Beitrag «Unzufriedene Schweizer» von «Tagesschau am Mittag» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 12. Februar 2018 beanstandeten Sie die «Tagesschau am Mittag» (Fernsehen SRF) vom gleichen Tag und dort den Bericht «Unzufriedene Schweizer» über die Vimentis-Studie.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Soeben habe ich in der Tagesschau am Mittag (12.2.2018) einen Bericht über die Vimentis Studie gsehen. Einen Beitrag über diesen Bericht habe ich bereits am Morgen im Radio Argovia gehört. Dort wurde unter anderem die Unzufriedenheit und die Ablehnung einer Gebühr (Billag) erwähnt. 47% würden gegen eine Gebühr stimmen.
Leider kommt im Beitrag von der ‹Tagesschau am Mittag› kein Wort über die Vimentis Service Public Erhebung. Dies wäre doch eben gerade Service Public um zu zeigen wie das Volk sich in der Umfrage auch bei der SRG geäussert hat.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» antwortete Herr Franz Lustenberger:
«Mit Mail vom 12. Februar hat Herr X die Berichterstattung in der ‹Tagesschau am Mittag› vom gleichen Tag beanstandet. Er kritisiert insbesondere, dass der Themenbereich Service Public, konkret die Frage nach der Gebührenakzeptanz, weggelassen wurde.
Aktualität
Die Vimentis-Umfrage wurde am 12. Februar in Bern präsentiert, wie sich aus dem folgenden Tagesprogramm der SDA ergibt:
Bern (sda) Montag, 12. Februar
POLITIK
Bern Politische Themen - MK Vimentis: Umfrage zu den Themen Volksstimmung, AHV, Digitalisierung, Klima- und Energiepolitik, Service public - 10:00 Beginn MK - 11:30 Meldung - Keystone-Bilder und Infografik
Die SDA hat eine Zusammenfassung mit Sperrfrist bis zum Beginn der Medienkonferenz verbreitet. Ebenso hat Vimentis die Ergebnisse per Communiqué an die Medien verschickt. Wenn Radio Argovia vor der Medienkonferenz darüber berichtet, so bildet das die Konkurrenz-Realität der Medien heute ab.
Die Vimentis-Umfrage, respektive deren Ergebnisse, sind am 12. Februar am Mittag aktuell.[2] Bei der Vimentis-Umfrage handelt es sich um eine nicht repräsentative Online-Umfrage; ihre Ergebnisse können nicht mit einer Umfrage auf wissenschaftlicher Basis verglichen werden. Aus diesem und aus Aktualitätsgründen hat die ‹Tagesschau› darauf verzichtet, in der Hauptausgabe um 19.30 Uhr nochmals darüber zu berichten.
Themenwahl
Die Vimentis-Umfrage will den Puls der Schweizer Bevölkerung fühlen. Sie hat fünf Themengebiete ausgewählt: Volksstimmung, AHV, Digitalisierung, Energie- und Klimapolitik, Service Public.
Die ‹Tagesschau› hat sich für die allgemeine Stimmungslage als ersten Schwerpunkt entschieden; das Thema Gesundheitskosten beschäftigt gemäss dieser Umfrage die Menschen hierzulande am meisten. Die stetig steigenden Gesundheitskosten respektive Prämien für die Krankenkassen könnten so eines der dominierenden Themen des kommenden Wahlkampfes im Jahre 2019 werden, wie der Präsident von Vimentis im Interview ausführt. Nach der Ablehnung der Rentenvorlage im September durch das Volk bleibt die Frage des Rentenalters für Frauen (Erhöhung auf 65 Jahre) einer der grössten Streitpunkte in der politischen Diskussion um die Zukunft der Sozialversicherungen. Die Digitalisierung ist eines der grossen Zukunftsthemen in Bezug auf Arbeitsplätze. Und daher auch von Interesse.
Newsnet von Tages-Anzeiger und Bund haben die gleiche Gewichtung vorgenommen.[3]
Die ‹Tagesschau› muss sich in einem kurzen Beitrag auf ein paar wenige Elemente konzentrieren. Sie kann nicht eine Umfrage mit fünf verschiedenen Themen mit insgesamt 35 Fragen behandeln. Sie hat sich entschieden, auf die Ergebnisse zur Energie- und Klimapolitik zu verzichten, weil im Bereich der Energiepolitik wichtige Entscheide (Energiestrategie mit Atomausstieg als Beispiel) schon vom Volk gefällt wurden. Die ‹Tagesschau› hat auch auf den Bereich Service Public verzichtet; in diesem Bereich ging es neben der SRG auch um die Zukunft der Post und der Poststellen. Sie hat auf die Gebührenthematik verzichtet, weil Ende Januar die erste repräsentative Umfrage zur No-Billag-Abstimmung veröffentlich wurde. Eine nicht repräsentative Online-Umfrage, deren Datenerhebung zudem online und über einen längeren Zeitraum erfolgt war, hätte wenig Aussagekraft gehabt. Sie würde dem aktuellen Stand der Diskussion quasi hinterherhinken; die Fragestellung – für oder gegen eine Gebühr – ist zudem sehr allgemein gehalten.
Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Programmveranstalter gemäss Verfassung und Gesetz in der Wahl der Themen frei sind. Die Programmautonomie ist ein zentrales Element einer freiheitlichen Medienordnung.
Fazit
Aus Sicht der ‹Tagesschau› muss die Themenwahl relevant und aktuell sein. Beides ist im konkreten Fall der Fall. Dass die Vimentis-Umfrage im Bereich AHV Schwächen hatte – wie sich einen Monat später herausstellt, ist nicht der ‹Tagesschau› anzulasten.[4] Sie hat am Tag der Medienkonferenz von Vimentis sachgerecht über Ergebnisse der Umfrage berichtet. Sie hat angesichts der Nicht-Repräsentativität auf eine weitere Berichterstattung in den weiteren Sendungen verzichtet.
Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Journalismus muss immer auswählen. Als ich als Student einen Stage bei den «Basler Nachrichten» machte, gab mir Redaktor Uz Oettinger den Jahresbericht über den Schoggitaler, dieses Unterstützungsprogramms von Schweizer Heimatschutz und Pro Natura[5], mit dem Auftrag, ihn zusammenzufassen. Der Bericht enthielt ein kunterbuntes Sammelsurium, und ich entschloss mich, nur ein Thema daraus zu behandeln, dafür aber relativ groß. Als ich meinen Text abgab, sagte Uz Oettinger: «So, jetzt haben Sie es begriffen: etwas herausgreifen! Das ist Journalismus!». Das gilt erst recht für das Fernsehen: Würden alle Themen eines Jahresberichtes oder eben der Vimentis-Umfrage gestreift, könnten die Zuschauerinnen und Zuschauer sich gar nichts merken, weil alles so kurz und so flüchtig war. Deshalb setzt die Redaktion Akzente.
Und wenn sie Akzente setzt, dann greift sie wiederum in klassisch journalistischer Manier das Brisanteste heraus. Bei der Vimentis-Studie waren fünf Themenbereiche zur Auswahl – allgemeine Volksstimmung, AHV, Digitalisierung der Wirtschaft, Energie- und Klimapolitik, Service public. Die brisantesten Aussagen entstammten dem Thema «Volksstimmung»: 45 Prozent der Befragten sind mit der Politik unzufrieden (und sind zahlreicher als die Zufriedenen) und am meisten Handlungsbedarf von allen Gebieten sehen die Befragten im Gesundheitswesen. Es war daher sicher logisch, dass die «Tagesschau» darauf das Hauptgewicht legte. Im Bereich «Service public» hätte sie 14 Aussagen spiegeln können, die meisten zur Post.
Natürlich hätte sie auch die wenigen Aussagen zur SRG noch erwähnen können. Da sie aber anders lauteten als die der GfS-Umfragen, hätte das nur Verwirrung gestiftet, und diese Verwirrung wäre entstanden, weil – wie Herr Lustenberger ausführte – die GfS-Meinungsforschung repräsentativ ist und die Vimentis-Befragung nicht.
Zu guter Letzt muss betont werden, dass Programmautonomie herrscht: Die «Tagesschau»-Redaktion darf selber entscheiden, wie sie ein Thema angeht und welche Akzente sie setzt. So lange sie es nicht manipulativ tut, verletzt sie das Radio- und Fernsehgesetz nicht. Und die Redaktion war nicht manipulativ. Deshalb kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau-am-mittag/video/unzufriedene-schweizer?id=449f192d-9afb-4c3e-a511-51cf25a88a2f
[2] https://www.vimentis.ch/d/umfrage/ergebnisse
[3] Siehe Beilage
[4] https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/die-umfrage-die-den-machern-hinterher-peinlich-ist/story/13221385
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