«Schweiz aktuell»-Beitrag mit dem Titel «Fall Malters: Polizeipsychologe warnte vergeblich» beanstandet
5123 und 5124
Mit Ihrem Brief vom 3. Juli 2017 beanstandeten Sie den Beitrag „Fall Malters: Polizeipsychologe warnte vergeblich“ in der Sendung „Schweiz aktuell“ des Fernsehens SRF vom 12. Juni 2017. [1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Folglich kann ich auf sie eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
Nach dem Polizeieinsatz vom 08./09.03.2016 in Malters und dem Suizid der Mutter des Bewohners der Wohnung wurde gegen den Kommandanten der Luzerner Polizei, Adi Achermann, sowie gegen den Chef der Kriminalpolizei, Daniel Bussmann, Strafanzeige erstattet und in der Folge eine Strafuntersuchung eingeleitet sowie Anklage erhoben. Am 19./20.06.2017 hat der Prozess vor dem Bezirksgericht Kriens stattgefunden. Mit Urteil vom 27.06.2017 wurden wir freigesprochen (Urteil noch nicht rechtskräftig).
Am 12.06.2017 strahlte ‚Schweiz aktuell‘ unter dem Titel ‚Fall Malters: Polizeipsychologe warnte vergeblich‘ einen Beitrag aus und bringt gemäss Anmoderation ‚aktuelle neue Details‘. Der Beitrag befasst sich mit Aussagen und Einschätzung des Polizei-Psychologen, die beim Einsatz ignoriert worden seien. Bereits früher hatte die ‚Rundschau‘ sowie auch ‚Schweiz aktuell‘ über den Fall berichtet und sich dabei kritisch über den Einsatz geäussert.
Der Beitrag verletzt in mehrfacher Hinsicht das Gebot der Sachgerechtigkeit und die Pflicht der Medienschaffenden zur Sorgfalt. Zum Sachgerechtigkeitsgebot zählen insbesondere die Verpflichtung auf Wahrhaftigkeit, zur Transparenz, die Pflicht, angemessene Mittel zu verwenden, auch die besten Argumente der Gegenseite unvoreingenommen darzulegen und nicht gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung zu verstossen.
Der Hörer oder Zuschauer muss gestützt auf das Sachgerechtigkeitsgebot durch die vermittelten Fakten und Auffassungen in die Lage versetzt werden, sich über den Sachverhalt ein zuverlässiges Bild zu machen und eine eigene Meinung bilden zu können:[2]
<Umstrittene Aussagen sollen als solche erkennbar sein. Fehler in Nebenpunkten und redaktionelle Unvollkommenheiten, welche nicht geeignet sind, den Gesamteindruck der Ausstrahlung wesentlich zu beeinflussen, sind programmrechtlich nicht relevant. [. ..] Bei Sendungen im Stile des anwaltschaftlichen Journalismus, in denen schwerwiegende Vorwürfe erhoben werden und die so ein erhebliches materielles und immaterielles Schadensrisiko für direkt Betroffene oder Dritte beinhalten, gelten qualifizierte Anforderungen bezüglich der Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflichten. In diesem Falle ist eine sorgfältige Recherche angezeigt, die sich auf Details der Anschuldigungen erstreckt (VPB 62/1998, Nr. 27, S. 201). Wenn massive Anschuldigungen an Personen, Unternehmen oder Behörden gerichtet werden, ist es unabdingbar, den Standpunkt der Angegriffenen in geeigneter Weise darzustellen. Das Sachgerechtigkeitsgebot verlangt aber nicht, dass alle Standpunkte qualitativ und quantitativ gleichwertig dargestellt werden.>
Bei der Berichterstattung über laufende Strafverfahren ist dem in Art. 6 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention bzw. Art. 32 Abs. 1 der Bundesverfassung verankerten Grundsatz der Unschuldsvermutung gebührend Rechnung zu tragen[3]. Vorverurteilungen sind zu vermeiden. Wenn überhaupt vor einer Gerichtsverhandlung berichtet werden darf (z.B. aufgrund einer Medienmitteilung der Staatsanwaltschaft) sind a) die Fakten präzise darzustellen, b) die ver schiedenen Standpunkte müssen zum Ausdruck kommen und c) bezüglich Inhalt und Ton ist eine zurückhaltende Ausdrucksweise geboten. Vorliegend ist diesen drei Voraussetzungen nicht Rechnung getragen worden.
Die Redaktion hatte somit ‚exklusiv‘ Einblick in die Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft und zitierte aus der Anklageschrift sowie dem Einvernahmeprotokoll des Psychologen. Wie der als Co-Autor aufgeführte ‚Rundschau‘-Reporter gegenüber den Kommunikationsverantwortlichen des Justiz- und Sicherheitsdepartements Luzern mehrfach verlauten liess, hatte ihm der Anwalt des Privatklägers (Sohn und Beistand des Opfers sowie Mieter der Wohnung) sämtliche Verfahrensakten zugespielt.
Trotzdem stellt die Redaktion die Fakten nicht präzise dar. Schon in der Anmoderation ist mit keinem Wort davon die Rede, dass die involvierten Einsatzkräfte sowie die Verantwortlichen/Angeklagten aktenkundig geltend machen, sie hätten eine Güterabwägung vorgenommen, welche anders ausgefallen sei als die Empfehlung des Psychologen. Dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Frau zuvor mit einer grosskalibrigen Waffe Schüsse abgegeben hatte. Vielmehr wird schon in der Anmoderation zugespitzt behauptet, die Verantwortlichen hätten den zugezogenen Polizei-Psychologen ‚übergangen‘. Das Wort ‚übergangen‘ erweckt den Eindruck, die Verantwortlichen hätten die Stellungnahme des Psychologen schlicht ‚ausgelassen‘, ,‘absichtlich nicht wahrnehmen wollen‘, ,‘nicht berücksichtigt‘ (so die von Duden vermerkten Synonyme für das Wort ,übergehen').
Dass dem nicht so ist, geht aus den Akten, insbesondere aus den Einvernahmeprotokollen der involvierten Einsatzkräfte sowie der Angeklagten hervor. So wird darauf hingewiesen, dass das Auftreten des Psychologen als eher unsicher empfunden wurde und dieser keine Handlungsop tionen aufzeigen konnte. Auch nicht bezüglich des befürchteten Suizids der Frau. Dies hätte erwähnt werden müssen - umso mehr, als der Psychologe nicht massgeblich in den Führungsrhythmus integriert gewesen war. Er war einer von mehreren Fachleuten, die im Rahmen der Beurteilung miteinbezogen wurden.
Die Redaktion wäre verpflichtet gewesen, auch die aus den Einvernahmeprotokollen ersichtlichen entlastenden Momente zu erwähnen, insbesondere die Tatsache, dass Varianten geprüft wurden und die Angeklagten durchaus eine Güterabwägung vorgenommen haben und sich im Verfahren auf diese berufen haben.
Stattdessen kommt der Vertreter des Sohnes ausführlich zum Wort, welcher zu einer Vorverurteilung ausholen kann mit der Behauptung, die Luzerner Polizei habe den Tod der Frau ‚bewusst in Kauf genommen‘, man sei nicht bereit gewesen, zuzuwarten oder den Sohn als Vermittler einzusetzen, ohne dabei zu erwähnen, dass der Sohn zu jenem Zeitpunkt in Untersu chungshaft war und sich überdies in einem ‚psychischen Ausnahmezustand‘ befand. Auf Anfrage der involvierten Einsatzkräfte hatten die zuständigen Zürcher Behörden gemeldet, dass ein Zuzug des Sohnes nicht möglich sei (auch dies geht aus den Akten hervor).
Bezüglich Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gilt anzumerken, dass es in der Natur der Sache liegt, dass die Anklagebehörde zwar die entlastenden Momente weniger gewichtet als die belastenden, was einem akkreditierten Gerichtsberichterstatter bekannt sein muss. Einem akkreditierten Gerichtsberichterstatter hätte aber in diesem Fall auch sogleich ins Auge stechen müssen, dass in diesem Fall die Staatsanwaltschaft dem Untersuchungsgrundsatz von Art. 6 Strafprozessordnung in keiner Weise Rechnung getragen hat. Es ist darin mit keinem Wort die Rede von den bereits erwähnten Darlegungen der Beteiligten in den Einvernahmen (siehe oben). Gerade deshalb hätte die Redaktion auf die Aussagen der Angeklagten (sowie auch weiterer Einsatzkräfte) in den Einvernahmeprotokollen zurückgreifen müssen. Sollte der Vertreter des Sohnes diese nicht zur Verfügung gestellt haben, hätte die Redaktion umso vorsichtiger und zurückhaltender über die Anklage berichten müssen. Es darf keine Medienkultur gutgeheissen werden, welche Angeklagte zwingt, vor einem Gerichtsverfahren ihre Verteidigungsstrategie in der Öffentlichkeit unter Druck von Parallelermittlungen der Medien preiszugeben. Der vorliegende Fall macht deutlich, wie unsachgemäss eine TV-Berichterstattung sein kann, welche nur auf die dramatisierende Anklage eines Staatsanwaltes abstellt. Zwischenzeitlich ist bekannt, dass die erste Instanz beide Angeklagten freigesprochen hat.
Auch wenn ein Angeklagter gegenüber Medien nicht Stellung nehmen will und/oder gar im Gerichtsverfahren die Auskunft verweigert, sind die aus den Akten hervorgehenden entlastenden oder relativierenden Umstände darzulegen. Wenn das Medium von einer Partei nur Teile der Akten erhält, muss es in besonderem Mass bemüht sein, entweder die vollständigen Akten zu beschaffen oder bei der Auswertung der Teil-Akten besonders zurückhaltend zu berichten. Im vorliegenden Fall sind aber Wortwahl wie auch andere Gestaltungselemente keineswegs zu rückhaltend.
Inhaltlich völlig unnötig wird der Polizeieinsatz mit einer dramatisierenden Illustration verbal untermauert mit dreimaliger Einspielung des Ausrufes ‚Zugriff', ,,Zugriff ', ,,Zugriff ', gefolgt von Illustrationen aus der nach der Selbsttötung blutverschmierten Toilette, woraus der Zuschauer den Eindruck gewinnen kann und muss, die Polizei sei für ein Blutbad verantwortlich.
Die Angeklagten sind mit der Berichterstattung ihres Rechts beraubt worden, selbst darüber zu bestimmen, was die Öffentlichkeit im Vorfeld des Prozesses über ihre Position erfahren soll. Besondere Zurückhaltung in der Darstellung wäre in diesem Fall geboten gewesen, weil der Geschädigtenvertreter informiert hat und somit eine Privatpartei mit unverkennbaren, mög licherweise auch pekuniären Interessen.[4]
Dass die Angeklagten auf eine Stellungnahme verzichtet haben, darf, wie bereits erwähnt, nicht zu ihren Lasten ausfallen. Auch der knappe Satz am Schluss, es gelte die Unschuldsvermutung, vermag die dramatisierende, nicht zurückhaltende Darstellung nicht zu relativieren. Die beiden Angeklagten werden im ganzen vorangehenden Bericht ‚schwerwiegender‘ Rechtsverletzungen beschuldigt. Das Schwergewicht des Berichtes liegt auf ‚schuldig‘.
Insgesamt ist festzustellen, dass der Beitrag ein Bild vermittelt, der besagte Polizeizugriff sei ohne die erforderliche Interessenabwägung erfolgt und unverhältnismässig gewesen, Warnungen des Psychologen seien bewusst ignoriert und insgesamt der Tod der Frau in Kauf genommen worden. Der Standpunkt, dass Handlungsalternativen geprüft und diese aufgrund einer Interessenabwägung verworfen wurden, wird überhaupt nicht erwähnt. Dieser geht aber aus den Einvernahmeprotokollen der involvierten Einsatzkräfte sowie der Angeklagten selber klar hervor. Somit ist für den Betrachter nicht erkennbar, dass die Aussagen umstritten sind, der Zuschauer konnte sich keine eigene Meinung bilden. Daran ändert auch nichts, dass ein aus dem Archiv stammendes Statement von Adi Achermann in den Beitrag geschnitten wurde.
Im Gegenteil: Dadurch, dass aus Anklageschriften und (einem) Einvernahmeprotokoll zitiert wird, kann der juristische Laie/ Zuschauer nicht erkennen, dass eine Anklageschrift keinem Gerichtsurteil gleichzusetzen und der Sachverhalt somit in keiner Weise abschliessend festgestellt ist. Ebenso ist für den Zuschauer nicht erkennbar, dass in vielen anderen Einvernahmeprotokollen von involvierten Einsatzkräften sowie der Angeklagten selber entlastende Momente sowie klare Hinweise auf eine Interessenabwägung hervorgehen. Dies umso mehr, als der Bericht lediglich - als lnterviewfrage - erwähnt, dass die Frau bewaffnet war und bereits geschossen hatte. Dass sie eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellte, erhellt sich für den Zuschauer nicht.
Schliesslich ist zu beachten, dass ‚Schweiz aktuell‘ eine Nachrichtensendung ist, welche beim Zuschauer eine erhöhte Glaubwürdigkeit geniesst. Bei der Recherche und Aufbereitung für einen Beitrag in einem solchen Sendegefäss ist eine gesteigerte Sorgfalt erforderlich: <Der Umfang der erforderlichen Sorgfalt hängt von den Umständen, dem Charakter und den Eigenheiten des Sendegefässes sowie dem Vorwissen des Publikums ab. Je heikler ein Thema ist, desto höhere Anforderungen sind an seine publizistische Umsetzung zu stellen> [5]
Wir danken Ihnen für die Prüfung dieser Beanstandung.“
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für „Schweiz aktuell“ antwortete dessen Redaktionsleiter, Dr. Basil Honegger , wie folgt:
„Mit Briefen vom 3. Juli 2017 sind zwei Beanstandungen zum Beitrag (Prozessvorschau Malters/Polizeipsychologe) vom 12. Juni 2017 in der Sendung Schweiz-aktuell eingegangen.
Die Beanstandung 5123 wurde von Herrn X und von Herrn Y eingereicht. Die Beanstandung 5124 wurde von Herrn Z eingereicht.
Die beiden Beanstandungen sind vom Inhalt her deckungsgleich. Die Redaktion Schweiz-aktuell nimmt im Folgenden zu grundsätzlichen Fragen und zu den einzelnen Punkten in den Beanstandungen Stellung.
Prozessvorschau und Programmautonomie
Die Ereignisse in Malters im März 2016 haben landesweit für Aufsehen gesorgt; über den Polizeieinsatz wurde in allen Medien ausführlich berichtet. Es ist sehr ungewöhnlich, dass ein Polizeieinsatz sowohl zu einer Anklageerhebung gegen die verantwortlichen Polizeikader durch einen ausserordentlichen Staatsanwalt wie auch zu einer Untersuchung durch einen externen Experten führt.
<Wenn überhaupt vor einer Gerichtsverhandlung berichtet werden darf (z.B. aufgrund einer Medienmitteilung der Staatsanwaltschaft)...> Diese sehr restriktive Interpretation der journalistischen Arbeit durch die Beanstander kann die Redaktion Schweiz-aktuell nicht teilen. Aus mehreren Gründen: Prozess-Vorschauen sind ein geeignetes Mittel, das Publikum auf den bevorstehenden Prozess vorzubereiten und das Geschehen, das meist Monate oder gar Jahre zurückliegt, zu rekapitulieren. Medienmitteilungen von Behörden können ein Anlass für eine Berichterstattung sein; sie sind aber keinesfalls Vorbedingung für eine Berichterstattung – dies würde dem Grundsatz einer frei agierenden und recherchierenden Presse widersprechen. Die Informations- und Medienfreiheit ist in der Bundesverfassung (Art. 16 und 17) verankert. Ebenso sind in der Bundesverfassung die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen sowie die Autonomie in der Programmgestaltung (Art. 93, Abs. 3) verankert. Im Vordergrund der verfassungsrechtlich garantierten und im Radio- und Fernsehgesetz (Art. 6 Abs. 2 RTVG) konkretisierten Programmautonomie steht die freie Wahl der Themen, die inhaltliche Bearbeitung wie auch die Darstellung der Programme.[6] Ob im Vorfeld einer Gerichtsverhandlung berichtet wird, fällt in die Programmautonomie des Programmveranstalters.
Fokus Anklage und Unschuldsvermutung
In einer Prozessvorschau steht in der Logik der Berichterstattung die Anklage im Vordergrund. Worum geht es? Was wirft der Staatsanwaltschaft den Beschuldigten vor? Worauf stützt sich die Anklage? Dies sind die zentralen Fragen vor einem Prozess.
Genau dies macht der beanstandete Beitrag der Sendung Schweiz-aktuell. Er rekapituliert das Geschehen und beleuchtet den Hauptanklagepunkt (‚fahrlässige Tötung‘).
Jedem Zuschauer ist klar, dass eine Anklage nicht gleichbedeutend mit dem Urteil ist. Die Staatsanwaltschaft muss vor Gericht ihre Beweise vorbringen, die Verteidigung bringt ihre entlastenden Beweise vor, die unabhängige Justiz entscheidet absolut eigenständig. Dieses Verfahren ist bei den Bürgerinnen und Bürgern bekannt. Trotzdem ist es wichtig und richtig – da stimmt die Redaktion Schweiz-aktuell mit den Beanstandern überein -, dass der Unterschied zwischen Anklage und Urteil klar wird. Dies wird mit dem Hinweis auf das stattfindende Gerichtsverfahren deutlich: <In einere Wuche urteilt d’Luzerne Justiz, hätt d’Polizeifüehrig unverhältnismässig ghandlet>. Das Publikum weiss, dass der Entscheid, ob es zu einer Verurteilung kommt oder nicht, noch offen ist und das Gericht darüber entscheiden wird.
Im Schlusssatz wird die Unschuldsvermutung zudem explizit ausgesprochen. <Für die beide Beschuldigte gilt d’Unschuldsvermuetig.> Dies ist eine in der Gerichtsberichterstattung übliche Formulierung, die dem Publikum in seiner Bedeutung bekannt ist. Die letzte – und daher beim Publikum verstärkt im Gedächtnis bleibende - Aussage im Beitrag hat einer der Beschuldigten. Er erklärt, dass er im Hinblick auf den Prozess zuversichtlich sei. Als Jurist könne er die Sach- und Rechtslage einschätzen. Die Redaktion hat so dem Grundsatz der Unschuldsvermutung gebührend Rechnung getragen. Die Redaktion teilt daher die Ansicht der Beanstander nicht, dass der Bericht einer Vorverurteilung gleichkomme.
Fokus Psychologe
Der Einsatz der Luzerner Polizei begann am 8. März 2016 am späteren Nachmittag; die Luzerner Polizei soll aufgrund eines Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich eine Hausdurchsuchung durchführen, weil der Verdacht bestand, dass sich in der Liegenschaft eine Hanfindoor-Anlage befinde. Eine Frau verweigert der Polizei den Zutritt, sie droht auf die Polizei zu schiessen und sich das Leben zu nehmen.
Diese Fakten machen deutlich: die psychische Verfassung der Frau ist für den Polizeieinsatz in Malters am 8. und 9. März 2016 und dessen nachträglicher Beurteilung von sehr grosser Bedeutung. Aus diesem Grunde ist der von der Redaktion für die Prozessvorschau gewählte Fokus, nämlich die Aussagen des Polizeipsychologen während der Zeugeneinvernahme in den Beitrag aufzunehmen, von hoher Relevanz.
Einschub ‚Einsicht in Akten‘
Wie vorab erwähnt, steht bei einer Prozessvorschau in der Logik der Berichterstattung die Anklage im Vordergrund. Darum ist zentral, was gemäss Anklageschrift den Beschuldigten vorgeworfen wird und auch, was die Beschuldigten dazu sagen. Die Beanstander bringen vor, auch wenn ein Angeklagter gegenüber den Medien nicht Stellung nehmen wolle und/oder im Gerichtsverfahren die Auskunft verweigere, seien aus den Akten hervorgehende entlastende oder relativierende Umstände darzulegen. Wenn das Medium von einer Partei nur Teile der Akten erhalte, müsse es im besonderen Mass bemüht sein, entweder die vollständigen Akten zu beschaffen oder bei der Auswertung der Teil-Akten besonders zurückhaltend zu berichten.
Dem Autor des Beitrags lagen nicht vollständig alle Akten vor. Das Sachgerechtigkeitsgebot ist dennoch Rechnung getragen worden: von Seiten der Redaktion wurde mehrfach versucht, eine Stellungnahme bei den Beschuldigten und ihren Verteidigern einzuholen. Dabei ging es nicht darum, wie die Beanstander vorbringen, die Verteidigungsstrategie zu erfahren. Vielmehr wurde den Beschuldigten die Möglichkeit eingeräumt, zum Vorwurf, man habe mit einem Suizid rechnen können oder müssen, Stellung zu nehmen. Dies ist auch in der Mailanfrage von Marc Meschenmoser an den Verteidiger von Adi Achermann so dokumentiert (siehe Anhang). Auch wurde dem Publikum transparent gemacht, dass die Beschuldigten keine Stellung nehmen wollen. Aufgrund der fehlenden Stellungnahme und im Bewusstsein der Sachgerechtigkeit bei einer Prozessvorschau, hat der Autor bei der Befragung von Alt-Polizeikommandant Mohler die Frage der Gefährlichkeit der Frau für die Umgebung aufgeworfen. Zudem wurde nach einer Stimme der Beschuldigten gesucht und in einem im März 2017 geführten Interview gefunden: Das Publikum erfährt, wie einer der Beschuldigten als Jurist die Sach- und Rechtslage einschätzt und daher dem Prozess gelassen entgegensieht. Die Redaktion begnügte sich somit nicht mit mehrfachem Nachfragen um eine Stellungnahme und der Information, dass weder die Beschuldigten noch ihre Rechtsvertreter Stellung nehmen wollen, sondern hat mit der Zwischenfrage und der Interviewsequenz von Adi Achermann nach einer Stellungnahme für den Beitrag gesucht und eingebaut.
Kein aktuelles Interview
Aufgrund der Tatsache (keine Einsicht in die Einvernahmeprotokolle der involvierten Polizeikräfte und der Beschuldigten) und in Kenntnis der Problematik bei der Berichterstattung, hat sich die Sendung Schweiz-aktuell mehrfach um ein Interview bei den Anwälten der Beschuldigten und den Beschuldigten selber (telefonisch via Medienstelle Luzerner Polizei) bemüht. Leider ohne Erfolg; Interview-Anfragen wurden abgelehnt. Die Redaktion Schweiz-aktuell hat aus diesem Grund wenig Verständnis für die Argumentation der Beanstander, die Angeschuldigten seien ihres Rechtes beraubt worden, selbst darüber zu bestimmen, was die Öffentlichkeit im Vorfeld des Prozesses über ihre Position erfahren soll.
Die Beschuldigten haben auf eine Aussage zum wichtigen Aspekt der ‚Psyche der Frau‘ und zu ihrem Interventionsentscheid verzichtet. Der Beitrag wurde am Montag 12. Juni ausgestrahlt, eine erste Interview-Anfrage wurde am Donnerstag 8. Juni gemacht. Eine Stellungnahme zur Frage, weshalb die verantwortlichen Polizeikräfte anders entschieden haben, als der Polizeipsychologe geraten hat, wäre sehr wünschenswert gewesen. Eine Antwort auf diese Frage hätte auch nicht die Verteidigungsstrategie offen gelegt. Eine aktuelle Stellungnahme zur Sachlage aus Sicht der beiden Polizei-Verantwortlichen hätte genügt.
Hätten die Beschuldigten, respektive ihre Anwälte, ein Interview gegeben, hätte die Redaktion Schweiz-aktuell selbstverständlich die Interviewpartner über die ausgewählten Interviewausschnitte informiert, sie vorgespielt und ihnen das Recht auf das eigene Wort vollumfänglich garantiert. Diese sind in den Publizistischen Leitlinien von Schweizer Radio und Fernsehen festgelegt, Abschnitt 6 ‚Rechte dargestellter Personen‘.[7]
Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Redaktion Schweiz-aktuell die Vorgaben der Publizistischen Leitlinien nicht einhält.
Alternative zum Interview
Nachdem die Anwälte der beiden Beschuldigten, respektive diese selber, nicht für ein Interview zur Verfügung stehen wollten, hat die Redaktion nach Lösungen gesucht, wie die Position der Luzerner Polizei gleichwohl in die Sendung einfliessen kann. Sie hat dies auf zwei Arten gemacht:
Zum einen hat Roman Banholzer, Redaktor Rundschau, einen Interview-Ausschnitt vom März 2017 mit Adi Achermann übermittelt, in dem sich der Polizeikommandant zuversichtlich zeigt, dass das Gericht aufgrund der Sach- und Rechtslage nicht im Sinne der Anklage entscheiden werde. Einzig aufgrund dieser Zulieferung eines früheren Interviews wurde Roman Bannholzer im Schlusseinblender aufgeführt.
Zum anderen hat Autor Marc Meschenmoser einen unabhängigen Experten in der Person des ehemaligen Kommandanten der Basler Polizei, Markus Mohler, beigezogen. Dieser kennt die Polizeiarbeit in schwierigen Situationen aus erster Hand. Markus Mohler verweist auf den Faktor Zeit. In der Zwischenfrage nimmt der Autor die Position der Luzerner Polizei ein, in dem er explizit festhält, dass die Frau ja gefährlich sei, sie habe schliesslich aus dem Haus heraus geschossen und habe daher eine Bedrohung für die Öffentlichkeit dargestellt.
Die Sendung Schweiz-aktuell hat damit die handwerklichen Grundlagen des Journalismus beachtet. Sie hat – trotz der Interview-Absagen – nach Möglichkeiten gesucht, die Position der beiden beschuldigten Polizei-Kader in den Beitrag aufzunehmen, mit einer früheren Aussage und indem sie in einem Interview mit einem Experten die Gegenposition eingenommen hat.
‚Dramatisierende Anklage‘ und weitere Punkte
Die Beanstander werfen der Anklage vor, sie sei ‚dramatisierend‘. Dies ist die sehr persönliche Sicht der Beanstander. Dieser Punkt kann nicht den Journalisten angelastet werden, sondern der Staatsanwaltschaft im eigentlichen Gerichtsverfahren.
Die Redaktion hat auch nie von den Angeklagten verlangt, dass sie ihre Verteidigungsstrategie vor Prozessbeginn offenlegen. Die Redaktion ist der Ansicht, dass ein Interview mit den Beschuldigten oder ihren Anwälten möglich gewesen wäre, ohne dass damit die Verteidigungsstrategie hätte offengelegt werden müssen.
Die Bilder vom Tatort wurden sehr zurückhaltend eingesetzt; in keiner Art und Weise wird suggeriert, dass die Polizei ein Blutbad angerichtet habe. Der Text sagt klar: <Wo d’Polizei id Wohnig iidringt, verschüsst sech die psychichs Kranki mit ema Revolver im Badezimmer.>
Auch die dreimalige Verwendung des Wortes Zugriff ist keiner gestalterischen Freiheit entsprungen, um einen dramatisierenden Effekt zu erzeugen. Dies ist ein Zitat aus dem Polizeifunkprotokoll, welches schon im Rundschau-Bericht vom 24.8.2016 verwendet wurde. Im Funkverkehr wurde das Wort Zugriff sogar sechs Mal gerufen.
Der Anwalt des Privatklägers kommt genau 20 Sekunden lang zu Wort. Das ist alles andere als ‚ausführlich‘. Es entspricht der üblichen Länge in einem kürzeren Beitrag; ja es ist eher an der unteren Grenze der Länge. Die Sendung Schweiz-aktuell hätte den Anwälten der Beschuldigten sicher auch diese Zeit zugestanden.
Die Beanstander argumentieren, dass der Laie / Zuschauer nicht habe erkennen können, dass eine Anklageschrift nicht mit einem Gerichtsurteil gleichzusetzen sei. Der Text hat nie vom Urteil gesprochen, im Gegenteil – bereits im ersten Satz der Anmoderation wird gesagt, dass der Prozess nächste Woche stattfinden würde. Ein interessiertes Publikum kennt den Unterschied zwischen Anklage und Urteil; eine Redaktion darf von einem minimalen Verständnis in das Schweizer Staatswesen und das Schweizer Rechtswesen ausgehen.
Fazit
Die Sendung Schweiz-aktuell hat eine Woche vor dem Prozess in einer Vorschau einen zentralen Aspekt des Polizeieinsatzes in Malters beleuchtet, nämlich die Frage der psychischen Belastung der Frau, die dann beim Eindringen der Polizei Suizid beging. Sie hat dies aufgrund eines ihr zur Verfügung stehenden Einvernahme-Protokolls des Polizeipsychologen gemacht. Sie hat die beschuldigten Polizeikräfte, respektive deren Anwälte, um eine Stellungnahme ersucht, welche diese abgelehnt haben.
Die Sendung Schweiz-aktuell hat nach Alternativen für die verweigerte Stellungnahme gesucht und diese in den Beitrag eingebaut.
Die Sendung Schweiz-aktuell hat Verständnis dafür, dass die Verteidigung ihre Strategie im Vorfeld der Gerichtsverhandlung nicht offenlegen will. Ein Interview zur Sache (Psyche der Frau, Rolle des Polizeipsychologen, konkreter Eingriff) wäre aber trotzdem möglich und für den Beitrag wichtig gewesen. Bei den Beschuldigten handelt es sich ja nicht um ‚Laien‘, sondern um Juristen mit Hochschulabschluss, welche in der Lage sind, ihre Worte abzuwägen und die Wirkung ihrer Aussagen abzuschätzen, auch im Vorfeld eines Gerichtsverfahrens.
Die Sendung Schweiz-aktuell hat keine Vorverurteilung gemacht; sie hat explizit die Unschuldsvermutung am Schluss des Beitrages formuliert. Sie hat auch transparent gemacht, dass sowohl die Beschuldigten wie die Staatsanwaltschaft nicht Stellung nehmen wollten. Die Prozessvorschau setzt einen relevanten Fokus und ist – im Rahmen der eingeschränkten Möglichkeiten (Interviewverweigerung) – sorgfältig gemacht.
Ich bitte Sie, die Beanstandungen 5123 und 5124 in diesem Sinne zu beantworten.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Wir reden hier über eine Sendung im Vorfeld des Prozesses vor der ersten Instanz, zu einem Zeitpunkt also, da es erst eine Anklageschrift gab und keinen Freispruch. Man muss vom späteren Verlauf des Verfahrens abstrahieren. Es geht letztlich um die Freiheiten und Rahmenbedingungen der Gerichtsberichterstattung. Ich habe mir den Beitrag genau angesehen. Die Auffassungen der Beanstander und der Redaktion über diesen Beitrag gehen stark auseinander. Da Sie mich, gestützt auf Artikel 93, Abs. 1 und dort besonders Litera b. um eine Vermittlung ersucht hatten, erstattete ich am 8. September 2017 zunächst einen Zwischenbericht und lud die beiden Parteien zu einer Aussprache ein. Diese fand am 7. November 2017 in Luzern statt. Im Anschluss an dieses Gespräch befragte ich zudem telefonisch den federführenden Journalisten des Beitrags, Herrn Marc Meschenmoser, inzwischen Westschweizer Korrespondent des Fernsehens SRF. Da ich nun über alle nötigen Angaben verfüge, kann ich den Schlussbericht vorlegen.
Die Medienfreiheit hat in der Schweiz einen weiten Spielraum[8]. Den Medien wird eine Kritik- und Kontrollfunktion[9] zugeschrieben, nicht nur gegenüber dem Parlament, der Regierung und der Verwaltung, sondern auch gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Akteuren, also der Wirtschaft, dem Militär, der Wissenschaft, den Bildungs-, Gesundheits-, Kultur- und Sportinstitutionen – und ebenso gegenüber der Polizei und der Justiz. Dies schließt nicht nur die Berichterstattung über Gerichtsverhandlungen ein, sondern auch Berichterstattung über laufende Verfahren. Die neue eidgenössische Strafprozessordnung enthält sogar eine Bestimmung, die Staatsanwaltschaften, Gerichten und in deren Einverständnis auch der Polizei die Möglichkeit gibt, die Öffentlichkeit über laufende Verfahren zu orientieren.[10] Und wenn sie es nicht tun, gehört es zur Recherchierfreiheit der Medien, sich Informationen über laufende Verfahren zu beschaffen, vor allem, wenn es sich um Fälle handelt, die in der Bevölkerung zu reden gaben. Es steht daher außer Frage, dass der Beitrag von „Schweiz aktuell“ eine Woche vor dem Prozess gegen die beiden obersten Polizisten des Kantons Luzern legitim war.
Selbstverständlich lassen sich Medien von der Aktualität und von der Themenrelevanz leiten. Dennoch liegt es in der Programmautonomie von Radio und Fernsehen, wann Redaktionen ein Thema aufgreifen und wie sie es tun. Die Programmautonomie und das damit verbundene fehlende „Recht auf Antenne“ für jedermann sind im Radio- und Fernsehgesetz gewährleistet.[11]
Aufgrund der Akten, die der Redaktion zugespielt worden waren, ergab sich die These, dass beim Polizeieinsatz in Malters der Rat des Psychologen ungenügend gehört, jedenfalls nicht befolgt worden sei. Dazu wollte der Autor des Beitrags die angeklagten Polizeikommandanten interviewen. Diese verweigerten aber ein Interview, weil sie ihre Prozesstaktik nicht preisgeben wollten. Zu ihrem Nachteil, wie sich dann zeigte. Damit stellt sich die Frage, ob es klug ist, ein Interview abzulehnen, wenn derjenige, der die Aussage verweigert, im Medienbeitrag stets schlechter dasteht. Es gibt in der Tat immer wieder Situationen, wo jemand nicht reden kann, beispielsweise, weil sonst das Amtsgeheimnis verletzt würde. Was ist in solchen Situationen zu tun?
An dieser Stelle muss an die drei Formen erinnert werden, wie mit Journalistinnen und Journalisten geredet werden kann:
1. On the record: Der oder die Befragte wird mit Namen zitiert, im Radio hört man die Stimme, im Fernsehen sieht man die Person. Ein Interview mit mehreren Fragen und Antworten, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, ist immer „on the record“.
2. Off the record: Der oder die Befragte darf zitiert, aber nicht namentlich genannt werden. Das heißt: Die Aussagen sind nicht einer spezifischen Person zuzuordnen. Es heißt dann: „Ein Diplomat sagt“, „Aus der Verwaltung verlautet“, „gut informierte Kreise behaupten“ usw.
3. Background: Das Gespräch ist ein Hintergrundgespräch, aus dem nicht wörtlich zitiert werden darf. Die Gedankengänge dürfen aber in Leitartikel, Analysen oder DOK-Sendungen einfließen, ohne dass gesagt wird, woher man sie hat, auch nicht andeutungsweise.
Daraus ergibt sich: Es lohnt sich oft, unter 2 (off the record) oder unter 3 (Background) zu reden. Wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den jeweiligen Akteuren aus Politik, Verwaltung, Justiz, Wirtschaft, Wissenschaft, Gesundheitswesen, Sport oder Kultur und den jeweiligen Medienschaffenden da ist, dann kann diese Art zu reden dazu beitragen, dass Missverständnisse vermieden und Themen noch sachverständiger beleuchtet werden. Das Vertrauensverhältnis ist dann gegeben, wenn sichergestellt ist, dass die Akteure aus dem Nähkästchen plaudern und dass die Medienschaffenden sich an die Verschwiegenheit halten. Vor dem Prozess zum Fall Malters hätte es möglicherweise etwas gebracht, unter 2 oder 3 zu reden.
Der beanstandete Beitrag ist kritisch gegenüber den angeklagten obersten Polizisten. Das hat seine Logik, ist doch eine der Grundlagen die Anklageschrift des außerordentlichen Staatsanwalts. Aber er ist auch kritisch, weil zwei Quellen eine wichtige Rolle spielen: Die Einvernahme des Polizeipsychologen und das Interview mit dem Anwalt des Sohnes der Frau, die sich in Malters beim Polizeizugriff umgebracht hat. Dass die Aussagen des Psychologen Stoff für den Beitrag von „Schweiz aktuell“ boten, versteht man gut. Aber dem Anwalt des Sohnes gegenüber hätte man skeptischer sein müssen, war doch der Sohn mit seinen Waffen und seinen Drogen der Ausgangspunkt der ganzen Affäre.
Vor allem aber gab es offensichtlich fernsehintern entweder eine Panne oder ein Konkurrenzverhältnis: Redaktor Roman Banholzer, der andere Beiträge über den Fall Malters gestaltete, nicht aber diesen, hatte nach eigenen Aussagen auch Einblick in die Einvernahmeprotokolle der angeklagten Polizeikommandanten. Redaktor Marc Meschenmoser, der diesen Beitrag realisierte, hatte nach eigenen Aussagen just diese Unterlagen nicht. So erhielt der Beitrag einen Dreh zugunsten der Aussagen des Psychologen, der auch in redaktionellen Tweets betont wurde, und an diesem Dreh konnten weder die Aussagen des als Experten befragten früheren baselstädtischen Polizeikommandanten Markus Mohler noch der Ausschnitt aus einem früheren Interview mit Polizeikommandant Adi Achermann etwas ändern. In dieser Beziehung war der Beitrag meines Erachtens nicht sachgerecht, sondern ging in Richtung Thesenjournalismus, der durch Radio und Fernsehen SRF eigentlich strikt abgelehnt wird. In diesem Punkt kann ich Ihre Beanstandung unterstützen. In den übrigen Punkten kann ich der Beanstandung nicht beipflichten: Der Beitrag hat deutlich gemacht, dass die Unschuldsvermutung gilt. Er hat die unterschiedliche Lageeinschätzung von Einsatzkommandant und Psychologen vermittelt. Er hat rekapituliert, was beim Einsatz schief gelaufen ist. Er stand vor der Frage, wie er die Position der Angeklagten einbauen kann, da sie ein Interview verweigerten. Er löste es mit einem früheren Interview des Polizeikommandanten und mit dem Beizug eines Polizeiexperten. Da war der Beitrag durchaus sachgerecht.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] http://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/schweiz-aktuell-vom-12-06-2017?id=f8610395-0145-47ec-8cd4-f4db29bc0f77
[2] vgl. u.a. BGE 132 II 290, E. 2.1 mit weiteren Hinweisen, UBI-Entscheid b.594 vom 20.02.2009, b.587 vom 17.10.2008, E. 2.3 oder b.541 vom 07.06.2007
[3] UBI-Entscheid b.617 vom 27. August 2010 mit Verweisen.
[4] Vgl. UBI b. 617 vom 27.8.2017, Tagesschau-Beiträge zum „Fall Holenweger ".
[5] BGE 2A.41.2005 vom 22.08.2005 E.2.1.
[6] UBI-Entscheid vom 7. Dezember 2007/b.562, E.4.6
[7] http://www.srf.ch/unternehmen/unternehmen/qualitaet/publizistische-leitlinien-srf
[8] Art. 17 der Bundesverfassung, https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/index.html#a8 , vgl. auch Barrelet, Denis/Stéphane Werly (2011): Droit de la communication. Berne: Stämpfli, p. 18-84.
[9] Vgl. Heinz Pürer: Medien und Journalismus zwischen Macht und Verantwortung, https://www.mediamanual.at/mediamanual/workshop/lo/downloads/lm_01/medienverantwortung.pdf
[10] Artikel 74 der Strafprozessordnung, https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20052319/index.html , vgl. auch Blum, Roger (Hrsg., 2017): Eingeschüchterte Richter? Instrumentalisierte Medien? Journalismus und Justiz im Dialog. Solothurn: Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung, S. 119-120, http://ghvs.ch/wp-content/uploads/Medien-Justiz-Broschuere.pdf
[11] Artikel 6, https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html
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