Fernsehen SRF, «Tagesschau» und «10 vor 10» vom 26. Januar 2018 beanstandet.
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Mit Ihrer E-Mail vom 9. Februar 2018 beanstandeten Sie die «Tagesschau»[1] und die Sendung «10 vor 10»[2] vom 26. Januar 2018 und dort die Berichterstattung über die Meinungsumfrage zur damals bevorstehenden «No Billag»-Abstimmung. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich es problematisch finde, dass gfs.bern AG die Datenanalyse für SRF macht, gleichzeitig die Resultate kommentiert und interpretiert. Ein kritischer und unabhängiger Sender braucht dazu kritische Journalisten und keine Geschäftsführer oder Angestellten der gfs.bern AG. Es widerspricht dem Transparenzgebot, wenn Herr Golder lediglich als Politikwissenschaftler und nicht als Politikwissenschaftler (bei) der gfs.bern AG erwähnt wird. Das gilt meiner Ansicht nach für alle Experten, die Interessenbindungen im Rahmen eines kommerziell tätigen Unternehmens haben. Dieser Ansicht war ich schon immer. Ich bitte Sie darum, meine Beanstandung vertraulich zu behandeln.»
Ihrer Bitte, Ihre Beanstandung vertraulich zu behandeln, kann ich nur teilweise entsprechen. Erstens musste ich sie der betroffenen Redaktion zur Kenntnis geben, damit diese dazu Stellung nehmen konnte. Zweitens wird jeder Schlussbericht anonymisiert veröffentlicht.
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die beiden Sendungen «Tagesschau» und «10 vor 10» äußerte sich Herr Franz Lustenberger («Tagesschau»):
«Mit Mail vom 9. Februar hat Herr X eine Beanstandung gegen die Berichterstattung über die GfS-Umfrage zur No-Billag-Initiative in den Sendungen Tagesschau und 10v10 vom 26. Januar eingereicht. Er kritisiert, dass Lukas Golder, respektive seine Tätigkeit für GfS Bern, ungenügend deklariert worden sei. Er kritisiert weiter, dass es problematisch sei, wenn GfS Bern sowohl die Daten erhebe und sie dann auch selber interpretiere und kommentiere.
Die beiden Redaktionen nehmen im Folgenden zu beiden Punkten Stellung:
Transparenz Lukas Golder
Tagesschau und 10v10 teilen die Haltung des Beanstanders, dass die Rolle und der Hintergrund von Experten, welche in den Sendungen auftreten, für das Publikum transparent gemacht werden müssen. Diese Anforderung haben beide Sendungen erfüllt. Lukas Golder wird in beiden Sendungen im Zusammenhang mit der Präsentation der GfS-Zahlen als Person eingeführt; da ist schon von Anfang an klar, da kommt nicht eine völlig neue Person. Er wird bei allen O-Tönen in den Filmbeiträgen von Tagesschau und 10v10 mit ‘Lukas Golder, Politikwissenschaftler GfS Bern’ angeschrieben.
Es ist also für das Publikum jederzeit ersichtlich, dass der interviewte Lukas Golder mit GfS Bern in Verbindung steht.
Grundsätzliches zur Interpretation durch einen Aussenstehenden
GfS Bern richtet sich bei der Interpretation der Ergebnisse von Umfragen im Auftrag der SRG nach dem Internationalen Kodex der internationalen Branchenvereinigung ICC/ESOMAR zur Markt-, Meinungs- und Sozialforschung sowie zur Datenanalytik. Der Kodex enthält für Umfrageinstitute aller Länder klare Richtlinien zur Rolle des Forschers in der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen. Im Einzelnen sind dies insbesondere die Artikel 7 und 8.[3]
Darin wird unter anderem festgehalten, dass Forscher sicherstellen müssen, <dass die Ergebnisse und ihre Interpretation klar und angemessen durch die Daten unterstützt werden> (Artikel 7b). Bei der Berichterstattung der Forschungsergebnisse müssen Forscher gemäss dem internationalen Kodex <klar unterscheiden zwischen Ergebnissen, ihrer Interpretation dieser Ergebnisse und allen daraus abgeleiteten Folgerungen oder Empfehlungen> (Artikel 7e).
Die Verantwortung der Forscher ist gross: In Artikel 8c wird etwa vom Forscher verlangt, dass er sicherstellt, <dass der Kunde zur Form und zum Inhalt der Veröffentlichung beraten wird> und weiter: Forscher dürfen es nicht zulassen, dass <ihr Name oder der Name der Organisation mit der Verbreitung von Folgerungen aus einem Forschungsprojekt verbunden wird, die nicht angemessen durch die Daten unterstützt werden> (Artikel 8d).
Allein diese Grundsätze verbieten es eigentlich, dass ausschliesslich Dritte – etwa andere Meinungsforscher oder Journalisten – die Ergebnisse einer Umfrage interpretieren können. Das Publikum würde sich zu Recht fragen, welche Kompetenz ein Aussenstehender hätte, eine Umfrage eines anderen Institutes zu interpretieren.
Ganz konkret hat die Redaktion 10v10 bei einer anderen Umfrage aus der Politik genau diese Erfahrung gemacht: Die Redaktion wollte eine GfS-Umfrage durch Michael Hermann kommentieren lassen. Er hat abgesagt, mit der Begründung, dass er die Hintergründe und Methodik der GfS-Studie nicht kenne. Daraus ergibt sich, dass eine Interpretation durch eine fremde Person ein hohes Risiko für Missverständnisse und Fehlinterpretationen beinhaltet. Damit wäre dem Publikum nicht gedient. Sachgerecht kann eine Interpretation nur sein, wenn der Interpret die Grundlagen und die Methodik kennt.
Interpretation und Analyse durch Lukas Golder
Die Regeln bestimmen, dass die Forscher die Resultate interpretieren, und nicht kommentieren oder politische Schlüsse daraus ziehen. Genau daran hat sich Lukas Golder in beiden Sendungen gehalten.
Im ersten Quote in der Tagesschau (<Das Nein ist vor allem die Befürchtung, dass es schlechtere Qualität gibt, aber auch die Befürchtung vom Einfluss aus dem Ausland, dass irgendwie das Angebot so nicht funktionieren könnte. Aber auch – quasi als Gegenposition – dass man eigentlich das Gefühl hat, dass hier etwas Gutes gemacht wird, und dass man das erhalten will>) geht Lukas Golder auf die Gründe für die Nein-Mehrheit gemäss Umfrage ein. Begründungen für die Stimmabsichten wurden in der Umfrage auch erfragt, also ist die Darstellung der Gründe für ein Ergebnis ein wichtiger Teil der Interpretation. Warum ist die Umfrage so herausgekommen? – die Beantwortung dieser Frage ist für das Publikum relevant.
Im zweiten Quote interpretiert Lukas Golder die unterschiedlichen Ergebnisse der verschiedenen Altersgruppen. <Bei den Jungen wissen wir, das ist eine fundamental andere Art und Weise, sie sie Medien konsumieren. Über das Internet können sie nicht nur gratis Informationen haben, sondern oft holen sie sich auch Filme und die Musik gratis. Sie haben 20Minuten als Gratisblatt. Das ist eine ganze andere Welt. Und auch pay-per-view- die Netflix-Generation, könnte man fast sagen, die versteht irgendwie diese Logik der Gebühren nicht mehr. >
Im Interview mit 10v10 – wiederum im Setting der GfS-Präsentation und angeschrieben als Politikwissenschaftler GfS Bern - befasst sich Lukas Golder mit dem zeitlichen Verlauf aufgrund der konkreten Umfrageergebnisse: <Eigentlich beobachten wir das in fast allen Fällen bei Initiativen. Sie lancieren interessante, vielleicht auch sympathische Debatten und werden am Schluss anhand der Schwächen abgelehnt. Das heisst, es gibt einen Drift weg von der Sympathie hin zu den ganz konkreten Problemen. Die Ausnahme hier ist gewesen, dass dies so früh passiert ist. Die Emotionen waren schon im Herbst sehr hoch. Und dann hat sich auch die Nein-Seite klar formiert; ab dann machte man sich vor allem über die Nein-Argumente Gedanken.>
Lukas Golder hat die Umfrageergebnisse aufgrund seiner Kenntnis der Daten und der Methodik analysiert und interpretiert. Von einer politischen Kommentierung kann keine Rede sein.
Mandat der SRG
GFS Bern hat den Auftrag, Umfragen und Analysen im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung von der SRG erhalten: Die Ausschreibungsanforderungen wie auch der bestehende Leistungsvertrag mit der SRG sehen explizit die Zusammenarbeit bei der Veröffentlichung der Ergebnisse durch GFS Bern als datengenerierendes Institut vor.
In dieser Funktion ist Lukas Golder gemäss Leistungsvereinbarung mit der SRG für die Umfragen und Hochrechnungen bei den eidgenössischen Abstimmungen zur Darstellung der Ergebnisse verpflichtet. Die Funktion von Lukas Golder beschränkt sich im definierten Prozess auf die Darlegung und die Direkt-Analyse der Ergebnisse in der vorgesehenen Sendezeit und in den dafür von der SRG vorgesehenen Sendegefässen.
Die SRG veröffentlicht diese Vereinbarung nicht im Detail; sie kann aber auf Wunsch von der Ombudsstelle eingesehen werden.
Funktion von Lukas Golder
Lukas Golder ist in seiner Funktion als Co-Institutsleiter für die unmittelbare Einordnung der Resultate zuständig, wie auch bereits sein Vorgänger Claude Longchamp in dieser Funktion. Er trägt zwar die Gesamtverantwortung für die Arbeiten von GFS Bern, allerdings ist er nicht - wie die zuständige Projektleiterin - mit der operativen Aufsicht des Erhebungs- und Datenanalyseprozesses für Umfragen und Hochrechnungen betraut. Diese Prozesse unterstehen, wie im Vertrag detailliert ausgeführt, der Leitung der zuständigen Projektleiterin und einem auf diese Prozesse spezialisierten Kernteam, das die entsprechenden Erfahrungen mit diesen regelmässigen Aufträgen (mehrfach im Jahr) hat.
In diesem Sinne sorgt GFS Bern in der Person von Lukas Golder kraft seiner Funktion als Co-Institutsleiter für den nötigen Abstand zum operativen Geschäft und gleichzeitig holt sich die SRG mit diesem von ihr gewünschten Vorgehen, die langjährige methodische Kompetenz zur sachgerechten Einordnung der Ergebnisse ins Haus. Die SRG, respektive die einzelnen Redaktionen, setzen aber selber die Prioritäten in der Aufarbeitung der Resultate nach ihren journalistischen Kriterien. Das zeigt sich exemplarisch an den beiden Sendungen Tagesschau und 10v10: Die Tagesschau setzt den Akzent auf das Umfrageergebnis nach Altersgruppen; 10v10 betont den zeitlichen Verlauf der bisherigen Debatte.
Dynamik der Debatte
Die Schweizer Demokratie zeichnet sich auch dadurch aus, dass die Willensbildung in der Bevölkerung sehr dynamisch verläuft. In der Schweiz wird intensiv diskutiert – vom Stammtisch bis zu den Medien. Veränderungen bei den Umfrageergebnissen in der Höhe von mehreren Prozenten innert weniger Wochen sind deshalb an der Tagesordnung. Die Meinungsbildung ist hochdynamisch. Dies rechtfertig aus Sicht der SRG den Entscheid, den Kompetenz- und Erfahrungsvorsprung eines Instituts resp. eines seiner Leiter zu nutzen, wenn es um die direkte Einordnung der Daten in den konkreten Kampagnenkontext und die Abstimmungssituation geht. Erfahrung zählt und macht Personen und ihre Aussagen glaubwürdig.
Um noch den Vergleich mit ARD und ZDF zu ziehen, auch diese beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten arbeiten mit den Experten ‚ihrer‘ Umfrageinstitute zusammen. Infratest-Dimap bei der ARD und die Forschungsgruppe Wahlen im Falle des ZDF.
Fazit
Die beiden Sendungen Tagesschau und 10v10 haben sachgerecht über die Ergebnisse der Umfrage zur No-Billag-Initiative berichtet. Es gibt keinen objektiven Anlass, jemanden anderen als den Vertreter des Umfrageinstitutes die Ergebnisse analysieren zu lassen, da dieser über die notwendigen Kenntnisse über die Daten und die Methodik verfügt. Eine Interpretation durch einen Aussenstehenden wäre mit einem hohen Risiko für Fehlaussagen verbunden.
Die beiden Sendungen habe die Funktion von Lukas Golder nicht unterdrückt. Im Gegenteil, er wurde in allen Interview-Teilen mit ‚GFS Bern‘ angeschrieben.
Die beiden Redaktionen Tagesschau und 10v10 beantragen, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Es geht einmal mehr um die korrekte Berichterstattung über Meinungsforschung im Vorfeld von Abstimmungen. Ich möchte daran erinnern, dass ein paar Punkte besonders heikel sind:
- Die SRG ist zugleich Auftraggeberin der Umfragen beim Institut GfS-Bern und Berichterstatterin. Das schränkt ihre Unabhängigkeit und Unbefangenheit ein.
- Aus Konkurrenzgründen werden gewisse Details der Erhebungsmethode unter Verschluss gehalten. Das widerspricht dem journalistischen Prinzip der Transparenz.
- Meinungsumfragen sind keine Abstimmungsresultate. Die Stimmen werden nicht gezählt, sondern gewogen. Die Ergebnisse enthalten daher immer eine Fehlerquote. Das Konzept des Präzisionsjournalismus verlangt, dass aus diesem Grund genaue Angaben gemacht werden über die Zahl der Befragten, die Art der Befragten, den Zeitraum der Befragung, das durchführende Institut, die gestellten Fragen, den Fehlerbereich.
Am 26. Januar 2018 haben «Tagesschau» und «10 vor 10» in insgesamt vier Beiträgen («No Billag-Gegner liegen vorne», «Mehrheit will, dass SRG spart», «Umfrageergebnis der GfS zur No Billag-Initiative», «Bundesrätin Doris Leuthard tourt für ein Nein») über die Ergebnisse der ersten GfS-Abstimmungs-Umfrage berichtet. In zweien dieser Beiträge kommt GfS-Co-Direktor Lukas Golder als Experte zum Zug, und das ist der Anlass Ihrer Beanstandung. Sie finden, Lukas Golder dürfe nicht die eigenen Daten erläutern und interpretieren. Ich schließe mich da aber vollständig den Ausführungen von Herrn Lustenberger an. Lukas Golder ist nicht nur Co-Direktor des Instituts GfS-Bern, sondern auch ausgebildeter Politologe. Es ist völlig normal, dass ein Experte seine Forschungsergebnisse, sein Gutachten, seine Untersuchung vorstellt und erläutert. Das macht jeder Wissenschaftler. Golder weist wie jeder andere Experte in einem vergleichbaren Fall auch auf Auffälligkeiten, auf Gesetzmässigkeiten, auf Besonderheiten hin. Er geht den Gründen nach, die zu diesen Ergebnissen geführt haben. Hier kann ich keinerlei Problem erkennen. Lukas Golder wurde auch immer korrekt ausgeschildert. Es war also dem Publikum klar, dass er verantwortlich ist für die Studie, die er gerade interpretiert. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
Unabhängig davon gibt es aber dennoch ein paar Punkte zu rügen: Die Tagesschau» hat die Fehlerquote von +2,9 % nur ganz klein in der rechten unteren Ecke angegeben und nicht verbalisiert. Sie hat in Bezug auf die No Billag-Initiative nicht gesagt, wie viele Personen befragt wurden, was für Personen das waren und wann die Umfrage durchgeführt wurde. Erst im Beitrag zur Bundesfinanzordnung kamen diese Angaben. «10 vor 10» hingegen informierte korrekt. Die Informationsweise der «Tagesschau» entsprach nicht den Prinzipien des Präzisionsjournalismus.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-26-01-2018-1930?id=660989c2-25c9-4348-8ad9-ca49ce840be6
[2] https://www.srf.ch/sendungen/10vor10/sondersendung-zum-wef-besuch-von-donald-trump
[3] https://www.esomar.org/uploads/public/knowledge-and-standards/codes-and-guidelines/ICCESOMAR_Code_German_.pdf
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