«Rundschau» zur Selbstbestimmungsinitiative beanstandet (IV)
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Mit Ihrer E-Mail vom 27. Oktober 2018 beanstandeten Sie die Sendung «Rundschau» (Fernsehen SRF) vom 24. Oktober 2018 und dort das Thekengespräch mit Nationalrat Hans-Ueli Vogt zur Selbstbestimmungsinitiative.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Rundschau Moderator Brotz wirft Hans-Ueli Vogt Rassismus vor weil er gesagt hat:
<Wenn ein türkischer Richter in Strassbourg, zB im Fall des Minarettverbots über die Schweiz zu urteilen hat, dann gute Nacht Schweiz>. SRF Brotz tritt absolut primitiv und respektlos auf. Brotz sagte dass die Äusserung von Vogt fremdenfeindlich sei. Vogt hatte nur erklärt worum es bei der Selbstbestimmungsinitiative geht. Brotz von der Rundschau führte das Gespräch weder konstruktiv noch respektvoll sondern der blanke Hass gegenüber der SVP kam zum Vorschein. Sollte ein Moderator nicht viel sachlicher und neutraler so eine Sendung führen? Anscheinend scheint das ein grosses Problem bei der SRG zu sein, denn auch in anderen Sendungen wir Club und Arena beobachtet man immer wieder wie einseitig alles gesteuert wird. schade um srf. Herrn Brotz jedenfalls gehört für seine Entgleisung eine gewaltige Rüge!!»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Rundschau» antwortete deren Redaktionsleiter, Herr Mario Poletti:
«Gerne nehmen wir Stellung zur Beanstandung von Herrn X.
Um die vom Beanstander kritisierte Anmerkung des Moderators einzuordnen, ist der Kontext wichtig. Konkret geht es um folgende Passage im rund achtminütigen Interview mit SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt an der Theke:
Moderator: <Sie wollen sich von den Richtern in Strassburg nicht dreinreden lassen. Sie vermitteln den Eindruck, es gehe vor allem um Asylsuchende und Kriminelle. Wir sahen aber das Beispiel des Asbest-Opfers. Es werden auch gute Urteile für die Betroffenen gefällt. Oder nicht?>
Vogt: <Das ist so, aber die beiden Beispiele, die Sie gezeigt haben, haben nichts mit der Initiative zu tun. Es geht da ganz bewusst nur um mögliche Konflikte zwischen internationalem Recht und der Verfassung. Ob Asbest- oder Schadensersatzansprüche in zehn oder 20 Jahren verjähren, hat nichts mit unserer Verfassung zu tun.>
Moderator: <Das ist aber entscheidend für die Betroffenen.>
Vogt: <Natürlich, und deshalb wurde es auch sofort umgesetzt: Das Parlament erliess ein neues Verjährungsrecht. Es geht um Widersprüche betreffend unserer Verfassung. Wenn die Richter in Strassburg entscheiden würden, unser Minarettverbot aufzuheben, dann muss ich Ihnen sagen: Wenn eine türkische Richterin mitbestimmen darf, ob in der Schweiz Minarette gebaut werden, dann gute Nacht.>
Moderator: <Das war aber etwas fremdenfeindlich. Da ist auch eine Schweizer Richterin mit dabei.>
Vogt: <Stimmt, von sieben ist eine Schweizerin dabei, wenn es die Schweiz betrifft. Sechs sind andere. Andere Beispiele: Ob ein Richter aus Aserbeidschan, einem autoritären Regime, ein Verständnis unseres politischen Systems hat - ein politisches System, bei dem die Menschen nicht mitreden können -, ob so jemand einen Volksentscheid über das Minarettverbot richtig einordnen könnte, wage ich zu bezweifeln.>
Moderator: <Ich lasse das so stehen.>
Laut der renommierten Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn richtet sich Fremdenfeindlichkeit <gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe von der eigenen Umwelt unterscheiden.> Sie äussert sich u.a. ‘in Ausgrenzung’.
Wenn Hans-Ueli Vogt einer türkischen Richterin grundsätzlich abspricht, einen Schweizer Volksentscheid über das Minarettverbot richtig einordnen zu können, dann ist dies zweifelsohne eine Unterstellung. Er verallgemeinert und spricht damit nicht nur der Richterin die Fähigkeit ab, nach rechtlichen Überlegungen und Massstäben urteilen zu können. Er insinuiert damit auch, dass dies allen Türkinnen und Türken abzusprechen sei. Es handelt sich nachgerade um eine Ausgrenzung, die wiederum als fremdenfeindlich zu werten ist.
Der Moderator hat in dieser mitunter höchst anspruchsvollen und angespannten Live-Situation das einzig Richtige getan und diese Aussage von Herrn Vogt festgehalten, für das Publikum angeschrieben und kurz gewertet. Er hat nicht, wie das der Beanstander formuliert, ‘absolut primitiv’ einen Vorwurf gegenüber dem Gast ausgesprochen, sondern auf die konkrete Aussage von Herrn Vogt Bezug genommen.
In diesem Zusammenhang ist von entscheidender Bedeutung, dass die Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit sieben Richtern aus verschiedenen Nationen zusammengesetzt ist – mitnichten also ein ‘türkisches Gremium’ ist. Das musste auch Herr Vogt im Interview eingestehen.
Im Übrigen hat der Moderator nicht ‘fremdenfeindlich’ gesagt, sondern ‘etwas fremdenfeindlich’ - er hat also sehr wohl auch noch eine Relativierung vorgenommen.
Die Wortwahl war angemessen und in keiner Art und Weise respektlos, wie dies der Beanstander antönt. Von ‘blankem Hass gegenüber der SVP’ kann schon gar nicht die Rede sein.
Es sei zudem darauf hingewiesen, dass sich Herr Vogt nach dem Interview an der Theke und noch im Studio beim Moderator für dessen ‘faire Interviewführung’ bedankt hat. Insbesondere hat er von sich aus angefügt, dass er froh gewesen sei, zum Einwurf des Moderators (‘etwas fremdenfeindlich’) die Möglichkeit bekommen habe, dazu noch weiterführende Anmerkungen zu machen (Beispiel Aserbeidschan).
Wir können nicht nachvollziehen, was an dem Interview mit Herrn Vogt nicht sachgerecht gewesen sein soll und bitten Sie, die Beanstandung abzuweisen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des Interviews. Was ist das Ziel eines Interviews? Das Ziel ist, den Gesprächspartner zu Aussagen zu einem bestimmten Thema zu bewegen, und zwar zu Aussagen, die nicht privater Natur, sondern für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Aussagen dem Interviewenden passen oder nicht. Es gibt aber drei Ausnahmen, bei denen der Moderator korrigierend eingreifen muss: Erstens, wenn jemand offenkundig lügt. Zweitens, wenn jemand offen die Gewalt verherrlicht oder zur Gewalt aufruft. Und drittens, wenn sich jemand gegenüber andern beleidigend äußert (also diskriminierende oder rassistische oder verleumderische Aussagen macht). Dies war der Fall, als Nationalrat Hans-Ueli Vogt einer türkischen Richterin oder einem aserbeidschanischen Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unterstellte, nicht in der Lage zu sein, das Schweizer Minarettverbot richtig einzuordnen. Er unterstellte damit, dass die Türkei oder Aserbeidschan Richter nach Straßburg senden, die den Sinn und die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht verstanden haben. Er verkannte, dass gerade viele türkische Richter, Anwälte, Professoren, Lehrer, Journalisten vor allem auf die Europäische Menschenrechtskonvention setzen und sie als Waffe sehen gegen die autoritäre Politik von Präsident Erdoğan.
Sollte ein Moderator ein Interview absolut neutral führen? Mitnichten. Es gehört zu den Grundregeln des journalistischen Interviews, dass der Moderator sein Gegenüber zum Argumentieren bringt, indem er die Gegenposition einnimmt und den Gesprächspartner auf problematische frühere Aussagen oder auf Widersprüche hinweist. Bei Gesprächspartnern, die nicht als Experten für ein bestimmtes Sachgebiet eingeladen werden, sondern die «Überzeugungstäter» sind (als Politiker, als Unternehmer, als Gewerkschaftsführer, als Fußballtrainer, als Kulturschaffende), bietet sich in der Regel das «konfrontative Interview» an: Der Moderator fragt fordernd, ja aggressiv, um in kürzester Zeit das Maximum aus dem Gesprächspartner herauszuholen. Ist der Gesprächspartner ein SVP-Nationalrat, nimmt der Moderator logischerweise eine «linke» Gegenposition ein. Ist die Gesprächspartnerin hingegen eine SP-Nationalrätin, nimmt der Moderator ebenso logischerweise eine «rechte» Gegenposition ein. Es geht also nicht darum, das Publikum einseitig zu steuern, wie Sie vermuten, sondern darum, die Position des Gastes möglichst scharf herauszuschälen. «Primitiv» und «respektlos» war Moderator Sandro Brotz nicht, und schon gar nicht hat er eine «gewaltige Rüge» verdient, im Gegenteil: Er hat sich vollkommen richtig verhalten und gegen keinerlei Regeln verstoßen, sondern das Gespräch hervorragend geführt, und Nationalrat Vogt hat sich engagiert für seine Sache gewehrt. Ich kann daher Ihre Beanstandung deshalb nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/sendungen/rundschau/fremde-richter-in-der-schuldenfalle-us-botschafter-in-bern
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