«Tagesgespräch» mit Amag-Chef Morten Hannesbo beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 9. März 2018 beanstandeten Sie das «Tagesgespräch» (Radio SRF) mit Amag-Chef Morten Hannesbo vom gleichen Tag.[1] Sie wandten sich mit Ihrer Reklamation an den Kundendienst von SRF. Am 19. März 2018 erhielten Sie endlich die Antwort, dass die Redaktion direkt mit Ihnen telefonieren wolle. Sie aber beharrten auf einer schriftlichen Stellungnahme. Da Sie nichts hörten, wandten Sie sich am 12. April 2018 an die Ombudsstelle. Die Beanstandungsfrist war zwar abgelaufen, ich sicherte Ihnen aber zu, dass ich den Fall behandeln werde, da Sie für die Verzögerung nichts konnten. Ihre Eingabe entspricht somit den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Das machte mir gar keine Freude, das heutige Mittagsgespräch mit dem Auto-Lobby-Amag-Chef. Ich frage mich, ob da die minimalsten redaktionellen Ansprüche überhaupt eingehalten worden sind. Diesem Herrn wurde unkritisch und gratis eine Plattform gegeben. Das Credo dieses Herrn war: Dieselautos, Dieselautos, Dieselautos. Die Reporterin wurde durch diesen Herrn über den Tisch gezogen. Sie gab ja auch zu, dass dieser Herr übermässig Werbung für Dieselautos, VW machen konnte. Eine minimale Ausgewogenheit war bei diesem Gespräch nicht vorhanden. Ich erwarte eine öffentliche Gegendarstellung. Fazit: Eine Meister(in)-Leistung war dieses Interview überhaupt nicht.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die Redaktion von «Rendez-vous»/»Tagesgespräch» antwortete Herr Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF:
«Besten Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Herrn X.
Herr X kritisiert, dass das ‹Tagesgespräch› vom 9. März 2018 mit dem Chef des Schweizer Autoimporteurs Amag, Morten Hannesbo, nicht ‹redaktionellen Minimalstandards› entsprochen habe. Radio SRF habe das Interview unkritisch geführt und dem Gesprächspartner so eine Plattform geboten, ‹übermässig Werbung für Dieselautos› zu machen.
Es gab bei uns zwei Überlegungen, beziehungsweise zwei journalistische Aufhänger, Morten Hannesbo ins ‹Tagesgespräch› einzuladen. Zum einen die Eröffnung des Genfer Autosalons. Zum andern der Dieselskandal, der im Lauf der Zeit immer weitere Kreise zog – und natürlich auch am Rande der Genfer Messe viel zu reden gab. Für beide Themen erschien uns Hannesbo als ein geeigneter Gesprächspartner. Als Chef des grössten Schweizer Autoimporteurs Amag und zugleich als Vertreter jenes Autoherstellers, VW, der in der Schweiz mit Abstand am meisten Dieselautos absetzt.
Selbstverständlich ist es in jedem Interview so, dass der Befragte seine Sichtweise darlegen und seine Überlegungen vorbringen kann. Das hat mit dem Zurverfügungstellen einer kostenfreien Werbeplattform nichts zu tun. Zumal es durchaus im Publikumsinteresse liegt zu erfahren, wie ein Politiker, eine Kulturschaffende oder ein Konzernchef argumentiert. Unsere Aufgabe als Journalisten besteht darin sicherzustellen, dass die relevanten heiklen Themen angesprochen werden, dass der Interviewte kritisch befragt wird und dass Falschbehauptungen nicht unwidersprochen im Raum stehen bleiben.
Genau diese Aufgabe hat im beanstandeten ‹Tagesgespräch› die Gesprächsleiterin, Ivana Pribakovic, unserer Ansicht nach beinahe mustergültig erfüllt. So war der Dieselskandal das dominierende Thema in der Sendung, und zwar an prominenter Stelle, gleich nach einem kurzen stimmigen Intro zum Autosalon. Es wurde thematisiert, dass der Dieselskandal einen Reputationsverlust für VW darstellt, dass Käufer verunsichert sind und ebenso, dass deswegen der Wert von Diesel-Gebrauchtwagen massiv gesunken ist. Morten Hannesbo musste sich dazu äussern, wieviel Zeit er in die Aufarbeitung des Skandals steckte und die Frage beantworten, ob und was er daraus gelernt hat. Die Interviewerin fragte sogar provokativ, was das nun heisse, wenn der Dieselmotor weltweit als Dreckschleuder gilt. Und sie konfrontierte Hannesbo mit einer deutschen Studie, in der von zehntausend Toten durch Stickoxyd und gar einem Mehrfachen an Krankheitsfällen die Rede ist. Dies sind lediglich ein paar Beispiele. Von Gefälligkeitsfragen kann also keine Rede sein.
Als der Amag-Chef zweimal versuchte, sich in von der Marketing-Sprache geprägte Äusserungen zu flüchten, signalisierte sie ihm klar, dass sie sich damit nicht abspeisen lässt. (<Aber jetzt geht’s nicht mehr weiter mit Eigenwerbung.>)
Der Amag-Konzernchef musste sich also im ‹Tagesgespräch› einem kritischen Interview stellen, in dem die problematischen Themen keineswegs ausgeklammert wurden, sondern richtigerweise im Zentrum standen. Das heisst, wir haben Morten Hannesbo eben gerade keine Plattform für Werbung geboten.
Wir bitten Sie deshalb, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzulehnen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Die meisten Beanstandungen, die bei mir gegen Interviews eingehen, beklagen, die journalistische Seite sei zu aggressiv gewesen und habe das Gegenüber zu oft unterbrochen. Sie beanstanden nun das Gegenteil: Die Journalistin Ivana Pribaković habe den Amag-Chef Morten Hannesbo zu weich, zu freundlich, zu unkritisch befragt. Ich habe mir das Gespräch genau angehört und möchte Folgendes festhalten:
1. Ein verschränktes Interview, bei dem es gleichzeitig um die Person und um die Sache geht, kann auf zwei Arten geführt werden: als konfrontatives Interview oder als exploratives Interview. Es handelte sich bei dem Interview mit Amag-Chef Morten Hannesbo zweifelsfrei um ein verschränktes Interview, denn die Interviewerin befragte ihren Gesprächspartner zur Sache (nämlich zum Geschäftsgang der Amag, zu Dieselautos, zu Elektroautos, zur Energieproduktion, zum Modal Split, zum Car-Sharing usw.), aber auch zur Person (zu seinen Kontakten zur Politik, zu seiner Freizeitbeschäftigung, zum Radfahren usw.). Ivana Pribaković wählte die Form des explorativen Interviews und nicht des konfrontativen Interviews. Im konfrontativen Interview wird der Gesprächspartner in die Enge getrieben, mit eigenen umstrittenen Aussagen oder mit Fehlern und Misserfolgen konfrontiert und dadurch gezwungen, sich zu rechtfertigen und verteidigen. Im explorativen Interview lockt die Interviewerin den Befragten auf freundliche Art aus seiner Reserve und bringt ihn zum Reden. Die deutsche Moderatorin Sandra Maischberger, die immer das explorative Interview pflegte, sagte 2003, sie betreibe dabei «das freundliche Überholen auf der eigenen Spur», will sagen: Sie ist überzeugt, dass sie mehr aus den Gesprächspartnern herausholen kann, wenn sie eine angenehme Atmosphäre schafft und sie ermuntert, sich zu öffnen, statt durch Angriffe das Risiko einzugehen, dass sie sich verschließen und nur noch abblocken. Welchen Interviewstil man wählt, kann sowohl mit dem Typus des Befragten als auch mit den Vorlieben des Journalisten oder der Journalistin oder mit beidem zu tun haben.
2. Morten Hannesbo[2], der CEO dänischer Herkunft mit internationaler Berufserfahrung (in London und Paris), äußert sich in dem Gespräch sehr freimütig auch über Privates, vor allem über seine sportlichen Aktivitäten am Werktag und am Wochenende. Er blockt nicht ab, sondern gibt Einblick. Der Interviewstil hat also zum Erfolg geführt.
3. Ivana Pribaković ist eine erfahrene und seriöse Journalistin.[3] Sie hat sich auf das Gespräch eingehend vorbereitet, stellt alle kritischen Fragen und geht dagegen, wenn der Gesprächspartner allzu sehr nur PR bietet. Ich kann mich hier den Ausführungen von Herrn Gsteiger voll anschliessen.
Aus all den Gründen kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/sendungen/tagesgespraech/morten-hannesbo-und-die-zukunft-des-autos-am-genfer-autosalon
[2] https://www.bilanz.ch/machtnetz/machtnetz-von-morten-hannesbo-der-autokoenig (Porträt von 2012 in der «Bilanz»)
[3] https://www.srgd.ch/de/aktuelles/2016/04/12/ivana-pribakovic-wird-neue-leiterin-von-rendez-vous/
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