Sendungen über Chemnitz vor dem Ombudsmann

Ombudsmann Roger Blum behandelte vier Beanstandungen zur Berichterstattung über Demonstrationen und Ausschreitungen in den deutschen Städten Chemnitz und Köthen. Betroffen sind die «Tagesschau» und die Radiosendung «Echo der Zeit». Ombudsmann Roger Blum kann keine der vier Beanstandungen unterstützen.

Die eingegangenen Beanstandungen betreffen vier verschiedene Sendungen der «Tagesschau» bzw. des «Echo der Zeit». Bei zwei Beanstandungen geht es um die verwendeten Begriffe. Im Beitrag «Chemnitz steht auf» aus der «Tagesschau» vom 1. September 2018 spricht SRF-Sonderkorrespondent Thomas Vogel von «Kleinbürgern», die an den Demonstrationen teilgenommen hätten. Ein Beanstander empfindet diese Bezeichnung als verunglimpfend und diskriminierend. Sowohl Franz Lustenberger, Redaktion «Tagesschau», als auch Ombudsmann Roger Blum erklären in ihren Stellungnahmen, dass ‹Kleinbürger› eine soziologische Kategorie sei, um eine spezifische Bevölkerungsschicht zu beschreiben. Sie bezeichne Angehörige des unteren Mittelstandes und sei eine neutrale Beschreibung. Der Ombudsmann kann denn auch keine Diskriminierung erkennen.

Rechtsextremismus und Linksextremismus

Ein weiterer Beanstander ist unzufrieden mit dem «Echo der Zeit» vom 2. September 2018. Darin werden die Ausschreitungen in Chemnitz und vor der Reitschule in Bern thematisiert. Der Beanstander ist der Ansicht, dass in der Sendung dem Rechtsextremismus (Vorgänge in Chemnitz) viel mehr Gewicht zugemessen worden sei als dem Linksextremismus. Dabei denkt er an die Ausschreitungen vor der Berner Reitschule. Im Nachrichtenblock der erwähnten Sendung habe SRF über die Vorgänge vor der Reitschule in Bern berichtet, stellt Beat Soltermann, Redaktionsleiter «Echo der Zeit», klar. Auch sonst habe Radio SRF in den letzten beiden Jahren mehr als ein Dutzend Mal ausführlich über die Reitschule berichtet. Die Gewichtung im «Echo der Zeit» vom 2. September sei aufgrund journalistischer Selektionskriterien erfolgt, erklärt Soltermann. Die Ereignisse in Chemnitz seien neuer, vielschichtiger. Sie könnten eine Zäsur in der neuern politischen Geschichte Deutschlands darstellen. Demgegenüber dauere der Konflikt um die Reithalle schon seit Jahren. Die jüngsten Ausschreitungen seien eine Fortschreibung dieser Entwicklung.

Roger Blum stützt diese Gewichtung. Weiter stellt er fest, dass die Berner Akteure in der beanstandeten Sendung nicht als «Linksextreme» bezeichnet worden sind. Er vermutet, dass sie politisch nicht so leicht zu verorten sind. Sie seien eher unpolitisch und zugleich gewaltbereit. Blum kann die Beanstandung nicht stützen. Diese habe jedoch den Finger auf einen wunden Punkt gelegt, meint Blum: Man müsse vorsichtig sein mit pauschalisierenden Begriffen.

Demonstrierten 6000 Rechtsextremisten?

Im Beitrag «Politiker verurteilen Ausschreitungen in Chemnitz» des «Echo der Zeit» vom 28. August 2018 hiess es, 6000 Rechtsextreme hätten in Chemnitz demonstriert. Für einen Beanstander entstand der Eindruck, alle Demonstranten seien Rechtsextreme gewesen. Er sieht gewaltfrei Demonstrierende damit diffamiert. Zudem zweifelt der Beanstander daran, dass der SRF-Deutschlandkorrespondent die Geschehnisse habe einordnen können, obwohl er nicht vor Ort gewesen sei.

Alle Demonstranten in einen Topf zu werfen, sei ein Fehler gewesen, räumt Beat Soltermann vom «Echo der Zeit» ein. Die Redaktion habe den Fehler korrigiert und bei der weiteren Berichterstattung auf die genaue Bezeichnung geachtet. Roger Blum begrüsst dies. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass die Urheber der Demonstration rechtsextreme Gruppen und einzelne AfD-Leute gewesen seien. Für den Ombudsmann war die Pauschalisierung ein Fehler, allerdings in einem Nebenpunkt.

Ob ein Korrespondent Geschehnisse aus der Ferne einordnen könne, diese Frage beantwortet Roger Blum letztlich mit «ja». Von einem Korrespondenten werde erwartet, dass er die Ereignisse aufgrund von Kontakten, Orts- und Personenkenntnisse, Gesprächen, Wissen, Langzeitbeobachtung etc. in grössere Zusammenhänge einordnen kann. Dies habe der SRF-Deutschlandkorrespondent Peter Voegeli getan.

Die Rede eines Rechtsextremen

Eine andere Stossrichtung verfolgt der Verfasser der vierten Beanstandung: Er findet es unangebracht, dass die «Tagesschau» vom 10. September 2018 einen Ausschnitt der Rede des «Thügida»-Aktivisten David Köckert gezeigt habe. Er moniert, das Gesagte sei nicht durch einen Kommentar in Zusammenhang gestellt worden. Diesen Vorwurf weist Franz Lustenberger, stellvertretend für die «Tagesschau», zurück. Die «Tagesschau» habe einen kurzen Ausschnitt aus der Rede gezeigt, um die Stimmung in Köthen abzubilden. Ein solcher Ausschnitt dürfe keine Propagandawirkung erzeugen. Deshalb sei es wichtig, dass man ihn in einen Kontext einordne. Dies habe die Redaktion klar und deutlich getan, ist Lustenberger überzeugt.

Die «Tagesschau» hat sich gemäss Ombudsmann gesetzeskonform verhalten. Sie habe den Auftrag, die Realität abzubilden. Dazu gehöre auch, wenn ein rechtsextremer «Führer» eine Hetzrede halte. Die Redaktion habe jedoch diese Rede den Reaktionen eines Staatsanwalts, Pfarrers und des Oberbürgermeisters von Köthen gegenübergestellt.

Schlussberichte und beanstandete Sendungen:

Schlussbericht 5566 , Sendung «Tagesschau» vom 1. September 2018

Schlussbericht 5567 , Sendung «Echo der Zeit» vom 2. September 2018

Schlussbericht 5575 , Sendung «Tagesschau» vom 10. September 201 8

Schlussbericht 5583 , Sendung «Echo der Zeit» vom 28. August 2018

Text: SRG.D/dl

Bild: Demonstration in Chemnitz am 1. September 2018. KEYSTONE/DPA/Ralf Hirschberger.

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