Fernsehen SRF, «Tagesschau», Beitrag «Arktis schmilzt» beanstandet II
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Mit Ihrer E-Mail vom 27. August 2017 beanstandeten Sie die „Tagesschau“ (Fernsehen SRF) vom 7. August 2017 und dort den Beitrag „Arktis schmilzt“.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Dass das Grönlandeis schmilzt ist etwa so sensationell wie das endliche Feuer der Sonne. Schon als Teens hat man uns in der Schule beigebracht, dass Groenland einmal grün war, dass die Sonne irgendwann mal ausbrennt, nichts morgen so ist wie gestern. Permanenter Wandel eben, auf dem Planeten Erde. Klima auch.
Dann die SRF Tagesschau Präsentatorin am 7.8.2017 um 19.30 die Nachricht, betreffend der Grönlandreise von Bundespräsidentin Leuthard: ‚...wo sich der Klimawandel in seinem ganzen erschütternden Ausmass zeigt ...‘
Was ist da so 'erschütternd'? Das ist falscher, unnötiger Alarmismus.
Was stört: das unterschwellige, folgsame ‚His Master‘s Voice‘ Gehabe, von unserem unabhängigen Service Public, ohne geringstes Hinterfragen, ohne minimale eigene Recherchen, um diese Exkursion wenigstes etwas kritisch zu beleuchten, sei es nur warum unnötig tonnenweise Kerosene verbrennt wird?
Via Internet hätte man auch schnell erfahren können, dass die Grönlandeisschmelze, gerade dieses Jahr, nicht den Klimatologen ihrem ‚erschütternden‘ Muster folgen will. NSIDC[2]: ‘Total cumulative melt extent for 2017 is the lowest in the satellite record since 2009’. Nichts wird davon erwähnt in der Tagesschau, auch nicht von Professor Steffen (dessen Webauftritt gleicht ja eh einem Reiseprospekt und die letzte Datenaktualisierung war 2005, wenn ich mich nicht täusche [3]). Zudem hätten die Tagesschau JournalistInnen vom eigenen Archiv erfahren können, dass geologisch Gletscher sowieso die Ausnahme sind [4].
Was da leider am 7.8. in der Tagesschau geboten wurde muss man als ‚Fake News‘ qualifizieren, so wie ich das verstehe, eine grobe Missachtung des Sachgerechtigkeitsgebots.“
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die „Tagesschau“ antwortete Herr Franz Lustenberger wie folgt:
„Mit Mail vom 27. August beanstandet Herr Werner Pluss die Berichterstattung der Tagesschau vom 7. August über die Reise von Bundespräsidentin Doris Leuthard nach Grönland. Er wirft der Tagesschau vor, sie verbreite ‚Alarmismus‘, sie sende ‚Fake News‘.
Herr Werner Pluss begründet dies unter anderem mit der Aussage, dass Gletscher geologisch sowieso die Ausnahme seien und dass das Klima sich ständig wandeln würde.
Generelle Bemerkungen zum Klima
Es ist in der Tat richtig, dass sich das Klima auf der Erde über die Jahrmillionen-Jahre seit der Entstehung der Erde immer wieder verändert hat.
Es gibt verschiedenste Klimadefinitionen:
<Klima ist die örtlich charakteristische Häufigkeitsverteilung atmosphärischer Zustände und Vorgänge während eines hinreichend langen Bezugszeitraums, der so zu wählen ist, dass die Häufigkeitsverteilung der atmosphärischen Zustände und Vorgänge den typischen Verhältnissen am Bezugsort gerecht wird.> (Manfred Hendl, Humboldt-Universität Berlin).
<Climate in a narrow sense is usually defined as the ‘average weather’, or more rigorously, as the statistical description in terms of the mean and variability of relevant quantities over a period of time ranging from months to thousands or millions of years. The classical period is 30 years, as defined by the World Meteorological Organization (WMO). These quantities are most often surface variables such as temperature, precipitation, and wind. Climate in a wider sense is the state, including a statistical description, of the climate system.> (Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC).
>Klima ist die statistische Beschreibung der relevanten Klimaelemente, die für eine nicht zu kleine zeitliche Größenordnung die Gegebenheiten und Variationen der Erdatmosphäre hinreichend ausführlich charakterisiert.> (Christian Dietrich Schönwiese, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main).
Allen diesen Definitionen ist gemeinsam, dass sie Klima – im Gegensatz zu Wetter – als eine Gesamtheit von Effekten und Zuständen über einen längeren Zeitraum betrachtet. Allgemein anerkannt ist ein Zeitraum von etwa 30 Jahren, also aus der Sicht eines Menschenalters ein Zeitraum einer Generation.
Die Anmerkung von Werner Pluss, wonach im Jahre 2017 die Eisschmelze am geringsten ausgefallen sei seit 2009, geht daher am Thema Klimawandel vorbei. Es wird nur ein Jahr herausgegriffen, das übrigens zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gar noch nicht vorbei war.
Auch die zeitlich ganz andere Betrachtung, auf der Erde hätten wärmere Zeiten überwogen und Gletscher seien eher die Ausnahme, geht am eigentlichen Thema Klimawandel vorbei. Die Aussage von Herr Werner Pluss ist aus geologischer Sicht sicher richtig - die Erde ist, betrachtet man ihre ganze Geschichte von rund 4,6 Milliarden Jahren, ein weitgehend eisfreier Planet, zumindest in den ersten Milliarden Jahren der Erdgeschichte.
Warmzeiten und Kaltzeiten haben sich auf der Erde immer wieder abgelöst; diese Veränderungen haben verschiedenste Ursachen. Allen gemeinsam ist, dass die entsprechenden Perioden mehrere Millionen Jahre dauerten; dass die Wechsel also sehr langsam von statten gingen.
Klimawandel und Grönlandeis
Im Vergleich zur erdgeschichtlichen Betrachtung mit ihren langsamen Prozessen durchlebt die Erde derzeit einen vergleichsweise rasanten Wandel der klimatischen Verhältnisse. Die Tagesschau berichtet auf der Basis dieser Faktenlage.
Im umfangreichen Dossier «Global climate change»[5] werden verschiedenste Aspekte dargestellt:
Seite 8: Temperatur-Abweichungen seit 1885 bis 2016. Die Grafik zeigt den weltweiten Temperaturanstieg seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Abweichungen nach oben sind klar grösser als es die Abweichungen früher nach unten waren.
Seite 9: Die Eisfläche in den Weltmeeren (Arktis und Antarktis) hat in den letzten Jahren abgenommen. Waren es vor 40 Jahren noch rund 13 Millionen Quadratkilometer Eisfläche, so sind es derzeit nur mehr knapp 12 Millionen Quadratkilometer. Gegenüber dem Spitzenjahr 1990 entspricht dies einem Rückgang von rund 10 Prozent.
Die Temperaturen im Süden der größten Insel der Welt sind seit Mitte des 20. Jahrhunderts besonders stark gestiegen, nämlich um 2,5 °Celsius.
Der Klimaforscher Rajmund Przyblak von der Nikolaus-Kopernikus-Universität im polnischen Torun hält in seinem Bericht ‚Recent air-temperature changes in the Arctic‘ in seinen Konklusionen (Seite 323) fest, dass Mitte der 90er ein abrupter Anstieg der Temperaturen in der Arktis stattgefunden hat, ‚an abrupt rise in SAT‘ (surface air temperature).[6]
Der Eisschild über Grönland hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen, die höchste Abnahme erfolgt seit dem Jahr 2003. Das zeigt die Grafik ‚Greenland - ice mass loss‘. [7] Der Eisverlust in Grönland hat sich in den letzten Jahren massiv beschleunigt.
Dies zeigt auch die langfristige Analyse der National Oceanic und Atmospheric Administration (NOAA) der Vereinigten Staaten.[8]
Die Klimaerwärmung weltweit und auch an den Polen ist ein Faktum.
Konrad Steffen
Konrad Steffen, Direktor der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL in Birmensdorf, ist ein weltweit anerkannter Forscher im Bereich Klimatologie und Kryosphäre (Wissenschaft von der Gesamtheit des auf einem Himmelskörper vorkommenden Wassers in fester Form, also von Eis).
Konrad Steffen reist seit 1975, also seit über 40 Jahren, regelmässig in die Arktis und die Antarktis. 1990 hat er das Swiss Camp aufgebaut sowie 22 Messstationen auf dem Eisschild Grönlands installiert.
Behördengläubigkeit
Herr Werner Pluss wirft der Tagesschau ein ‚His Master’s Voice Gehabe‘ vor. Er stellt damit die Unabhängigkeit der Tagesschau in Frage und verdächtigt sie indirekt, sie würde Weisungen von Behörden ‚folgsam‘ umsetzen. Diesen Vorwurf weist die Tagesschau in aller Form zurück: Die Redaktion wählt die Themen selbständig aus, nach den Kriterien der Relevanz und der Aktualität. Wenn die Schweizer Bundespräsidentin in die Arktis reist und dort eine renommierte Schweizer Forschungsstation besucht, ist dies nicht irgendeine Exkursion. Diese Reise belegt das Interesse der Schweiz an der Klimapolitik, wie sie im Jahre 2015 im Übereinkommen von Paris von 195 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedet wurden. Dieses sieht die Begrenzung der menschengemachten globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten vor.
An der Bedeutung des Abkommens von Paris für allermeisten Staaten der Welt ändert auch der angekündigte Austritt der USA nichts.
Moderatorinnen und Moderatoren sind Menschen mit Emotionen, sie sind keine «neutralen Sprachroboter». Sie lassen sich daher von Ereignissen auch ‚erschüttern‘. Die rasante Erwärmung des Klimas auf der Erde ist ein Faktum, das die Menschen nicht unberührt lässt; die Bilder machen betroffen. Dies darf auch in einer Moderation zum Ausdruck kommen. Die Tagesschau bemüht sich aber sehr, in allen Texten auf ‚Superlative‘ zu verzichten.
Fazit
Die Tagesschau hat sachgerecht über die bevorstehende Grönlandreise von Bundespräsidentin Doris Leuthard berichtet, welche dort die Schweizer Forschungsstation ‚Swiss Camp‘ besucht. Im Zentrum des Beitrages stand der Schweizer Wissenschaftler Konrad Steffen, der die Klimaveränderungen in Grönland seit Jahren erforscht. Seine Aussagen sind durch Fakten belegt. Die Tagesschau hat weder ‚Alarmismus‘ noch ‚Fake News‘ verbreitet.
Ich bitte Sie, die Beanstandung von Herrn Werner Pluss in diesem Sinne zu beantworten.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Was sind die Fakten? Bundespräsidentin Doris Leuthard reiste auf Einladung des renommierten Klimaforschers Konrad Steffen[9] nach Grönland, um sich an Ort und Stelle über die Eisschmelze zu informieren. Steffen forscht dort seit langem. Er vergleicht den Rückgang des Grönland-Eises mit dem Eis der Alpen. Die „Tagesschau“ hat darüber redlich berichtet, keineswegs devot und propagandistisch, sondern nüchtern. Dass die berichteten Fakten belegt sind, hat Herr Lustenberger überzeugend dargelegt und dokumentiert. Ich sehe keinen Anhaltspunkt, dass der Beitrag nicht sachgerecht gewesen wäre. Schon gar handelte es sich um Fake News. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/arktis-schmilzt?id=fb1e036b-f294-4234-b96a-cb8791a04ee7
[2] NSIDC's research and scientific data management activities are supported by NASA, the National Science Foundation (NSF), the National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), and other US federal agencies. https://nsidc.org/greenland-today/
[3] http://cires1.colorado.edu/science/groups/steffen/greenland/Field_07/
[4] Geologe Thierry Basset „ ...pourtant la neige sur notre planète est une chose extraordinaire. Du point de vue géologique, c’est même très rare ! Globalement, on constate que les périodes chaudes ont été bien plus longues que les ères glacières...“ https://www.rts.ch/la-1ere/programmes/monsieur-jardinier/7494478-la-chronique-de-thierry-basset-28-02-2016.html?f=player/popup
[5] Vgl. Beilage Clobal Climate Change
[6] https://www.igsoc.org/annals/46/a46a005.pdf
[7] Beilage Greenland Ice mass loss
[8] http://www.arctic.noaa.gov/Report-Card/Report-Card-2016/ArtMID/5022/ArticleID/277/Greenland-Ice-Sheet
[9] http://www.wsl.ch/medien/news/professur_steffen/index_DE
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