Siebenteiliger Jahresrückblick der «Tagesschau» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 3. Januar 2017 haben Sie den siebenteiligen Jahresrückblick der «Tagesschau»[1] von Schweizer Fernsehen SRF in der Zeit zwischen Weihnachten 2017 und Neujahr 2018 beanstandet. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Voraussetzungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
Hiermit lege ich Beschwerde wegen Missachtung des Vielfaltsgebots ein.

In allen 7 Teilen wird geopolitisch nur der Krisenherd in Syrien mit ca. 2 Minuten erwähnt.

Es scheint, dass alle vorwiegend vom Westen verursachten und geführten Krisen und Kriege im 2017 wohlwollend verschwiegen und ignoriert werden (Lybien, Afganistan, Irak, Jemen, Somalia, etc, etc).

Eine solche Auswahl kann nur als Propaganda bezeichnet werden und hat nichts mit objektiver Berichterstattung zun tun.

Als Konsequenz ist es wichtig, dass SRF, auch mit teilweise guten, informativen Formaten, nicht mehr mit Zwangsgebühren finanziert werden darf.

B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Herr Franz Lustenberger, Redaktion «Tagesschau», Fernsehen SRF schrieb:

Mit Mail vom 3. Januar hat Herr X eine Beanstandung zum Jahresrückblick der Tagesschau eingereicht, der in sieben Teilen zwischen Weihnachten und Neujahr ausgestrahlt wurde. Er kritisiert, dass einzelne Krisenherde nicht erwähnt wurden. Die «vom Westen verursachten und geführten Kriege» würden «wohlwollend verschwiegen und ignoriert».

Funktion des Jahresrückblicks

Der 7teilige Jahresrückblick der Tagesschau zwischen Weihnachten und Neujahr will die wichtigsten Ereignisse in den Themenfeldern Politik Inland und Ausland, Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport in Erinnerung rufen und diese losgelöst von der Tages-Chronologie behandeln. Der Jahresrückblick setzt bewusst Schwerpunkte – was ist in diesem Jahr passiert, wo haben sich markante Veränderungen ergeben, was wirkt ins neue Jahr hinein, was hat grundlegende Bedeutung über den Tag hinaus, welche Themen sind für das ganze Jahr prägend? Daraus ergibt sich, dass auch der Jahresrückblick der Tagesschau fokussieren muss.

Der Jahresrückblick setzt eher die vielen betroffenen Menschen in den Vordergrund, weniger die tagespolitische Analyse. Diese wurde in Bezug auf den Nahen und Mittleren Osten (auf dieses Gebiet bezieht sich die Beanstandung im Wesentlichen) in den Sendungen des Jahres in vielen Gesprächen mit SRF-Korrespondent Pascal Weber und anderen Experten ausführlich gemacht.

Der Jahresrückblick der Tagesschau ist keine lückenlose Chronologie von Tagesereignissen. Dies überlässt die Tagesschau den Zeitungen, die oft in Ergänzung zu hintergründigen Analysen, Reportagen oder Kommentaren in einer Spalte jeweils eine Chronologie abdrucken. Der Jahresrückblick der Tagesschau erhebt daher auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er kann dies auch schon rein zeitlich nicht erfüllen; die Tagesschau sendet in ihren vier Ausgaben täglich rund eine Stunde News; der Jahresrückblick umfasst in seinen sieben Teilen gesamthaft eine Stunde Sendezeit. Also 365mal weniger als das gesamte Newsangebot der Tagesschau-Sendungen.

Hungersnot in Afrika; Cholera im Jemen

Der Jahresrückblick hat die vom Beanstander erwähnten Staaten Somalia und Jemen nicht vergessen. Die Tagesschau hat im ersten Teil des Jahresrückblicks vom 25. Dezember (ab 18:45) aber den Fokus nicht gesetzt, dass der Bürgerkrieg weiter gehe, und wer daran die Schuld trage. Sie hat demgegenüber die notleidende Bevölkerung in den Vordergrund gerückt, die Hungersnot in diesen Ländern am Horn von Afrika, respektive die Cholera-Epidemie im Jemen. Sie hat dabei klar gesagt, dass Terror und Krieg mitverantwortlich sind für das Elend der Menschen in diesen Staaten, ohne die Schuldfrage zu behandeln. Eine einseitige Schuldzuweisung wie vom Beanstander angeregt («vom Westen verursacht») widerspricht den Grundsätzen einer sachlichen Berichterstattung.[2]

Syrienkonflikt

Grosse Veränderungen in der Weltpolitik gehören selbstverständlich zum Inhalt des Jahresrückblicks. Das Wiedererstarken von Präsident Assad, die Kontroverse um den Einsatz von Chemiewaffen sowie der Niedergang des IS gehören dazu. Syrien ist daher richtigerweise Bestandteil des Jahresrückblicks der Tagesschau. Dies erfolgt im zweiten Teil des Jahresrückblickes am 26. Dezember (ab 18:03) [3]

Der Syrienkrieg dauert schon Jahre: Was ist aber 2017 Neues passiert? Das war die Leitfrage für das Syrien-Kapitel im Jahresrückblick. Mit dem Einsatz von Giftgas erreichte der Konflikt eine neue Dimension; die USA – während Jahren eher im Hintergrund des Konflikts, mit versteckter Unterstützung der Rebellen und der Kurdenmilizen – greifen unter dem neuen Präsidenten Donald Trump offen ein. Trotzdem kann sich Präsident Baschar al-Assad dank russischer Unterstützung behaupten und seine Machtposition deutlich ausbauen. Dies nicht zuletzt dank Erfolgen gegen den sogenannten Islamischen Staat IS, der von allen Seiten, in Syrien wie im Irak zunehmend unter Druck gerät.

SRF 2017

Am Freitag vor Weihnachten hat SRF eine moderierte und sehr persönlich gestaltete Sendung ausgestrahlt. Die wichtigsten Ereignisse des Jahres, in Bildern, mit Gästen und aus der Perspektive der Korrespondenten von SRF. [4]

In einer grossen Reportage schildert Pascal Weber die Situation der Menschen in der Stadt Mossul, der zweitgrössten Stadt des Landes, die während drei Jahren in der Hand des sogenannten Islamischen Staates IS war (ab 48:30).

Fazit

Die Tagesschau hat sowohl im siebenteiligen Jahresrückblick zwischen Weihnachten und Neujahr wie auch in der Sendung SRF 2017 die vom Beanstander erwähnten Krisenherde nicht ausgeblendet, sofern in diesen Ländern im letztes Jahr Entscheidendes passiert ist. Sie lehnt daher den Vorwurf der Propaganda ab.

Sie hat aber den Fokus in den jeweiligen Sendungen auf die Schicksale der Menschen gelegt, auf die Not der Opfer, auf die Zerstörung, aber auch auf Zeichen des Wiederaufbaus und der Hoffnung. Nicht die weltpolitische Analyse oder der Streit um die Schuldfrage standen im Vordergrund, sondern die Menschen, die unter schwierigsten Bedingungen in den oft völlig zerstörten Städten und Dörfern leben.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Die «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens strahlt nach Weihnachten jedes Jahres einen mehrteiligen Jahresrückblick[5] aus. Die sieben Folgen waren auch im Jahr 2017 vom 25. bis zum 31. Dezember jeweils am Ende der Hauptausgabe der «Tagesschau» zu sehen. Die einzelnen Jahresrück­blicke dauerten zwischen 08:16 und 09:30 Minuten. Die Kurzserie ist somit eine Art «Tagebuchtradition» der «Tagesschau», wie Franz Fischlin in der Anmoderation am ersten Ausstrahlungsdatum sagt.

Sie monieren in Ihrer Beanstandung die Missachtung des Vielfaltsgebots, weil in den sieben kurzen Jahresrückblicken der Krisenherd in Syrien lediglich mit ca. 2 Minuten erwähnt wird. Sie kritisieren des Weiteren, dass die «vorwiegend vom Westen verursachten und geführten Krisen und Kriege im 2017 wohlwollend verschwiegen und ignoriert werden». Die Auswahl bezeichnen Sie schliesslich als «Propaganda», die «nichts mit objektiver Berichterstattung zu tun» hat.

Im Bundesgesetz für Radio und Fernsehen (RTVG)[6] gibt es inhaltliche Vorschriften. So heisst es in Art. 4. Absatz 4: «Konzessionierte Programme müssen in der Gesamtheit ihrer redaktionellen Sendungen die Vielfalt der Ereignisse und Ansichten angemessen zum Ausdruck bringen». Auf der nächsten Ebene, nämlich in der Konzession für die SRG[7] wird im Art. 2 Absatz 4a zum Programmauftrag ausgeführt, dass die SRG zur «freien Meinungsbildung des Publikums durch umfassende, vielfältige und sachgerechte Information insbesondere über politische, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge» beizutragen hat. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz (UBI) hat ihrerseits Richtlinien erlassen, welche die Grundsätze ihrer Rechtsprechung zu den wichtigsten Programmbestimmungen zusammenfassen. In den publizistischen Leitlinien von Schweizer Radio und Fernsehen SRF finden sich im Anhang «Handwerksregeln der UBI»[8]. Der Passus zum Vielfaltsgebot lautet:

«Das Vielfaltsgebot richtet sich im Gegensatz zum Sachgerechtigkeitsgebot nicht an eine einzelne Sendung, sondern an mehrere Sendungen, die in einem sachlichen Zusammenhang miteinander stehen. Es will einseitige Tendenzen bei Radio und Fernsehen insgesamt verhindern. Diese sollen insbesondere auch nicht ausschliesslich die politisch oder gesellschaftlich herrschenden Ansichten vermitteln. Vielmehr haben die konzessionierten Radio- und Fernsehprogramme gesamthaft die politische und weltanschauliche Vielfalt zu widerspiegeln.»

Wie den oben aufgeführten Artikeln zu entnehmen ist, weicht der siebenteilige Jahresrückblick der «Tagesschau» von diesen Vorschriften nicht ab. Die «Tagesschau» berichtet 365 Tage lang von relevanten Ereignissen im In- und Ausland. Über das ganze Jahr gesehen, wurden – wie Herr Franz Lustenberger von der «Tagesschau»-Redaktion aufzeigen kann – die von Ihnen angesprochenen Krisenherde thematisiert, und zwar jeweils dann, wenn relevante Ereignisse eingetreten waren. So ergibt sich die in der Konzession geforderte umfassende und vielfältige Information.

Wichtig ist, dass sich das Vielfaltsgebot nicht an einzelne Sendungen, sondern an mehrere Sendungen richtet, die in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Auch hier zeigt sich, dass man den Jahresrückblick nicht als einzelne Sendung sehen kann, sondern höchstens als die maximale Verdichtung aller als relevant eingestuften Ereignisse des vergangenen Jahres.

Die Redaktion der «Tagesschau» hat sich – wie Herr Franz Lustenberger darlegt – darauf fokussiert, «die notleidende Bevölkerung in den Vordergrund» zu rücken und nicht auf die von Ihnen vermissten «vom Westen verursachten und geführten Krisen und Kriege». Diese Fokussierung der Verantwortlichen auf die entsprechenden Tagesschauausschnitte aus dem Jahr 2017 von SRF ist absolut legitim. Einerseits entspricht sie der Programmautonomie, andererseits muss in einem Jahresrückblick notwendigerweise verkürzt und verknappt werden.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die «Tagesschau» von Schweizer Radio und Fernsehen im Jahresrückblick 2017 weder Propaganda betrieben, noch relevante Themen unterdrückt hat. Vielmehr hat sie nüchtern berichtet, zusammengefasst und objektiv berichtet. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Manfred Pfiffner
Stellvertretender Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/sendungen/jahresrueckblick/der-jahresrueckblick-in-der-tagesschau

[2] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/jahresrueckblick-teil-1?id=9913f9b9-3f28-4bcd-8865-76e1e6ab3877&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7

[3] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/jahresrueckblick-teil-2?id=61767af3-33bb-4972-b420-e07a15ec87e6&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7

[4] https://www.srf.ch/play/tv/srf-2017/video/jahresrueckblick-2017?id=8de8e15c-eed4-4890-a21b-c76ba554c0a0$

[5] https://www.srf.ch/sendungen/jahresrueckblick/der-jahresrueckblick-in-der-tagesschau

[6] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html

[7] https://www.bakom.admin.ch/bakom/de/home/elektronische-medien/informationen-ueber-radio-und-fernsehveranstalter/srg-ssr/konzessionierung-und-technik-srg-ssr.html

[8] https://m.srf.ch/unternehmen/unternehmen/qualitaet/publizistische-leitlinien-srf (S. 102)

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