Sendung «Kassensturz» «Teure Lebensversicherungen» beanstandet I
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Mit Ihrer E-Mail vom 31. Mai 2018 beanstandeten Sie die Sendung «Kassensturz» (Fernsehen SRF) vom 29. Mai 2018 und dort den Beitrag «Teure Lebensversicherungen».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Dass das Format ‹Kassensturz› in regelmässigen Abständen die Lebensversicherungspolicen kritisiert und diesbezüglich einseitig und tendenziös berichtet, ist mir hinlänglich bekannt. Der Auftritt und die Äusserungen des vermeintlichen ‹Experten› Herr Ruedi Ursenbacher in der Sendung vom 29.05.2018 war jedoch mit so vielen Pauschal- und Falschaussagen gespickt, dass ich das Sachgerechtigkeitsgebots nach Art. 4 Radio- und Fernsehgesetz verletzt sehe und Ihnen hiermit eine Beanstandung einreiche.
Ich beanstande im Speziellen folgende Aussagen von Herr Ursenbacher:
- Die Problematik bestehe gemäss Herr Ursenbacher nur bei gemischten Lebensversicherungen. Diese Aussage ist nicht abschliessend, da auch bei fondsgebundenen Sparversicherungen Abschlusskosten anfallen und zudem noch zusätzliche Fondsausgabekommissionen anfallen können.
- Auf die Frage, ob für eine 23- jährige Person eine zusätzliche Risikoabdeckung Sinn mache, antwortete Herr Ursenbacher Zitat: <Grundsätzlich nein>. Aus meiner Sicht eine gefährliche verallgemeinernde Pauschalaussage, welche ohne Berücksichtigung der individuellen Vorsorgesituation so nicht getätigt werden sollte.
- Ob es Gründe gebe Sparversicherung abzuschliessen, antwortete Herr Ursenbacher Zitat: <Grundsätzlich nein>. Der ‹Experte› verschweigt dem Zuschauer das Erbschafts- und Konkursprivileg sowie den Vorteil der direkten Begünstigung nach Versicherungsvertragsgesetz. Der Zuschauer hat somit keine Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Auch hier finde ich eine Pauschalaussage heikel, da das individuelle Schutzbedürfnis des einzelnen nicht berücksichtigt wird.
Die Berichterstattung war einmal mehr äusserst tendenziös. Mit dem anschliessenden ‘Experten’- Interview wird dem Zuschauer eine vorgefertigte Meinung aufgedrückt und aus meiner Sicht eine freie Meinungsbildung verunmöglicht.
Ich bitte Sie meine Beanstandung zu prüfen und erwarte mit Spannung Ihren Bescheid.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die Sendung «Kassensturz» äußerte sich deren Redaktionsleiterin, Frau Ursula Gabathuler:
«In einem Schreiben vom 31. Mai 2018 wendet sich X an Sie und beanstandet den ‹Kassensturz›-Beitrag ‹Teure Lebensversicherungen› vom 29. Mai 2018. Gerne nehmen wir dazu wie folgt Stellung:
Der Beanstander macht drei Punkte geltend, die seiner Meinung nach das Sachgerechtigkeitsgebot verletzen. Im Folgenden jeweils anschliessend unsere Stellungnahme:
Punkt 1:
<Die Problematik bestehe gemäss Herr Ursenbacher nur bei gemischten Lebensversicherungen. Diese Aussage ist nicht abschliessend, da auch bei fondsgebundenen Sparversicherungen Abschlusskosten anfallen und zudem noch zusätzliche Fondsausgabekomissionen anfallen können.>
Unsere Stellungnahme:
Fondsgebundene Sparversicherungen sind ebenfalls gemischte Lebensversicherungen.
Punkt 2:
<Auf die Frage, ob für eine 23- jährige Person eine zusätzliche Risikoabdeckung Sinn mache, antwortete Herr Ursenbacher Zitat: ‹Grundsätzlich nein›. Aus meiner Sicht eine gefährliche verallgemeinernde Pauschalaussage, welche ohne Berücksichtigung der individuellen Vorsorgesituation so nicht getätigt werden sollte.>
Unsere Stellungnahme:
Ruedi Ursenbacher ergänzt anschliessend, dass eine zusätzliche Risikoabdeckung dort Sinn mache, wo man als Arbeitnehmer nicht genügend abgesichert ist via Arbeitgeber. Im konkreten Fall (23-jähriger Mann, ledig) sei kaum Bedarf vorhanden für zusätzlichen Risikoschutz bei Tod und Invalidität, da der junge Mann als Arbeitnehmer via UVG und BVG abgedeckt ist. Dann führt Ursenbacher weiter aus, in bestimmten Lebenssituationen (Familiengründung, Hauskauf) könne eine zusätzliche Risikodeckung durchaus sinnvoll sein. Diese Ausführungen decken sich präzis mit dem Inhalt und der sprachlichen Bedeutung der eingangs zur allfälligen Notwendigkeit einer zusätzlichen Risikodeckung im Falle eines 23-Jährigen gemachten Aussage <Grundsätzlich nicht>.
Punkt 3:
<Ob es Gründe gebe, Sparversicherung abzuschliessen, antwortete Herr Ursenbacher Zitat: ‹Grundsätzlich nein›. Der ‹Experte› verschweigt dem Zuschauer das Erbschafts- und Konkursprivileg sowie den Vorteil der direkten Begünstigung nach Versicherungsvertragsgesetz. Der Zuschauer hat somit keine Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Auch hier finde ich eine Pauschalaussage heikel, da das individuelle Schutzbedürfnis des einzelnen nicht berücksichtigt wird.>
Unsere Stellungnahme:
Man hätte die vom Beanstander genannten Punkte erwähnen können, doch im Fokus des ‹Kassensturz›-Beitrags standen die Interessen und Bedürfnisse des Durchschnittszuschauers/der Durchschnittszuschauerin – ausgehend vom Fall eines 23-jährigen Arbeitnehmers. Die vom Beanstander genannten Privilegien beziehen sich jedoch auf sehr spezifische Sachverhalte (Konkurs des Familienunternehmens, Privatkonkurs, Ausschlagen des Erbes wegen Überschuldung – wobei das Konkursprivileg nur bei der Säule 3b gilt) und die vom Beanstander genannte direkte Begünstigung auf die Besserstellung einer bestimmten Person gegenüber den Erben. Gewiss kann man aus diesen Gründen eine Lebensversicherung abschliessen. Von ‘Verschweigen’ dieser Gründe kann hier nicht die Rede sein, diese auszuführen hätte den Umfang des Gesprächs schlicht gesprengt.
Wir erachten den Inhalt des Gesprächs weder als ‹einseitig› noch als ‹tendenziös›. Die drei beanstandeten Punkte waren weder Pauschal- noch Falschaussagen, das Sachgerechtigkeitsgebot ist nicht verletzt. Aufgrund unserer Ausführungen bitte ich Sie, Herr Blum, die Beanstandung als unbegründet zurückzuweisen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Da Sie selber in der Versicherungsbranche tätig sind, haben Sie natürlich einen ganz anderen fachlichen Hintergrund und ganz andere Erwartungen an die Sendung als das Durchschnittspublikum. Ich muss aber die Sendung aus der Sicht des Durchschnittspublikums beurteilen und fragen: Wurde es angelogen? Wurde es hinters Licht geführt? Wurde es manipuliert? Dabei muss ich den ganzen Beitrag in den Blick nehmen, denn das Bundesgericht verlangt, dass immer die Gesamtsendung bewertet wird, nicht bloss ein Teil. Der Beitrag besteht aus zwei Teilen: Erstens aus der individuellen Geschichte eines 26jährigen Versicherungsnehmers, der ein paar Jahre zuvor eine Lebensversicherung bei der Helvetia abgeschlossen hatte und jetzt, als er die Prämie reduzieren wollte, über 5000 Franken verlor. Zweitens aus dem Thekengespräch mit dem Versicherungsexperten Rudolf Ursenbacher,[2] der sich nicht nur zum konkreten Fall, sondern auch grundsätzlich zum Sinn und Unsinn von Lebensversicherungen als «Sparschwein» äußert. Sie beanstanden ja eigentlich nur dieses Interview.
Das Schweizer Versicherungssystem ist ja sehr vielfältig und auch kompliziert. Für die Altersvorsorge bestehen die drei Säulen der staatlichen Alters- und Hinterbliebenen-Versicherung (AHV), der betrieblichen «Zweiten Säule» (berufliche Vorsorge) und der privaten «Dritten Säule» (individuelles Sparen). Dazu kommen die staatlichen Arbeitslosen- und Invalidenversicherungen, die teils beruflichen (SUVA), teils privaten Unfallversicherungen sowie die privaten Kranken-, Hausrats-, Haftpflichts-, Auto-, Reise-, Rechtsschutz- und Lebensversicherungen. Der Beitrag beschäftigt sich ausschließlich mit Lebensversicherungen und der Frage, ob es für junge Leute überhaupt sinnvoll ist, sie abzuschliessen und unter welchen Rahmenbedingungen. Der erste Experte, Stefan Thurnherr vom VZ VermögensZentrum AG in Zürich, erklärt den Mechanismus. Der zweite Experte, Rudolf Ursenbacher, zeigt auf, in welchen Situationen es sinnvoll ist, eine Lebensversicherung abzuschließen, und dass zum Sparen das Anlagekonto auf der Bank der geeignetere Platz sei als eine Lebensversicherung. Dem kann man natürlich widersprechen. Aber das Radio- und Fernsehgesetz verlangt nicht, dass jede Meinung mit der entsprechenden Gegenmeinung konterkariert werden muss. Dem Publikum ist klar, dass ein Experte in einem Gespräch einerseits Sachwissen absondert, aber auch seine Meinung äußert. Dass Herr Ursenbacher nicht einfach sagen kann, was ihm gerade einfällt, wird schon dadurch verhindert, dass Moderator Ueli Schmezer ihm mit Fragen zusetzt und ihn so zu zusätzlichen Erläuterungen zwingt. Ihre Behauptung hingegen, dass Herr Ursenbacher ein «vermeintlicher Experte» sei und dass seine Ausführungen mit «Falschaussagen gespickt» gewesen seien, kann ich nicht teilen. Ich verweise auf die Stellungnahme von Frau Gabathuler.
Ein Fernsehbeitrag kann nie alle Aspekte abdecken. Er muss immer auswählen. Im Fokus stand der Sinn (oder Unsinn) einer Lebensversicherung für einen jungen ledigen Menschen. Diese Frage hat der Beitrag anschaulich und so verständlich wie nur möglich behandelt. Ich kann nicht sehen, dass er es auf tendenziöse Weise getan hat. Im Gegenteil: Ich erachte den Beitrag als sachgerecht. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/sendungen/kassensturz-espresso/teure-lebensversicherungen-kunden-in-der-falle
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