«Schweiz aktuell», «Tagesschau» und «10vor10» wegen Nichtberichterstattung über die Einreichung der Pflegeinitiative beanstandet (II)
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Mit Ihrer E-Mail und Ihrem Brief vom 13. November 2017 beanstandeten Sie, dass die Sendungen „Schweiz aktuell“, „Tagesschau“ und „10 vor 10“ am 7. November 2017 über die Einreichung der Pflege-Initiative in Bern nicht berichtet haben.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Am 07. November 2017, haben 400 Pflegefachpersonen, im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger, weit über 100`000 Unterschriften der Volksinitiative ‚Für eine starke Pflege‘ der Bundesverwaltung übergeben. Patientensicherheit ist das Kernanliegen und die Sorge darum ist in der Bevölkerung real. Massgebende Persönlichkeiten und Organisationen gehören dem Initiativkomitee an. Sie stehen hinter den Initiativzielen. Sie kennen die Realität im Gesundheitswesen und den dringenden Pflegebedarf. Sie unterstützen die Initiative, weil im nationalen Parlament bereits eine Motion und eine parlamentarische Initiative zum Thema kein Gehör fand.
Professionelle Pflegelistungen sind ein massgebender Teil des Service public in unserem Land. Ohne sie geht im Gesundheitswesen nichts. Die Initiative ist demzufolge auch von nationaler Bedeutung. Umso erstaunlicher ist es, dass das Schweizer Fernsehen, am genannten Datum, in den Informationssendungen Schweiz aktuell, Tageschau und 10 vor 10 nicht auf dieses nationale Thema einging. Es muss schon gewichtige Gründe oder ein starkes Lobbying geben, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender das Trabi-Jubiläum über ein nationales Pflegethema stellt. Demokratie bedeutet, dass Bürgerinnen und Bürger ihre eigene Meinung, allenfalls auch kämpferisch vertreten können. Das haben sie mit ihren Unterschriften getan. Sie haben den Verfassungsweg unterstützt und sie erwarten nun eine konsequente Umsetzung. Ich erwarte, dass das Fernsehen in nächster Zeit ein Sendegefäss findet um fundiert auf dieses versäumte Thema einzugehen.
Ich bin ein Gegner der No Bilag-Initiative und ich möchte nicht die Keule schwingen. Aber genau eine solche Nichtbeachtung ist der Stoff, aus welchem Befürworter gemacht werden.“
B. Die zuständigen Redaktionen erhielten Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die „Tagesschau“ antwortete Herr Franz Lustenberger, für „10 vor 10“ dessen Redaktionsleiter, Herr Christian Dütschler. „Schweiz aktuell“ enthielt sich (begründet) einer Stellungnahme:
„Mit Mail vom 11. November hat Herr X eine Beanstandung gegen die Sendungen Tagesschau, Schweiz aktuell und 10v10 eingereicht. Am 7. November hatte der Berufsverband für Pflegefachpersonen (SBK) die Volksinitiative «Für eine starke Pflege» (Pflegeinitiative) eingereicht. Herr X bemängelt, dass die beiden erwähnten Sendungen nicht über dieses Ereignis berichtet haben.
Die Redaktionen nehmen im Folgenden separat Stellung. Ausführlich machen dies Tagesschau und 10v10. Die Sendung Schweiz-aktuell ist nach unserer Ansicht nicht betroffen. Die Sendung Schweiz-aktuell berichtet gemäss Sendungsprofil <täglich und aktuell über die wichtigsten kantonalen, regionalen und kommunalen Themen und Ereignisse.> Nationale Ereignisse wie die Einreichung einer Eidgenössischen Volksinitiative gehören nicht zum Themenbereich von Schweiz-aktuell. Dies schliesst nicht aus, dass sich auch Schweiz-aktuell mit dem Thema der Pflege befassen kann, allerdings mit einem klar regionalen Fokus[2].
Tagesschau
Grundsatz
Die Tagesschau hat nicht über die Einreichung der Pflegeinitiative berichtet. Da hat sie einen Fehler gemacht.
Im Jahre 1997 hatte sich die Ombudsstelle bereits mit dem Thema befasst: Damals ging es um die Volksinitiative von Helvetia Nostra, welche ein Verbot von Wasserflugzeugen auf Schweizer Seen verlangt hatte (Fall Nr. 714). Der damalige Ombudsmann Arthur Hänsenberger schrieb in seinem Schlussbericht, in Form eines Briefes an den Anwalt von Helvetia Nostra: <Persönlich meine ich, dass der Einreichung einer Initiative auf eidgenössischer Ebene eine Bedeutung zuzumessen ist, die eine Erwähnung in der Tagesschau verlangt.> (Brief vom 24. März 1997). Ombudsmann Arthur Hänsenberger hatte daher die Beanstandung in diesem Punkte als ‚gerechtfertigt‘ betrachtet. Gleiches gilt in der Logik auch für die aktuelle Beanstandung zur Pflegeinitiative.
Die Tagesschau hat in all den Jahren seither immer über die Einreichung von Initiativen und Referenden auf eidgenössischer Ebene berichtet. 20 Jahre und über hundert Initiativen und Referenden später ist nun ein Fehler passiert.
Die Tagesschau hat dies in der Redaktionssitzung und im wöchentlichen Redaktionspaper thematisiert und die Regeln in Erinnerung gerufen.
Dialog mit dem Berufsverband
Die Bundeshausredaktion von SRF ist seit dem 7. November in Kontakt mit Frau Helena Zaugg, Präsidentin des SBK. Aufgrund dieses konstruktiven Dialogs und angesichts der Bedeutung der Pflege in einer immer älter werdenden Gesellschaft hat die Tagesschau am Sonntag 19. November das Thema aufgegriffen - mit einer konkreten Pflegesituation, mit einer Stellungnahme des SBK und mit ein paar Bilder von der Unterschriftenübergabe vom 7. November.[3] Sie ist damit der Erwartung von Herrn X nachgekommen, dass das Fernsehen in nächster Zeit ein Sendegefäss finde um auf das versäumte Thema einzugehen.
Bedeutung der Pflege
Die Tagesschau ist sich sehr wohl bewusst, dass Pflegerinnen und Pfleger eine höchst anspruchsvolle Arbeit leisten. Sie ist sich sehr wohl bewusst, dass aufgrund der Bevölkerungsentwicklung und angesichts der knappen finanziellen Mittel das Thema Pflege in der Zukunft noch mehr Gewicht erhalten wird. Sie hat daher in der Vergangenheit das Thema immer wieder aufgegriffen:
So hat sie am 21. Januar 2017 über den Start der Initiative berichtet:[4] Am 8. September 2016 hat die Tagesschau über den Fachkräftemangel im Schweizer Gesundheitswesen berichtet, in der Pflege würden bis ins Jahr 2030 insgesamt 65'000 Personen fehlen.[5] In einem Bericht am 10. Februar 2016 schlagen die Gewerkschaft Unia und der Berufsverband Alarm, sie verlangen bessere Arbeitsbedingungen für das Personal.[6]
Die Tagesschau hätte die Einreichung der Pflegeinitiative melden sollen. Sie hat das Thema nach einem Dialog mit dem Fachverband aufgegriffen und mit einem Beispiel vertieft. Sie hat in der Vergangenheit immer wieder über das Thema Pflege berichtet. Die Tagesschau wird der Initiative im Rahmen der kommenden politischen Diskussion (Bundesrat, Parlament, Volksabstimmung) weiter Beachtung schenken.
10v10
Herr X ist der Meinung, dass die Einreichung der Initiative «Für eine starke Pflege» auch in der Sendung 10vor10 vom 7. November 2017 hätte aufgegriffen werden müssen. Gerne nehmen wir dazu Stellung.
10vor10 ist ein Hintergrundmagazin, das aktuelle Themen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft vertieft. Mit unserem Sendekonzept, das jeweils einen Sendeschwerpunkt beinhaltet, können wir (abgesehen von den Kurznachrichten) nur vier Themen vertieft abdecken. In der Regel gehören dazu ein Ausland- und ein Wirtschaftsthema. Neben der Relevanz eines Themas kommt es bei der Planung der Sendung immer auch auf den Themen-Mix an. Dabei sind wir in der Wahl der Themen basierend auf der gesetzlich garantierten Programmautonomie frei.
Am 7. November 2017 haben wir uns anlässlich der grossangelegten Razzien bei Terrorverdächtigen in der Schweiz und in Frankreich zu einem fast zehnminütigen Fokus zu diesem Thema entschieden, bestehend aus zwei Beiträgen und einer Schaltung nach Paris. Darauf folgte ein Beitrag über den Sozialhilfebezug von alleinerziehenden Müttern. Anlass dazu war die am Sendetag publizierte Sozialstatistik. Im Anschluss zeigte ein Wirtschaftsbeitrag anlässlich der in diesen Tag breit diskutierten Paradise-Papers auf, wie die OECD gegen Steuerschlupflöcher vorgehen will. In den Kurznachrichten berichteten wir, dass der US-Präsident Nordkorea zu Verhandlungen aufforderte und dass für die A81 Singen-Stuttgart ein Tempolimit nicht zuletzt wegen Schweizer Rasern eingeführt wird. Im Zusammenhang mit dem an diesem Tag stattfindenden Klimagipfel in Bonn haben wir schliesslich im letzten Beitrag darüber berichtet, wie die Republikaner zum Gletscherrückgang in den USA stehen. Alle Themen knüpften also an aktuelle Ereignisse an, waren relevant und sorgten für einen guten Themen-Mix.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass wir zum Zeitpunkt der Einreichung einer Initiative nur in wenigen Fällen darüber berichten, da die Einreichung einer Initiative für uns als Hintergrundmagazin kein Pflichtstoff ist. Umgekehrt berichten wir vor der Abstimmung regelmässig über alle Vorlagen. So werden wir es auch bei der Initiative ‚Für eine starke Pflege‘ halten. Dass wir am Tag der Einreichung der Initiative nicht darüber berichtet haben, bedeutet aber nicht, dass wir diese nicht als wichtig einschätzen. Das Thema Pflege findet immer wieder Eingang in unsere Sendung
So realisierte 10v10 einen Schwerpunkt am 2. Februar 2017 mit zwei Beiträgen, wenige Tage nach dem Start der Pflegeinitiative. FOKUS (Beitrag 1): Leben mit einer unheilbar kranken Tochter: Es ist ein trauriges Thema: Todkranke Kinder. Die kleine Jara leidet seit ihrer Geburt an einem unheilbaren Hirnschaden. Ihre Familie weiss, dass sie irgendwann sterben wird. Nur dank viel Unterstützung und palliativen Strukturen kommt die Familie damit klar.[7]
FOKUS (Beitrag 2): Handlungsbedarf bei der Betreuung von todkranken Kindern: Ohne professionelle Hilfe kommt eine Familie mit einem todkranken Kind nicht klar. Doch über den Tod von Kindern zu reden, ist in der Schweiz noch weitgehend ein Tabu. In Zürich hat eine nationale Fachtagung zu diesem Thema stattgefunden. Fazit: In der Palliativ-Pflege für Kinder gibt es noch grossen Handlungsbedarf.[8]
10v10 wird auch später das Thema wieder aufgreifen. Wir sind aber aus den oben dargelegten Gründen überzeugt, dass ein Bericht in der beanstandeten Sendung nicht zwingend war, und bitten Sie deshalb, die Beanstandung gegen die Sendung 10vor10 nicht zu unterstützen.
Fazit
Wir bitten Sie, die Beanstandung insgesamt in diesem Sinne zu beantworten.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Angelegenheit. Es gibt Schlüsselereignisse der direkten Demokratie. Zu diesen gehören:
- Eidgenössische Wahlen
- Umstrittene kantonale und städtische Wahlen
- Landsgemeinden
- Eidgenössische Volksabstimmungen (samt den Medienkonferenzen des Bundesrates und der Komitees, dem Abstimmungskampf und dem Abstimmungssonntag)
- Deponierung der Unterschriften von Volksinitiativen und Referenden
- Umstrittene, wichtige kantonale und städtische Abstimmungen
- Parteitage mit relevanten Themen und Entscheiden
Solche Schlüsselereignisse muss die „Tagesschau“ abdecken, wenn es um eidgenössische Anlässe geht, und „Schweiz aktuell“ muss es, wenn es sich um kantonale Anlässe handelt. Manchmal müssen es beide. „10 vor 10“ hingegen als weniger ereignisbezogene und mehr hintergrundorientierte Sendung muss es nicht. Und niemand muss es, wenn die Relevanz eines anderen Ereignisses so groß ist, dass alles andere dahinter zurücktritt (beispielweise an einem Tag wie dem 11. September 2001, als die Terroranschläge auf die Twin Towers in New York und das Pentagon in Washington stattfanden). Es kann sich auch aufdrängen, auf die Berichterstattung über einen Parteitag oder eine Landsgemeinde zu verzichten, weil einfach nichts Wichtiges verhandelt wird.
Am 7. November 2017 hätte indes die Berichterstattung über die Einreichung der Pflegeinitiative in der „Tagesschau“ Platz finden müssen. Auch die Redaktion beurteilt die Nichtberichterstattung hinterher als Fehler. Hingegen ist positiv zu vermerken, wie intensiv die „Tagesschau“, aber auch „10 vor 10“, die Berichterstattung über das Thema inzwischen aufgenommen haben. SRF sperrt sich also nicht gegen das Anliegen und den Problemkreis; man hat einfach einen Fehler gemacht.
Ich komme daher zu folgendem Schluss:
- Die intensive Berichterstattung von Fernsehen SRF zum Thema Pflege ist zu begrüssen.
- Ihre Beanstandung gegen die Nichtberichterstattung der „Tagesschau“ vom 7. November 2017 unterstütze ich.
- Ihre Beanstandung gegen die Nichtberichterstattung von „Schweiz aktuell“ und „10 vor 10“ vom 7. November 2017 unterstütze ich nicht.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/sendungen/schweiz-aktuell/gleichstellung-uber-fahrer-schuldig-neuer-einkaufstempel ;https://www.srf.ch/sendungen/tagesschau/mehr-sozialhilfe-bezueger-das-legale-paradies-trabi-wird-60 ; https://www.srf.ch/sendungen/10vor10/sozialhilfe-fuer-alleinerziehende-beps-alaskas-gletscher
[2] https://www.srf.ch/sendungen/schweiz-aktuell/sendungsportraet
[3] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-19-11-2017-1930?id=f528b492-c08f-443b-90e4-095817dfb3a5&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7
[4] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/initiative-gegen-den-pflegenotstand?id=f464f61c-777d-4fe8-abc0-b4abb76ca45e&station=dd0fa1ba-4ff6-4e1a-ab74-d7e49057d96f
[5] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/weiterhin-zu-wenig-einheimisches-gesundheitspersonal?id=19d1cdc2-e644-453e-b822-725550ffebc5&station=dd0fa1ba-4ff6-4e1a-ab74-d7e49057d96f
[6] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/in-der-pflege-muss-etwas-geschehen?id=15535326-17fd-45cd-ae6a-94364e66e835&station=dd0fa1ba-4ff6-4e1a-ab74-d7e49057d96f
[7] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-leben-mit-einer-unheilbar-kranken-tochter?id=00fd30f7-aec9-4b94-b6c6-85530900d960
[8] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-handlungsbedarf-bei-der-betreuung-von-todkranken-kindern?id=7e4c0487-1dca-4e1e-87e1-4a920794e03c
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