«Publikumsarena» zur Selbstbestimmungsinitiative beanstandet (I)

5615
Mit Ihrer E-Mail vom 23. Oktober 2018 beanstandeten Sie die «Publikumsarena» (Fernsehen SRF) zur Selbstbestimmungsinitiative vom 19. Oktober 2018.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Der Moderator hat die Befürworter der Initiative nicht mit Fairness behandelt und der Gegenseite im Gegensatz freien Spielraum gelassen. Zu Jederzeit stand die Seite der Befürworter unter Druck, konnte nicht frei argumentieren und ihre Anliegen deutlich machen. Man muss den Gästen doch unabhängig von ihrer parteilichen Zugehörigkeit Respekt entgegenbringen und grundsätzlich davon ausgehen, dass sie ihre politischen Ziele zum Wohle der Schweiz verfolgen und nicht umsonst viel Energie in die Lancierung einer Initiative investieren. Das kritische Hinterfragen dieser Initiative und natürlich auch den Motiven, welche dahinter stehen könnten, muss selbstverständlich dazugehören und den Initianten entgegen gehalten werden. Bei dieser Arena hingegen war der Ton stets vorwurfsvoll, die Fragen zynisch und der Respekt minimal.

Die respektlose Art werfe ich vor allem der Gegenseite vor. Dem Moderator mache ich jedoch folgende Vorwürfe:

- Die Gegner der Initiative (allen voran Laura Zimmermann) haben oft wenn nicht sogar mehrheitlich Argumente verwendet, welche gegen die Person gerichtet waren. So wurde beispielsweise Albert Rösti als Vertreter der SVP nicht wenige Male diskreditiert, er oder seine Partei wären nicht ehrlich bei der Formulierung von Initiativen und es wurde ihnen zahlreiche Male vorgeworfen, sie würden eine versteckte Agenda verfolgen, wenn nicht sogar verschwörerisch im Hintergrund agieren und mit Manipulation irgendwelche Anliegen am Volk vorbei schleusen wollen. (‘Was Sie machen, ist...’ / ‘Seien Sie doch ehrlich...’ etc.). Die Gegner haben im Verhältnis praktisch nie inhaltlich argumentiert, warum sie denn genau diese Initiative gefährlich fänden und warum diese abzulehnen sei. (Was bleibt ist das: ‘Sie verheimlichen uns doch etwas...’) Die Aufgabe von Jonas Projer wäre gewesen, zu erkennen, dass Laura Zimmermann immer wieder von Neuem gegen die Person schoss und diese inhaltsleere Scheinargumentation zu unterbinden und im Gegenzug vermehrt der Gegenseite auf den Zahn zu fühlen, denn hier war keineswegs eine Ausgeglichenheit feststellbar.

- Jonas Projer machte ungefähr zehnmal auf die Zeitrechnung aufmerksam. Es ist schön und gut, wenn er dafür sorgen möchte, dass die Redezeit ausgeglichen ist. Das ist aber sein Job und diese seine Aufgabe muss er im Stillen erledigen und nicht so oft kundtun. Vor allem nicht in der Weise, wie er es gemacht hat. Sie können nachzählen. Ich nehme schwer an, er hat mit einer Aussage wie zB <Ich muss jetzt der Gegenseite wieder das Wort geben, die sind hintendrein> sicher zu 90% die Seite der Initiativ-Befürworter unterbrochen. Warum hatte die SVP-Seite so viel Redezeit? – Diese Seite musste sich ständig rechtfertigen, weil der Moderator mit entsprechenden Fragen enormen Druck ausgeübt hat.

- Die Zusammensetzung ist so wie sie ist. Die Sendung kann nichts dafür, wenn eingeladene Leute evtl. nicht teilnehmen wollen oder können. Es war jedoch feststellbar, dass die Gegenseite mit zwei Rechtskundigen (D. Jositsch und B. Walti) ein Übergewicht ausmachten. Ich habe den Juristen auf der Pro-Seite vermisst. Das hätte man in der Moderation auch berücksichtigen können.

Zusammenfassend muss man feststellen, dass es dem Moderator vielleicht gelungen ist die Redezeit ausgeglichen zu halten. Er hat es jedoch nicht geschafft, die Seite der Initiativ-Befürworter fair und unparteiisch zu behandeln, indem er ihr immer wieder ins Wort gefallen ist. Als Zuschauer, der sich über die Abstimmung noch unsicher ist und gerne auch mehr zu den negativen rechtlichen Folgen gelernt hätte, bin ich frustriert über diese Sendung und hätte gerne eine Stellungnahme zu meinen Vorwürfen.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Arena» antwortete Herr Tristan Brenn, Chefredaktor von Fernsehen SRF:

«Mit Mail vom 23. Oktober hat Herr X eine Beanstandung gegen die Publikumsarena zur Selbstbestimmungs-Initiative vom 19. Oktober eingereicht.

Fairness

Der Beanstander wirft Moderator Jonas Projer vor, dass die Befürworter der Initiative nicht mit Fairness behandelt wurden und der Gegenseite freier Spielraum gewährt wurde. Beide Seiten konnten ihre Argumente in längeren Voten darlegen. Dies gilt auch für die Befürworter der Initiative: Nationalrat Albert Rösti (ab 07:49 mit Unterbrechungen durch eine Teilnehmende aus dem Publikum bis 14:30). Fabian Zurbriggen (28:20 bis 30:00). Es ist Aufgabe des Moderators, Aussagen auf den Punkt zu bringen und daraus neue Fragen zu stellen, die durchaus auch etwas provozieren dürfen. Die Redaktion kann in der ganzen Sendung keine zynischen Fragen erkennen. Bei aller Härte der Diskussion, bei allen Unterbrechungen durch den Moderator oder die anderen Teilnehmenden blieb der gegenseitige Respekt stets bewahrt. Eine Arena ist keine Wohlfühldiskussion. In der Arena diskutieren Personen, die als Personen für ihre Sache einstehen. Da kann es im Zusammenhang mit Sachargumenten durchaus auch mal persönlich werden, wenn Albert Rösti den Gegner der Selbstbestimmungsinitiative ‘namentlich der FDP’ vorwirft, bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative den Volkswillen nicht umzusetzen und damit die direkte Demokratie zu schwächen (27:25).

Übrigens nimmt Moderator Jonas Projer dieses Argument zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf (ab 37:30). Daniel Jositsch spricht im Zusammenhang mit der Masseneinwanderungsinitiative davon, das Parlament habe bei der Umsetzung den Volksentscheid ‘etwas zurechtgebogen’. Der Moderator verdeutlicht es im Sinn der SVP ‘bis zur Unkenntlichkeit zurechtgebogen’. Hier hat Moderator Jonas Projer klar die Position der SVP auf den Punkt gebracht. Es ist Aufgabe des Moderators, klärend einzugreifen, wenn die teilnehmenden Politikerinnen und Politiker um den heissen Brei herumreden.

Der Beanstander wirft den Initiativ-Gegnern ‘inhaltsleere Scheinargumentation’ vor, die vom Moderator hätte unterbunden werden sollen. Es ist nicht Aufgabe des Moderators, Argumente zu bewerten und damit Stellung zu beziehen. Die Auseinandersetzung über Argumente führen die Teilnehmenden der Sendung; es ist ihre Aufgabe, die Argumente der Gegenseite zu kontern, allenfalls richtig zu stellen oder als inhaltsleer zu entlarven.

Zeitliche Ausgeglichenheit

Die Gesamtredezeit zwischen Befürwortern und Gegnern der Initiative war ausgeglichen: 24:33 für die Pro-Seite, 24:29 für die Contra-Seite. Albert Rösti erhielt in den ersten 20 Minuten der Sendung ein deutliches Übergewicht an Sendezeit. Wie schon erwähnt konnte er seine Hauptbotschaft – die Entscheidung der Stimmberechtigten und der Stände steht über dem Völkerrecht – ausführlich platzieren. Dies liegt in der Anlage der Sendung begründet: Es geht um die Selbstbestimmungsinitiative der SVP, also soll diese zu Beginn ausführlich die Gründe für ein Ja darlegen können.

Die Redaktion findet es richtig, dass das Publikum über die zeitliche Ausgewogenheit ins Bild gesetzt wird. Dies ist vor allem bei kontroversen Themen im Vorfeld einer Abstimmung wichtig. Transparenz gegenüber dem Publikum ist ein Gebot der Stunde. Man kann sich allerdings fragen, ob der Hinweis ein- oder zweimal zu viel erwähnt wurde. Aber am Grundsatz der Transparenz kann die Redaktion nicht rütteln.

Gleichwertigkeit

Der Beanstander kritisiert die Präsenz von zwei Juristen auf der Seite der Gegner (Nationalrat Beat Walti und Ständerat Daniel Jositsch). Die Redaktion Arena legt grosses Gewicht auf die Gleichwertigkeit der Teilnehmenden an der Diskussion; diese Gleichwertigkeit kann aber nicht auf die berufliche Ebene reduziert werden. Es zählt die politische Gleichwertigkeit: Albert Rösti ist Parteipräsident der SVP, Beat Walti ist Fraktionschef der FDP – also zwei Top-Shots in der Hauptrunde. Laura Zimmermann ist Co-Präsidentin der Operation Libero, Camille Lothé ist Präsidentin der Jungen SVP Kanton Zürich – also zwei junge Politikerinnen mit sehr unterschiedlichen Ansichten ebenfalls in der Hauptrunde. Daniel Jositsch ist Ständerat, Norman Gobbi ist Staatsrat im Tessin und war Bundesratskandidat der SVP – also nochmals zwei politische Schwergewichte in der Loge.

Mit dieser Aufstellung ist unabhängig vom beruflichen Profil die Gleichwertigkeit der Teilnehmenden gewährleistet. Eine Einengung der Gleichwertigkeit auch auf die berufliche Ausbildung und Tätigkeit würde die Auswahl der Arena-Teilnehmenden deutlich erschweren oder gar verunmöglichen.

Fazit

Die Publikumsarena vom 19. Oktober zur Selbstbestimmungsinitiative war eine lebhafte Diskussion mit sehr engagierten Teilnehmenden sowohl in der Hauptrunde und in der Loge wie auch aus dem Publikum. Alle Seiten konnten ihre Hauptargumente vorbringen. Moderator Jonas Projer hat im richtigen Mass eingegriffen; nämlich bei Voten von rund einer Minute. Damit wird die Diskussion vorangetrieben, ohne dass einzelne Statements aneinandergereiht werden.

Das Publikum konnte sich aufgrund der verschiedenen Argumente eigenständig eine Meinung zur Selbstbestimmungsinitiative bilden.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten. Für Nachfragen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Die Sendung war die sogenannte «Publikumsarena». Sie findet nur vor Volksabstimmungen statt und grenzt sich ab zur sogenannten «Abstimmungsarena». Bisher war ich der Meinung, dass in der «Publikumsarena» vor allem das Publikum redet – zwar nicht alle Anwesenden, sondern von der Redaktion in Vorgesprächen ausgewählte Bürgerinnen und Bürger ohne herausragende politische Funktionen. So, wie ich die «Publikumsarena» bisher verstanden habe, würde sie ohne prominente Gäste an den vier Pulten auskommen, allenfalls mit zwei Vertretern aus Abstimmungskomitees oder mit zwei Experten, die sich unterschiedlich positionieren. Zu meinem Erstaunen redeten in dieser «Arena» aber vor allem Prominente: Sechs der zwölf Personen, die sich äußern konnten, waren Politikerinnen und Politiker, und es waren sie, die den Löwenanteil der Redezeit beanspruchten und auch erhielten. In einer echten «Publikumsarena» müsste es umgekehrt sein.

Diskussionssendungen vor Volksabstimmungen sind heikel. Sie müssen in der «heißen Phase» (das heißt in den letzten sechs Wochen vor dem Urnengang) dem Vielfaltsgebot genügen, also paritätisch und ausgewogen sein. Bei dieser «Arena» war dies formal der Fall: Die zu Wort gekommenen Gäste waren gleichmässig auf Befürworter und Gegner der Selbstbestimmungsinitiative verteilt. Die Redezeit war ausgeglichen. Es war sicher nicht falsch, dass Moderator Jonas Projer mehrfach auf den Stand der Zeitverteilung hingewiesen hat, denn vor allem die Diskutanten mussten wissen, warum er jetzt der einen Seite das Wort nicht erteilt, dafür der anderen. Die von Ihnen vorgebrachte Kritik am Moderator in diesem Punkt kann ich also nicht teilen.

Ernster nehme ich die zwei anderen Punkte Ihrer Kritik: Die Gegner seien mit zwei Juristen unter den Hauptrednern im Vorteil gewesen. Dies sei ein Fehler der Gästeauswahl. Und die Gegner hätten immer wieder auf die Person gespielt. Das hätte der Moderator unterbinden müssen.

Zum Vorwurf der «Juristenlücke»: In der Tat sind Nationalrat Dr. Beat Walti[2] und Ständerat Prof. Dr. Daniel Jositsch[3] Juristen. Auch Laura Zimmermann ist Juristin.[4] Die Hauptredner auf der Seite der Initiativgegner hatten also alle einen rechtswissenschaftlichen Hintergrund. Aber auch auf der Seite der Befürworter standen «gescheite Leute»: Nationalrat Albert Rösti ist Agraringenieur und Doktor der Technischen Wissenschaften[5], Camille Lothe ist Politikwissenschaftlerin[6], Staatsrat Norman Gobbi ist Kommunikationswissenschaftler[7]. Waren sie im Nachteil, weil kein Jurist unter ihnen war? Man kann das so sehen. Aber letztlich ging es in der «Arena» um einen politischen Schlagabtausch, nicht um ein juristisches Seminar. Und politisch waren beide Seiten versiert. Ich sehe daher keinen Nachteil, den die Redaktion hätte ausgleichen können oder ausgleichen müssen. In der zweiten «Arena» zur Selbstbestimmungsinitiative, in der sogenannte «Abstimmungsarena» vom 9. November 2018 [8], gab es übrigens je einen Juristen auf beiden Seiten: Nationalrat Hans-Ueli Vogt (SVP), Professor für Wirtschaftsrecht, bei den Befürwortern, Nationalrat Niccolo Paganini (CVP), Anwalt, bei den Gegnern. Die anderen Gäste waren beruflich ganz bunt: Bei den Befürwortern fanden sich eine Ökonomin (Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher), ein Historiker (Alt-Botschafter Paul Widmer), ein Landmaschinenmechaniker (EDU-Präsident Hans Moser) und ein Politologe (Urs Vögeli), die Befürworter setzten sich zusammen aus einem Gipser und Bauunternehmer (Ständerat Philipp Müller), aus einem Ökonomen (economiesuisse-Präsident Heinz Karrer), aus einer Politologin (Andrea Huber) und aus einer Pianistin (Bundesrätin Simonetta Sommaruga): Selbst die Schweizer Justizministerin ist keine Juristin!

Zum Vorwurf der persönlichen Attacken: Ich habe das anders erlebt als Sie: Die Kritik, die vor allem Laura Zimmermann übte, richtete sich nicht gegen die Personen, sondern war politisch auf die Initianten gezielt: Sie seien «unehrlich», weil sie die Europäische Menschenrechtskonvention gefährden, aber immer wieder behaupteten, sie wollten sie nicht kündigen. Weil es ein politischer Vorwurf war, hatte der Moderator keinen Anlass, dagegen einzuschreiten. Alles in allem verstehe ich zwar ein Stück weit Ihre Kritik und Enttäuschung, aber per Saldo kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.srf.ch/sendungen/arena/publikumsarena-selbstbestimmungsinitiative

[2] https://www.parlament.ch/de/biografie/beat-walti/4142

[3] https://www.ius.uzh.ch/de/staff/professorships/alphabetical/jositsch.html

[4] https://www.rod.ag/de/mitarbeiter/laura-zimmermann/

[5] http://www.albertroesti.ch/uber-mich/

[6] https://ranking.influencer.world/de/account/camillelothesvp

[7] http://vais.ch/studio/

[8] https://www.srf.ch/sendungen/arena/abstimmungs-arena-selbstbestimmungs-initiativ

Tags

Alle Schlussberichte der Ombudsstelle jetzt ansehen

Kommentar

Leider konnte dein Kommentar nicht verarbeitet werden. Bitte versuche es später nochmals.

Ihr Kommentar wurde erfolgreich gespeichert und wird nach der Freigabe durch SRG Deutschschweiz hier veröffentlicht

Weitere Neuigkeiten