«Rundschau» zur Selbstbestimmungsinitiative beanstandet (I)

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Mit Ihrem Brief vom 24. Oktober 2018 beanstandeten Sie die Sendung «Rundschau» (Fernsehen SRF) vom gleichen Tag und dort den Beitrag «Gefecht um Menschenrechte».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Fristgerecht erhebe ich gegen die oben erwähnte Sendung Beschwerde gemäss Art. 4 & 5 RTVG, infolge klar politisch gefärbter und unrichtiger Berichterstattung.

Zum Beitrag und Interview ‚Selbstbestimmungsinitiative‘

1. Frau Andrea Huber, ‘Menschenrechtsaktivistin’ wurde viel zu viel Zeit gegeben und unwahre Behauptungen aufgestellt.

➢ Die Menschenrechte der EMRK sind direkt in unserer Bundesverfassung und direkt anwendbar.

➢ Sie hat indirekt behauptet, dass die Menschenrechte bei einer Annahme der Selbstbestimmungsinitiative aufgehoben würden, was nicht stimmt und somit als ‚Fakenews‘ angesehen werden können.

➢ Der Bericht hat unsägliche Vergleiche zum nationalsozialistischen Dritten Reich und zur Bürgerrechtsbewegung in den USA gezogen.

2. Zu Rechtsprofessor Oliver Diggelmann:

➢ Es wurde indirekt Werbung für sein neues Buch gemacht, was klar nicht Aufgabe von SRF ist.

➢ EMRK und EGMR sind nicht ‚Zwingendes Völkerrecht‘. Ungarn, Polen, Russland und teilweise andere Länder setzen Urteile auch nicht um. Auch in Deutschland haben Urteile des Bundesverfassungsgerichts Vorrang gegenüber denen des EGMR und sind alleine bindend.

➢ Es wurde nicht erwähnt, dass es ein grosses Juristenkomitee gibt, welches für eine Annahme der SBI kämpft, sogar Mitarbeiter des Bundesgerichts sind dabei, dies hätte in der Berichterstattung erwähnt werden müssen.

3. Zum Interview mit Hans-Ueli Vogt, Rechtsprofessor

➢ Sandro Brotz wirke gänzlich inkompetent und voreingenommen, was schon einmal gar nicht geht.

➢ Herr Brotz will nicht anerkennen, dass das Volk immer Recht hat, obwohl dies die Bundesverfassung klar so sieht. Er behauptete, das Volk könne nicht über grundsätzliches Recht bestimmen, wenn diese im Widerspruch zu ‚übergeordnetem Recht‘ stehe. Auch dies ist falsch, aus diesem Grunde hat die Schweiz auch kein Verfassungsgericht und will auch keines.

➢ Er wirft Hans-Ueli Vogt offen Fremdenfeindlichkeit vor, weil er richtigerweise betont, dass die Schweiz es nie zulassen könne, dass ein(e) Richter(in) aus der Türkei oder Aserbaidschan mit muslimischem Glauben über Minarette in der Schweiz bestimmen könne. Dies wollen wir richtigerweise nicht, da wir ein christliches Land sind und der Islam und Minarette nicht zur Schweiz gehören.

➢ Ein unberechtigter Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit ist deplatziert und er-füllt schon fast den Tatbestand der Üblen Nachrede. Solche Vorwürfe von einem Moderator darf SRF nicht akzeptieren, wenn es politisch neutral sein will. (Müsste es eigentlich)

➢ Er wirft Herrn Vogt und der SVP Wirtschaftsfeindlichkeit vor, was ganz klar nicht der Fall sein kann und namhafte Unternehmen wie EMS Chemie oder Emil Frey AG und viele weitere ganz klar hinter der Initiative stehen.

➢ Er stellt Übertreibungen auf und legte Hans-Ueli Vogt Worte in den Mund, welche er nie gesagt hatte, auch dies gehört nicht in eine seriöse Berichterstattung.

Ich bitte Sie, vorliegende Beanstandung gutzuheissen und bedanke mich für Ihre Bemühungen im Voraus.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Rundschau» antwortete deren Redaktionsleiter, Herr Mario Poletti:

«Gerne nehmen wir Stellung zur Beanstandung von Herrn X.

1. Der Beanstander führt an, dass Andrea Huber ‘viel zu viel’ Zeit erhielt und ‘unwahre Behauptungen aufgestellt’ habe.

Zu den Kritikpunkten:
Es ist nicht nachvollziehbar, wie der Beanstander Andrea Hubers ‘Zeit’ misst und weshalb er meint, sie hätte zu viel davon erhalten. Tatsache ist, dass sie in zwei Statements Gelegenheit erhielt, die SBI aus ihrer Sicht einzuordnen und zu kritisieren. Das waren genau gleich viele Statements wie der Vertreter der Initiative, Nationalrat Hans-Ueli Vogt, im selben Beitrag für seine Einordnung der Initiative erhielt. Hubers drittes Statement bezog sich auf die Beweggründe ihres Engagements. Wenn wir die Sprechzeiten der Befürworter und Gegner jedoch genau abwägen, ist das Fazit klar: Hans-Ueli Vogt hatte im nachfolgenden Studiogespräch mit dem Moderator über acht Minuten lang mehrfach Gelegenheit, seine Sicht der Dinge darzulegen und insgesamt also wesentlich mehr ‘Zeit’ auf dem Sender als Andrea Huber.

Zudem moniert der Beanstander, Andrea Huber hätte ‘unwahre Behauptungen aufgestellt’. Dabei sei, so der Beanstander, folgendes gesagt worden:
a. <Die Menschenrechte der EMRK sind direkt in unserer Bundesverfassung und direkt anwendbar.>

Dazu halten wir fest: Die Verankerung der EMRK in der Bundesverfassung wird im Beitrag nicht direkt angesprochen. Andrea Huber sagt in ihrer ersten Stellungnahme, die EMRK garantiere einen Mindeststandard und <diese Rückversicherung falle mit der Annahme der Initiative weg>. Tatsächlich ist es so, dass die meisten Rechtsgelehrten – unter anderem der im Beitrag auftretende Oliver Diggelmann – keine Garantie abgeben können, ob die EMRK nach Annahme der Initiative in der Schweiz weiterhin durchzusetzen wäre. Darauf ist Andrea Hubers Aussage zu beziehen und nicht auf die Bundesverfassung.

b. <Sie hat indirekt behauptet, dass die Menschenrechte bei einer Annahme der Selbstbestimmungsinitiative aufgehoben würden, was nicht stimmt und somit als ‘Fakenews’ angesehen werden können.>

In ihrem ersten Statement – auf das sich der Beanstander wohl bezieht – drückt Andrea Huber ihre Überzeugung aus, dass je nach Volksinitiative eine Mehrheit in der Schweiz ‘jederzeit die Grundrechte’ einer Minderheit schwächen könne. Diese Aussage kann keinesfalls als Fakenews gewertet werden, nimmt sie doch den Kern der Abstimmungsdebatte auf: Was würde mit der Anwendung der EMRK und Urteilen des EGMR passieren nach Annahme der Initiative? Wie unter a. dargelegt, ist das umstritten. Es ist Andrea Hubers gutes Recht in der politischen Auseinandersetzung, vom in ihren Augen Schlimmsten auszugehen. Genau so war es Hans-Ueli Vogts gutes Recht, im Thekengespräch diese Folge in Abrede zu stellen.

c. <Der Bericht hat unsägliche Vergleiche zum nationalsozialistischen Dritten Reich und zur Bürgerrechtsbewegung in den USA gezogen.>

Der Beanstander bezieht sich auf die zweite Aussage von Andrea Huber. Sie macht in dieser Aussage aber keinen Vergleich zur Schweiz (davon ging der Beanstander offenbar aus), sondern zeichnet nach, wie sie selber politisiert wurde und aus welchen Beweggründen heraus sie sich seit Jahren für Menschenrechte einsetze.

2. Zum Auftritt von Oliver Diggelmann führt der Beanstander drei Kritikpunkte an:

a. Den Vorwurf, SRF habe indirekt Werbung für Diggelmanns Buch gemacht, weisen wir zurück. Die Erwähnung, dass Diggelmann vor kurzem ein Buch zum Thema verfasst hat, ist keinesfalls als Werbung zu werten (auch wenn dieser Effekt entstehen kann), sondern stellt eine sachliche Information zur Legitimierung der Auswahl der Person Diggelmann für diesen Beitrag dar.

b. Der Beanstander schreibt, EMRK und EGMR seien nicht ‘Zwingendes Völkerrecht’.
Es wird im Beitrag auch nirgends behauptet, bei der EMRK oder den Urteilen des EGMR handle es sich um ‘Zwingendes Völkerrecht’. Auch auf die Anwendung der EMRK in anderen Staaten wird im Beitrag nicht eingegangen. Diggelmann sagt in seinem letzten Statement zum Völkerrecht allgemein, dessen Anwendung stelle für die staatlichen Demokratien tatsächlich ein Problem dar.

c. Schliesslich wirft uns der Beanstander vor, wir hätten nicht erwähnt, dass ein ‘Juristenkomitee’ und gar Mitarbeiter des Bundesgerichts für die SBI kämpfen. Dazu halten wir folgendes fest: Von den etlichen Komitees und Parteien, welche sich im Abstimmungskampf engagieren, haben wir im Beitrag nur jenes hinter Andrea Huber respektive die SVP hinter Hans-Ueli Vogt erwähnt. Es gab keinen Anlass, weitere Komitees aufzuzählen, zumal uns kein Komitee von Rechtsprofessoren bekannt ist, welches sich hinter die SBI stellt. Hingegen sprechen sich mit Oliver Diggelmann 31 Rechtsgelehrte der Universität Zürich gegen die Initiative aus. Diese Information ist im Zusammenhang mit Diggelmann erfolgt und war unerlässlich, mussten wir doch Diggelmanns klare und öffentliche Positionierung gegen die Initiative für das Publikum zwingend transparent machen. Im Übrigen hätte Hans-Ueli Vogt an der Theke Gelegenheit gehabt, andere Komitees zu erwähnen.

3. Studiogespräch von Moderator Sandro Brotz mit Nationalrat Hans-Ueli Vogt

a. Zum Vorwurf, Sandro Brotz wirke inkompetent und voreingenommen

Der Rundschau-Moderator hat sich seriös in das Thema eingearbeitet und Hans-Ueli Vogt in einem ausführlichen Vorgespräch die wichtigsten Eckpunkte bekannt gegeben. Brotz war weder inkompetent noch voreingenommen. Vielmehr hat er den Studiogast mit kritischen Fragen konfrontiert, wie das an der Rundschau-Theke bei politischen Inhalten üblich und bekannt ist. Im Vorfeld einer Abstimmung müssen die Fragen sogar noch kritischer ausfallen und dürfen durchaus Argumente der Gegenseite transportieren, denn diese hat sonst keine Gelegenheit, ihre Sichtweise im über acht Minuten dauernden Gespräch einzubringen. Das ist keine Voreingenommenheit, sondern unerlässlich für die Zuschauer, welche sich aufgrund des Gespräches und des TV-Beitrages eine Meinung bilden sollen.

b. <Herr Brotz will nicht anerkennen, dass das Volk immer Recht hat>

Dazu äussert sich Sandro Brotz gar nicht. Im Gegenteil: er lässt Hans-Ueli Vogts diesbezügliche Meinung, welche dieser in seiner ersten Antwort kundtut und welche sich mit der des Beanstanders zu decken scheint, unkommentiert stehen. Die vom Beanstander monierte ‘Behauptung’ stellt der Moderator nie auf, vielmehr formuliert er dazu eine Frage an den Studiogast (Minute drei im Gespräch).

c. <Brotz wirft Hans-Ueli Vogt offen Fremdenfeindlichkeit vor>

Um die vom Beanstander kritisierte Anmerkung des Moderators einzuordnen, ist der Kontext wichtig. Konkret geht es um folgende Passage:

Moderator: <Sie wollen sich von den Richtern in Strassburg nicht dreinreden lassen. Sie vermitteln den Eindruck, es gehe vor allem um Asylsuchende und Kriminelle. Wir sahen aber das Beispiel des Asbest-Opfers. Es werden auch gute Urteile für die Betroffenen gefällt. Oder nicht?>

Vogt: <Das ist so, aber die beiden Beispiele, die Sie gezeigt haben, haben nichts mit der Initiative zu tun. Es geht da ganz bewusst nur um mögliche Konflikte zwischen internationalem Recht und der Verfassung. Ob Asbest- oder Schadensersatzansprüche in zehn oder 20 Jahren verjähren, hat nichts mit unserer Verfassung zu tun.>

Moderator: <Das ist aber entscheidend für die Betroffenen.>

Vogt: <Natürlich, und deshalb wurde es auch sofort umgesetzt: Das Parlament erliess ein neues Verjährungsrecht. Es geht um Widersprüche betreffend unserer Verfassung. Wenn die Richter in Strassburg entscheiden würden, unser Minarettverbot aufzuheben, dann muss ich Ihnen sagen: Wenn eine türkische Richterin mitbestimmen darf, ob in der Schweiz Minarette gebaut werden, dann gute Nacht.>

Moderator: <Das war aber etwas fremdenfeindlich. Da ist auch eine Schweizer Richterin mit dabei.>

Vogt: <Stimmt, von sieben ist eine Schweizerin dabei, wenn es die Schweiz betrifft. Sechs sind andere. Andere Beispiele: Ob ein Richter aus Aserbeidschan, einem autoritären Regime, ein Verständnis unseres politischen Systems hat - ein politisches System, bei dem die Menschen nicht mitreden können -, ob so jemand einen Volksentscheid über das Minarettverbot richtig einordnen könnte, wage ich zu bezweifeln.>

Moderator: <Ich lasse das so stehen.>

Laut der renommierten Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn richtet sich Fremdenfeindlichkeit <gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe von der eigenen Umwelt unterscheiden.> Sie äussert sich u.a. ‘in Ausgrenzung’.

Wenn Hans-Ueli Vogt einer türkischen Richterin grundsätzlich abspricht, einen Schweizer Volksentscheid über das Minarettverbot richtig einordnen zu können, dann ist dies zweifelsohne eine Unterstellung. Er verallgemeinert und spricht damit nicht nur der Richterin die Fähigkeit ab, nach rechtlichen Überlegungen und Massstäben urteilen zu können. Er insinuiert damit auch, dass dies allen Türkinnen und Türken abzusprechen sei. Es handelt sich nachgerade um eine Ausgrenzung, die wiederum als fremdenfeindlich zu werten ist.

Der Moderator hat in dieser mitunter höchst anspruchsvollen und angespannten Live-Situation das einzig Richtige getan und diese Aussage von Herrn Vogt festgehalten, für das Publikum angeschrieben und kurz gewertet. Er hat nicht, wie das der Beanstander formuliert, ‘völlig haltlos’ und ‘völlig willkürlich’ einen Vorwurf gegenüber dem Gast ausgesprochen, sondern auf die konkrete Aussage von Herrn Vogt Bezug genommen. In diesem Zusammenhang ist von entscheidender Bedeutung, dass die Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit sieben Richtern aus verschiedenen Nationen zusammengesetzt ist – mitnichten also ein <türkisches Gremium> ist. Das musste auch Herr Vogt im Interview eingestehen. Im Übrigen hat der Moderator nicht ‘fremdenfeindlich’ gesagt, sondern ‘etwas fremdenfeindlich’ - er hat also sehr wohl auch noch eine Relativierung vorgenommen. Es sei zudem darauf hingewiesen, dass sich Herr Vogt nach dem Interview an der Theke und noch im Studio beim Moderator für dessen ‘faire Interviewführung’ bedankt hat. Insbesondere hat er von sich aus angefügt, dass er froh gewesen sei, zum Einwurf des Moderators (‘etwas fremdenfeindlich’) die Möglichkeit bekommen habe, dazu noch weiterführende Anmerkungen zu machen (Beispiel Aserbeidschan).

d. <Er wirft Herrn Vogt und der SVP Wirtschaftsfeindlichkeit vor>:

Es ist Usanz in der Berichterstattung über Schweizer Politik und namentlich in Abstimmungsauseinandersetzungen, bezüglich der Positionierung der Wirtschaft auf die öffentlichen Positionsbezüge der Dachverbände abzustellen, namentlich Economiesuisse, Arbeitgeberverband und Gewerbeverband. Sie zusammen decken den allergrössten und potenten Teil der Schweizer Wirtschaft ab. Alle drei haben sich gegen die Initiative ausgesprochen. Je nach Sujet eines Abstimmungskampfes werden auch die Stellungnahmen einzelner Interessensverbände (z. B. Swissmem) miteinbezogen; hier aber stellt sich die Wirtschaft branchenübergreifend gegen die Vorlage. Dass sich einzelne Unternehmen anders positionieren, der Beanstander nennt als Beispiel zwei von SVP-Parteimitgliedern, ist unerheblich und keinesfalls repräsentativ für die Schweizer Wirtschaft.

e. <Er legt Hans-Ueli Vogt Worte in den Mund>

Dieser Vorwurf ist schlicht zu unspezifisch, als dass wir dazu seriös Stellung nehmen können. Allenfalls bezieht sich der Beanstander auf zwei Zitate von Hans-Ueli Vogt, welche die Redaktion als Schrifttafeln einspielte. Urheber dieser Zitate ist unbestrittenermassen Hans-Ueli Vogt. Das wurde von unserem Studiogast auch nie in Zweifel gezogen.

Fazit: Die Rundschau hat mit dem Schwerpunkt zur SBI einen informativen Diskussionsbeitrag zu einer politisch überaus wichtigen und emotional geführten Abstimmung geleistet. Der Beitrag mit der pointiert argumentierenden Andrea Huber und dem einordnenden Professor Oliver Diggelmann bildete eine ideale Rampe für das engagierte Studiogespräch mit Nationalrat Hans-Ueli Vogt. Die Sendungsanlage war ausgeglichen und beide Seiten kamen mit ihren besten Argumenten zu Wort. Darum sind wir überzeugt, sachgerecht und transparent berichtet zu haben, so dass sich das Publikum jederzeit eine eigene Meinung bilden konnte.

Wir bitten Sie darum, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzuweisen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Zuerst muss ich zwei grundsätzliche Bemerkungen vorausschicken. Die erste betrifft das Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat. Die zweite betrifft die Aufgabe des Ombudsmannes vor Volksabstimmungen.

Der Rechtsstaat ist der unverzichtbare Bruder der Demokratie. Und die Demokratie ist die unverzichtbare Schwester des Rechtsstaates. In einem Rechtsstaat gelten die Grundrechte (oder Menschenrechte). In der Schweiz sind die Grundrechte in der Verfassung verankert. Da aber die Demokratie letztlich mehr Gewicht hat als der Rechtsstaat, werden sie nicht automatisch durchgesetzt. Denn das Bundesgericht kann von Volk und Ständen angenommene Volksinitiativen und Bundesgesetze nicht überprüfen. Die Schweiz kennt kein Verfassungsgericht. So ist es jederzeit möglich, dass Volksinitiativen oder Bundesgesetze Grundrechte verletzen. Die Minarettinitiative, die angenommen wurde, verletzt beispielsweise die Religionsfreiheit. Auch die Alpeninitiative, die Verwahrungsinitiative, die Ausschaffungsinitiative, die Masseneinwanderungsinitiative und die Pädophileninitiative missachteten Grundrechte. Die einzige Instanz, die hier korrigierend eingreifen kann, ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Das heißt: Straßburg schützt die Schweizerinnen und Schweizer vor allfälligen Irrtümern des Souveräns oder des Parlamentes. Und das heißt weiter: Der Souverän hat nicht immer Recht. Er entscheidet zwar gültig, sein Votum gilt. Aber er kann sich täuschen.

Im Vorfeld einer Volksabstimmung wird politisch gefochten. Politik besteht immer aus Fakten, Ideen, Erfahrungen, Überzeugungen und Behauptungen. Solche Fakten, Ideen, Erfahrungen, Überzeugungen und Behauptungen werden durch die Protagonisten eines Abstimmungskampfes auch in die Sendungen von Radio und Fernsehen SRF hineingetragen. Worin besteht in dieser Situation die Aufgabe des Ombudsmannes? In der «heißen Phase» des Abstimmungskampfes – sie begann für die Vorlagen, die am 25. November 2018 zur Abstimmung kommen, am 14. Oktober 2018 – muss ich überprüfen, ob die besondere journalistische Sorgfaltspflicht erfüllt ist und ob in kontradiktorischen Sendungen das Vielfaltsgebot beachtet wird.

Was heißt besondere journalistische Sorgfaltspflicht? Die Anforderung bedeutet, dass sich die Journalistinnen und Journalisten seriös mit dem Thema auseinandersetzen, sich in den Fakten auskennen, dem Publikum komplexe Sachverhalte verständlich machen und die im Themenbereich maßgebenden Leute auftreten lassen.[2] Und was heißt Vielfalt? Die Vielfalt ist erfüllt, wenn in kontradiktorischen Sendungen die unterschiedlichen Positionen gleichgewichtig und ausgewogen zum Zuge kommen. Kontradiktorische Sendungen sind entweder Diskussionsendungen (wie «Arena», «Club») oder gestaltete, recherchierte Sendungen, in denen die Protagonisten auftreten.

Im konkreten Fall handelt es sich um eine recherchierte, gestaltete Sendung mit anschließendem Interview. Im gestalteten Beitrag vermittelt der Autor, Michael Perricone, viel Hintergrundwissen, und er besucht drei für das Thema maßgebliche Personen an Schauplätzen: die Luzernerin Andrea Huber von der «Allianz der Zivilgesellschaft»[3] an Bord eines Schiffes auf dem Vierwaldstättersee, den Völkerrechtsprofessor Oliver Diggelmann[4] in seiner Vorlesung an der Universität Zürich und den Urheber der Selbstbestimmungsinitiative, Hans-Ueli Vogt, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich und Zürcher SVP-Nationalrat[5], an einer SVP-Veranstaltung in Weinfelden. Alle drei argumentieren mit Hilfe ihrer Kenntnisse und ihrer Überzeugungen. Niemand pöbelt, niemand lügt. Letztlich geht es um unterschiedliche Gewichtungen: Was ist wichtiger – die Beachtung der Menschenrechte oder die Allmacht des Souveräns? Da im Beitrag die gegnerische Seite etwas mehr zu Wort kommt, erhält Nationalrat Vogt die Chance, dies im Thekengespräch auszugleichen. In diesem Interview wird er zwar von Moderator Sandro Brotz, der die Materie bestens beherrscht und sehr agil auf die jeweiligen Aussagen reagiert, gefordert, aber er kann seine Sicht der Dinge breit darlegen und seine Gedankengänge ausführen. Es trifft nicht zu, dass der Moderator ungerechtfertigte Vorwürfe erhebt, im Gegenteil: Er konfrontiert seinen Interviewpartner mit Aussagen, die dieser selber gemacht hat und für die er geradestehen muss. Und Ihre Forderung, dass ein Interviewer neutral sein müsse, geht voll daneben: Der Fragesteller darf a priori nicht neutral sein, es ist immer seine Aufgabe, die Gegenposition einzunehmen, ganz gleichgültig, ob er selber die Gegenposition teilt oder nicht. Kurzum: Sandro Brotz hat das Gespräch hervorragend geführt, und Nationalrat Vogt hat sich engagiert für seine Sache gewehrt.

Fazit: Die journalistische Sorgfaltspflicht ist durch den ganzen Beitrag hindurch eingehalten worden, und das Vielfaltsgebot blieb beachtet, kamen doch beide Seiten gleichgewichtig zum Zug. Ich kann ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.srf.ch/sendungen/rundschau/fremde-richter-in-der-schuldenfalle-us-botschafter-in-bern

[2] Masmejan, Denis (2014): Principes applicables au contenu du programme, en: Masmejan, Denis/ Bertil Cottier/ Nicolas Capt (éd.): Loi sur la radio-télévision (LRTV). Berne: Stämpfli, p. 96-97.

[3] https://www.sbi-nein.ch/geschaeftsstelle

[4] https://www.ivr.uzh.ch/de/institutsmitglieder/diggelmann/oliver.html

[5] https://www.ius.uzh.ch/de/staff/professorships/alphabetical/vogt/huv/person.html; https://www.parlament.ch/de/biografie/hans-ueli-vogt/4176

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