Beitrag «Staatliche Zensur oder schützende Barriere?» von «Rendez-vous» beanstandet

5481
Mit Ihrer E-Mail vom 24. Mai 2018 beanstandeten Sie die Sendung «Rendez-vous» (Radio SRF) vom gleichen Tag und dort den Beitrag «Staatliche Zensur oder schützende Barriere?».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Ich möchte gerne einen Beitrag in der Sendung ‹Rendez-vous› vom 24.05.2018 zum Geldspielgesetz beanstanden. Den Beitrag empfinde ich in einem Punkt als nicht sachgerecht und bitte daher um Ihre Einschätzung.

Genauer gesagt geht es mir um die Darstellung der Mitglieder, die im Beitrag als Mitglieder einer ‹Hackerinnen- und Hacker-Gruppe› bezeichnet werden. Und dies in zwei eher kurzen Segmenten des gesamten Beitrags:

- <Sie tragen dunkle Kapuzenpullis, Bärte, Piercings.>

- Akustische Untermalung am Ende des Beitrags, wo zu hören ist <Immerhin hesch mou es T-Shirt an, wo dir geit.>

Während im gesamten Programm beide Seiten zu Worte kommen und auch beide Seiten ihre Argumente darlegen können, wirkt die Darstellung der ‹Gegenpartei› von Frau Gutjahr entkräftigend. Einserseits werden nur bei den Hackerinnen und Hackern klassische Klischees betont - so sind dunkle Kaputzenpullis, Piercings und Bärte heutzutage vielerorts anzutreffend, werden hier aber explizit hervorgehoben -, während auf die Beschreibung der Kleidung von Frau Gutjahr zurecht verzichtet wird, da sie nichts zur Sache tut. Andererseits wird durch die akustische Untermalung suggeriert, dass zumindest ein Mitglied in aller Regel nicht fähig ist, ein T-Shirt anzuziehen, das passt. Auch dieser Spruch ist sehr beliebig, trägt nichts zur Argumentation bei und ist vermutlich auch ein sehr selektiver Auszug aus den ganzen Gesprächen, die im Beisein der für den Beitrag verantwortlichen Frau Imboden geführt wurden. Es wurde kein Ausschnitt gewählt, der die Kompetenz der Personen in ihrem Gebiet unterstreicht, sondern das Gegenteil. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in der ganzen Dauer keine Fachgespräche unter den Mitgliedern der Gruppe geführt wurden (sei es eben über VPN, Netzsperren oder - in der IT-Branche aktuell angesagt - den Datenschutz) und Frau Imboden nur jenen Audio-Ausschnitt verwenden konnte.

Der Beitrag untermalt das klischeehafte Bild eines Hackers, wie er auch gerne als Symbolbild in anderen Reportagen Verwendung findet. Da solche Symbolbilder eher negativ belastet sind, werden durch die entsprechende Darstellung der Netzsperrengegner deren Argumente abgeschwächt.

Ich möchte nicht unterstellen, dass hier (wie man es aus US-amerikanischen Gerichtsfilmen her kennt) ein Argument oder eine Aussage durch Diskreditierung des Hervorbringenden übergangen werden soll! Aber die Aussage der piercingbehangenen, unrasierten und nicht hemdentragenden Netzsperrengegner ist durch die suggestive ‹Ummantelung› soweit verfälscht, als dass der Beitrag meiner Meinung nach nicht mehr sachgerecht ist und sich Personen, die sich mit der Informationstechnologie und den technischen Vorgängen einer Netzsperre nicht auskennen, kein klares Bild machen können.

Die Präsentation der Argumente beider Seiten mag ausgewogen sein. Dass man eine Seite mit Klischees belädt, die keinerlei Relevanz in der politischen Diskussion hat, ist sicherlich nicht ausgewogen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit - und vielen Dank, dass wir durch Ihre Arbeit sicherstellen lassen können, dass uns die Beiträge der SRG weiterhin die Möglichkeit geben, uns ausgewogen und neutral zu informieren.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Herr Michael Bolliger, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF, schrieb:

«Ich danke Ihnen bestens für die Möglichkeit, zur Beanstandung 5481 Stellung nehmen zu können. Ich tue das als Mitglied der Chefredaktion Radio und dort als Bereichsleiter ‹Inland/Regionaljournale›.

Die Beanstandung richtet sich gegen einen Beitrag der Sendung ‘Rendez-vous’ vom

24. Mai. Der Beitrag war Teil unserer Berichterstattung im Vorfeld der Abstimmung über das Referendum gegen das revidierte Geldspielgesetz. Konkret wird beanstandet, der Beiträge hätte mit gewissen Elementen der Personenbeschreibung das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt.

Ich nehme dazu gerne wie folgt Stellung:

Ein wichtiger Treiber für das Referendum, das mehrere Jungparteien gegen das Geldspielgesetz ergriffen hatten, bildet die Idee der Netzsperren. Also die Absicht, künftig Webseiten von gewissen ausländischen Geldspielanbietern in der Schweiz zu sperren, so dass hierzulande auf diesen Seiten nicht, oder nur auf nicht legalem Weg, ‹gezockt› werden könnte.

Von den Gegnern dieser Idee und damit der Vorlage werden grundsätzliche Bedenken geäussert. Sie befürchten, dass damit der Weg frei wäre für weitere Zensurschritte im Netz. Gleichzeitig sagen sie, diese Netzsperren seien relativ leicht zu umgehen.

In der Vorberichterstattung zur Abstimmung hat uns interessiert, wie Netz- und Computerspezialisten – unabhängig von parteipolitischen Bindungen - diese Fragen beurteilen. Darum hat unsere Autorin ein Treffen der Berner Gruppe des ‹Chaos Computer Club Schweiz› (CCC-CH) besucht. Die Beanstandung kritisiert, durch die (personen-)beschreibende Darstellung im Bericht, seien die CCC-Leute ‘klischeehaft’ und damit negativ dargestellt, und auf diese Weise ihre Argumente abgewertet (‹abgeschwächt›) worden. Durch diese ‘suggestive Ummantelung’ sei die Position der CCC-Leute in einer Art beeinträchtigt worden, dass der Bericht insgesamt nicht mehr sachgerecht gewesen sei.

Ich kann diese Kritik aus mehreren Gründen nicht nachvollziehen.

1. Schon in der Anmoderation vor dem Beitrag wurden die Protagonisten als kompetente Insider dargestellt. Konkret heisst es dort: < (...) Die Jungparteien wehren sich und sprechen von Internetzensur. Unterstützung erhalten sie von jungen Computercracks. Vom Chaos Computer Club zum Beispiel (...)>.

2. Im Beitrag selber wird zuerst kurz ein szenischer Einstieg hörbar, in dem sich junge Menschen im lockeren Gespräch über irgendwas (in diesem Fall das T-Shirt eines Kollegen) unterhalten. Dieser ‹Ambi›-Ton, wie wir dazu sagen, soll für einen kurzen Moment die Stimmung transportieren, die im Raum herrscht. Immerhin führt die Autorin unser Publikum in eine ‹Welt›, die von Aussenstehenden vielleicht als geheimnisvoll, ev. gar bedrohlich (weil ‹Chaos›, ‹Hacker›) gesehen wird. Der kurze Ton zeigt, dass hier keine Verschwörer am Werk sind, sondern eben ‹gewöhnliche›, entspannte, meist jüngere Leute, die sich auch mal über die T-Shirt-Wahl eines Kollegen lustig machen.

3. Die Autorin beschreibt lediglich, was sie sieht. <Das wöchentliche Treffen einer Berner Hackerinnen und Hacker-Gruppe. Neun junge Menschen sitzen mit ihren Laptops an einem Tisch. Sie tragen dunkle Kapuzenpulli, Bärte, Piercings.> Diese Beschreibung ist bewusst kurz und stichwortartig gewählt, sie mag klischeehaft wirken, aber sie ist keinesfalls unsachlich oder herabsetzend. Stärker betont wird im Beitrag dagegen die Kompetenz der Spezialisten.

4. Diese Kompetenz besteht darin, dass sie uns am konkreten Beispiel zeigen, wie man Netzsperren umgeht. Selbstverständlich können und wissen die CCC-Mitglieder noch viel mehr im Umgang mit Computern und Netzwerken. Aber in diesem Beitrag geht es ausschliesslich um die Frage der Umgehung von Netzsperren. Hernani Marquez vom CCC-CH zeigt am Beispiel der Uni Fribourg, wie mit ‹wenigen Klicks› ein Hindernis im Netz umgangen werden kann, etwas, das für Laien ein unüberwindbares Hindernis in ihrem praktischen Netz-Alltag bedeutet. Mit diesem Beispiel – auch für Laien anschaulich und verständlich – wird dokumentiert, was die Gegner des revidierten Geldspielgesetzes meinen, wenn sie sagen, die Netzsperren seien einfach zu umgehen.

5. In der Chronologie des Beitrages kommt nach den Hackern eine Befürworterin des Geldspielgesetzes in der Person von SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr zu Wort. In Klammer bemerkt: Anders als bei den Hackern des Chaos Computer Clubs darf man davon ausgehen, dass ein Mitglied des eidgenössischen Parlaments in seiner Erscheinung nicht näher beschrieben werden muss, die überwiegende Mehrheit unseres Publikums dürfte ein ungefähres ‘Bild’ einer Nationalrätin haben. Danach kehrt die Erzählung nochmal zurück nach Bern zum Wochentreffen des CCC. Diesen Übergang gestaltet die Moderatorin wieder mit einem Ambi-Ton wie zum Einstieg des Beitrages. Auch hier wird tatsächlich nochmal das T-Shirt eines Kollegen beschrieben. Aber der Ton ist selbstverständlich für das Publikum als Gestaltungselement erkennbar, der, wie oben beschrieben, Atmosphäre und nicht den konkreten Inhalt vermitteln soll. Insofern kann man einwenden, es hätte auch einen anderen Ausschnitt des Gesprächsverlaufs unter den Hackern am Tisch als Ausschnitt gewählt werden können. Aber herabwürdigend und deshalb nicht sachgerecht ist auch dieser Teil des Beitrags sicherlich nicht.

6. Ein zentraler Punkt in der Argumentation schliesst den Beitrag ab: ‹Wehret den Anfängen›. Auch mit dieser Aussage, diesmal in der indirekten Rede durch die Autorin formuliert, aber klar verständlich den Protagonisten der Geschichte zugeschrieben, wird die Position der Computerspezialisten zum Ende der Berichterstattung nochmal deutlich gemacht.

Fazit:

Der beanstandete Beitrag hat ein zentrales Element der Kontroverse um das Geldspielgesetz aufgegriffen, die Diskussion um die Netzsperren. Der Beitrag hat unser – grundsätzlich breit interessiertes, aber nicht netz- und computerspezialisiertes – Publikum mitgenommen an einen Ort, zu dem die wenigsten von uns sonst Zugang haben. Die Autorin hat deshalb in kurzen, sachlichen Worten Stimmung, Bild und die Menschen dieses des Ortes beschrieben. Aber in erster Linie hat sie die fachlich/technische Kompetenz der Protagonisten des CCC-CH ins Zentrum gestellt und auf diese Weise deutlich gemacht, dass über die Wirksamkeit und damit die präventive Wirkung von Netzsperren zumindest kontrovers diskutiert werden kann.

Insgesamt hat der Beitrag damit einen relevanten Beitrag zur Meinungsbildung bei dieser Abstimmungsvorlage geleistet. Er hat aber sicherlich nicht die Akteure in ein schlechtes Licht gestellt und damit ihre Kompetenz unterminiert.

Aus diesen Gründen bitte ich Sie, die Beanstandung nicht zu unterstützen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Der Beitrag fügt sich in die Berichterstattung im Vorfeld der Abstimmung über das Geldspielgesetz. Er wurde 17 Tage vor der Volksabstimmung ausgestrahlt, also in der heiklen Phase, in der erhöhte journalistische Sorgfaltspflicht gilt und das Vielfaltsgebot auf die einzelne Sendung angewendet werden muss. Das heißt: Sendungen, in denen Argumente für oder gegen die Vorlage zum Zuge kommen, müssen kontradiktorisch sein. Dies gilt nicht für die Ereignisberichterstattung (beispielsweise über Medienkonferenzen des Bundesrates oder von Abstimmungskomitees oder über Parteitage) und nicht für die Hintergrundberichterstattung (beispielsweise über die Geschichte eines Politikfeldes oder über die Regelung des gleichen Problems in anderen Ländern).

Der Beitrag beleuchtet einen umstrittenen Punkt des Geldspielgesetzes, nämlich die Möglichkeit, Netzsperren zu verfügen. In Artikel 86 des Gesetzes steht: «Der Zugang zu online durchgeführten Geldspielen ist zu sperren, wenn die Spielangebote in der Schweiz nicht bewilligt sind.»[2] Wenn das «Rendez-vous» aufgezeigt hat, dass solche Netzsperren leicht umgangen werden können, dann vermittelte es eigentlich einen Hintergrund-Beitrag, aber da die Problematik einer der zentralen Punkte der Auseinandersetzung war, war es klug, auch die Gegenposition zu spiegeln. Hernani Marques vom Chaos-Computer-Club Schweiz[3] erläuterte, wie mit Kenntnissen und ein paar Klicks solche Sperren überwunden werden können. Er stützte damit die Argumente der Initianten des Referendums, also der Gegner des Gesetzes. Dem standen die Argumente der Thurgauer SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr, Betriebsökonomin und Unternehmerin[4], gegenüber, die plausibel darlegte, dass die Tatsache, dass jedes Verbot umgangen werden kann, Verbote nicht sinnlos macht.

Radio lebt von der Anschaulichkeit, vom Ton, von der dadurch vermittelten Atmosphäre. Was wir vor uns haben, ist eine kleine Reportage von einem Treffen des Chaos-Computer-Clubs Bern. Es ist darum legitim, dass sie auch Stimmengewirr und Alltagsunterhaltung vermittelt. Ginge es nicht um ein Abstimmungsthema, wäre der Beitrag von A-Z im Reportagenstil gehalten gewesen. Da es aber um eine bevorstehende Volksabstimmung ging und da die Aussagen von Hernani Marques die Argumente der Gesetzes-Gegner stützten, wurde die Position der befürwortenden Seite «hereingeholt» mit den Aussagen von Nationalrätin Diana Gutjahr. Die Nationalrätin war aber beim Besuch im Chaos-Computer-Club nicht dabei, sondern sie wurde nachträglich und vermutlich telefonisch befragt. Es stimmt zwar, dass dadurch die eine Seite atmosphärisch daherkommt und die andere rein argumentativ, aber im Unterschied zu Ihnen empfinde ich die anschauliche, atmosphärische Berichterstattung nicht als herabwürdigend, diskreditierend, sondern eher als aufwertend, weil authentisch. Und da beide Positionen mit den je besten Argumenten zum Zuge kommen, ist der Sachgerechtigkeit (und auch dem Vielfaltsgebot) Genüge getan. Ich kann folglich Ihrer Beanstandung nicht beipflichten.

Wie Sie wissen, ist das Geldspielgesetz am 10. Juni 2018 vom Volk bei einer Stimmbeteiligung von 33,7 Prozent mit 1'325'982 gegen 492'247 Stimmen (also mit einem Ja-Anteil von 72,9 Prozent) angenommen worden. Das Ständemehr war nicht verlangt. Dennoch ist nicht ganz unwichtig, dass das Gesetz in sämtlichen Kantonen Zustimmung fand, mit den deutlichsten Ja-Mehrheiten in der Suisse romande und im Tessin.[5]

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.srf.ch/news/schweiz/abstimmungen/abstimmungen/geldspielgesetz/gegen-das-geldspielgesetz-hacker-warnen-vor-netzsperren

[2] https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/abstimmungen/20180610/Geldspielgesetz.html , Erläuterungen des Bundesrates, S. 49.

[3] https://www.ccc-ch.ch/

[4] https://www.parlament.ch/de/biografie/diana-gutjahr/4216

[5] https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/20180610/det619.html

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