Nichtberichterstattung über die Athletissima (und das Rollstuhlrennen) in Lausanne beanstandet

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Mit Ihrem Brief vom 11. Juli 2018 beanstandeten Sie, dass das Fernsehen SRF über die Athletissima in Lausanne vom 5. Juli 2018 und insbesondere über das Rollstuhlrennen nicht berichtet hat. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Bitte erlauben Sie mir mich zuerst kurz vorzustellen. Ich bin Geschäftsführer der Orthotec AG. Die Orthotec AG ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) mit Sitz in Nottwil. Mehr als 1500 Mitarbeiter kümmern sich bei uns in Nottwil jeden Tag ganzheitlich um die medizinische Versorgung, Rehabilitation, Wiedereingliederung und lebenslange Begleitung von querschnittgelähmten Menschen (Stichwort ‚Inklusion‘). Die Orthotec AG versorgt die Betroffenen innerhalb dieses ganzheitlichen Leistungsnetzes mit Hilfsmitteln in allen Bereichen des Themas Mobilität (zB Rollstühle, Fahrzeuge, orthopädische Hilfsmittel, etc.).

Inklusion bedeutet Zugehörigkeit. ln einer inklusiven Gesellschaft sind alle Menschen willkommenund niemand wird ausgegrenzt. Dies ist aber nur möglich, wenn die Partizipation im Alltag, also in der Schule, bei der Arbeit, in der Freizeit möglich ist. Von der Partizipation aller Menschen profitieren alle. Niemand wird ausgegrenzt und ein besseres Miteinander entsteht.

Ich habe diesen Frühling mit einem überzeugten NEIN die NO-BILLAG Initiative abgelehnt, und ich würde auch heute wieder gleich abstimmen, obwohl das nachfolgend beschriebene Erlebte mein Vertrauen in Ihre Institution wieder einmal erschüttert hat ....

Am Donnerstag, 5. Juli 2018, fand in Lausanne die Athletissima 2018 statt, ein Leichtathletik-Meeting der sogenannten Diamond League, also der Champions-League der Leichtathletik sozusagen. Am Start waren auch die Rollstuhlrennfahrer, 1500m, Männer, Klasse T54 (also ebenfalls die ChampionsLeague der Rollstuhlleichtathletik). Es war ein absolutes Weltklassefeld gemeldet, mit Ausnahme von Daniel Romanchuk (USA) waren praktisch alle Top-Athleten da, neben Marcel Hug die Cracks aus England, Deutschland, Frankreich, Japan, Tunesien & Spanien.

Die Startzeit für die Rollstuhlathleten war für 19:44 Uhr terminiert, und die Live-Übertragung auf SRF2 hat um 20:00Uhr begonnen (!). Die Startzeit der Rollstuhlathleten war im SRF-Teletext (ja, wieder SRF) nicht mal aufgeführt, als ob die Rollstuhlfahrer gar nicht am Wettkampf teilnehmen würden. Ich musste die Startzeit mühsam im Internet (auf der Webseite der Diamond-League) suchen. Vom Rollstuhlrennen war dann natürlich (wieder einmal) nix zu sehen, wegen ein paar Minuten fehlender Sendezeit. Das alles wäre ja schon eigentlich genug für meinen erneuten Ärger zu diesem Thema ....

Da ich mit dem obengenannten Szenario leider (aus Erfahrung) schon gerechnet hatte, suchte ich einen Sender, der mit der Übertragung früher beginnt. Und ich wurde tatsächlich fündig, RTS (ja, schon wieder SRF) begann mit der Übertragung bereits um 19:30Uhr. Also setze ich mich frohen Mutes, mit meiner ganzen Familie, allesamt begeisterte Rollstuhlsportfans und grosse Fans von Marcel Hug, vor die TV-Kiste. Und was passiert ...? Wieder nix. Die haben doch tatsächlich von 19:30Uhr bis 20:00 Uhr ohne Unterbruch Interviews gebracht, schön inszeniert und direkt vor der Rennbahn, so dass man im Hintergrund zwischendurch mal einen Helm eines Rollstuhlfahrers beim Aufwärmen durch das Bild huschen sehen konnte. Nach dem Rennen, ca. 19:50 Uhr, sah man dann noch ein paar Fahrer aus einer Vogelperspektive auf der Bahn beim Rausfahren aus dem Stadion...

Nun, SRF ist der einzige öffentliche Kanal in ganz Europa, der ausnahmslos alle Spiele der Fussball WM live überträgt, alle, auch Vorrundenspiele wie Panama gegen Tunesien, einfach alle. Das gibt es weder in Deutschland noch Oesterreich noch sonst irgendwo .... Und wenn Roger Federer und seine Kollegen/Kolleginnen in Wimbledon einmal kurz Husten kommt eine Sonderberichterstattung mit Analyse eines Herz-Lungen-Spezialisten .... aber 10 Minuten (!) Sendezeit für Rollstuhlathleten, für ein Weltklasserollstuhlrennen, an einem Grossanlass in der Schweiz, an welchem der LaureusAward-Gewinner (=Weltsportler des Jahres), ebenfalls ein Schweizer, am Start ist, sind offenbar vom Schweizer Fernsehen zu viel verlangt ganze 10 Minuten Dies alles schreibe ich übrigens als äusserst dankbarer und begeisterter Fussball-, Tennis- und Formell-Fan .

Ich war so wütend und frustriert, aber noch viel mehr war ich unsagbar traurig. Das alles ist für mich einfach nicht mehr nachvollziehbar, das ist kein Respekt, kein Anstand, kein gar nix. Und das ist auch nicht das Bild meines Fernsehens SRF welches ich bei der erwähnten Abstimmung schützen und unterstützen wollte. Für mich ist es das Gegenteil von Inklusion - das ist Ausgrenzung oder eben EXKLUSION in reinster Form. Ist das wirklich Service Public? Exklusion bei SRF Sport? Ohne jegliche Sensibilität zum Thema? Oder könnte man was ich oben beschreibe als mutwillige, vorsätzliche Exklusion von behinderten Sportlern verstehen? Das glaube ich eigentlich nicht .... denn immerhin überträgt SRF Sport immer wieder Wettkämpfe von den Paralympischen Spielen und zeigt dass es eben auch anders geht. Also ist es wahrscheinlich einfach mangelnde Sensibilität ..... ? Nur, das ist mir etwas zu einfach ....

ln der Schweiz ist seit dem l. Juli 1996 das Gleichstellungsgesetz, SR151.3, Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen, in Kraft. Inwiefern so ein Vorgehen wie vorgängig beschrieben gegen dieses Gesetz verstösst (eine klare Benachteiligung von Menschen mit Behinderung ist aus meiner Sicht aber auf jeden Fall gegeben) kann ich nicht beurteilen, und ich möchte auch gar nicht weiter darauf eingehen oder gar den Rechtsweg beschreiten. Fakt ist aber auch, dass ich solche Vorkommnisse nicht mehr einfach so schlucken kann und werde. Ich möchte einfach, dass SRF Sport dem Thema in Zukunft mit mehr Sensibilität und dem entsprechenden Respekt begegnet ....“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Herr Notker Ledergerber, Stabchef SRF Sport, schrieb:

«Bei grossen internationalen Events gibt es in der Regel einen Host Broadcaster, der entweder im Auftrag eines OK’s, Verbandes oder einer Agentur das sogenannte Weltsignal herstellt. Die Rechteinhaber übernehmen dieses Signal, welches zusammen mit dem Live-Kommentar ausgestrahlt wird oder zusätzlich mit Beiträgen, Gesprächen, Interviews etc. ergänzt wird.

Nun zur Diamond League, der internationalen Leichtathletik-Serie, zu welcher auch die beiden Schweizer Meetings Athletissima Lausanne und Weltklasse Zürich gehören. Hier hat die SRG (Business Unit Sport) einen Vertrag mit dem Organisationskomitee und sie produziert das Weltsignal, in Lausanne umgesetzt von RTS, in Zürich von SRF und dem tpc. Auch diese Signale werden von allen TV-Stationen übernommen. Die SRG trat also als Host Broadcaster auf, die Unternehmenseinheit RTS produzierte die Bilder, SRF übernahm das Signal, welches das Rollstuhlrennen nicht beinhaltete, weil es zum Vorprogramm des Meetings und nicht zum Diamond-League-Programm gehörte.

Es war demnach eine publizistische und journalistische Gewichtung, weder Bilder zu produzieren noch zu zeigen. RTS begann die Vorberichterstattung mit Interviews und Beiträgen um 19.30 Uhr ohne Berücksichtigung des Rollstuhlrennens, SRF hingegen stieg erst nach der Tagesschau auf den Start des Diamond-League-Meetings in die Übertragung ein.

Ich möchte festhalten, dass SRF in den letzten Jahren die Berichterstattung über den Behindertensport immer mehr gesteigert hat, sei es im Rahmen der Winter Paralympics in Südkorea oder an den diversen internationalen Meisterschaften

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Angelegenheit. Man kann das Thema auf unterschiedlichen Ebenen diskutieren. Die eine Ebene ist die gesellschaftspolitische: Wie gelingt es, das Diskriminierungsverbot, das Behindertengesetz und das Vielfaltsgebot in den Medien und insbesondere in Radio und Fernsehen adäquat umzusetzen? Wie kann Inklusion gespiegelt werden? Die andere Ebene ist die publizistische: Welche Sportereignisse sind gewissermaßen Pflichtstoff? Welche interessieren das Publikum mehr? Sie argumentieren gesellschaftspolitisch, die Sportredaktion argumentiert publizistisch.

Mit Ihren grundsätzlichen Ausführungen bin ich zu 100 Prozent einverstanden. Ich stimme Ihnen zu, dass die Journalistinnen und Journalisten von SRF immer daran denken sollten, dass es die Behinderten einzubeziehen gilt, dass Inklusion ein ständiger Auftrag ist. Und ich kann Ihren Frust im Zusammenhang mit der Athletissima nachvollziehen. Aber da sind die publizistischen Prioritäten. RTS hat sie zuungunsten des Rollstuhlrennens, das zum Vorprogramm gehörte, gesetzt, und SRF musste sich dem fügen. Die Sportredaktion von SRF hätte daher, auch wenn sie gewollt hätte, das Rollstuhlrennen nicht im Fernsehen übertragen können. Ich kann folglich rein formal Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

Ich appelliere indes an die SRG-Sportredaktionen, den Behinderten-Sport nicht zu vergessen und ihn höher zu gewichten. Das kann man allerdings nicht absolut setzen. Denn neben dem Behinderten-Sport gibt es andere Sportarten, die von Radio und Fernsehen mehr Beachtung verlangen: Die Orientierungsläufer, die Hornusser, die Landhockey-Spieler, die Curler, der Frauen-Fußball usw. Wichtig aber ist, dass die Redaktionen immer bedenken, dass zur Inklusion in Bezug auf Behinderte auch der Sport gehört.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

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