Radio SRF 1, «Heute morgen» und «Echo der Zeit», Beiträge zum Themenbereich Homosexualität und Transgender beanstandet
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Mit Ihrem Ihrer E-Mail vom 29. August 2017 beanstandeten Sie zwei Sendungen von Radio SRF 1 vom gleichen Tag, nämlich Meldungen über Homosexualität und Transgender in den Nachrichten der Sendung „Heute morgen“ und den Beitrag „Homo-Ehe in Irland: Das Ende der Diskriminierung“ in der Sendung „Echo der Zeit“.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Nun, es begann heute früh mit den Nachrichten, innerhalb der einzelnen Nachrichten ist 2x das Thema Homosexualität, Homoehe bzw. Transgenderspobleme (sic!) in der US-Armee vorgekommen worden – satte 2,300 Personen in einer Armee von mehreren 100,000 -, aufgeführt worden.
Anscheinend hat der verantwortliche Nachrichten-Redaktor (Marc Allemann) keine bessere Headlines gefunden, als solche. Es gibt Bürgerkriege, schwerwiegende Probleme innerhalb der EU, der Besuch von Putin bei seinem guten Freund V. Orban, die Ueberschwemmungen in Texas, etc., etc.,. Ich frage mich ernsthaft, muss man sich wirklich mit solchen Randthemen als Ablenker beschäftigen oder ist es eine gezielte Aktion die Aufmerksamkeit von viel wichtigeren Themen abzulenken?
Und dazu kam heute Abend in der Sendung ‚Echo der Zeit‘ erneut das Thema «Homoehen in Irland» auf.
Das ganze erinnert mich langsam, aber sicher auf die damaligen, ständigen Berieselungen in meiner ehemaligen Heimat (Ungarn) vor 35-40 Jahren, wo Agitationspropaganda für Randthemen geführt hat, um die Aufmerksamkeit der Massen von der innenpolitischen Bedingungen abzulenken.
Anscheinend ist die Schweiz langsam auch soweit....“
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für „Heute morgen“ und „Echo der Zeit“ äusserte sich Herr Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF:
„Gerne nehme ich die Gelegenheit war, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Herrn X. Herr X kritisiert, dass wir im Nachrichtenteil der Sendung ‚Heute Morgen‘ gleich zwei Nachrichtenmeldungen brachten, die sich mit sexuellen Minderheiten befassten. In der einen berichteten wir, dass in Chile neu gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt werden. Die zweite hatte die Auseinandersetzung zwischen US-Präsident Donald Trump und dem Pentagon über Transgender in der amerikanischen Armee zum Thema. Und im ‚Echo der Zeit‘ haben wir einen Beitrag gesendet, in dem es um eine Bilanz ging zwei Jahre nach der Anerkennung der Homo-Ehe in Irland.
Dass am selben Tag sowohl die Frühnachrichten als auch das ‚Echo der Zeit‘ Beiträge im Zusammenhang mit sexuellen Minderheiten sendeten, war Zufall – und ist selbstverständlich nicht als konzertierte Aktion unsererseits zu verstehen. Der ‚Echo‘-Beitrag war schon seit längerem geplant; die kurzen Meldungen zu Chile und zur US-Armee ergaben sich aus der Aktualität in der Nacht von Montag auf Dienstag.
Ich möchte Herrn X widersprechen, wenn er argumentiert, wir würden ‚mit solchen Randthemen‘ von Wichtigerem ablenken. Zum einen hat wegen der erwähnten Inhalte die Berichterstattung über andere Themen, die der Beanstander möglicherweise als wichtiger empfindet, nicht gelitten. Zum andern und vor allem aber sehen wir die Auseinandersetzung mit der Thematik sexueller Minderheiten nicht als Randthema an. Dabei ist gar nicht entscheidend, ob es nun um sehr kleine Minderheiten wie die Transgender geht oder um wesentlich grössere wie die Homosexuellen.
Wichtig sind diese Themen, weil sich gerade an ihnen sehr gut die Entwicklung von Gesellschaften und die Veränderung von Haltungen zeigen lässt. Wenn zuvor sehr stark katholisch geprägte Länder wie Chile und Irland – ersteres ausserdem lange Zeit in vielerlei Hinsicht überaus repressiv – einen solchen Schritt machen, dann erklärt das für unser Publikum an einem ganz konkreten Beispiel, wieviel sich in diesen Ländern verändert hat. Und das in erstaunlich kurzer Zeit. Ausserdem lässt sich gerade an der Thematik der Transgender und der Homosexuellen aufzeigen – unabhängig davon, welche Position man dazu vertritt –, wie eine Regierung, wie eine Gesellschaft mit Minderheiten umgeht. Ein wichtiges Thema also.
Bei der Transgender-Frage in der US-Armee kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: Es zeichnet sich hier ein zunehmend deutlicher Konflikt zwischen Präsident Trump und Verteidigungsminister Mattis ab. Die US-Regierung ist sich also in dieser Frage uneinig. In einer Frage, welche die amerikanische Öffentlichkeit offenkundig sehr beschäftigt. Und diese Differenzen wiederum liefern interessante Erkenntnisse zur Frage von Geschlossenheit oder Zerstrittenheit innerhalb der aktuellen US-Regierung. Je nachdem, ob sich am Ende Trump oder Mattis durchsetzt, erlaubt es Rückschlüsse über die Machtverhältnisse in Washington. Und auch darüber, welchen Handlungsspielraum der Präsident seinem Verteidigungsminister lässt, also auch darauf, wie sehr er auf diesen angewiesen ist.
Wir sind deshalb überzeugt, dass sowohl die beiden Nachrichtenmeldungen als auch die Hintergrundgeschichte zu Recht Eingang gefunden haben in unsere Sendungen und bitten Sie, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzulehnen.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich kann mich Herrn Gsteiger vollkommen anschliessen: Die angesprochenen Themen (Ermöglichung der Heirat für Homosexuelle in Chile, Erfahrungen mit der Homo-Ehe in Irland, Klage gegen das Verbot von Transgender-Personen in der US-Armee) sind relevant, weil sie etwas über den Wandel der jeweiligen Gesellschaften aussagen – oder über den Widerstand dagegen. Was für ein Wandel beispielsweise in der Republik Irland, dieser stockkatholischen und militarisierten Nation! 1972 veröffentlichte die Journalistin, Feministin und Schriftstellerin Rosita Sweetman[2], damals als 24jährige noch blutjung, das Buch „‘On our knees‘. Ireland 1972“[3] mit 24 Porträts irischer Menschen aus der Republik und aus Nordirland, darunter die der Stabschefs der Provisional und der Official IRA, eines Barbesitzers, zweier Pfarrer, eines Führers der protestantischen nordirischen Extremisten, eines Geschäftsmanns, einer Bäuerin usw. Warum „on our knees“? Das erklärt die Autorin im Vorwort: In Irland gebe es zwei anerkannte Reaktionen auf eine Krise: Entweder kniet man, um zu beten. Oder man kniet, um zu schiessen. Das war vor 45 Jahren. Heute reagieren die Iren anders auf Krisen, sie kennen nicht mehr bloß das Beten oder Schießen. Solchen Wandel aufzuzeigen ist eine der Aufgaben von Radio SRF.
Dann muss man das Gewicht der Themen innerhalb der jeweiligen Sendungen sehen. Die Nachrichten in der Sendung „Heute morgen“ vom 29. August 2017 bestanden aus vier journalistisch gestalteten Berichten und sechs Meldungen. Die Meldungen waren alle kurz, in den Berichten hingegen kamen Korrespondenten und Dritte mit Originaltönen zum Zug.
Die Berichte betrafen
- die neue Rakete von Nordkorea
- die Baustelle bei Rastatt an der Rheintalstrecke
- die Debatte über historische Statuen von Rassisten in Australien
- das Schicksal der Air Berlin
Die Meldungen betrafen
- die Sorge um die muslimische Minderheit in Myanmar
- die allfällige Zulassung der Homo-Ehe in Chile
- die Klage gegen Trump wegen des Transgender-Verbots
- die Wahl der Sportler des Jahres
- die Resultate vom US-Open
- die Börsendaten
In der Sendung „Echo der Zeit“ vom 29. August 2017 war der Beitrag über die Homo-Ehe einer von sieben Beiträgen. Daraus ersehen Sie, dass erstens sowohl am Morgen wie am Abend die anderen aktuellen Themen nicht vernachlässigt wurden und dass zweitens die von Ihnen als zu dominant empfundenen Themen gar keinen so großen Anteil hatten. Alles blieb also verhältnismäßig und im Rahmen.
Ich sehe folglich keinerlei Anzeichen für eine Kampagne , und schon gar nicht eine, wie Sie sie aus der Volksrepublik Ungarn kennen. Damals beschloss jeweils das Zentralkomitee der Partei der Ungarischen Werktätigen, also der Kommunisten, die später Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei hieß, für welche Kampagne gerade agitiert werden sollte. Der aus Ungarn stammende Journalist und Schriftsteller Georg Mikes[4] hat dies im Büchlein „Nieder mit allen“ (1954) wunderbar und humorvoll beschrieben: Da wird eine Kampagne gegen den Schlaf ausgerufen, und der Hauptheld des Buches agitiert und agitiert, und plötzlich wird er festgenommen, weil er immer noch gegen den Schlaf agitiert, dabei läuft längst die Kampagne für den Schlaf. Solche Kampagnen, die jeweils auch von den Medien orchestriert wurden, passen in totalitäre Systeme, aber nicht in pluralistische Demokratien, in denen sich die wenigsten Medien für einseitige Interessen einspannen lassen.
Das Fazit aus all dem ist, dass ich Ihrer Beanstandung in keiner Weise beipflichten kann.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] http://www.srf.ch/sendungen/heutemorgen/nach-raketentest-japan-und-usa-erhoehen-druck-auf-nordkorea ; http://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/grosse-ratlosigkeit-im-umgang-mit-nordkorea
[3] Rosita Sweetman (1972): „On our knees“. Ireland 1972. London: Pan Books Ltd., 288 S.
[4] Georg Mikes (1912-1987) war als ungarischer Journalist Korrespondent in London, als der Zweite Weltkrieg ausbrach und er nicht mehr ausreisen konnte. Also blieb er in Großbritannien und schrieb viele witzige, satirische Bücher, so über verschiedene Länder „für Anfänger“, darunter auch „Die Schweiz für Anfänger“ (diogenes, 1961).
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