Dragqueen in Sommerserie «Fiirabig» auf SRF 1 beanstandet
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Mit Ihrem Brief vom 11. Juli 2017 beanstandeten Sie die Sendung „Fiirabig in Baden – von Hunden und Dragqueens“ im Schweizer Fernsehen SRF vom 10. Juli 2017.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„In der Sendung wurde Tobias Urech als Dragqueen dargestellt, dies Bedarf folgender Beanstandungen:
1. Die Darstellung als Dragqueen verstösst gegen das Sittlichkeitsgebot. Eine Darstellung als Dragqueen ist für viele Zuschauer/innen nicht angebracht.
Sehr viele Menschen finden es unnatürlich und widerlich, wenn sich ein Mann als Frau kleidet.
Die Sendung war ganz klar pro Dragqueen und es fehlte eine Gegendarstellung, dass dieses Verhalten höchstens bedingt normal sei.
2. Ebenfalls verstösst sie gegen den Schutz Minderjähriger. Sie lief zu einer Zeit, in welcher Kinder oft noch vor dem Fernseher sitzen und durch solche Darstellungen Schaden in ihrer Entwicklung nehmen könnten und glauben, es sei normal, transsexuell zu sein oder Dragqueens seien etwas Natürliches.
Programmveranstalter haben durch die Wahl der Sendezeit oder sonstige Massnahmen dafür zu sorgen, dass Minderjährige nicht mit Sendungen konfrontiert werden, welche ihre körperliche, geistig-seelische, sittliche oder soziale Entwicklung gefährden.
Das der Dragqueen Darsteller Tobias Urech homosexuell ist, darf und soll sicherlich thematisiert werden, jedoch in neutralem Kommentar und besser zu einer Sendezeit zu welcher unter 16-jährige nicht mehr fernsehen.
Ich bitte Sie, meine Beanstandung ordnungsgemäss zu prüfen und erwarte Ihren Bericht innert nützlicher Frist und hoffe, dass die SRG künftig auf solche Ausstrahlungen verzichtet.“
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die Redaktionsleitung „SRF Spezial“ antwortete Frau Karoline Wirth wie folgt:
„Besten Dank für das Weiterleiten des Beanstandungsschreibens von Herrn X aus Luzern. Gerne nehme ich Stellung zum Schreiben vom 11. Juli 2017. Herr X beanstandet darin die Darstellung von Tobias Urech, der sich in seiner Freizeit als Dragqueen kleidet und als Kunstfigur Mona singend und tanzend auf Bühnen auftritt.
Protagonist Tobias Urech ist Teil der Sommerserie «Fiirabig» auf SRF 1. In der Sendung geht es um die Feierabend-Aktivitäten von zwölf ausgesuchten Menschen zwischen 14 und 88 Jahren in vier Städten der Deutschschweiz.
Herr X beanstandet die Darstellung von Protagonist Tobias Urech mit folgenden Argumenten:
«Verstoss gegen das Sittlichkeitsgebot»
Die Redaktion weist den Vorwurf mit folgender Erklärung zurück. Ein Verstoss gegen die öffentliche Sittlichkeit würde vorliegen, wenn eine Mehrheit der Gesellschaft das Gezeigte als unanständig bezeichnen würde. Die Darstellung von Tobias Urech als Dragqueen ist aber weder vulgär noch zeigt sie unnötig Haut oder Nacktheit, die man als voyeuristisch oder sexuell aufgeladen beurteilen könnte. In den Augen der Fernsehmacher ist der Anstand jederzeit gewahrt. Die optische Verwandlung von Tobias Urech zur Kunstfigur Mona (mittels Perücke, Schminke und Kleider) ist die sachgerechte Darstellung am Abend des Auftritts.
Die filmische Umsetzung ist in der Absicht geschehen, vorurteilsfrei, sachlich und visuell ansprechend die künstlerische Transformation zur Dragqueen zu zeigen. Die Mindestanforderungen an den Programminhalt (Radio- und Fernsehgesetz, Art. 4, Abs. 1) verlangen, dass Sendungen der SRG die öffentliche Sittlichkeit nicht gefährden[2], was in der beanstandeten Szene nicht der Fall ist.
«unnatürlich und widerlich, wenn sich ein Mann als Frau kleidet»
Zuschauer X behauptet, dass ‚sehr viele Menschen es unnatürlich und widerlich finden, wenn sich ein Mann als Frau kleidet’. Die Redaktion hat keine weiteren Reklamationen oder Zuschriften diesbezüglich erhalten. Selbst wenn eine Mehrheit so denken würde, wäre, wie im ersten Abschnitt beschrieben, in keinem Fall die Sittlichkeit gefährdet.
Im Falle von ‚Fiirabig‘ wollte die Redaktion unterschiedliche Feierabendgeschichten aus der ganzen Schweiz erzählen. Solche von Menschen mit einer Begeisterung für ihr Hobby nach Arbeitsschluss – unabhängig von deren Geschlecht, Alter, Herkunft oder sexueller Neigung. Die Auswahlkriterien für Geschichten und Protagonisten sind unterschiedlich je nach Sendungsformat. Für ein Unterhaltungsformat können andere Kriterien gelten als für eine Newssendung. Ausschlaggebend war eine gute Zusammensetzung von Geschichten, die die Eigenheiten des Landes und der Menschen wiederspiegeln und respektieren und damit das gegenseitige Verständnis fördern und einen Beitrag zur Meinungsbildung leisten (Programmcharta der SRG)[3] .
«pro Dragqueen und fehlende Gegendarstellung»
Der Wahl der drei Protagonisten ging ein sorgfältiges Auswahlverfahren voran. Wir haben nach unterschiedlichen Lebenswelten, Generationen und Freizeitbeschäftigungen gesucht. In der beanstandeten Sendung waren dies eine Postbeamtin und Hundesportlerin, eine Seifenkisten-begeisterte Familie und ein 22jähriger Student und Dragqueen-Künstler. Die Zusammenstellung schien uns ausgewogen und die richtige für eine Sendung im Sommerprogramm von SRF. Alle drei Protagonisten durften ihre Leidenschaft zu ihrem Hobby kundtun. Es war nicht Auftrag oder Absicht des Unterhaltungsformats, eine Pro/Contra-Diskussion zum Hundesport, der Gefährlichkeit von Seifenkistenrennen oder dem Wertesystem junger Männer zu lancieren.
Sendeplatz und -zeit: «gegen den Schutz Minderjähriger»
Schon Kleinkinder mögen Rollenspiele: Buben werden zu Prinzessinnen, Mädchen zu gefährlichen Drachenjägern. Dieser spielerische Umgang mit Rollen würde wohl niemand als gefährlich oder unnatürlich erachten. Erst Erwachsene sehen darin eine mögliche Perversion. Der Interviewte Tobias Urech sagt in der Sendung (bei Minute 30:15), dass die Figur einer Dragqueen eine Kunstform sei und von der Transsexualität abzugrenzen ist. Zudem erklärt er seine persönliche Haltung - ohne normativen Anspruch, wonach das für jemand anderes gelten müsse. Die Sendungsmacherinnen und -macher halten Distanz zum Protagonisten, berichten sachgerecht und wertneutral. Die Sorge, dass durch das Gezeigte jugendliche Zuschauer Schaden in ihrer Entwicklung nehmen könnten, kann die Redaktion nicht nachvollziehen. Sollte dem so sein, müsste man dem Fernsehpublikum konsequenterweise auch Berichterstattungen in Newssendungen vorenthalten, die von Gewalttaten oder Kriegen handeln.
Die Sendung ‚Fiirabig‘ lief während dem Monat Juli an vier Montagen um 21 Uhr. Aus den erwähnten Gründen steht die Redaktion hinter dem gezeigten Inhalt und den Protagonisten und sieht sich den Publizistischen Leitlinien gefolgt; insbesondere auch Punkt 6.10, der darauf hinweist, keine Personen zu diskriminieren, auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, sexuellen Orientierung oder Geschlechterzugehörigkeit.[4]
Die Redaktionsleitung von SRF Spezial weist die Beanstandung von Zuschauer X zurück.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Was für eine schöne und leichtfüssige Reportage! Sie zeigt, worin drei Protagonisten in Baden ihre Befriedigung und Erfüllung finden: die Poststellenleiterin Sandra Lanz mit ihrem Hund, der Geschichts- und Genderstudent Tobias Urech in seiner Rolle als Dragqueen und der Schüler Gianluca Pavelka als Seifenkistenfahrer. Sie rapportiert einen Sommertag und spiegelt ein Stück schweizerische Vielfalt. Ich habe diesen Beitrag gerne gesehen.
Offensichtlich im Unterschied zu Ihnen! Sie stoßen sich daran, dass eine Dragqueen gezeigt wird, und Sie sehen darin einen Verstoß gegen das Sittlichkeitsgebot, gegen den Jugendschutz und gegen das Sachgerechtigkeitsgebot (weil einseitig nur diese Ausprägung der Geschlechterrollen vorkam). Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie die Augen vor der gesellschaftlichen Realität verschließen. Homosexuelle (Schwule, Lesben), Bisexuelle und Transsexuelle gehören längst zum Alltag. Zum Glück müssen sie ihre Neigungen nicht mehr unterdrücken und verheimlichen und werden nicht mehr weggesperrt, ja auf dem Scheiterhaufen verbrannt wie im Mittelalter und wie – im übertragenen Sinn – noch bis in die jüngste Zeit. Die Gesellschaft und damit auch das Recht haben sich verändert, und Radio und Fernsehen SRF haben die Aufgabe, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu spiegeln. Was gezeigt wird, ist in keiner Weise widerlich, es ist auch nicht obszön oder pornografisch. Daher sehe ich keine Verletzung des Sittlichkeitsgebotes von Art. 4, Abs. 1 des Radio- und Fernsehgesetzes[5], der im Übrigen nicht von der Verletzung individueller sittlicher Gefühle, sondern von der Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit spricht.
Auch der Schutz der Minderjährigen ist eingehalten. Punkt 4.1.1. der Jugendschutzrichtlinien von Schweizer Radio und Fernsehen SRF[6] sagt, dass das Programm ab 20 Uhr auf ein mündiges oder beaufsichtigtes Publikum ausgerichtet sein soll und: „Die Verantwortlichen von SRF achten darauf, dass die Inhalte einem Publikum ab 12 Jahren zugemutet werden können.“ Ich bin dezidiert der Meinung, dass diese Reportage in ihrer spielerischen, neugierigen und aufklärenden Art durchaus 12Jährigen zugemutet werden kann, zumal weder Pornografie noch Gewalt noch Horror vorkommen. Artikel 5 des Radio- und Fernsehgesetzes[7] sagt ja ausdrücklich, dass Jugendliche nicht mit Sendungen konfrontiert werden dürfen, „welche ihre körperliche, geistig-seelische, sittliche oder soziale Entwicklung gefährden“. Der Beitrag müsste Schockierendes enthalten, damit dies der Fall wäre.
Schliesslich vermissen Sie eine Art „Gegendarstellung“ zur Figur der Dragqueen. Da verwechseln Sie indes Berichterstattung und Meinungsäußerungen. Es würde nicht angehen, dass sich zu politischen Themen immer nur Vertreter der SVP äußern könnten. Oder immer nur Vertreter der SP. Bei der Berichterstattung über bestimmte Phänomene des Alltags muss hingegen nicht immer auch noch die Kehrseite gezeigt werden. Sonst müsste neben die Hundehalterin jemand gestellt werden, der reitet. Und neben den Seifenkistenfahrer jemand, der Krafttraining betreibt. Das zu verlangen ist absurd. Es war das Recht und die Freiheit der Redaktion, diese drei Protagonisten auszuwählen. Insofern sehe ich keinerlei Anhaltspunkt für eine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebotes. Ich muss also per Saldo Ihrer Beanstandung eine Absage erteilen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/sendungen/fiirabig/fiirabig-in-baden-von-hunden-und-dragqueens
[2] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html
[3] http://www.srgssr.ch/fileadmin/pdfs/Programmcharta_de.pdf
[4] https://www.srf.ch/unternehmen/unternehmen/qualitaet/publizistische-leitlinien-srf
[5] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html
[6] https://www.srf.ch/allgemeines/kinder-und-jugendmedienschutzrichtlinien
[7] Vgl. Fußnote 5
Kommentar