«Arena/Reporter» über «Ewigi Liebi» beanstandet (I)

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Mit Ihrer E-Mail vom 14. November 2017 und Ihrem Brief vom 13. November 2017 beanstandeten Sie die Sendung „Arena/Reporter“ (Fernsehen SRF) vom 5. November 2017 („Ewige Liebe“). [1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Mit diesem Schreiben gelange ich betreffend einer Beschwerde an Ihre Stelle. In der Sendung Arena/Reporter mit dem Titel ‚Ewige Liebe‘ wurde ein Dokumentarfilm über zwei betagte Ehepaare, welche sich liebevoll umeinander kümmern, gezeigt. Herr Rudolf Geel ist seit 8 Jahren an Demenz erkrankt. Da ich im Pflegeberuf tätig bin und die Intimsphäre stets zu wahren habe, ist mir aufgefallen, dass dies in diesem Film nicht der Fall war. Ich gehe davon aus, dass Herr Geel vor acht Jahren nicht das Einverständnis gegeben hat, sich in seinem jetzigen Krankheitszustand der Schweiz zu zeigen. In dem Film erklärt Frau Geel, dass es ihrem Mann immer wichtig gewesen sei, schön gekleidet zu sein. So stört es mich noch mehr, dass Herr Geel im Pyjama, im Morgenrock und beim Anziehen seiner Kleider gefilmt wurde. Ich glaube nicht, dass Herr Geel dies so gewollt hätte. Ich bin überzeugt, dass dieses Ehepaar auch auf andere Weise gezeigt hätte werden können. Es ist bekannt, dass Menschen, welche bemerken, dass sie dement werden, oder bei denen diese Diagnose gestellt wird, es unglaublich peinlich finden und sich sogar schämen. Die Ehefrau, so nehme ich an, wird das Einverständnis gegeben haben. Ihr mache ich keinen Vorwurf, da sie die Anerkennung für ihre Betreuung und Pflege ihres Ehemannes auf diesem Wege zum Teil erhalten kann, das ist menschlich. Dass aber Filmemacherinnen sich nicht empathischer mit solchen Menschen auseinander setzten, finde ich schade und nicht angebracht. In diesem Fall, finde ich, ist die Menschenwürde von Herr Geel nicht beachtet worden.

Es ist mir ein Anliegen, dass bei solchen Dokumentarfilmen extrem auf die Menschenwürde und die Ethik geachtet wird.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für „Reporter“ antwortete die Redaktionsleiterin, Frau Nathalie Rufer:

„Gerne nehme ich Stellung zur kritischen Reaktion von Frau X zum ‚Reporter‘-Film innerhalb der Sendung «Arena/Reporter» vom 5. November 2017.

Frau X ist der Ansicht, der an Demenz erkrankte Rudolf Geel hätte nicht in einem Film gezeigt werden dürfen, respektive es habe von Seiten der Filmautorin an Empathie gegenüber Herrn Geel gemangelt, seine Menschenwürde sei nicht geachtet worden.

Die Sendung ‚Arena/Reporter‘ vom 5. November 2017 behandelte das Thema ‚Ewige Liebe‘. Gemäss Sendekonzept wird zu Beginn der Sendung als Diskussionsgrundlage ein Film gezeigt, der das Thema lanciert. In diesem Fall war es der Film ‚Bis dass der Tod uns scheidet‘ von Autorin Vanessa Nikisch. Darin porträtiert die Filmerin zwei hochbetagte Ehepaare, die trotz ihres hohen Alters weitgehend selbständig gemeinsam zuhause ihren Alltag meistern. Sie zeigt nicht nur, welche Schwierigkeiten sich daraus ergeben, sondern geht insbesondere der Frage nach, wie es um die Beziehung, ja um die Liebe bestellt ist auf diesem letzten Wegstück im Leben.

Im Falle des Ehepaars Lotti und Rudolf Geel kommt eine besondere Erschwernis hinzu: Rudolf Geel ist seit acht Jahren dement, die Krankheit trat relativ plötzlich und heftig auf. Unterdessen ist Herr Geel stark von seiner Ehefrau abhängig. Lotti Geel erachtet es als ihre selbstverständliche Aufgabe und Pflicht, sich um ihren bedürftigen Mann zu kümmern, schliesslich sei das Teil des Eheversprechens, das sie ihm vor siebzig Jahren abgegeben habe. Um das Verhältnis der zwei Eheleute zu dokumentieren, ihren Umgang miteinander zu zeigen und darzustellen, wie sich ihr Leben in dieser Situation gestaltet, hat die Autorin sowohl Lotti Geel als auch Rudolf Geel mit der Kamera begleitet.

Den Dreharbeiten vorangegangen ist ein langes Gespräch zwischen der Autorin Vanessa Nikisch und Lotti Geel, in dem auch geklärt wurde, ob und in welcher Form Rudolf Geel gezeigt werden darf. Lotti Geel hat dieses Thema auch mit ihren fünf Kindern besprochen, und die Familie ist einstimmig zum Schluss gekommen, ihre Einwilligung zu den Dreharbeiten zu geben. Dabei war für die Autorin stets selbstverständlich, dass Rudolf Geels Würde unbedingt gewahrt werden muss. Das ist unserer Meinung nach vollumfänglich gelungen.

Demenz ist eine verheerende und weit verbreitete Krankheit, welche die Betroffenen bedürftig werden lässt. Das manifestiert sich zum Beispiel darin, dass man sich nicht mehr selber ankleiden kann. Ist das würdelos oder peinlich? Wir finden nicht. Dass sich in diesem Fall Angehörige liebevoll um den Patienten kümmern, zeugt davon, dass dem Krankenstand eine respektvolle, von tiefer Liebe geprägte Beziehung vorausgegangen ist. Die Persönlichkeit von Herrn Geel wird dafür ausschlaggebend gewesen sein – schliesslich liebt Lotti Geel diesen Mann seit über 70 Jahren. Im Film ‚Bis dass der Tod uns scheidet‘ ging es ja gerade darum, was es braucht, dass man auch nach langer Zeit noch zueinander hält, was die Liebe nach vielen Jahrzehnten ausmacht. Darüber und wie man sich solche Zuneigung bis ins hohe Alter bewahren kann, wurde dann im Anschluss in der Sendung diskutiert.

Im Film sieht man, wie Lotti Geel ihren Ehemann Rudolf Geel rund um die Uhr betreut und für ihn da ist. Sei dies, wenn sie zusammen aufstehen, wenn er auf dem Hometrainer ist, wenn sie zusammen im Garten sitzen, wenn sie ihm ein Taschentuch reicht oder wenn sie ihm das Hemd zuknöpft. Dabei wird Rudolf Geel stets würde- und respektvoll gezeigt; diese Ansicht teilen ausdrücklich auch seine Ehefrau und seine Kinder. Von Boulevard-Journalismus kann somit keine Rede sein. Auch eine Verletzung der Intimsphäre von Herrn Geel ist nicht ersichtlich.

Ich bin der Meinung, dass die Anträge der vorliegenden Beanstandung in allen Punkten abzuweisen seien.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Als ich die Begründung Ihrer Beanstandung las, hatte ich den Film über die beiden alten Paare noch nicht gesehen. Ihre Argumentation leuchtete mir ein, zumal Menschenwürde und Persönlichkeitsschutz wichtige Grundrechte sind. Dann aber sah ich mir den Film an, und ich hatte Grund, der Argumentation der Redaktion zuzuneigen. Denn was sah das Publikum? Eine anrührende Reportage über zwei betagte Paare, die liebevoll miteinander umgehen und ihre gegenseitige Zuneigung ausdrücken, soweit es ihnen möglich ist. Bei dem einen Paar- Mann wie Frau sind 93 Jahre alt - sind beide gesundheitlich beeinträchtigt, aber beide können noch ihre Gedanken klar ausdrücken und miteinander einkaufen gehen. Bei dem anderen Paar ist der Mann dement und die Frau betreut ihn. Da ist es sie, die redet und handelt. Die Frage, die Sie zu Recht aufwerfen, lautet: Durfte das Fernsehen den Mann, der darüber selber nicht mehr entscheiden kann, im privaten Bereich zeigen? Durfte es quasi über ihn „verfügen“? Rechtlich ist die Frage geklärt: Die Frau hat das gesetzliche Vertretungsrecht für ihn, und sie hat für den Entscheid auch noch die fünf Kinder einbezogen, die alle mit dem Fernseh-Besuch einverstanden waren. Ethisch ist die Frage problematischer. Aber die Antwort gibt die Reportage: Nirgends wurde die Grenze zum innersten Kreis der Privatsphäre, dort, wo die Intimsphäre beginnt, überschritten. In keiner Szene wurde die Würde des Mannes verletzt. Es wurde deutlich, dass Mann und Frau stark aufeinander bezogen sind, dass sich der Mann gar Zeitungs-Schlagzeilen erläutern lässt und dass die Frau liebevoll bemüht ist, ihm das Dasein erträglich zu machen und ihn ernst zu nehmen.

Bei Beanstandungen gegen Sendungen von Radio und Fernsehen steht immer das Publikum im Fokus: Wurde es manipuliert? Wurde ihm die Darstellung einer Person in entwürdigender Art zugemutet? Erhielt das Publikum unbegründet eine schlechte Meinung von einer gezeigten Person? Im Falle des dementen alten Mannes war das nicht der Fall. Das Publikum erhielt im Gegenteil das Bild eines Paares, das sich seit 71 Jahren kennt und noch immer stark aufeinander bezogen ist. Und es erhielt im Speziellen das Bild einer positiv denkenden, fürsorgenden Frau, die ganz sicher nicht ihren Mann „vorführen“ wollte. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.srf.ch/sendungen/reporter/bis-dass-der-tod-uns-scheidet

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