SRF News und Radio SRF, Sendung «Echo der Zeit», Beiträge «Physiotherapie floriert – und kostet» und «Immer mehr Physiotherapie-Behandlungen» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 20. August 2017 beanstandeten Sie den Artikel „Physiotherapie floriert – und kostet“ auf SRF News vom 15. August 2017, der mit dem Beitrag „Immer mehr Physiotherapie-Behandlungen“ in der Sendung „Echo der Zeit“ (Radio SRF) vom gleichen Tag verbunden war.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Ich möchte mich über den Online-Beitrag ‚Steigende Gesundheitskosten: Physiotherapie floriert – und kostet‘ vom Dienstag, 15. August 2017 von Géraldine Eicher beschweren.

Der Artikel scheint mir schlecht recherchiert und die Thematik praktisch nur von einer Seite beleuchtet. Somit ist der Grundsatz ‚des Sachgerechtigkeitsgebots‘ nicht erfüllt. Somit kann sich der Normalbürger kein unabhängiges Bild über die Kosten und Nutzen der Physiotherapie machen.

Die Physiotherapie wird vermeintlich als Hauptschuldiger für eine anfällige Prämienerhöhung präsentiert. Die Zahlen, welche für den Vergleich der Kosten, zur Hand genommen werden, sind absichtlich so gewählt. 2011 war das letzte Jahr, in welchem das DRG, sprich die Fallpauschale, noch nicht eingeführt wurde. Somit sind die Zahlen verwirrend und dieser Zusammenhang wurde dem Leser bzw. Hörer nicht erläutert. Zudem wird der Benefit der Physiotherapie als Zufall dargestellt (‚Dank Physiotherapie kann zwar gelegentlich unter gewissen Voraussetzungen eine teure Operation vermieden werden.‘)

Deshalb würde ich mich v.a. über einen dem SRF gerechten kritischen und journalistisch gut recherchierten Bericht freuen.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für SRF News und die Sendung „Echo der Zeit“ antwortete Frau Elisabeth Pestalozzi, stellvertretende Chefredaktorin von Radio SRF:

„Besten Dank für die Möglichkeit, zur Beanstandung Nr. 5148 Stellung nehmen zu können.

Die Beanstandung

Herr X beanstandet in seinem Schreiben einen Beitrag im ‚Echo der Zeit‘ vom 15. August 2017 zum Thema Physiotherapie. Es geht im Beitrag um den Anteil, den physiotherapeutische Behandlungen an den steigenden Gesundheitskosten haben.

Der Beanstander kritisiert folgende Punkte:

Kritikpunkt 1: Die Thematik werde ‚praktisch nur von einer Seite beleuchtet‘, nämlich mit Blick auf die Physiotherapeuten.

Kritikpunkt 2: Es entstehe der Eindruck, dass die Physiotherapie zu den Hauptverantwortlichen für die Erhöhung der Krankenkassenprämien gehören würden. Damit werde das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt.

Kritikpunkt 3: Herr X stört sich auch an den Vergleichszahlen, die im Beitrag ausgeführt werden. Sie stammten aus dem Jahr 2011, damals sei jedoch noch nicht aufgrund von Fallpauschalen abgerechnet worden.

Kritikpunkt 4: Der Nutzen (‚Benefit‘) der Physiotherapie werde als ‚Zufall‘ dargestellt.

Der beanstandete Beitrag

Die Sendung ‚Echo der Zeit‘ von Radio SRF brachte am Dienstag, 15. August 2017, in ihren Ausgaben um 18 und um 19 Uhr den Beitrag „Immer mehr Physiotherapie-Behandlungen“.Auf unserer Onlineseite srf.ch/news wurde der Beitrag entsprechend umgesetzt: „Physiotherapie floriert – und kostet“.

Die Autorin führt im Beitrag aus, dass die Kosten für physiotherapeutische Behandlungen in den letzten Jahren deutlich angestiegen seien – auf eine Milliarde Franken. Im Weiteren geht die Autorin den möglichen Gründen für das Kostenwachstum auf den Grund: Einerseits sei die Demografie verantwortlich für die steigende Zahl der Physiotherapien. Es lebten immer mehr und auch immer mehr ältere Menschen in der Schweiz. Zudem werde häufiger operiert, was eine Zunahme physiotherapeutischer Behandlungen zur Folge habe. Ferner würden die Krankenkassen ein mangelndes Selbstverantwortungsgefühl bei Ärzten, Therapeuten und Patienten feststellen.

Schliesslich wird im Beitrag die Frage nach dem Vertragszwang diskutiert. Während die Krankenversicherer Handlungsbedarf orten, kommt ein Systemwechsel für die Physiotherapeuten nicht in Frage.

Folgende GesprächspartnerInnen kommen im Beitrag vor:

  • Verena Nold, Direktorin Krankenkassenverband Santésuisse
  • Pius Zängerle, Direktor Krankenkassenverband Curafutura
  • Pia Fankhauser, Vizepräsidentin Physioswiss Schweizerischer Physiotherapie Verband

Unsere Stellungnahme :

Zu Kritikpunkt 1Einseitigkeit

Über die steigenden Kosten im Gesundheitswesen berichtet SRF regelmässig. Der kritisierte Beitrag konzentriert sich auf die Berufsgruppe der PhysiotherapeutInnen. Doch wird nicht nur über sie gesprochen, sondern die Branche nimmt selber Stellung.

Pia Fankhauser, die Vizepräsidentin des Verbands Physioswiss, kommt in zwei Quotes zu Wort. Im ersten nimmt Frau Fankhauser Stellung zum Verdacht, den der Vertreter der Krankenkassen äussert, Physiotherapeuten würden für eine bessere Auslastung ihrer Praxen Patienten akquirieren: ‚Da muss ich schon, wenn es nicht so tragisch wäre, doch auch lachen, weil: wir haben Wartelisten, wir haben einen Fachkräftemangel und wir dürfen nicht zu Lasten der Krankenkassen ohne Verordnung abrechnen.‘

Im zweiten Quote äussert sie sich zur Forderung der Krankenkasse, der Vertragszwang zwischen Physiotherapeuten und Kassen solle zum Teil aufgehoben werden. ‚Man muss dann sehr überlegen, wovon sprechen wir, und wir sprechen von einer Unterversorgung mit Physiotherapie in relativ vielen Gebieten schon.‘

Die Kritik der Einseitigkeit können wir deshalb nicht nachvollziehen. Im Beitrag kommen korrekterweise alle relevanten Player zum Thema zu Wort.

Zu Kritikpunkt 2: Physiotherapeuten als hauptverantwortliche Kostentreiber

Der Beitrag konzentriert sich auf die Rolle der Physiotherapie und ihren Anteil an den steigenden Gesundheitskosten. Und er tut dies sehr differenziert. Die Autorin führt nicht nur aus, dass die Physiotherapiekosten von einer Milliarde Franken nur ‚einen mässig grossen Teil‘ des Gesamtvolumens der Gesundheitskosten von 30 Milliarden ausmachen würden; sie unterscheidet auch verschiedene Faktoren, die für die erhöhten Physiotherapiekosten verantwortlich sind. Die Demografie, die wachsende Anzahl von Operationen, die Physiotherapien zur Folge hätten, und die Physiotherapeuten, die ihre Praxen füllen müssten.

Den Eindruck, die Physiotherapie sei der Hauptkostentreiber beim Anstieg der Krankenkassenprämien, können wir folglich nicht teilen.

Zur Frage der Sachgerechtigkeit gibt uns das Radio- und Fernsehgesetz Art.4 Absatz 2 präzise Vorgaben:

<Redaktionelle Sendungen mit Informationsgehalt müssen Tatsachen und Ereignisse sachgerecht darstellen, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden kann. Ansichten und Kommentare müssen als solche erkennbar sein.>

Auch diese Anforderungen erfüllt der Beitrag nach allen Regeln der Kunst.

Zu Kritikpunkt 3: Verwirrende Vergleichszahlen

Im Beitrag werden folgende Zahlen genannt: 2016 betrugen die Kosten für physiotherapeutische Behandlungen, die über die Grundversicherung abgerechnet werden, eine knappe Milliarde Franken (940 Millionen); 2011 waren es noch 660 Millionen.

Dass 2011 noch nicht über Fallpauschalen abgerechnet wurde, spielt für das Verständnis des Kostenwachstums keine Rolle. Fünf Jahre sind zudem eine für die Hörerschaft überschaubare Vergleichsgrösse.

Im Zuge ihrer Recherchen hat die Autorin auch Informationen über den möglichen Einfluss von DRG (Diagnosis Related Groups, Diagnosebezogene Fallgruppen) auf die Kosten zusammengetragen. Sie hat dabei von ihren GesprächspartnerInnen widersprüchliche Aussagen erhalten. Beim Verband der Physiotherapeuten Physioswiss ist man der Meinung, die Einführung der Fallpauschalen hätte einen Einfluss auf die Kosten gehabt, der Krankenkassenverband Curafutura vertritt die Ansicht, dies sei eher nicht der Fall.

Da sich keine der Aussagen mit Zahlen untermauern lassen, hat die Autorin im Sinne der Verständlichkeit sinnvollerweise auf einen Exkurs zu diesem Thema verzichtet und sich auf die Kostennutzenfrage und die politischen Forderungen konzentriert.

Zu Kritikpunkt 4: Nutzen der Physiotherapie als Zufall

Der Beitrag thematisiert den möglichen Nutzen von physiotherapeutischen Behandlungen gleich mehrmals. Er besagt, dass dank der Physiotherapie ‚zwar gelegentlich und unter gewissen Voraussetzungen eine teure Operation vermieden werden‘ könne, dass die wachsende Zahl von Operationen aber mehr Physiotherapien zur Folge hätten.

Und schliesslich konstatiert er: ‚Jede Behandlung kostet, aber nicht jede ist zielführend oder nötig.‘ Eine Aussage, die wohl auch Physiotherapeuten unterschreiben würden.

Der Beitrag hinterfragt den Nutzen von solchen Therapien. Als Zufall stellt er ihn hingegen nicht dar. Übrigens: Explizit über den Nutzen von Physiotherapien hat das Echo der Zeit vor wenigen Wochen berichtet.[2]

FAZIT:

Der Beitrag über die steigenden Physiotherapiekosten, die Gründe und die Forderungen daraus ist unserer Meinung nach weder einseitig noch unsachgerecht. Die genannten Kosten umreissen die Grössenordnung. Das ist wichtig für das Verständnis des Anteils der Physiotherapiekosten an den gesamten Gesundheitskosten. Der Beitrag beleuchtet den steigenden Anteil der Physiotherapien durchaus kritisch, deren Nutzen als Zufall bezeichnet er jedoch nicht.

Die Journalistin hat sehr korrekt gearbeitet und aus ihren Recherchen einen differenzierten Beitrag gestaltet, ohne journalistische Regel zu verletzen. Deshalb bitten wir Sie, die Beanstandung abzulehnen.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung und der Publikation. Sie sind der Meinung, wenn ich Sie richtig verstehe, dass in dem Beitrag die Physiotherapie zu schlecht wegkomme. Wahrscheinlich würden die anderen „Partner“ in diesem Spiel das auch finden. Es sind ja vier Partner, die miteinander zurechtkommen müssen:

  1. Die Ärzte, die bei manchen Diagnosen oder eben nach Operationen Physiotherapien verschreiben und darauf zählen, dass diese die Heilungsprozesse vorantreiben.
  2. Die Patienten, die in manchen Situationen auf Physiotherapeuten angewiesen sind und die wünschen, dass sie rasch und regelmässig Termine kriegen und dass sie die Behandlungen über ihre Krankenkassen abrechnen können.
  3. Die Physiotherapeuten, die entweder ärztlichen Eingriffen vorbeugen oder ärztliche Eingriffe nachbehandeln und dafür angemessen bezahlt werden wollen.
  4. Die Krankenkassen, die nicht jede Behandlung übernehmen wollen und am liebsten ein einfach anwendbares Qualitäts-Messinstrument hätten, das ihnen erlauben würde, schlechte Physiotherapeuten auszusondern.

Im Beitrag von Géraldine Eicher kamen die Verbände von dreien dieser Gruppierungen zu Wort; die Ärzte fehlten. Insgesamt erhielt man einen guten Überblick über die Problematik, und das Problem, das entstanden ist, hat keine der vier Gruppierungen einfach so verschuldet. Dafür, dass die Bevölkerungszahl zunimmt, kann keine etwas. Dazu, dass die Leute älter werden, haben vielleicht die Ärzte und die Physiotherapeuten ein Quentchen beigetragen, aber hauptsächlich sind die Art der Ernährung, die Art zu wohnen, die Art, Arbeitszeit und Freizeit zu kombinieren – und die Pharmaindustrie schuld. Dass die Zahlen von 2011 und 2016 methodisch nicht unbedingt vergleichbar sind, stimmt zwar, aber am Schluss fragt keiner nach der Methode, sondern alle sehen nur die Summe, und die zeigt, dass die Gesamtkosten für die Physiotherapie sich quasi verdoppelt haben. Das hat auch damit zu tun, dass Physiotherapie in bestimmten gesundheitlichen Situationen enorm wichtig ist. Wohl jeder hat da schon seine Erfahrungen gemacht. Jeder weiß, wie sehr gute Physiotherapeuten zu schätzen sind. Und fast jeder weiß, dass schlechte Physiotherapeuten nicht nur am Körper Unheil anrichten, sondern auch den Ruf des Berufsstandes schädigen.

Aufs Ganze betrachtet, sehe ich im Beitrag weder im „Echo der Zeit“ noch auf SRF News einen Verstoß gegen das Radio- und Fernsehgesetz. Ich kann daher Ihrer Beanstandung nicht beipflichten.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.srf.ch/news/schweiz/physiotherapie-floriert-und-kostet; https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/immer-mehr-physiotherapie-behandlungen

[2] https://www.srf.ch/kultur/wissen/experten-raten-von-knie-operationen-a

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