SRF-Web-Video «Nouvo» über sinkenden IQ in der Bevölkerung beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 15. Februar 2018 beanstandeten Sie das «Nouvo»-Video vom 13. Februar 2018 («Werden wir immer dümmer?»).[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Nach meiner Ansicht verstösst das Video mit der Aussage ab - 26 Sekunden gegen die Prinzipien Grundrechte/Menschenrechte und gegen die Sorgfaltspflicht.

Dort wird unter dem Titel ‘Genetik’ die Vermutung angestellt, der sinkende IQ könnte darin begründet sein, dass weniger intelligente Menschen mehr Kinder bekommen als intelligentere Menschen. Aus meiner Sicht ist diese Aussage einseitig und problematisch. Die Genetik spielt bei Frage, wie erfolgreich ein Kind in Schule und Beruf sein wird - ein Kriterium, welches von vielen Menschen fälschlicherweise mit Intelligenz gleichgesetzt wird - eine untergeordnete Rolle. Viel entscheidender ist das Umfeld, in welchem ein Kind aufwächst. Dies unterschlägt der Beitrag leider.

Problematisch finde ich die Aussage darum, weil sie gesellschaftlichen Tendenzen Auftrieb gibt, welche eugenisches Gedankengut pflegen.

Es besteht die Gefahr, dass <die dummen Ausländer, die so viele Kinder bekommen> als Grund für die zurückgehende Intelligenz verantwortlich gemacht werden.

Dabei hat die Tatsache, dass die Ausländerkinder oft in den unteren Anforderungsstufen landen, mehr mit den mangelnden Sprachkenntnissen zu tun, was sich in allen Fächern negativ auswirkt. Das hat nichts mit Intelligenz zu tun, sondern eher mit mangelnden Bemühungen im Bereich Integration.

Es ist die Aufgabe eines öffentlichrechtlichen Mediums, Verständnis und Zusammenhalt innerhalb der vielfältigen Bevölkerung unseres Landes zu fördern.

Dieser Beitrag macht allerdings das Gegenteil. Darum bitte ich Sie, meine Beanstandung zur Kenntnis zu nehmen und die verantwortlichen Personen auf meinen Einwand aufmerksam zu machen.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Frau Sandra Manca, Bereichsleiterin SRF News, antwortete:

«Besten Dank, geben Sie uns Gelegenheit, auf die Beanstandung von Herrn X einzugehen. Herr X rügt das Video, welches auf der deutschsprachigen Facebook-Site von Nouvo veröffentlicht wurde. Das Video ist auch im SRF Play zu finden.[2] Anlass des Videos waren verschiedene Studien zur Intelligenz, die in den Monaten zuvor veröffentlicht worden sind. So zum Beispiel im britischen Wissenschaftsjournal ‘News Scientist’ [3] oder im Fachblatt ‘Intelligence’ [4]

Das Video gibt in knapper Form einzelne Erkenntnisse dieser Studien wieder. Es handelt sich also nicht um eine Behauptung unserseits. Dies wird durch die Formulierung ‘3 mögliche Erklärungen’ und den Zitaten der Wissenschaftler deutlich gemacht.

Im Text heisst in Bezug auf den genetischen Faktor konkret:

<Menschen mit einem hohen IQ haben in der Regel weniger Kinder. Dies könnte dazu führen, dass der Anteil hochintelligenter Menschen abnimmt.>

Es handelt sich dabei nicht um eine Tatsachenbehauptung, es ist bewusst der Konjunktiv gewählt, da es sich wie erwähnt um eine wissenschaftliche Studie handelt. Eine Verbindung zur ausländischen Wohnbevölkerung wird weder durch Bild oder Text hergestellt. In solchen Kurzformaten ist es nicht üblich, sämtliche Gegenthesen zu jedem einzelnen Argument aufzuführen.

Bei Nouvo handelt es sich um ein Web-Only-Angebot. Nouvo bietet kurze Videos rund um die Schweiz und den Rest der Welt. Die Videos von Nouvo sind von der Themenwahl bis zur Machart speziell für Social Media konzipiert. Damit bedient Nouvo ein Bedürfnis jüngerer Nutzer: Millennials – die Generation, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist – verzichten vermehrt auf traditionelle Medien und informieren sich vorwiegend auf Social Media. Dementsprechend anders ist die Anmutung der Videos im Vergleich zum sonstigen publizistischen Angebot der SRG.

D as Video verstösst aufgrund der gemachten Ausführungen weder gegen Grund- oder Menschenrechte, noch gegen die Sorgfaltspflicht. Auch wird der nationale Zusammenhalt in keiner Weise gefährdet.

Wir bitten Sie die vorliegende Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich stimme Ihnen zu: Man kann sicher nicht die Immigranten für die stagnierende oder sinkende Intelligenz in einem Land verantwortlich machen. Intelligenz kann ja zu einem guten Teil gefördert, trainiert werden, und wenn die Rahmenbedingungen für Ausländerkinder ungünstig sind, dann wird diese Förderung schwierig. Aber der Beitrag von «Nouvo» hat ja an keiner Stelle behauptet, die Ausländer seien schuld am stagnierenden oder sinkenden Intelligenzquotienten. Im Gegenteil: Das Video nannte drei mögliche Gründe: 1. Die Umwelt, 2. Die Ausbildung und 3. Die Gene. Der Beitrag stützt sich auf zwei wissenschaftliche Artikel. Er macht keine Aussagen für die ganze Welt und schon gar nicht für die Schweiz. Er stützt sich auf Untersuchungen in einer Anzahl Länder und stellt fest, dass der durchschnittliche Intelligenzquotient in einigen europäischen Ländern im Unterschied zur Periode 1950-2000 entweder sinkt oder stagniert.

Was ist das eigentlich, der Intelligenzquotient? Auf der Website «Neuronation» wird er wie folgt definiert:

«Der Intelligenzquotient (IQ) ist eine Kenngröße, über die das intellektuelle Leistungsvermögen von Personen bestimmt wird. Ursprünglich wurde er 1905 von dem französischen Psychologen Alfred Binet entwickelt. Sein Ziel war es zu untersuchen, wie sich der geistige Entwicklungsstand von Kindern (intellektuelles Alter) zum Lebensalter verhält. Der Intelligenzquotient wird anhand eines Intelligenztests bestimmt.»[5]

Für den Intelligenz-Test gibt es verschiedene Messverfahren. Gemessen wird, und hier folge ich Flexikon, dem «Medizinlexikon zum Medmachen»[6]: das allgemeine Verständnis, das Sprachverständnis, der Wortschatz, das Allgemeinwissen, das Vermögen, Bilder logisch zu ergänzen, das rechnerische Denken, das Nachsprechen von Zahlen, Buchstaben-Zahlen-Folgen sowie die Verarbeitungsgeschwindigkeit. Man darf indes den Intelligenztest und den Intelligenzquotienten keineswegs überbewerten, denn in unserer Gesellschaft sind auch handwerkliche und musische Qualitäten und solche, die mit Empathie zu tun haben, gefragt. Von „Kopf, Herz und Hand“ sprach schon Pestalozzi. Die wissenschaftlichen Studien, die der Beitrag wiedergibt, sind zwar interessant, aber kein Grund zur Panik.

Da der Beitrag nur die Studien zitiert hat und da er keineswegs monokausal auf die Genetik verwies, sehe ich keinerlei Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht und gegen die Grundrechte. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.facebook.com/NouvoDE/videos/402159470197128/

[2] https://www.srf.ch/play/tv/nouvo-srf/video/werden-wir-immer-duemmer?id=1297f9a2-0ffa-461b-99f4-35c76ee37722&startTime=13.453836&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7

[3] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160289616300988

[4] https://www.newscientist.com/article/2146752-we-seem-to-be-getting-stupider-and-population-ageing-may-be-why/

[5] https://www.neuronation.de/intelligenz/der-intelligenzquotient

[6] http://flexikon.doccheck.com/de/Intelligenzquotient

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