#SRFglobal Sendung zum Thema «Russland, die Fussball-WM und wir: Verstehen wir uns wieder?» beanstandet (II)
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Mit Ihrer E-Mail vom 6. Juli 2018 beanstandeten Sie die Sendung #SRFglobal zum Thema «Russland, die Fussball-WM und wir: Verstehen wir uns wieder?».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
Zur Sendung gingen zwei Beanstandungen ein, auf die die Redaktion teilweise gemeinsam eingeht.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Die Sendung von gestern Abend mit der Gegenüberstellung von Christoph Franzen und dem englischen RT-Journalisten Peter Oliver war mal wirklich was Neues, was der Schweizer Neutralität angemessen ist und diese damit aufwertet, weil sie sich so - nicht wie sonst allzu oft üblich - vor heissen aussenpolitischen Fragen drückt.
Aber eine Kritik trübt diesen positiven Grundeindruck: warum stoppt Herr Inhauser Christoph Franzen ausgerechnet dann, wenn es spannend wird (MH17)? Und das mit der faulen Ausrede, er wäre ins Schwimmen geraten, dafür ist er zu smart! Das wirklich Neue in Sachen argumentativer Neutralität leider also doch nur ein mutloses SRF-Strohfeuerchen.
Diese Feigheit vor echter neutraler Auseinandersetzung werfe ich nicht Herrn Inhauser vor, sondern seiner vorgesetzten Instanz. Mit dieser Feigheit ist diese Sendung ihrem Titel Verstehen wir uns wieder? nicht gerecht geworden. Die MH17-Frage ist bei diesem Titel unbestreitbar ein wesentliches Element.
Bitte teilen Sie mir mit, wie diese Diskussionsverweigerung SRF-offiziell begründet wird.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für #SRFglobal antwortete Herr Daniel Blickenstorfer, Redaktor der Sendung:
«Die Sendung #SRFglobal vom 5. Juli 2018 behandelte die äusserlich erkennbaren Veränderungen, die Russland während der Fussball-WM erlebt, respektive zugelassen hat. Im Verlaufe der Sendung wurde die Frage diskutiert, ob diese Veränderungen nachhaltig sein könnten und schliesslich gar zu einem besseren gegenseitigen Verständnis zwischen Russland und Westeuropa führen könnten. Dabei stellte die Sendung schliesslich auch die Frage, ob ein Ende des Propagandadisputs zwischen russischen und westlichen Medien in Zukunft möglich sei.
Teilnehmende
Beteiligt an der von Florian Inhauser geleiteten Diskussion waren
- Christof Franzen, SRF-Korrespondent in Russland (im Studio)
- Peter Oliver, Europa-Korrespondent RT (zugeschaltet aus Nischni Nowgorod)
- Luzia Tschirky, designierte SRF-Korrespondentin (zugeschaltet aus St. Petersburg).
Ergänzt wurde die Diskussion durch ein voraufgezeichnetes Gespräch von Luzia Tschirky mit Manuel Köng, der für SRF Sport drei Wochen lang als Live-Kommentator von den WM-Spielen in Russland berichtet hatte.
Die Redaktion war sich bewusst, dass mit der Teilnahme von Franzen und Oliver gegensätzliche Standpunkte in der Sendung vertreten würden. Die Zuschauer sollten bei dieser Gelegenheit erfahren, wie sehr sich die Narrative russischer Medien von jenen westeuropäischer Medien unterscheiden; zu den westeuropäischen Medien zählen wir auch uns selber bei SRF. Die Unterschiede zeigen sich insbesondere bei der Berichterstattung über
- den Ukraine-Konflikt
- den Abschuss des Malaiischen Verkehrsflugzeugs MH17
- die Krim-Annexion
- das militärische Engagement Russlands in Syrien
- und die Lage der Menschenrechte in Russland selber
- aber auch die generelle Wahrnehmung der russischen Gesellschaft.
Die Differenz zeigte sich bereits bei den unterschiedlichen Meinungen zur Nachhaltigkeit der tollen Atmosphäre rund um die WM für den russischen Alltag und erst recht bei der Bewertung von Demonstrationen der Opposition respektive den damit verbundenen Einsätzen der Sicherheitskräfte in Russland.
Zu den Beanstandungen
Da sich beide Beanstandungen im Kern auf die Diskussion über den Abschuss eines malaiischen Verkehrsflugzeugs (MH17) am 17. Juli 2014 über der Ostukraine beziehen, beantworte ich diesen Punkt gesondert.
Wer schoss die MH 17 ab?
Der Moderator stellte die Frage an RT-Korrespondent Peter Oliver, nachdem dieser gesagt hatte, dass er auf ‘ein Ende der Polemik’ [2] hoffe, ohne dabei allerdings konkret auf die jeweilige Berichterstattung beider Seiten einzugehen. Die Frage betr. MH 17 sollte prüfen, ob der RT-Korrespondent bereit ist, beim wohl umstrittensten Thema der Berichterstattung vom offiziellen Diktum der russischen Staatsführung abzuweichen. Präsident Putin bestreitet nach wie vor eine russische Verantwortung oder zumindest Mitverantwortung für den Abschuss des Flugzeugs.[3] RT-Korrespondent Peter Oliver antwortete, er sei nicht in der Lage, die Frage zu beantworten.[4] Auf die Nachfrage, wie denn die russischen Medien darüber berichteten, antwortete der RT-Mann, er könne dies nicht beurteilen, da er in Berlin arbeite und die russischen Medien nicht verfolgen könne. Aus der Diskussion war allerdings bereits klar, dass die Frage auf Medien wie Olivers Arbeitgeber RT abzielte und nicht auf ‘lokale russische Medien’.
SRF-Korrespondent Christof Franzen bezog sich bei seinen Ausführungen ausschliesslich auf den Bericht der internationalen, niederländisch geführten Untersuchungskommission.[5] Nachdem zwei weitere Nachfragen von Inhauser und Franzen keine Annäherung gebracht hatten und beide Seiten auf ihrer Position verharrten, entschloss sich Moderator Florian Inhauser nach Absprache mit der Redaktion, das Thema MH 17 abzubrechen.
Der Sinn der Frage nach der MH 17 ist vorhergehend bereits beschrieben. Der Redaktion war von Beginn weg klar, dass es keiner Seite gelingen würde, ihre Ausführungen mit Fakten so zu belegen, dass die letzten Zweifel eines Zuschauers beseitigt würden. Dafür ist das Dossier schlicht zu umfangreich und setzt enorm viele technische Kenntnisse voraus. In einer Talk-Sendung von (geplant) 30 Minuten Dauer kann diese Diskussion schlicht nicht zu Ende geführt werden.
Es handelt sich also nicht um ‘Feigheit’, wie uns Herr X in seiner Beanstandung Nr. 5516 unterstellt, sondern um einen situativ bedingten redaktionellen Entscheid. RT-Korrespondent Peter Oliver war offensichtlich nicht bereit, wenigstens anzuerkennen, dass die Rakete, die den Tod von 298 Flugzeuginsassen herbeiführte, von einem russischen Flugabwehrsystem stammte. (Wer diese Rakete schliesslich abfeuerte, sagt auch der Untersuchungsbericht nicht und sagt auch unser Korrespondent Franzen nicht.)
Herr X kritisiert weiter, dass die Sendung ihrem Titel ‘Verstehen wir uns wieder?’ nicht gerecht werde. Der (Unter-) Titel war mit Bedacht als Frage formuliert und diese ist in der Sendung leider negativ beantwortet worden: russische Menschen und Fussballfans aus Westeuropa (und anderen Kontinenten) mögen sich jetzt dank der Begegnung im Rahmen der Fussball-WM verstehen – staatlich gelenkte russische Medien und wir tun es offensichtlich weiterhin nicht.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Sie gehen von einer falschen Voraussetzung aus. Sie nehmen an, Radio und Fernsehen der SRG müssten in ihrer Berichterstattung neutral sein, weil die Schweiz als Staat der Neutralität verpflichtet ist. Die Medien agieren aber unabhängig vom Staat. Während sich die Schweizerische Eidgenossenschaft von jedem Militärbündnis fernhält und sich nicht an Kriegsallianzen beteiligt, können Medien in konkreten Situationen auch parteiisch, anwaltschaftlich, in ihren Kommentaren mit bestimmten Bewegungen und Entwicklungen in der Welt solidarisch sein. Es gibt zwar in einem Punkt eine Übereinstimmung zwischen dem Staat Schweiz und der SRG: Beide bekennen sich zur Demokratie, zur Friedensförderung und zu den Menschenrechten, und zwar weltweit. Aber die Programme von SRF müssen nicht zwingend neutral sein. Sie müssen faktentreu sein und Distanz zu allen Akteuren wahren. Aber sie sollen Unrecht auch Unrecht nennen, und Terror, Krieg, Zerstörung, Hass und Menschenrechtsverletzungen anprangern können.
In diesem Rahmen ist es völlig normal, dass kontradiktorisch diskutiert wird. Das passiert Woche für Woche in der «Arena», immer wieder in der «Rundschau» und im «Club», das geschah in der von Ihnen kritisierten Sendung auch bei #SRFglobal. Ich empfand diese Diskussion als erfrischend, nicht zuletzt wegen der positiven Denkweise, die der für «Russia Today» arbeitende Brite Peter Oliver reinbrachte. Er war aber beim Thema MH-17 etwas überfordert, und so war es nur logisch, dass Florian Inhauser das Thema wechselte. Hier von Feigheit zu sprechen und diese Feigheit dann noch den Vorgesetzten von Florian Inhauser anzulasten, ist absurd. Da folglich Ihre Kritikpunkte ins Leere laufen, habe ich keinen Anlass, Ihre Beanstandung zu unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/play/tv/sendung/srfglobal?id=c6a639e7-97a0-0001-5112-19c512b01474
[2] “I do hope and I do really long that there would be a calming down of the polemic that has come out from both sides.” (20:57)
[3] President Vladimir Putin rejected accusations by the Netherlands and Australia that Russia was responsible for the 2014 crash of Malysia Airlines Flight 17, after investigators said they found proof the missile that downed the plane belonged to a Russia-based military unit. – Bloomberg, 25. Mai 2018
[4] “If I could answer those type of question I wouldn’t do this job, I would do a much more important job.” (23:03)
[5] «Zentral ist, was die Internationale Untersuchungsbehörde sagt. Zentral ist, was die niederländische Staatsanwaltschaft sagt, die diese Untersuchung leitet. Die haben in mehreren Berichten gesagt, dass ist eine russische Buk-, Boden-Luft-Rakete (Batterie), die in die Ukraine gebracht wurde und am nächsten Tag wieder zurück.»
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