alter osteuropäischen Bauerntracht gekleideten abtrünniger Juden beim Ministerpräsident in Teheran Mahmūd Ahmadīnežād mit Bruderkuss und Umarmung; oder gar auch beim Hamas-Führer und Raketenwerfer auf Frauen und Kinder. Wozu solche schmutzige Bilder im Film einbauen? Es zeigt verirrte Menschen, die von der Gesellschaft wie Abschaum gemieden und geächtet sind.

Nein Herr Blum, einen derartigen Film darf eine seriöse staatlich beauftragte SRF nicht senden, will sie nicht damit Judenhass und schlimmen Antisemitismus fördern! Jeder, der hier auf der Strasse einem in Schwarz/Weiss gekleideten Juden begegnet, betrachten diesen als einer von Millionen Schmarotzer.

Das senden solch üblen Machwerke folgt der Wahnidee: ...wenn kühn Kräfte sich regen, da rat ich offen zum Krieg! (Wotan zu Fricka, Walküre 2.Akt.)

Ich erwarte Ihr Einschreiten und Veranlassung das hier angepasste Entschuldigung und Korrektur erfolgen muss!“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Frau Belinda Sallin, Redaktionsleiterin DOK Eigenproduktionen, äußerte sich wie folgt:

Gerne nehmen wir zur Beanstandung von Herrn X vom 13. Juni 2017 zum Dokumentarfilm ‚Israel und die Ultraorthodoxen‘ in der Sendung ‚DOK‘ Stellung. Herr X moniert, dass im Film <immer wieder von einer Million Ultraorthodoxen gesprochen> worden sei.

Es ist richtig, dass von einer Million Ultraorthodoxer die Rede ist, keineswegs wurde im Film aber behauptet, dass die Glaubensgemeinschaft der Ultraorthodoxen eine einheitliche sei. Gleich zu Beginn des Films heisst es im Filmkommentar: <Hier wohnen 15‘000 Ultraorthodoxe, unter ihnen die radikalsten.> (TC2.50). Dieser Kommentar macht von Anfang an deutlich, dass nicht alle Menschen, die einer ultraorthodoxen Gemeinschaft angehören, gleich radikal sind.

Im Film wird sorgfältig erklärt, was mit dem Begriff ‚ultraorthodox‘ eigentlich gemeint ist. Die Filmautorin Bethsabée Zarka geht, entsprechend gekleidet, mit der französisch-israelischen Journalistin Laly Derai, welche für eine ultraorthodoxe Zeitung arbeitet, ins Viertel Mea Shearim und lässt sich die Grundlagen des ultraorthodoxen Judentums erklären. Im Filmkommentar heisst es: <Wir dringen in eine geschlossene Welt ein. Hier leben nur Ultraorthodoxe. Ihre Kleidung und die Art, wie sie das Judentum leben, stammen aus dem Europa des 18. Jahrhunderts. Damals mussten die Juden Osteuropas vor den Pogromen flüchten und liessen sich hier nieder. Lange vor der Gründung des Staates Israel.> (TC 4.46) O-Ton Laly Deray: <Die Kleider, die Sie hier sehen, sind genau dieselben, welche schon vor 200 Jahren ihre Vorfahren getragen haben. Dieselben Kleider zu tragen ist ein Mittel der Ultraorthodoxen, um ihre Eigenständigkeit zu wahren. Für sie würde es Anpassung bedeuten, wenn sie sich gleich wie die nicht religiösen Juden kleiden würden. Es ist für sie Ehrensache, sich heute noch so zu kleiden.> (TC 5.21). Im Filmkommentar heisst es weiter erklärend: <Radio, Fernsehen und Internet sind verboten. Damit sie sich dennoch informieren können, werden Aushänge an die Mauern gehängt.> (5.52)

Die im Dokumentarfilm thematisierte Gemeinschaft der ultraorthodoxen Juden stellt sich im Übrigen selber auch genauso dar. Auf Fragen der Dokumentarfilmerin reagieren sie sehr ablehnend, die beiden Journalistinnen werden – gemäss den Regeln der Gemeinschaft – nicht angeschaut, da sie Frauen sind, die Kamera ist eine grosse Provokation für die Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels und teilweise wird sogar mit einem Rayon-Verweis gedroht.

Gerne verweisen wir an dieser Stelle auch auf die Begriffsklärung der ‚Gesellschaft gegen Rassismus und Antisemitismus‘, welche festhält: < Als ultraorthodox werden jene Gemeinschaften orthodoxer Juden bezeichnet, die sich von der modernen Welt abschirmen.>[2]

Der Begriff ‚ultraorthodox‘ bezeichnet also per definitionem einen nach westlich-demokratischen Massstäben ‚extremen‘ Lebensstil, der sich streng nach den von der Religion vorgegebenen Regeln, Geboten und Verboten richtet.

Es kommen im Film Vertreter verschiedener ultraorthodoxer Gruppierungen zu Wort, so zum Beispiel die Gemeinschaft der Naturei Karta (TC 16.58), deren Rabbiner der Filmautorin auch ein Interview gewährt. Zu den Naturei Karta heisst es im Film: <Es gibt sektenartige Gruppierungen unter den Ultraorthodoxen, die noch weiter gehen: sie streben die Zerstörung des Staates Israel an. Denn für sie wird es erst einen Staat Israel geben, wenn der Messias gekommen ist. Naturei Karta, übersetzt ‚Hüter der Stadt‘ heisst eine dieser fundamentalistischen Gruppierungen. Jedes Jahr verbrennen sie am Nationalfeiertag die Flagge Israels und halten die Flagge Palästinas hoch. Eine Provokation an die Adresse des Staates Israel.> Es ist zu jedem Zeitpunkt völlig klar, dass es sich hier um eine Gruppierung innerhalb der Ultraorthodoxen handelt und keinesfalls um alle ultraorthodoxen Juden.

Der Beanstander, Herr X, führt an: <Die Religiösen achten darauf für sich religiös zu sein und praktizieren keinerlei Missionstätigkeit gegenüber den anderen.>

Tatsächlich wird das im Film anders dargestellt und mit verschiedenen Fakten und Beispielen gestützt. Es wird gezeigt, dass die Gemeinschaft der Ultraorthodoxen in Israel ihre Gesinnung und ihren Lebensstil zunehmend auch auf Andersdenkende übertragen will. So dokumentiert der Film zum Beispiel, wie eine Gruppe von Ultraorthodoxen die Schliessung eines Marktes in Jerusalem erzwingt (TC 20.16). Mit Trompetenlärm bringt eine Gruppe von Ultraorthodoxen die Händler dazu, ihre Stände zu schliessen. Alle müssen gehorchen, ob orthodoxe oder nicht strenggläubige Juden, ob Säkulare, Muslime oder Christen. Dies mag eine kleine Gruppe Ultraorthodoxer sein, welche hier auftritt, sie steht jedoch für Vorgänge, die sich in Israel regelmässig und mit grossem Einfluss auf die gesamte Bevölkerung des Landes zutragen.[3]

Die Filmautorin versuchte im Übrigen auch hier, nach allen journalistischen Regeln, mit den Ultrareligiösen ins Gespräch zu kommen, ihre Fragen blieben jedoch unbeantwortet.

Es ist eine Tatsache, dass die ultraorthodoxe Bevölkerung wächst, viele Familien sind sehr kinderreich. Die Autorin Bethsabée Zarka im Interview mit DOK: < Die ultraorthodoxe Bevölkerung wächst rasant: 6,5 Kinder pro Frau im Gegensatz zu 3,5 Kinder bei der durchschnittlichen Israelin.>

Im Film wird gezeigt, dass dies mit einem erhöhten Raumbedarf einhergeht, was dazu führt, dass viele Viertel ultraorthodox werden und Säkulare verdrängt werden. Dies bestätigt auch der Protagonist Yonatan Steinberger, der mit seiner Familie im Viertel Maalot Dafna lebt: <Hier waren früher alle säkular, also weltlich. Heute lebt hier kein einziger säkularer Jude mehr. Es gibt noch ein paar wenige moderat Religiöse, dort drüben, aber das ist alles. Wenn die Ultraorthodoxen in grosser Zahl kommen, dann verlassen die Säkularen das Quartier. Heute gibt es einen enormen Graben zwischen den Ultraorthodoxen und den Säkularen. Wir können keine Nachbarn sein.> (TC 15.08).

Der Beanstander ist der Meinung, dass Ultraorthodoxe politische keinen Einfluss haben: < Die Ultraorthodoxen? Was machen die? Politisch haben die nichts zu sagen.> Auch dieser Argumentation können wir nicht folgen. Im Gegenteil: In der Politik nehmen Ultraorthodoxe vermehrt Einfluss. Im Film wird dies anhand der Berufung des Ultraorthodoxen David Azoulay an die Spitze des Ministeriums für Religions-Angelegenheiten thematisiert (TC 31:50). Die Sequenz zeigt, welche Folgen dies für das demokratische Gefüge Israels hat. Nicht religiöse Menschen befürchten hier einen Einfluss, auch auf zivilrechtliche Angelegenheiten wie Eheschliessungen und Scheidungen, was innerhalb des israelischen Parlaments zu politischen Auseinandersetzungen führt – auch dies wird im Film dokumentiert (TC 33:12). Im Kommentar heisst es: < Die Ultraorthodoxen befolgen das jüdische Gesetz auf den Buchstaben genau. In Bezug auf Scheidungen bedeutet dies, dass nur der Mann die Befugnis hat, die Scheidung in die Wege zu leiten – und zwar vor einem religiösen Gericht.>

Diese Ungleichheit führt im israelischen Parlament zu kontroversen Debatten. Im Film liefert sich die Abgeordnete Rachel Azaria einen verbalen Schlagabtausch mit dem Leiter des religiösen Gerichts, dem ultraorthodoxen Rabbiner Shimon Yaacobi (TC 33:12).

Gleich zu Beginn des Films ist ein enormer Aufmarsch an Ultraorthodoxen anlässlich einer Demonstration im Jahr 2014 zu sehen. Zu Tausenden versammelten sich in Jerusalem Gleichgesinnte, um mit kämpferischen Parolen gegen die israelische Regierung zu protestieren. Grund: Die Beteiligung am Militärdienst, von der Ultraorthodoxe bislang ausgenommen waren.

Das Gesetz, welches Ultraorthodoxe zum Militärdienst verpflichten sollte, wurde übrigens zwischenzeitlich ausgesetzt, ultraorthodoxe Parteien sind wieder Teil der Regierungskoalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Dies zeigt, dass der Einfluss der Ultraorthodoxen auf sämtliche Aspekte des Lebens in Israel gross ist.

Diese Einflussnahme der Ultraorthodoxen auf die Lebensbereiche der Andersgläubigen, der nicht- oder nur moderat religiösen israelischen Bevölkerung, auf eine Anzahl ‚von höchstens ein paar hundert Aktivisten‘ abzutun, wie Herr X dies tut, ist unseres Erachtens der Problematik nicht angemessen.

Zu den übrigen Kritikpunkten des Beanstanders können und wollen wir uns nicht äussern. Sei es, weil sie gar nicht Bestandteil des Dokumentarfilms sind (Anschnauzen eines Mädchens, das auf der ‚falschen‘ Strassenseite ging; ‚Dame‘ in orthodoxem Privatbus; ‚Dame‘ in einem für Herren gedachten Laden, sexuelles Verhalten während der Periode der Frau), sei es, weil wir der Meinung sind, dass wir es nicht für sinnvoll erachten auf die extrem beleidigenden Bezeichnungen (er spricht von ‚ankotzenden Begegnungen‘; <einer handvoll geistig kranker, in alter osteuropäischen Bauerntracht gekleideten abtrünniger Juden>, von <verirrten Menschen, die von der Gesellschaft wie Abschaum gemieden und geächtet sind.>) einzugehen.

Es ist doch einigermassen irritierend, dass Herr X, der auf herabwürdigende Weise gegen eine Gruppierung innerhalb der ultraorthodoxen Gemeinschaft schiesst, SRF vorwirft, es würde ‚Judenhass und schlimmen Antisemitismus fördern‘. Gegen diesen Vorwurf verwehren wir uns in aller Form.

Der Dokumentarfilm von Bethsabée Zarka hat ein inner-israelisches Thema aufgegriffen, welches im Land selber sehr kontrovers diskutiert wird, oder wie es der Protagonist Yonathan Steinberger formuliert: <Heute gibt es einen enormen Graben zwischen den Ultraorthodoxen und den Säkularen>. Über solche Konflikte zu berichten, gehört zu unseren Aufgaben. Es muss möglich sein, kritisch über alle Glaubensgemeinschaften zu berichten, gleich welcher Religion sie angehören.

Wir sind der Meinung, dass es dem Publikum zu jeder Zeit möglich war, die Protagonisten richtig einzuordnen und sich aufgrund der vermittelten Informationen, Fakten und Meinungen ein zuverlässiges Bild über das Thema des Dokumentarfilms zu machen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Es liegt somit keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots vor. Wir beantragen die Beanstandung abzuweisen.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Sie haben gegen den Film von Bethsabée Zarka hauptsächlich vier Vorwürfe erhoben:

  • Es handle sich um ein „ durch und durch reisserisch aufgemachtes und manipuliertes Machstück“, das nicht den Tatsachen entspreche;
  • Die Zahl von einer Million Ultraorthodoxer sei falsch, es seien bloß wenige Hundert;
  • Der Film habe den säkularen Bürgermeister Jerusalems verunglimpft;
  • Er trage zum Judenhass und schlimmen Antisemitismus bei.

Ich beginne beim vierten Punkt: Es ist ein Totschlagargument, wenn man jede aufklärerische und kritische Berichterstattung über die Zustände und Entwicklungen in Israel als Judenhass und Antisemitismus brandmarkt. Es kann nicht sein, dass Israel oder bestimmte dort feststellbare Phänomene über jegliche Kritik erhaben sind. Wenn man Ihre Argumentation zu Ende denkt, müsste die Weltpresse jegliche Berichterstattung über Israel einstellen. Das kann aber nicht in Ihrem Sinn sein.

Zum dritten Punkt: Ich habe das Interview mit Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat nicht als verunglimpfend empfunden. Wenn Ladenbesitzer im Stadtzentrum behaupten, es habe jahrelang eine Sonderbewilligung des Bürgermeisters für bestimmte Geschäfte gegeben, sie am Shabbat zugunsten des Tourismus offenzuhalten, jetzt sei aber diese Sonderbewilligung ohne Begründung gekappt worden, wohl weil der Bürgermeister den Ultraorthodoxen gefallen wolle, dann ist es journalistische Pflicht, den Bürgermeister dazu zu befragen. Und wenn er ein Interview ablehnt, gehört es zu den normalen journalistischen Methoden, ihn bei einer günstigen Gelegenheit anzusprechen. Genau das hat die Journalistin getan. Sie hat ihn kritisch befragt. Als der Bürgermeister genug hatte, hat er das Gespräch abgebrochen. Beide waren undiplomatisch: Sie, indem sie ihn nicht zu einem offiziellen Interview traf, bei dem das Thema schon vorher bekannt war; er, indem er das Gespräch abrupt abbrach. Die Journalistin aber hat den Bürgermeister mitnichten verunglimpft oder beleidigt. Sie hat ihm auf den Zahn gefühlt, und er hatte die Möglichkeit, seine Position darzulegen.

Zum zweiten Punkt: Wie groß ist die Gruppe der Ultraorthodoxen in Israel? Im Film wird von einer Million gesprochen, Sie sagen, es seien wenige Hunderte. Es scheint, dass beide falsch liegen. Nach einer Statistik von 2016 teilt sich die Bevölkerung Israels nach Religionen wie folgt auf:

Die Stärke der Religionen in Israel[4]

Religionsgruppen

in Prozent

absolut

Juden

75,4

6,48 Mio.

Muslime

16,9

1,45 Mio.

Christen

2,1

180‘400

Drusen

1,9

163‘200

Andere

3,7

317‘800

Werden nun die Israelis jüdischen Glaubens weiter differenziert, so gibt es verschiedene Statistiken. Nach der neusten Statistik (von 2017) werden nur drei Strömungen ausgewiesen. Dies kann zweierlei bedeuten: Entweder wurde eine Strömung vergessen, die 36 Prozent ausmacht. Oder nicht alle israelischen Juden waren bereit, ihre religiöse Ausrichtung zu deklarieren. Demgegenüber zeigt eine Erhebung des Pew Research Centers (von 2016), dass 81 Prozent sich eingestuft haben – und zwar in vier Gruppen:

Die religiösen Strömungen der Juden in Israel

Ausrichtungen

Israel-Statistik 2017[5]

Pew Research Center 2016[6]

in %

absolut

in %

absolut

Hiloni (Säkulare)

44

2,85 Mio.

40

2,75 Mio.

Masorti (Traditionelle)

23

1,97 Mio.

Dati (Religiöse)

11

713‘000

10

688‘000

Haredi (Ultraorthodoxe)

9

584‘000

8

550‘000

Aus diesen Angaben lässt sich schließen, dass die Zahl der Ultraorthodoxen auf jeden Fall nicht eine Million beträgt, aber auch nicht wenige Hunderte, sondern dass sie sich zwischen 550‘000 und 600‘000 bewegt – und dass sie wächst. In diesem Punkt war der Film nicht faktengenau.

Und nun zum ersten Punkt, wonach der Film ein nicht den Tatsachen entsprechendes reisserisch aufgemachtes und manipuliertes Machstück sei. Sie behaupten, dass die Ultraorthodoxen keinerlei Missionstätigkeit ausüben, dass sie Militärdienst leisten wie die anderen Israelis auch, dass die Männer arbeiten wie die anderen Männer auch, dass sich das Sexualleben der Ultraorthodoxen nicht von dem der anderen Israelis unterscheide und dass die Ultraorthodoxen politisch völlig einflusslos seien. Recherchen zeigen das Gegenteil. Und Sie übersehen, dass das Meiste, was Sie anprangern, von Ultraorthodoxen – oder von „Aussteigern“ – selbst erzählt wird. Dass es Debatten in der Knesset sind, in denen heftige Kritik an der Haltung der Ultraorthodoxen und der religiösen Gerichte geübt wird. Dass die europäischen Medien seit langem kritisch über die Ultraorthodoxen berichten.[7] Dass die Ultraorthodoxen zunehmend Einfluss auf die israelische Regierung gewinnen, und zwar deshalb, weil die politischen Mehrheitsverhältnisse in Israel prekär sind. Wie fast immer seit der ersten Knesset-Wahl im Jahr 1949 eroberte auch bei der letzten Wahl keine Partei die absolute Mehrheit der 120 Sitze. Stets sind Koalitionen nötig. 2015 bildete die mandatsstärkste Likud (30 Sitze) von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine Koalition mit der sozialkonservativen Kulanu (10 Sitze), der nationalreligiösen Ha Bajit haJehudi (8 Sitze), der ultraorthodoxen Schas (7 Sitze) und dem ultraorthodoxen Vereinigten Thora-Judentum (6 Sitze). Somit kommt die Regierungskoalition gerade auf die absolute Mehrheit von 61 Sitzen. Die religiösen (und zum Teil ultraorthodoxen) Parteien sind für die Regierung Netanjahu unentbehrlich; ohne sie verliert sie die Mehrheit und damit die Macht.

Es gibt Beobachter, die voraussagen, dass in naher Zukunft nicht mehr die Palästinenser und die arabischen Nachbarn die Hauptbedrohung für den Staat Israel sein werden, sondern die konservativen und ultraorthodoxen Gruppierungen innerhalb des Landes. Durch die Zuwanderung von Juden aus Osteuropa, namentlich aus Russland, hat sich Israel stark gewandelt. Politisch ist der 1948 gegründete Staat nach rechts gerückt. Das zeigt auch die Liste und Parteifarbe der Ministerpräsidenten. In der ersten Periode, die fast 30 Jahre dauerte (1948-1977), wurden die Regierungen von linken Parteien angeführt. In der zweiten Periode, die knapp 25 Jahre umfasste (1977-2001), wechselten die Regierungschefs zwischen der Linken und der Rechten, wobei die Rechte doppelt so lang an der Spitze war wie die Linke. In der dritten Periode von 16 Jahren (seit 2001) dominierte nur noch die Rechte:

Periode

Ministerpräsident

Partei

LINKE REGIERUNGSCHEFS

1948-1954

1954-1955

1955-1963

1963-1969

1969-1974

1974-1977

David Ben Gurion

Mosche Scharet

David Ben Gurion

Levi Eschkol

Golda Meir

Jitzchak Rabin

Mapai

Mapai

Mapai

Mapai

Avoda

Avoda

NACH POLITISCHER RICHTUNG WECHSELNE REGIERUNGSCHEFS

1977-1983

1983-1984

1984-1986

1986-1992

1992-1995

1996-1999

1999-2001

Menachem Begin

Jitzchak Schamir

Schimon Peres

Jitzchak Schamir

Jitzchak Rabin

Benjamin Netanjahu

Ehud Barak

Likud

Likud

Avoda

Likud

Avoda

Likud

Avoda

RECHTE REGIERUNGSCHEFS

2001-2006

2006-2009

2009-heute

Ariel Scharon

Ehud Olmert

Benjamin Netanjahu

Likud; Kadima

Kadima

Likud

Vor diesem Hintergrund war der Film absolut legitim, ja bitter nötig. Er bot Einblick in eine Entwicklung und in eine Kultur, die für den Staat Israel eine echte Herausforderung darstellt. Und er erweiterte das Wissen des Publikums. Ich habe den Film mit großem Interesse und mit Gewinn angeschaut und mit Verwunderung vom Gebaren der Ultraorthodoxen Kenntnis genommen. Aber es haben sich bei mir durch den Film keinerlei antijüdischen oder antiisraelischen Gefühle eingestellt. Im Gegenteil: Ich bewundere, wie lebhaft die israelische Gesellschaft ihre eigenen Probleme debattiert. Der Film ist ein echtes Stück Aufklärung. Zwar ist die Angabe über die Gesamtzahl der Ultraorthodoxen zu hoch, aber es handelt sich dabei um einen Fehler in einem Nebenpunkt, der nicht geeignet ist, die Meinungsbildung des Publikums zu beeinträchtigen. Ich kann insgesamt keinerlei Verstoß gegen das Radio- und Fernsehgesetz erkennen und sehe deshalb keinen Grund, Ihre Beanstandung zu unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] Bei „Israel und die Ultraorthodoxen“ handelt es sich um einen Film der Autorin Bethsabée Zarka, produziert von der französischen Filmproduktionsfirma CAPA in Zusammenarbeit mit Canal+. Die Redaktion «DOK» hat den Film eingekauft, bearbeitet und am 31. Mai 2017 ausgestrahlt. Aus rechtlichen Gründen sind Einkäufe nach 30 Tagen nicht mehr auf dem SRF Player zu sehen. Deshalb kann hier kein Link zum Film gegeben werden.

[2] http://gra.ch/bildung/gra-glossar/begriffe/judentum/orthodox-utraorthodox/

[3] Vgl. https://www.nzz.ch/international/kompromisslose-mission-israels-expansive-ultraorthodoxe-ld.143344; http://www.br.de/nachrichten/elizer-menachem-moses-100.html

[4] http://mfa.gov.il/MFA/ForeignPolicy/Issues/Pages/Facts-and-Figures-Islam-in-Israel.aspx

[5] http://www.jewishvirtuallibrary.org/latest-population-statistics-for-israel

[6] http://www.pewforum.org/2016/03/08/israels-religiously-divided-society/

[7] https://www.brandeins.de/archiv/2012/nichtstun/fromme-faulenzer/; https://www.nzz.ch/international/kompromisslose-mission-israels-expansive-ultraorthodoxe-ld.143344; http://www.frag-den-rabbi.de/gruppen_orthodox.php; http://www.wz.de/home/panorama/ultraorthodoxe-juden-die-gottesfuerchtigen-1.935803 ; http://www.fr.de/politik/israel-wenn-ultraorthodoxe-juden-aussteigen-a-379839; http://www.sueddeutsche.de/politik/ultraorthodoxe-juden-in-israel-auf-dem-vormarsch-wo-frauen-ihr-gesicht-verlieren-1.1190370; http://www.liberation.fr/planete/2017/03/28/pedophilie-pourquoi-la-communaute-ultraorthodoxe-d-israel-est-ciblee_1558853; http://www.israelheute.com/Nachrichten/Artikel/tabid/179/nid/28837/Default.aspx.

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