#SRFglobal Sendung zum Thema «Russland, die Fussball-WM und wir: Verstehen wir uns wieder?» beanstandet (I)
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Mit Ihrer E-Mail vom 6. Juli 2018 beanstandeten Sie die Sendung #SRFglobal zum Thema «Russland, die Fussball-WM und wir: Verstehen wir uns wieder?».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Das Framing Ihres Berichtes war Russland schlechtzureden, insbesondere von Herrn Franzen. Was ist die Aussage Ihres Berichtes per se? Ist es Russland schlecht zu machen?
‘It's Putins games’, ‘Werte, die in unserer Welt selbsverständlich sind’. Meine Güte, was denn genau? Neokolionalismus und völkerrechtswidrige Bomben auf Irak, Lybien, Jemen, Somalia und Syrien? Oder gar Regime-Changes? Seit Ihr eigentlich in Eurer Berichterstattung behinderet? Hat Euch Russland eingeschränkt? Was ist die Sachlage zu MH17?
Herr Franzen sagte wörtlich: <... JIT said it was a BUK...> Eine BUK. Ja, die Ukraine war ja Teil der UdSSR, somit haben Sie auch BUK's, oder nicht? Satelitenbilder von Georgien?
By the way die NATO hatte an besagtem Tag ein Grossmanöver in dieser Region durchgeführt und AWACS Flugzeuge im Luftraum. Haben Sie Informationen oder Aufzeichnungen zu diesem Anlass? Weshalb sind Informationen der Flugsicherung, z.B. der BRD, zwecks nationaler Sicherheit unter Geheimhaldung, bzw. Verschluss?
Wissen Sie eigentlich wer in diesem JIT sitzt. Ist Russland dort verteten? Hat die Ukraine ein Veto-Recht in diesem Gremium? Haben Sie die Äusserungen des Malysischen Ministers wahrgenommen betreffend der Russischen Einwirkung auf MH17?
@Herr Franzen: Ich habe selber 14 Jahre im Ausland gelebt und kann sagen, dass ich auch ein gutes Bild von Russland habe. Was Sie hier geboten haben, ist einfach mieseste Propaganda. Haben Sie je Guantanamo Bay, die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien, Kuwait oder der USA sowie Hinrichtungen in besagten Ländern angeklagt? Sind Sie in irgendeinem transatlantischen Verein? Nennen Sie dies objektiven Journalismus? Klar ist Russland eine Oligarchie und autokratisch aber dies würde ich auch von der USA und x anderen (NATO-) Staaten behaupten. Wer ist denn der Völkerrechtsbrecher Nr. 1 in dieser Welt? Russland? Wissen Sie eigentlich, dass Nawalny rassistische Äusserungen von sich lässt und jede zugewiesene Demonstrations-Routen oder -Plätze verlässt?
Ich würde mich 1. an Ihrer Stelle für dieses Framing der russischen Nation in den Boden schämen und 2. können Sie noch in den Spiegel schauen? Sie sind in meinen Augen ein Spalter und Kriegstreiber und kein Völkerverbinder oder Friedensförderer. Liebe Grüsse an Ihren Syrienkorrespondent. Unterste Schublade und eigentlich erbärmlich. Gute Besserung.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für #SRFglobal aantwortete Herr Daniel Blickenstorfer, Redaktor der Sendung:
«Die Sendung #SRFglobal vom 5. Juli 2018 behandelte die äusserlich erkennbaren Veränderungen, die Russland während der Fussball-WM erlebt, respektive zugelassen hat. Im Verlaufe der Sendung wurde die Frage diskutiert, ob diese Veränderungen nachhaltig sein könnten und schliesslich gar zu einem besseren gegenseitigen Verständnis zwischen Russland und Westeuropa führen könnten. Dabei stellte die Sendung schliesslich auch die Frage, ob ein Ende des Propagandadisputs zwischen russischen und westlichen Medien in Zukunft möglich sei.
Teilnehmende
Beteiligt an der von Florian Inhauser geleiteten Diskussion waren
- Christof Franzen, SRF-Korrespondent in Russland (im Studio)
- Peter Oliver, Europa-Korrespondent RT (zugeschaltet aus Nischni Nowgorod)
- Luzia Tschirky, designierte SRF-Korrespondentin (zugeschaltet aus St. Petersburg).
Ergänzt wurde die Diskussion durch ein voraufgezeichnetes Gespräch von Luzia Tschirky mit Manuel Köng, der für SRF Sport drei Wochen lang als Live-Kommentator von den WM-Spielen in Russland berichtet hatte.
Die Redaktion war sich bewusst, dass mit der Teilnahme von Franzen und Oliver gegensätzliche Standpunkte in der Sendung vertreten würden. Die Zuschauer sollten bei dieser Gelegenheit erfahren, wie sehr sich die Narrative russischer Medien von jenen westeuropäischer Medien unterscheiden; zu den westeuropäischen Medien zählen wir auch uns selber bei SRF. Die Unterschiede zeigen sich insbesondere bei der Berichterstattung über
- den Ukraine-Konflikt
- den Abschuss des Malaiischen Verkehrsflugzeugs MH17
- die Krim-Annexion
- das militärische Engagement Russlands in Syrien
- und die Lage der Menschenrechte in Russland selber
- aber auch die generelle Wahrnehmung der russischen Gesellschaft.
Die Differenz zeigte sich bereits bei den unterschiedlichen Meinungen zur Nachhaltigkeit der tollen Atmosphäre rund um die WM für den russischen Alltag und erst recht bei der Bewertung von Demonstrationen der Opposition respektive den damit verbundenen Einsätzen der Sicherheitskräfte in Russland.
Zu den Beanstandungen
Da sich beide Beanstandungen im Kern auf die Diskussion über den Abschuss eines malaiischen Verkehrsflugzeugs (MH17) am 17. Juli 2014 über der Ostukraine beziehen, beantworte ich diesen Punkt gesondert.
Wer schoss die MH 17 ab?
Der Moderator stellte die Frage an RT-Korrespondent Peter Oliver, nachdem dieser gesagt hatte, dass er auf ‘ein Ende der Polemik’ [2] hoffe, ohne dabei allerdings konkret auf die jeweilige Berichterstattung beider Seiten einzugehen. Die Frage betr. MH 17 sollte prüfen, ob der RT-Korrespondent bereit ist, beim wohl umstrittensten Thema der Berichterstattung vom offiziellen Diktum der russischen Staatsführung abzuweichen. Präsident Putin bestreitet nach wie vor eine russische Verantwortung oder zumindest Mitverantwortung für den Abschuss des Flugzeugs.[3] RT-Korrespondent Peter Oliver antwortete, er sei nicht in der Lage, die Frage zu beantworten.[4] Auf die Nachfrage, wie denn die russischen Medien darüber berichteten, antwortete der RT-Mann, er könne dies nicht beurteilen, da er in Berlin arbeite und die russischen Medien nicht verfolgen könne. Aus der Diskussion war allerdings bereits klar, dass die Frage auf Medien wie Olivers Arbeitgeber RT abzielte und nicht auf ‘lokale russische Medien’.
SRF-Korrespondent Christof Franzen bezog sich bei seinen Ausführungen ausschliesslich auf den Bericht der internationalen, niederländisch geführten Untersuchungskommission.[5] Nachdem zwei weitere Nachfragen von Inhauser und Franzen keine Annäherung gebracht hatten und beide Seiten auf ihrer Position verharrten, entschloss sich Moderator Florian Inhauser nach Absprache mit der Redaktion, das Thema MH 17 abzubrechen.
Der Sinn der Frage nach der MH 17 ist vorhergehend bereits beschrieben. Der Redaktion war von Beginn weg klar, dass es keiner Seite gelingen würde, ihre Ausführungen mit Fakten so zu belegen, dass die letzten Zweifel eines Zuschauers beseitigt würden. Dafür ist das Dossier schlicht zu umfangreich und setzt enorm viele technische Kenntnisse voraus. In einer Talk-Sendung von (geplant) 30 Minuten Dauer kann diese Diskussion schlicht nicht zu Ende geführt werden.
Herr X führt in seiner Beanstandung alternative Erklärungen für den Abschuss der MH 17 an, die er alle in Fragen kleidet. Uns sind diese Erklärungsversuche bekannt, sie bieten aber keine überzeugenden Hinweise auf einen anderen Verlauf, als ihn die internationale Untersuchungskommission beschrieben hat. RT-Korrespondent Peter Oliver hat immerhin kritisiert, dass Russland nicht mitbeteiligt wurde an der Arbeit dieser Kommission. Da Oliver die weiteren Fragen von Herrn X nicht ansprach, bestand kein Anlass, sie dem Publikum darzulegen.
‘Russland schlechtgemacht’
Herr X behauptet in seiner Beanstandung des weiteren, die Absicht der Sendung (oder ‘das Framing’, wie er schreibt) sei ‘Russland schlechtzureden’. Ironisch fragt er dann, welche Werte in unserer Welt selbstverständlich seien und ob wir in unserer Berichterstattung ‘behindert’ seien.
Die Werte, die wir als Journalisten in unserer Gesellschaft als ‘selbstverständlich’ und als Grundlage unserer Arbeit verstehen, sind in erster Linie jene der Demokratie, der Unabhängigkeit und der Meinungsvielfalt. Zur Demokratie zählen wir auch eine unabhängige Justiz. Wir nehmen uns das Recht festzustellen, dass in Russland weder journalistische Unabhängigkeit noch Meinungsvielfalt gewährleistet sind.
Der Vorwurf einer russlandfeindlichen Berichterstattung ist dennoch nicht angebracht. Im ersten Teil der Sendung – bis Minute 16:40 – stellen alle Gesprächspartner übereinstimmend fest, dass die Fussball-WM äusserst friedlich und in einer tollen Atmosphäre verlaufe; und ebenso, dass die russischen Veranstalter diese tadellos organisiert hätten. Während die SRF-Vertreter Zweifel anmelden, dass diese Atmosphäre im russischen Alltag andauern werde, hält RT-Korrespondent Oliver dagegen: er taxiert die gute Atmosphäre als nicht-überraschend; negative Erwartungen von Fans, die aus Europa anreisten, seien der westlichen Russland-Berichterstattung im Vorfeld der WM geschuldet. Es wurde in der Sendung auch klar, dass viele westliche Fans mit einem anderen und positiveren Bild von Russland wieder nach Hause kommen werden, es wurde auch klar, dass viele Russinnen und Russen die besonderen Freiheiten und die Toleranz während der WM enorm schätzten und dass dies durchaus auch einen bleibenden Effekt über die WM hinaus haben könnte.
Wie weiter oben schon ausgeführt, bot die Sendung die Narrative beider Seiten an. Florian Inhauser hat in den umstrittenen Teilen der Sendung äusserst souverän für Fairness und ausgewogene Gesprächsanteile gesorgt. RT-Korrespondent Peter Oliver ist es dank seines hohen Sprechtempos und unserem Angebot, in seiner Muttersprache zu referieren, sogar gelungen, ein gefühltes Übergewicht an Sprechzeit zu gewinnen.
Auf die von Herr X persönlich adressierte Kritik ‘@Herr Franzen’ möchte ich nicht eintreten. Christof Franzen ist SRF-Korrespondent in Moskau mit Berichtsgebiet Russland, ehemalige Teilrepubliken der Sowjetunion sowie der Ukraine; weder Saudi-Arabien, noch Kuwait oder die USA gehören dazu. Die weiteren Beschimpfungen unseres Kollegen Franzen durch Herrn X sind ebenso nicht Gegenstand dieser Stellungnahme.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ihre Vorstellung, wie eine solche Sendung abzulaufen hätte, kollidiert stark mit der Vorstellung der Redaktion. Was wollte die Redaktion? Und was wollen Sie?
Die Redaktion wollte wissen, ob die heitere Stimmung, die in Russland während der Fußball-Weltmeisterschaft herrschte, dazu beitragen könnte, den Propagandakrieg zwischen Russland und dem Westen zu beenden und das riesige Land dauerhaft zu öffnen. SRF-Russland-Korrespondent Christof Franzen und RT-Mitarbeiter Peter Oliver, die die Klinge kreuzten, argumentierten zwar kontrovers, aber beide durchaus differenziert.
Sie hingegen wollen nur den offiziellen Standpunkt Russlands gespiegelt sehen, ohne jede Differenzierung. Sie sind erst zufrieden, wenn SRF zum russischen Propagandasender geworden ist, der pausenlos die Schandtaten der Amerikaner brandmarkt.
Das kann aber nicht die Aufgabe von SRF sein. Die Aufgabe von SRF ist es, nach der Wahrheit zu suchen, in Recherchen und Diskussionen Fakten und Meinungen zu ergründen, die Vielfalt der Schweiz und der Welt abzubilden und jegliche Propaganda, von wem auch immer sie stammt, kritisch zu hinterfragen.
Da Ihre Vorstellung davon deutlich abweicht, aber keine Rede davon sein kann, dass sich SRF in die von Ihnen gewünschte Richtung entwickelt, kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen. Und ich muss Sie zudem bitten, Ihren Ton zu mäßigen und davon abzusehen, SRF-Korrespondent Christof Franzen grundlos einen «Kriegstreiber» nennen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/play/tv/sendung/srfglobal?id=c6a639e7-97a0-0001-5112-19c512b01474
[2] “I do hope and I do really long that there would be a calming down of the polemic that has come out from both sides.” (20:57)
[3] President Vladimir Putin rejected accusations by the Netherlands and Australia that Russia was responsible for the 2014 crash of Malysia Airlines Flight 17, after investigators said they found proof the missile that downed the plane belonged to a Russia-based military unit. – Bloomberg, 25. Mai 2018
[4] “If I could answer those type of question I wouldn’t do this job, I would do a much more important job.” (23:03)
[5] «Zentral ist, was die Internationale Untersuchungsbehörde sagt. Zentral ist, was die niederländische Staatsanwaltschaft sagt, die diese Untersuchung leitet. Die haben in mehreren Berichten gesagt, dass ist eine russische Buk-, Boden-Luft-Rakete (Batterie), die in die Ukraine gebracht wurde und am nächsten Tag wieder zurück.»
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