«Abstimmungs-Arena» zur Selbstbestimmungsinitiative beanstandet (IV)
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Mit Ihrer E-Mail vom 22. November 2018 beanstandeten Sie die «Abstimmungsarena» (Fernsehen SRF) vom 9. November 2018. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Die Selbstbestimmungsinitiative-Befürworter sagen, dass der Bundesgerichtsentscheid 2012 ein eindeutiger Schritt in der schleichenden Revolution hin zur internationalen Rechtssprechung in der Schweiz ist (Übernahme von internationalem Recht und internationaler Rechtssprechung). Insbesondere mit einem obiter dictum und den Schriften hinter dem Urteil wurde ein weiterer Schritt dieser schleichenden Revolution weg vom nationalen hin zum internationalen Recht gemacht, wie es Rechtsprofessor Vogt in der Arena auch sagte. Die Rechtspraxis von Schubert und PKK wurde weiter zementiert und durch ein obiter dictum und Zusatzschriften weiter Richung Internationaliesierung der Rechtssprechung ausgebaut.
Die Gegner der Selbstbestimmungsinitiative bestreiten dies faktisch wahre Aussage der Befürworter natürlich, wohl aus Prinzip, wegen Wahlwerbung für ein Nein zur Selbstbestimmungsinitiative.
Klar kann man mit Wortklauberei ablenken, z.B. sagen, dass man unter Revolution etwas schnelles versteht und sagen der Wandel sei langsam, deshalb nicht eine schleichende Revolution sondern eine Evolution. Ich erwarte aber vom Schweizer Fernseher (SF), dass es das Grosse Ganze sieht und obige Aussage der Selbstbestimmungsinitiative-Befürworter nicht als unwahr abtut, mehrfach in der Arenasendung vom 9.11.18. Das geht nicht. Wir dürfen vom SF erwarten, dass es keine Fakten die stimmen versucht zu unterdrücken, was klar gemacht wurde.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Selbstbestimmungsinititive am 25.11.18 nicht angenommen wird. In den Geschichtsbüchern werden wir dann einst lesen: Auch am Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhundert hat eine schleichende Revolution zur internationalen Rechtssprechung stattgefunden. Hier die fragmenthafte Liste der Ereignisse:
....... Schubert, PKK
.......
2012 Bundesgerichtsentscheid mit weiterer Tendenz zur Internationalisierung
........
2018 Ablehnung der Selbstbestimmungsinitiative
.......
Der Arenabeitrag betreffend der Zeile 2012 Bundesgerichtsentscheid ist ergo klar falsch und sollte gerügt werden. Das SF muss sich an die Fakten halten und darf Fakten nicht anders darstellen und danach wahre Fakten auch noch mehrfach scharf ablehnen. Das SF muss bei den Fakten das Ganze sehen, das ist wichtig, sonst werden die Zuschauer in die Irre geführt und gehen davon aus, dass es kein Trend zu Internationalisierung gibt, auch nicht mit dem Bundesgerichtsentscheid von 2012.
Das grosse Bild gesehen, hätte das SF klar sagen müssen, dass es eine Tendenz in der Rechtssprechung Richtung internationales Recht gibt. Der Bundesgerichtsentscheid 2012 ist ein kleiner Schritt in dieser schleichender Revolution ist. Stattdessen hat das SF kleinlich ein winziges Detail ausgeschlachtet, unglaublich betont, dass der Bundesgerichtsentscheid 2012 gar nichts zu sagen hat, nicht mal ein kleiner Schritt ist, dies unglaublich untermauert und darauf gepocht. Das ist des SF nicht würdig. »
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Arena» äußerte sich Herr Jonas Projer, Leiter Fachredaktion Talk:
«Wir freuen uns, zur Beanstandung 5656 Stellung zu nehmen und bitten um Verständnis dafür, dass wir uns dabei kurzhalten. Die in dieser ‘Arena’ diskutierte Frage war, ob der fragliche Bundesgerichtsentscheid von 2012 ‘eine Revolution’ war, wie im Abstimmungskampf zur ‘Selbstbestimmungsinitiative’ gelegentlich behauptet wird.
In einer der intensivsten Recherchen der letzten Jahre, die uns bis in die feinsten Verästelungen verschiedener Bundesgerichtsurteile führte, ging die ‘Arena’-Redaktion dieser Frage nach. Mit grosszügiger Hilfe unzähliger Fachleute kamen wir zum Schluss: Nein, der Entscheid von 2012 ist keine Revolution. Die bisherige Rechtspraxis (Schubert-, PKK-), wurde eindeutig nicht umgestürzt, sondern bestätigt. Allerdings schaffte das Bundesgericht 2012 mit einem unklaren obiter dictum ziemlich viel Verwirrung.
Diesen Sachverhalt stellte die ‘Arena’ in einem Erklärstück dar. Bei den gemachten Aussagen (Keine Revolution, keine Änderung der Praxis, Verwirrung durchs Bundesgericht) handelt es sich nicht um Meinungen, sondern um Tatsachen gemäss unseren Recherchen. Damit verhält sich die Redaktion gemäss einem internen Leitsatz, der regelmässig auch in der Sendung aufscheint: In die ‘Arena’ gehören die besten Pro-Argumente, die besten Kontra-Argumente – und in die ‘Arena’ gehören Fakten. Ganz ähnlich, wie sich übrigens eine legendäre Talksendung auf SRF, ausgestrahlt von 1965 bis 1985, einst nannte: Tatsachen und Meinungen.
Wir danken Ihnen für die Möglichkeit zur Stellungnahme und stehen für Nachfragen jederzeit zur Verfügung.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Die Einspielung im Laufe der «Arena», die sich mit dem umstrittenen Bundesgerichtsentscheid befasste, hat auf hervorragende Art und Weise und für jedermann verständlich auseinandergedröselt, was es mit dem Bundesgerichtsentscheid von 2012 (BGE 139 I 16) auf sich hat.[1] Nie vorher habe ich die Sachlage derart glasklar dargestellt erhalten. Die Redaktion der «Arena» hat sich eine ganze Woche lang intensiv mit dem Thema befasst und die Fakten auf den Tisch gelegt. Und die Fakten sind, dass der Bundesgerichtsentscheid von 2012 nicht revolutionär war. An diesen Fakten gibt es nichts zu rütteln. Man kann zwar eine andere Meinung haben, aber die ist faktenwidrig. Man kann ja auch glauben, der Storch bringe die Kinder, aber es ist faktenwidrig.
Was ist das Problem und was war das klitzekleine Neue am Bundesgerichtsentscheid von 2012? Volk und Stände haben ein paar Volksinitiativen angenommen, die Grundrechten widersprechen. Also enthält die Bundesverfassung jetzt einige Artikel, die menschenrechtswidrig sind. Bisher gab es nur Gesetze, die in Konflikt mit Grundrechten gerieten, neu gilt das auch für die Verfassung. Also musste das Bundesgericht für diesen Konfliktfall den Vorrang des Völkerrechts neu auch bei der Verfassung anwenden, nicht nur bei Gesetzen. Hier sagte Nationalrat Hans-Ueli Vogt, damit stelle sich das Bundesgericht gegen Entscheide des Souveräns, weil die Verfassung von Volk und Ständen beschlossen wird. Er vergass aber zu erwähnen, dass sich das Bundesgericht in vergleichbaren Fällen schon in der Vergangenheit gegen den Souverän stellte, nämlich dann, wenn es den Vorrang des Völkerrechts gegenüber Gesetzen zur Anwendung brachte. Denn auch die Bundesgesetze werden – ausdrücklich oder stillschweigend – vom Volk beschlossen. Immer dann, wenn gegen ein Gesetz kein Referendum ergriffen wird, hat das Volk dem Gesetz stillschweigend zugestimmt. Und immer dann, wenn das Volk über ein Gesetz abstimmt und es gutheißt, hat es ihm ausdrücklich zugestimmt.
Damit ist überhaupt nicht abzustreiten, dass es einen Vormarsch des Völkerrechts gibt, aber im Bereich der Menschenrechte nur zum Vorteil und zum Schutz der einzelnen Menschen, auch in der Schweiz. Nach dem Ersten Weltkrieg kamen die Nationen überein, den Völkerbund zu gründen, um den Frieden zu sichern, aber dieses Völkerrecht war leider zu schwach, um den Zweiten Weltkrieg zu verhindern. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Staaten weltweit überein, die Vereinten Nationen (Uno) zu gründen, und europaweit beschlossen sie, den Europarat ins Leben zu rufen und mit ihm die Europäische Konvention der Menschenrechte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Diese völkerrechtlichen Errungenschaften haben seither viele Menschen gegen Willkür, Fehlurteile oder Diskriminierungen geschützt. Das Völkerrecht ist daher in den meisten Fällen keine Bevormundung und Bedrohung, sondern ein Dienst an den Menschen.
Die Sendung «Arena» dient dazu, unterschiedlichen Ansichten und Einschätzungen breiten Raum zu geben. Es ist aber durchaus die Aufgabe der Redaktion, Fakten festzuhalten. Moderator Jonas Projer hat nichts Anderes getan, als sich auf diese Fakten gestützt , als er in der «Arena» die Diskussion zum Bundesgerichtsentscheid 2012 vorantrieb. Er hat meines Erachtens überhaupt die «Arena» souverän geleitet. Es gibt daher keinen Anlass, den Moderator und das Fernsehen SRF zu rügen. Und folglich kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1]https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=1&from_date=&to_date=&from_year=1954&to_year=2018&sort=relevance&insertion_date=&from_date_push=&top_subcollection_clir=bge&query_words=BGE+139+I+16&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation=&rank=1&highlight_docid=atf%3A%2F%2F139-I-16%3Ade&number_of_ranks=18&azaclir=clir
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