Sendung «Heute Morgen» und Beitrag «May ist in einer Zwangslage» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 13. April 2018 beanstandeten Sie den Beitrag «May ist in einer Zwangslage» auf Radio SRF 4 News vom gleichen Tag.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Obwohl man eigentlich bei jedem Artikel der Sparte ‹internationale Politik› die fehlende neutrale Berichterstattung anprangern könnte, hat Hr. Alioth heute Morgen den Vogel abgeschossen. Es geht um den folgenden Artikel: ‹SRF News: Militärschlag gegen Syrien – Mays Schicksalsentscheid über Krieg und Frieden›
Hier trifft Herr Alioth unter anderem die folgende Aussage:
<Erste Meinungsumfragen zeigen eine erschreckend tiefe Unterstützung für einen Militärschlag. Nur etwa 20 Prozent der Befragten befürworten einen britischen Einsatz in Syrien.>
Was bitte soll daran erschreckend sein? Dass 4 von 5 keinen Krieg möchten? Das hat weder mit neutraler noch mit guter Berichterstattung zu tun. +Wenn das Wort ‹erschreckend› in diesem Satz und dem dazugehörenden Kontext nicht vorkommen würde, wäre das eine neutrale Aussage. Aber so... sieht es aus als wolle Herrn Alioth Krieg.
Wenn dem so ist, soll er doch seinen Job kündigen und als Zivilist ins Kriegsgebiet ziehen. Oder zumindest an die Front als Reporter. Aber dazu fehlt ihm und den anderen transatlantischen selbsternannten Experten/Journalisten sicher den Mut.
Noch was zu den von SRF befragten Experten: Nur weil jemand mal beim Spiegel, der Zeit, der Bild oder der Süddeutschen Zeitung oder in sonst einem Springer-, Bertelsmann- oder Burda-Verlag gearbeitet hat, zeichnet ihn das noch lange nicht als Experte aus. (Was sie jedoch immer tun. Wie wäre es, sich mal richtige Experten zu suchen, die nicht bestimmte Interessen vertreten und vor Ort leben? Das würde der Glaubwürdigkeit des SRFs sicher wieder einen Schub verleihen. Schauen Sie sich doch nur mal die Kommentare an, dann sehen sie, dass sie nur noch von den dümmsten/manipuliertesten 10% der Bevölkerung gehört/geglaubt werden. Tendenz weiter sinkend: Vor 2 Jahren waren es noch etwa 70-90%...)
Hat es das SRF nötig die Propagandamaschinerie der NATO zu unterstützen? Geschieht das aus eigenen Stücken, auf Druck der Politik oder weil man einfach zuviele gezüchtete Kriegstreiber auf der Lohnliste hat? Ganz arm. Aber auch ihr werdet eines Tages merken, dass Eure Kriegstreiberei auch irgendwann mal Eure Familien und Liebsten erreichen wird.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für Radio SRF 4 News antwortete dessen Leiter, der stellvertretende Chefredaktor Michael Bolliger:
«Ich danke Ihnen bestens für die Möglichkeit, zur Beanstandung 5434 Stellung nehmen zu können. Ich tue das als Mitglied der Radio-Chefredaktion und dort als Bereichsleiter ‹SRF 4 News›.
Die Beanstandung richtet sich einerseits gegen die Berichterstattung auf SRF 4 News vom 13. April dieses Jahres und dort konkret gegen den Begriff ‹erschreckend›, den unser Grossbritannien-Korrespondenten Martin Alioth im Zusammenhang mit der politischen Diskussion in Grossbritannien über einen möglichen Militärschlag gegen Syrien an diesem Tag verwendet hat. Im Weiteren kritisiert der Beanstander pauschal die Wahl von SRF-Expertinnen und Experten in unserer Berichterstattung. Ich werde mich im zweiten Teil der Stellungnahme dazu äussern.
1. Gespräch mit Martin Alioth am Freitag 13.4.18 auf SRF 4 News
Die Frage einer militärischen Intervention der USA und möglicher anderer Länder in Syrien beschäftigte in diesen Tagen Mitte April die internationale Politik und Öffentlichkeit. Sie war darum auch zentraler Bestandteil der Berichterstattung in den Informationssendungen von Radio SRF. Mitte der Woche (11.4.) hatte US-Präsident Trump via Twitter mit einem möglichen Raketeneinsatz der USA gedroht. Am Donnerstag (12.4.) berichteten wir über ein Interview des französischen Präsidenten Macron, der sagte, man habe Beweise dafür, dass das syrische Regime für den jüngsten Giftgas-Einsatz gegen Zivilisten verantwortlich sei. Gemäss den Einschätzungen unseres Frankreich-Korrespondenten im ‹Echo›-Gespräch am Donnerstagabend war aufgrund dieser Aussage eine Teilnahme Frankreichs an Militärschlägen gegen Syrien denkbar geworden. Entsprechend von Interesse war die Frage, zu welchem Schluss die britische Regierung am Donnerstagabend kommen werde, wenn sie ihrerseits über eine Beteiligung an einem solchen Einsatz diskutiert. Die Ergebnisse dieser Kabinettssitzung berichteten wir am Freitag (13.4.) früh im Gespräch mit unserem Grossbritannien-Korrespondenten Martin Alioth.
Diese Berichterstattung gliederte sich in zwei Teile. Einerseits war da die Newsberichterstattung (kurze Zusammenfassung der bekannten Fakten) durch unseren ‹Ausland›-Desk im Studio Bern in der Sendung ‹HeuteMorgen›. Zum Zweiten vertieften wir diese News, respektive die politische Einschätzung dazu in einem längeren Gespräch mit Martin Alioth im zweiten Teil der Sendung auf SRF 4 News.
Martin Alioth erläuterte in einer ersten Antwort, dass man, nach der Abendsitzung des Kabinetts in London, davon ausgehen könne, dass Grossbritannien die USA bei einem möglichen Militäreinsatz unterstützen würde. Zumindest habe das Kabinett in London seine Regierungschefin May ermächtigt, weitere Gespräche in dieser Sache zu den USA und Frankreich zu führen. Der Einsatz chemischer Waffen könne nicht unwidersprochen bleiben, so die Begründung.
In seiner zweiten Antwort ging Alioth auf die Frage ein, warum ‹London› sich trotzdem noch bedeckt halte in der Angelegenheit, nachdem die USA und Frankreich deutlichere Worte gesprochen hätten. Alioth führte aus, dass sich die Regierung May in dieser Frage auf politisch dünnem Eis bewege, weil die Opposition – Labour, aber auch andere – sich strikt gegen einen militärischen Einsatz ausgesprochen hätten. Gleichzeitig steht offensichtlich auch die britische Öffentlichkeit mehrheitlich nicht hinter einem solchen Einsatz. Alioth sprach in dieser zweiten Antwort eine aktuelle Umfrage an und formulierte wörtlich, diese zeige <eine erschreckend tiefe Unterstützung für einen Militärschlag. Nur etwa 20 Prozent der Befragten befürworten einen britischen Einsatz in Syrien. Das alles muss die Regierung abwägen. Namentlich aus der Einsicht, dass Theresa May gewillt scheint, diesen Militäreinsatz ohne Befragung des Parlaments zu befehlen.>
Die dritte Frage knüpfte an der Rolle des Parlaments an. Das war darum an dieser Stelle ein zentraler Punkt, weil May – wie Alioth zum Schluss des Gesprächs erläuterte – sich einerseits zur Solidarität mit den USA und Frankreich verpflichtet fühlt (Kontext Skripal-Affäre), darum die beiden Länder bei einem Militärschlag in Syrien unterstützen will und gleichzeitig innenpolitisch befürchten muss, das Parlament versage ihr – allenfalls auch nach einem erfolgten Einsatz – die Unterstützung. Wenn sich zusätzlich zeigt, dass die britische Öffentlichkeit einen möglichen Militäreinsatz grösstenteils ablehnt – so die Einschätzung sinngemäss - ist es nicht verwunderlich, dass sich die Regierung nach der Sitzung am Donnerstag noch bedeckt hielt.
Der Beanstander kritisiert in seiner Eingabe den Begriff ‘erschreckend’ bei der Erwähnung der Umfrage. Dieser Begriff töne, <als wolle Herr Alioth den Krieg>. Wenn der Begriff nicht verwendet worden wäre, so die Beanstandung, hätte die Information als ‹neutral› eingestuft werden können.
Mit dem zweiten Teil der Aussage bin ich insofern einverstanden, als dass die Botschaft – nur ein kleiner Teil der britischen Öffentlichkeit befürwortet gemäss der jüngsten Umfrage einen Einsatz – immer noch verständlich gewesen wäre. Der Verständlichkeit des Umfrageresultats diente der Begriff nicht.
Trotzdem halte ich die Verwendung des Begriffs in dieser Situation für erklär- und darum vertretbar.
Das Gespräch dreht sich in der ganzen Länge um die Frage, welche politischen Optionen und Spielräume die britische Regierungschefin in der Angelegenheit habe. Die Einschätzungen unseres Korrespondenten beschrieben die Situation aus der Perspektive von Theresa May und ihrem Kabinett. Es war die Rede von ‹politisch dünnem Eis› auf dem sich May bewege, und es wurde deutlich, dass sie sich in einem Dilemma befindet, sich zur Solidarität mit befreundeten Staaten verpflichtet fühlt und gleichzeitig grosse Teile des Parlaments und der Bevölkerung im Widerspruch zu einem Kriegseinsatz wähnt. Aus dieser Perspektive kann die geringe Zustimmung in der britischen Öffentlichkeit zu einem militärischen Vorgehen als zusätzlich schlechte Nachricht gewertet werden. Unser Korrespondent hat dafür den Begriff ‹erschreckend› verwendet. Vielleicht wäre die Formulierung ‹ernüchternd› oder ‹überraschend› passender gewesen. Trotzdem war für unser Publikum der Begriff ‹erschreckend› als ‹erschreckend für die Regierungschefin› erkennbar und insofern nicht missverständlich.
Es kann natürlich keine Rede davon sein, dass unser Korrespondent ‹den Krieg› will und darum diese Formulierung wählte.
Im Übrigen machte unsere gesamte Berichterstattung zu den Militärschlägen gegen syrische Einrichtungen – die dann tatsächlich in der Nacht von Freitag auf Samstag jener Woche geflogen wurden – deutlich, dass wir zu keinem Zeitpunkt diesen Einsätzen und den Vorbereitungen dazu das Wort redeten. Auch deshalb konnte unser Publikum erkennen, dass wir nicht in einem einzelnen Gespräch plötzlich eine andere Haltung postulierten.
2. Wahl von Expertinnen und Experten bei SRF
Insgesamt ist die diffamierende Beschreibung im zweiten Teil der Beanstandung zu pauschal, als dass ich dazu detailliert Stellung nehmen kann und will. An dieser Stelle nur soviel: Das Korrespondentennetz von Radio SRF umfasst 18 professionelle und erfahrene Journalistinnen und Journalisten auf fünf Kontinenten. Unsere Korrespondenten kennen ihre Berichtsgebiete aus der Innensicht, weil sie in den jeweiligen Regionen leben, teilweise seit vielen Jahren. Die Auslandberichterstattung von Radio SRF hat seit Jahrzehnten den Ruf höchster Glaubwürdigkeit und Qualität.
Zudem arbeiten wir mit einer grossen Zahl anderer, ebenso erfahrener und kompetenter Journalistinnen und Journalisten zusammen, die entweder als Freie oder als Korrespondenten für andere renommierte Verlage und Titel tätig sind. Sie kommen in der Regel dann zum Zug, wenn unsere eigenen Kollegen nicht verfügbar sind, oder wenn wir aus einem Gebiet berichten, indem wir selber keine eigenen Korrespondenten vor Ort haben.
Insgesamt stehen uns mehrere Dutzend hochprofessionelle und erfahrene Journalistinnen und Journalisten weltweit zur Verfügung. Deren Kompetenz und journalistische Qualität ist die Grundlage für eine Auslandberichterstattung, wie sie das Publikum in der Schweiz sonst kaum mehr findet.
3. Fazit:
Der Begriff ‹erschreckend› war im Kontext des Gesprächs am 13.4. und damit aus der Perspektive der Londoner Regierung formuliert und insofern unmissverständlich. Unsere Berichterstattung im Vorfeld und in der Aktualität der Einsätze folgte immer den Kriterien eines kritisch-distanzierten Journalismus und das tat sie auch bei andern vergleichbaren Situationen.
Den pauschalen Vorwurf der Kriegstreiberei in unserer Auslandberichterstattung weise ich zudem in aller Form zurück.
Aus diesen Gründen bitte ich Sie, die Beanstandung nicht gutzuheissen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich beginne hinten: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Journalistinnen und Journalisten von SRF die «Propagandamaschinerie der NATO» unterstützen. Und sie sind mit Sicherheit keine «Kriegstreiber». Dazu haben sie erstens keinen Anlass. Zweitens sind sie aufgrund all der Leitlinien, die für sie gelten, ethisch den Menschenrechten, der Demokratie, der Freiheit und dem Frieden verpflichtet. Und drittens zeigt die Berichterstattung im Längsschnitt, dass sie zwar nicht missionieren, aber in Analysen und Kommentaren dafür plädieren, den Krieg zu ächten und überall auf der Welt Friedenslösungen zu suchen und dass sie keinesfalls den Krieg heroisieren oder gar herbeiwünschen.
Sie kritisieren, dass Journalistinnen und Journalisten als Experten auftreten. Was ist ein Experte? Es ist jemand, der einen Sachverhalt aufgrund seines Wissens analytisch einordnen und in einen größeren Zusammenhang stellen kann. Experten verfügen über Wissen, weil sie wissenschaftliche Studien und demoskopische Umfragen kennen, weil sie die Fachliteratur studiert haben, weil sie über theoretische und praktische Kenntnisse eines Phänomens verfügen und weil sie Hintergründe historischer, rechtlicher, politologischer, ökonomischer, soziologischer, psychologischer, publizistischer, religionswissenschaftlicher, ökologischer, biologischer, medizinischer oder technischer Ausrichtung beisteuern können. Experten können Professoren sein, aber auch Fachleute aus der Verwaltung oder aus Verbänden und ebenso Journalisten, die beispielsweise ein Land oder eine Region à fonds kennen. Es ist darum keinesfalls ausgeschlossen, dass Journalistinnen und Journalisten auch Expertenrollen einnehmen.
Schliesslich zur Bemerkung von Martin Alioth, es gebe in Großbritannien «eine erschreckend tiefe Zustimmung zu einem Militärschlag». Für sich genommen, ist die Formulierung unglücklich, und in diesem Punkt stimme ich mit Ihrer Kritik überein. Aber im Kontext des dünnen Eises, auf dem sich Premierministerin Theresa May gerade bewegte, ist die Bemerkung verständlich, und das Publikum konnte sich trotzdem frei eine eigene Meinung bilden. Somit ist das Sachgerechtigkeitsgebot nicht verletzt. Aber die Bemerkung war «daneben», und deshalb kann ich Ihre Beanstandung teilweise unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/sendungen/heutemorgen/besondere-bedingungen-fuer-schweizer-stromproduzenten; https://www.srf.ch/news/international/militaerschlag-gegen-syrien-mays-schicksalsentscheid-ueber-krieg-und-frieden
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