«Die Stadt ist gebaut» von «100 Sekunden Wissen» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 28. März 2018 beanstandeten Sie die Rubrik «100 Sekunden Wissen» vom 16. März 2018 (Radio SRF 2 Kultur) zum Zitat «Die Stadt ist gebaut» der damaligen Zürcher Stadträtin Ursula Koch.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Die Sendereihe vermittelt gemäss Titel allerlei Wissenswertes in 100 Sekunden. Die beanstandete Sendung erklärte das aus dem Jahre 1988 stammende Zitat ‹Die Stadt ist gebaut› der damaligen Hochbauvorsteherin der Stadt Zürich, Stadträtin Ursula Koch. Das Zitat stamme aus einem Referat, welches die Stadträtin gehalten habe. Das Zitat sei aus dem Kontext gerissen worden und habe den Bürgerlichen in der Debatte zur Revision der Bau- und Zonenordnung gedient, Giftpfeile gegen die sozialdemokratische Stadträtin zu schiessen. Heute lese sich das Referat anders und gebe differenziert wieder, was städtebaulich selbstverständlich sei oder sein sollte.
Die Autorin des Beitrages lässt unerwähnt, dass Ursula Koch sich damals auch vehement gegen die - heute übliche - innere Verdichtung und Erneuerung wehrte und ihrerseits das Referat im Wissen um die BZO-Revision und das politische Klima hielt. ‹Die Stadt ist gebaut› wurde nicht - wie im Beitrag festgehalten - einfach aus dem Kontext gerissen und Ursula Koch missverstanden. Vielmehr stand Ursula Koch meiner Erinnerung nach zu ihrer gegenüber äusserer und innerer Verdichtung ablehnenden Haltung und dem Zitat. Die Notwendigkeit innerer Verdichtung ist heute jedoch unbestritten und es geht fehl, Ursula Koch als ihrer Zeit voraus darzustellen. Ursula Koch setzte sich dafür ein, dass die Stadt nicht wächst (auch nicht nach innen) und wenn immer möglich Strukturen bewahrt werden. Diese Haltung hat sich nicht durchgesetzt, ist heute in Wohnzonen Bauen bei bloss genügender Einordnung möglich und gilt das Mantra der inneren Verdichtung.
Die Autorin des Beitrags beleuchtet das Zitat meines Erachtens absolut einseitig und ungenügend und lässt wichtige Umstände unbeleuchtet. Wenn sie der alt Stadträtin eine politische Stimme gibt, so hätte sie der Gegenmeinung auch eine Stimme geben müssen, was jedoch leider unterblieb. Der Beitrag lässt Sympathien der Autorin für die Ansichten der alt Stadträtin durchblicken, ohne dass das hochpolitische und sensible Thema kontrovers beleuchtet worden wäre, wie es publizistisch angezeigt wäre. Durch diesen einseitigen Beitrag entsteht der Eindruck, das hochpolitische Statement der Sozialdemokratin sei visionär und fachlich richtig gewesen. Das trifft so nicht zu; es lässt sich die politische Haltung der alt Stadträtin und der Autorin nicht zur fachlichen Meinung erheben und als solche ohne Gegenmeinung darstellen. Richtigerweise hätte in 100 Sekunden Wissen das Zitat erklärt werden sollen, ohne politisch Stellung zu beziehen und Sprachrohr der alt Stadträtin zu sein.
Aus diesem Grunde erachte ich den Beitrag der ansonsten sehr geschätzten Reihe als unglücklich und beanstande ihn fristgerecht.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Frau Barbara Gysi, Bereichsleiterin Musik und Swiss Satellite Radios, Programmleitung Radio SRF 2 Kultur, schrieb:
«Am 16. März 2018 sendete Radio SRF 2 Kultur in der Rubrik ‹100 Sekunden Wissen› ein Erklärstück zum legendär gewordenen Satz ‹Die Stadt ist gebaut›. Formuliert und öffentlich vorgetragen hat ihn vor genau dreissig Jahren die damalige Zürcher SP-Stadträtin Ursula Koch. Herr X wirft dem Beitrag Einseitigkeit vor. Er hätte sich eine Gegenmeinung zur damaligen Aussage von Ursula Koch gewünscht.
Der 100 Sekunden dauernde Beitrag konzentriert sich genau auf einen einzigen, kleinen Satz, den die damalige Stadträtin Ursula Koch in einem langen Referat (21 Manuskriptseiten) an der SIA-Hauptversammlung in Zürich gesagt hat. Der Beitrag legt gerafft und in aller Kürze dar, dass dieser Satz tatsächlich von der damaligen Stadträtin gesagt und geschrieben und dass er aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Der Kürzest-Beitrag führt aus, dass die SP-Politikerin in ihrem Vortrag für ein anständiges Weiterbauen plädierte, Respekt vor dem Vorhandenen forderte sowie architektonische Qualität und Architekturwettbewerbe. Zudem schliesst der Beitrag mit der These, dass der Satz – 30 Jahre später – auch als Aufforderung zur Verdichtung verstanden werden kann.[2]
Herr X schreibt in seiner Beanstandung: <Vielmehr stand Ursula Koch meiner Erinnerung nach zu ihrer gegenüber äusserer und innerer Verdichtung ablehnenden Haltung und zum Zitat.> Dass sie zu ihrem Zitat stand, ist unbestritten. In der Rubrik ‘100 Sekunden Wissen’ kann es nicht darum gehen, damalige Ansichten über äussere und innere Verdichtung kontrovers zu behandeln. Das ist in einem Kürzestbeitrag nicht zu leisten.
Unschön ist der Umstand, dass die Autorin Karin Salm das legendäre Zitat interpretiert und sagt, der Satz habe prophetisches Potenzial gehabt und lese sich als Aufforderung, die Stadt zu verdichten. Man kann den Satz so lesen, muss aber nicht. (Die Rubrik «100 Sekunden Wissen» soll keine Thesen und Interpretationen formulieren, sondern Fakten. Diesbezüglich gelobt die verantwortliche Redaktion Besserung.)»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des Beitrags. Die promovierte Chemikerin und Energiespezialistin Ursula Koch war eine blitzgescheite und engagierte Politikerin. Als 45jährige zog sie 1986 für die SP in den Zürcher Stadtrat ein und übernahm das Hochbauamt. Dem Stadtrat gehörte sie 12 Jahre an (bis 1998). Dass sie auch auf nationaler Ebene – eine eher unglückliche - Rolle spielte, 1997 zur Präsidentin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz gekürt und 1999 in den Nationalrat gewählt wurde, aber 2000 nach heftiger parteiinterner Kritik beides hinschmiss und aus der Öffentlichkeit verschwand, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Am 16. März 1988 hielt sie in Zürich ihre richtungsweisende Rede, in der sie unter anderem sagte: «Die Stadt ist gebaut. Sie muss nicht neu-, sondern umgebaut werden. Umgebaut zu einem lebenswerten Zürich, mit hohen urbanen Qualitäten.»[3] Ursula Koch plädierte für Baukultur und Baukunst anstelle von Baumasse, sie wandte sich gegen Großstadtträume und utopische Projekte und sah Zürich als Wohnstadt, in der die Nutzungsarten stärker durchmischt werden.
Karin Salm fasst dies alles ganz richtig zusammen, und es stimmt auch, dass der Satz «Die Stadt ist gebaut» damals aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Es ist der Journalistin nicht verboten, analysierende Elemente in ihren Beitrag einzubauen, aber der Beitrag wird dann am Schluss doch allzu kommentierend, ohne dass dies signalisiert wird. Denn das Radio- und Fernsehgesetz verlangt in Artikel 4 Absatz 2: « Ansichten und Kommentare müssen als solche erkennbar sein .»[4] Die Aussage, dass Kochs Rede eine Aufforderung sei, die Stadt zu verdichten, ist vor allem die Ansicht der Autorin und durch die Fakten zu wenig gestützt, und deshalb kann ich Ihre Beanstandung jedenfalls teilweise unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/sendungen/100-sekunden-wissen/die-stadt-ist-gebaut
[2] Grundlage und Recherchen für den Beitrag waren: a) Lektüre des Vortragmanuskriptes im Original und in der gekürzten Version auf der TEC21-Website; b) Gespräch mit Peter Ess, ehemaliger Direktor des Amtes für Städtebau Zürich; c) Gespräch mit Miroslav Sik
[3] https://www.espazium.ch/ursula-koch
[4] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html
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