«Publikumsarena» zur Selbstbestimmungsinitiative beanstandet (III)
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Mit Ihrer E-Mail vom 2. November 2018 beanstandeten Sie die «Publikumsarena» (Fernsehen SRF) zur Selbstbestimmungsinitiative vom 19. Oktober 2018.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Hiermit bringe ich eine Beschwerde ein, weil das Sachgerechtigkeitsgebot an dieser Arena verletzt wurde. Anhand des beiliegenden e-Mails an Hr. Projer wurde ich an diese Arena Sendung eingeladen. In diesem Mail erkläre ich haargenau über was ich mich einbringen möchte in der Sendung. Zweimal wurde ich von der Redaktion Hr. Frohofer telefonisch ausgefragt. Während einer Redaktionssitzung wurde ich dann ausgewählt zur Sendung zu kommen. Also die ganze Redaktion und somit auch Hr. Projer wusste von meinem Anliegen. Diese absoluten Profis recherchierten sicherlich haargenau und waren besten informiert von dem was Frau Keller am Blickinterview aussagte.
Meine Beschwerde sandte ich 2x an srf@srf.ch auch an hallo@srf.ch, bis heute habe ich keine Antwort erhalten. So gelange ich nun an Sie; Ich wurde von Hr. Projer gehindert das Auszusagen wofür ich eingeladen wurde und Hr. Projer hat dabei vor einem Millionen Publikum gelogen. Die Ausrede er wüsste nicht was Frau Keller gesagt und sie heute nicht an der Sendung ist und sich nicht verteidigen könne, ist eine gelogene faule Ausrede. Wie Sie sehen in meinem Mail wurde er genauestens darüber informiert. Weiter liess er mich nicht ausreden, reagierte nicht als die Gegner lautstark protestierten, so dass ich wieder nicht zu Wort kam und zuletzt korrigierte er Frau L. Zimmermann nicht als sie meine positive Aussage zum Verbleiben beim EGMR ins Gegenteil verwandelte.
Ich hoffe auf Sie Gerechtigkeit in diesen skandalösen Fall zu bringen.»
Der Text, der Ihren Ausführungen gemäß der Grund für Ihre Einladung in die „Arena“ war, lautete:
<Hr. Projer, darum werde ich Ja stimmen; ich hoffe schwer, dass Sie diese wichtige Mitteilung unseren Zuschauern nicht vorenthalten. Gemäss Interview im Blick in Schrift und Audio stellte die EGMR Richterin Helen Keller fest, dass die direkte Demokratie der Schweiz eine Volksdiktatur ist. Das ist aus meiner Sicht ungeheuerlich und so eine Richterin ist für die Muster Demokratie Schweiz, die von vielen beneidet wird, weil es uns so gut geht, beim EGMR für uns verantwortlich. Dazu kommen noch die Richter von Putin, Erdogan, Georgien, Aserbaidschan, Bosnien Herzegowina etc. die es mit Korruption nicht so ernst nehmen. Diesen Richtern sollten wir uns nun unterstellen, unglaublich naiv.
40 Jahre habe ich als moderner Reisläufer im Ausland für die demokratische Schweiz geschuftet, ich habe es gerne getan, in der Überzeugung für ein wirklich demokratisches und vorbildliches Land meinen Beitrag zu geben. Ohne fremde Richter haben wir es geschafft, gegen alle Vorhersagen, eine perfekte Wohlfühlinsel aufzubauen, leider, es geht uns schon zu gut, dass wir uns von der Wirklichkeit schon sehr entfremdet haben und immer dekadenter werden und somit die immensen guten inneren Werte der Schweiz unterlaufen. Ich spreche aus Erfahrung am eigenen Leibe, ich habe die Abstürze in Brasilien und Venezuela vor Ort miterlebt, es ging ihnen zu gut. Dass dies nicht auch hier passiert und unsere Vorfahren die all dies aufgegleist haben sich nicht im Grabe umdrehen müssen, gib es nur ein JAAAAAAAA.>
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Arena» antwortete Frau Franziska Egli, Teamleiterin der «Arena»:
«Vielen Dank für die Zustellung der Beanstandung von Herrn X (Geschäftsnummer 5632). Gerne nehmen wir dazu wie folgt Stellung.
Wir weisen die Unterstellung des Beanstanders, der Moderator hätte in der Sendung gelogen, in aller Deutlichkeit zurück. Alle bei der Befragung des Beanstanders vom Moderator gemachten Aussagen entsprechen nach unserem damaligen und heutigen Wissensstand den Tatsachen. Zwar erwähnte der Beanstander in einem seinem ursprünglichen Mail angehängten Word-Dokument tatsächlich die EGMR-Richterin Helen Keller, daneben aber auch vieles anderes. Und auch aufgrund der telefonischen Vorgespräche mit dem Beanstander musste die Redaktion nicht davon ausgehen, dass der Beanstander in der ‘Arena’ primär und fast ausschliesslich auf ein Blick-Videointerview Bezug nehmen würde, welches der Moderator nicht gesehen hatte. Hätte die Redaktion dies antizipiert oder der Moderator es sogar gewusst, hätten beide dem Beanstander geraten, sein Votum anders zu gestalten, da der allergrösste Teil des zuschauenden Publikums das Interview ja ebenfalls nicht gesehen hat und einem solchen Votum deshalb nicht folgen kann. Unabhängig davon entspricht es dem journalistischen Verständnis der Redaktion ‘Arena’, das Angegriffene sich auf Vorwürfe wehren können. Angriffe auf Abwesende werden deshalb regelmässig unterbunden, was auch in der entsprechenden Szene so transparent gemacht wurde.
Aus unserer Sicht in keiner Weise nachvollziehbar ist schliesslich der Vorwurf des Beanstanders, er sei in der Sendung nicht zu Wort gekommen. Nicht nur, dass der Beanstander seinen Punkt, problematische Staaten seien ebenfalls im Europarat und im EGMR vertreten, klar und verständlich machen konnte – sondern der Moderator wollte dem Beanstander bei Minute 59.08 auch explizit nochmals das Wort erteilen, worauf der Beanstander in folgendem Austausch klar verzichtete:
- Projer: Reagieren Sie, Herr X, bitte!
- X: Ja, ich ha’s gseit, was ich will!
- Projer: Ah, Si händ’s gseit?
- X: Ja!
Wir bedauern sehr, wenn ein Gast nach der Sendung unglücklich nach Hause geht, was zum Glück nur sehr selten vorkommt. Ebenfalls bedauern wir, dass der Beanstander nach der Sendung weder das Gespräch mit dem Moderator suchte, noch – so schreibt er zumindest in seiner Beanstandung – die ihm zur Verfügung stehenden Emailadressen (arena@srf.ch oder die unserer Produktionsassistenz ) nutzte und mit der Redaktion der ‘Arena’ direkt Kontakt aufnahm.
Wir bitten Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten. Für Nachfragen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Episode. Die Sache ist sicherlich unglücklich gelaufen. Sie haben im Vorfeld der Sendung als Grund, weshalb Sie für die Selbstbestimmungsinitiative eintreten, einerseits eine Aussage der Schweizer Richterin in Straßburg, Helen Keller, genannt, anderseits die Tatsache erwähnt, dass im Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auch Richter aus Russland, der Türkei, aus Georgien, aus Aserbeidschan oder aus Bosnien-Herzegowina über Schweizer Angelegenheiten mitentscheiden. Und in den Telefonaten haben Sie noch andere Punkte genannt.
Als Ombudsmann ist es nicht meine Aufgabe, einzelne Äusserungen in der «Arena» zu qualifizieren. Meine Aufgabe ist es zu überprüfen, ob die «Übungsanlage» und die Durchführung den Anforderungen an eine Diskussionssendung vor einer Volksabstimmung entspricht. Das war der Fall: Sowohl vorne an den Pulten wie auch bei den Mitdiskutantinnen und Mitdiskutanten hinten herrschte strikte Parität. Und auch die Redezeit wurde gleichmäßig auf die beiden Lager verteilt.
Um die Episode zu überprüfen, in der Sie vorkommen, habe ich mir zuerst die Sendung genau angeschaut. Dann habe ich nachgeprüft, was es mit dem «Blick»-Interview von Prof. Dr. Helen Keller auf sich hat. Im Interview macht sie nirgends die Aussage, dass die Schweiz eine «Volksdiktatur» sei.[2] Und ein Video ist auf der Website des «Blick» nicht vorzufinden. Offenbar gab es aber ein solches Video, man findet es indes nur zusammengeschnitten und verzerrt auf irgendwelchen SVP-Facebook-Seiten, und dort kommt der Begriff «Volksdiktatur» tatsächlich vor. Ich kann allerdings den Zusammenhang nicht rekonstruieren, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, was die Richterin zum Ausdruck bringen wollte:
Direkte Demokratie in der Schweiz (und auch in den USA, in den deutschen Ländern, in Österreich oder anderswo) ist gekoppelt mit dem Rechtsstaat und mit den Menschenrechten. Die Menschenrechte schützen Individuen und Minderheiten. Wäre die direkte Demokratie nicht an Rechtsstaat und Grundrechte gebunden, könnte sie totalitär werden, das heißt: Das Volk könnte in einer emotionalen Aufwallung beschließen, einer unerwünschten Minderheit alle Rechte zu nehmen. Es könnte missliebige Menschen zu Bürgern zweiter Klasse machen. Es könnte die Interessen der Mehrheit brutal durchsetzen. Eine solche totalitäre Demokratie gab es beispielsweise im Zuge der Französischen Revolution zur Zeit des Terrors von Robespierre. Um solche Entwicklungen zu verhindern, um eine «Volksdiktatur» unmöglich zu machen, bindet man die direkte Demokratie an den Rechtsstaat und an die Grundrechte. Das war der Gedankengang von Helen Keller.
Was die Schweizer Richterin in Straßburg meint, brachte sie auch in der Sendung «Schawinski» vom 15. Oktober 2018 [3] zum Ausdruck (von mir aus dem Dialekt ins Hochdeutsche übersetzt):
«In einem Rechtsstaat ist jede Gewalt eingebunden, niemand ist absolut, weder die Regierung noch das Parlament noch das Gericht noch der sogenannte Souverän. (...) Man kann doch nicht das Volk fragen, ob ein Mazedonier, der eine Straftat begangen hat, ausgeschafft werden muss oder nicht. Das Volk ist nicht kompetent, einen solchen Einzelfall zu beurteilen. Das Volk will sich auch nicht durch ein Dossier durcharbeiten und eine Prozessgeschichte überprüfen. Das müssen die Gerichte tun, die den Einzelfall unter die Lupe nehmen. Sonst sind wir irgendwann beim Pöbel, der sagt: ‘Raus’ (oder ‘Nicht raus’) ohne rechtlichen Hintergrund».
Damit verachtet Helen Keller nicht das Volk, wie man schlussfolgern könnte, sondern sie spricht sich für eine sinnvolle Arbeitsteilung aus: Das Volk beschließt die Grundlinien, die Details der Rechtsetzung obliegen dem Parlament, die Details der Rechtsanwendung sind teils Sache der Regierung und der Verwaltung, teils Sache der Gerichte.
Sowohl Nationalrat Albert Rösti, der Parteipräsident der SVP, als auch Sie griffen in der Sendung «Arena» die Straßburger Richterin wegen ihrer Aussagen, die sie anderswo gemacht hat, an. Zu Recht hat das Moderator Jonas Projer gestoppt, weil Helen Keller nicht anwesend war und sich nicht wehren konnte. Es war sicher ein Nachteil, dass der Moderator das «Blick»-Interview und das «Blick»-Video nicht kannte. Aber auch dann hätte man über Aussagen diskutiert, deren Urheberin nicht da war und sich nicht verteidigen konnte. Jonas Projer hat Sie nicht gehindert, Aussagen darüber zu machen, dass es Sie stört, wenn am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Richter aus Ländern, die die Menschenrechte nicht oder nur teilweise einhalten, über die Schweiz zu Gericht sitzen. Er stoppte Sie nur in Bezug auf Helen Keller. Er hat bei Ihnen nachgefragt, ob Sie möchten, dass die Schweiz wegen dieser unsympathischen Richter aus der Europäischen Menschenrechtskonvention aussteigt und damit den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht mehr anerkennt. Sie verneinten und sagten, der Gerichtshof diene als Referenz. Und der Moderator wollte Ihnen dann nochmals Gelegenheit geben, zu reagieren, worauf Sie aber verzichteten. Herr Projer hat sich vollkommen korrekt verhalten.
Ich bedaure auch, dass Sie nicht zufrieden waren, aber Sie können nicht behaupten, dass Sie nicht zu Wort kamen. Im Gegenteil: Sie haben auf die Möglichkeit, nochmals einzugreifen, verzichtet. Die «Arena» ist eine schnelle, lebendige Sendung. Der Moderator hat die Aufgabe, die Debatte voranzutreiben. Wer dann, wenn das Mikrofon in der Nähe ist, die Chance nicht packt, hat verloren. Da muss man im richtigen Moment geistesgegenwärtig sein. Sie haben sich daher Ihre «Benachteiligung» selber zuzuschreiben. Ich kann folglich ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/sendungen/arena/publikumsarena-selbstbestimmungsinitiative
[2] https://www.blick.ch/news/politik/helen-keller-rechnet-mit-der-politik-ab-svp-initiative-muesste-ungueltig-sein-id8946659.html
[3] https://www.srf.ch/sendungen/schawinski/roger-schawinski-im-gespraech-mit-helen-kelle
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