«Kassensturz»-Beitrag «Sauberes Gold? Das Schweigen der Schweizer Uhrenindustrie» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 18. Dezember 2018 beanstandeten Sie die Sendung «Kassensturz» (Fernsehen SRF) vom gleichen Tag und dort den Beitrag «Sauberes Gold? Das Schweigen der Schweizer Uhrenindustrie».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Dieser Beitrag verletzt das Schachgerechtigkeitsgebot und das Transparenzgebot in folgenden Punkten:

  1. Die Redaktion übernimmt blindlings die Studie des WWF, eine redaktionelle kritische Haltung gegenüber dieser ‘Welt-Rettungsfirma’ ist nicht erkennbar, jedenfalls kommt eine eigene neutrale Position (sachlich und sachgerecht) beim Zuschauer nicht an. Er bekommt den Eindruck, der Kassensturz macht sich die Positionen des WWF zu eigen (deutlich in der wenig respektvollen Haltung gegenüber Nik Hayek, aber auch im ganzen Beitrag). Schliesslich verdient der WWF sein Geld mit künstlicher Volksaufregung und greift gerne Skandale auf, um seine Kassen zu füllen.
  2. Der Beitrag ist schlecht recherchiert und nicht umfassend überlegt worden. Der springende Punkt sind nicht die Zertifikate – wer in Afrika und international arbeitet, weiss, dass diese Zertifikate unterschiedlichen Wert haben (da hat die Redaktion ihren Job nicht gemacht) – sondern die Materialflüsse, die Goldschmelzereien (z.B. Argor-Heraeus, Chiasso), aber da hat man nicht nachgefragt. Die Redaktion hat es verpasst, das Thema wirklich zu verstehen, es genügt ja wenn der WWF eine Vorweihnachtsgeschichte zusammenkleistert. Dadurch ist der Eindruck entstanden, dass die Redaktion die Position des WWF übernommen hat und für den WWF vor der Kamera die Unternehmer konfrontiert, sozusagen, um die Studie des WWF zu publizieren und glaubhaft zu machen. Damit ist
  3. das Transparenzgebot verletzt. Es wurde nicht offengelegt, dass die Redaktion/die Interviewerin der gleichen Glaubensrichtung angehört wie die WWF-Funktionäre und einerseits von der Grundhaltung her, anderseits aber auch um der knalligen Geschichte wegen, den Sachverhalt skandalisieren half. Eigentlich muss die Redaktion vor der Kamera beim WWF zurückfragen, ob er denn vor einem oder zwei Jahren mit den Firmen das Gespräch gesucht und dort nichts erreicht habe. Es geht doch nicht an, dass der WWF sich das Fernsehen zum Gehilfen macht, indem dieses das Alltagsgeschäft des WWF (die Welt retten) gleich im ersten Anlauf zum Skandal hochstilisieren hilft.

Ich erwarte, dass ein Staatsfernsehen den selbst gesetzten Grundsätzen nachlebt, und bei allem Engagement
a) sichtbar eine kritische Distanz zu beiden Seiten, zu den Problem-Verursachern und zu den Problem-Bewirtschaftern aufrecht erhält,
b) die Redaktion ihren Job so macht, und das Problem als Ganzes darstellt (hier war’s eher: die Letzten beissen die Hunde),

c) grundsätzlich Abstand nimmt von pädagogischen Konzepten: schon in der Eröffnung der Sendung wurde eine Lektion über gutes Verhalten angedroht. So geht das definitiv nicht.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für den «Kassensturz» antwortete dessen Redaktionsleiterin, Frau Ursula Gabathuler:

«In einem Schreiben wendet sich X an Sie und beanstandet die ‘Kassensturz’-Sendung vom 18. Dezember 2018. Gerne nimmt die ‘Kassensturz’-Redaktion wie folgt Stellung:

1. Zum Vorwurf, ‘Kassensturz’ übernehme blindlings die Studie des WWF:

‘Kassensturz’ übernimmt nie blindlings Studien von anderen, sondern prüft diese vor Publikation eingehend. Auch die WWF-Untersuchung zur Nachhaltigkeit der 15 grössten Schweizer Uhren- und Schmuckproduzenten wurde von der ‘Kassensturz’-Redaktion genau durchleuchtet und als seriös betrachtet: Der WWF hat die Untersuchung nicht alleine durchgeführt, sondern arbeitete dafür mit dem unabhängigen Institut BSD Consulting zusammen. BSD ist ein 1998 in der Schweiz gegründetes internationales Beratungsunternehmen für das Nachhaltigkeitsmanagement. Zusammen mit BSD analysierte der WWF die Online-Auftritte der untersuchten Unternehmen, deren Geschäftsberichte und stellte den Unternehmen einen ausführlichen Fragebogen zum Nachhaltigkeitsmanagement der jeweiligen Unternehmen zu. Dieses Vorgehen, sowie die anschliessende Beurteilung der Unternehmen durch den WWF war für die ‘Kassensturz’-Redaktion nachvollziehbar und transparent. ‘Kassensturz’ berichtet nicht zum ersten Mal über Untersuchungen von Wirtschaft-, Umwelt-, und Tierschutzorganisationen. Dabei prüft die Redaktion immer die Seriosität und die Glaubwürdigkeit der jeweiligen Anbieter kritisch. Auch machte sich ‘Kassensturz’ nicht die Positionen des WWF zu eigen, wie dies der Beanstander schreibt, sondern liess, journalistisch korrekt, auch die kritisierte Uhren- und Schmuckbranche zu Wort kommen.

2. Zum Vorwurf, der Beitrag sei schlecht recherchiert:

‘Kassensturz’ hat sich bewusst entschieden, den Fokus bei der zur Diskussion stehenden Berichterstattung eng auf die mangelnde Goldherkunfts-Deklaration der grössten Schweizer Uhren- und Schmuckproduzenten zu legen. Der Materialfluss von den Goldminen in die Schweizer Schmelzereien erachtet ‘Kassensturz’ selbstverständlich als ein wichtiges Thema, dem sich die Redaktion in der Vergangenheit auch schon ausführlich gewidmet hat.

‘Kassensturz’ hat alle 15 im Bericht untersuchten Unternehmen um eine Stellungnahme ersucht. In den Stellungnahmen der Unternehmen wird die Wissenschaftlichkeit des WWF-Berichtes nicht in Zweifel gezogen. Ganz im Gegenteil kommt in den Stellungnahmen, wie aber auch im ausführlichen Interview mit Nick Hayek, zum Ausdruck, dass der WWF-Bericht, beziehungsweise der ‘Kassensturz’-Beitrag den Fokus auf ein gewichtiges Themengebiet der Uhren- und Schmuckbranche legt, das auch die Branche selbst beschäftigt.

So zeigte der ‘Kassensturz’-Beitrag, dass Chopard und IWC dieses Jahr erstmals gewisse Anstrengungen unternommen haben, die Herkunft ihres verarbeiteten Goldes bewusster zu steuern, beziehungsweise, der Goldherkunft verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken. Und Nick Hayek, Präsident der Konzernleitung der Swatch-Group, nutzte die Einladung von ‘Kassensturz’, im Interview neue Massnahmen ab Dezember 2018 in Sachen Goldeinkauf und Golddeklaration anzukündigen. Zu erwähnen ist auch, dass selbst Nick Hayek im ‘Kassensturz’-Interview auf die Schwierigkeiten der Branche bei der Rückverfolgbarkeit des Goldes zu sprechen kommt (Timecode 9:15: Kathrin Winzenried: <Wenn Kunden heute im Laden Gold kaufen, können Sie ihnen sagen, woher das Gold kommt?> Nick Hayek: <Sie wollen kein Gold kaufen, sie wollen Uhren kaufen. (...) Ich gebe Ihnen recht: Wir haben bis jetzt nicht alle Nachfolgeinformationen [zum Gold; Anm. der Redaktion].>)

3. Zum Vorwurf der gleichen Glaubensrichtung:

‘Kassensturz’ versteht sich als Orientierungshelfer in allen Lebenslagen der Konsumentinnen und Konsumenten. ‘Kassensturz’ ist seit über 40 Jahren Garant für unabhängigen und kritischen Journalismus, mit dem Anspruch, Themen möglichst umfassend und mit der nötigen Distanz zu allen Parteien anzugehen.

In der vorliegenden Berichterstattung ging es nicht um Glaubensrichtungen, wie dies der Beanstander schreibt, sondern um die Beleuchtung eines Problems, das selbst der Schmuck- und Uhrenbranche bekannt ist. Im Beitrag wird auch klar, dass in der Branche ein Umdenken in Sachen Goldeinkauf und Golddeklaration stattfindet. Mit der Möglichkeit einer Stellungnahme zum Beitrag Seitens der im Bericht erwähnten Unternehmen und mit dem ausführlichen Interview mit Herrn Nick Hayek, Leiter eines der grössten Schweizer Uhrenherstellers der Schweiz, erfüllte ‘Kassensturz’ das Prinzip der journalistischen Fairness und Ausgeglichenheit. ‘Kassensturz’ hat sachgerecht und transparent über eine vom WWF publizierte Studie berichtet. Die Zuschauer und Zuschauerinnen konnten sich eine eigene Meinung bilden. Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde nicht verletzt.

Aufgrund unserer Ausführungen bitte ich Sie, Herr Blum, die Beanstandung als unbegründet zurückzuweisen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich beginne beim letzten Abschnitt Ihrer Beanstandung, dort, wo Sie Forderungen an die Redaktion richten, und da stimme ich Ihnen weitgehend zu:

  • Journalismus soll kritische Distanz nach allen Seiten halten.
  • Journalismus soll ein Problem als Ganzes darstellen.
  • Journalismus soll nicht in besserwisserischer Manier belehrend sein.

Nur: Worin hätte die Distanz zur WWF-Studie bestanden? Allenfalls hätte man die Methode kritisieren können. Aber das Grundanliegen, dass Unternehmen Rechenschaft ablegen sollten über Nachhaltigkeit und Umweltverhalten, ist ja schwer kritisierbar. Es gibt eben Themen, bei denen man nicht in guten Treuen verschiedener Meinung sein kann. Und: Was ein Problem als Ganzes ist, ist eine Definitionssache. Ein Fernsehbeitrag ist keine Doktorarbeit; er muss sich immer irgendwie beschränken, ohne darauf zu verzichten, die wesentlichen Fragen zu stellen und zu beantworten. Schliesslich: Journalistinnen und Journalisten sind nicht die Lehrmeister der Nation. Aber der «Kassensturz» versteht sich als anwaltschaftliche Konsumentensendung. Es gehört zu seiner Rolle, den Konsumierenden Tipps zu geben, sie zu beraten, zu warnen, zu ermutigen. «Kassensturz» betreibt Servicejournalismus.

Natürlich wäre es noch besser gewesen, «Kassensturz» hätte die Recherche, die der WWF unternahm, selber gemacht. Aber da nun einmal der WWF diese Studie erarbeitet hatte, lag es nahe, dass der «Kassensturz» sie zur Grundlage für eigene Zusatzrecherchen nahm.

Sie werfen der Redaktion Parteilichkeit vor, weil sie Ihrer Meinung nach der gleichen «Glaubensrichtung» angehört wie der WWF. Ich verstehe diese Einschätzung nicht. Denn es kann immer wieder vorkommen, dass eine Redaktion aus objektiven Gründen zu den gleichen Schlüssen gelangt wie Dritte. Um eine gleiche «Glaubensrichtung» würde es sich nur handeln, wenn man sich nicht auf Fakten stützte, sondern nur auf Annahmen, Visionen, Wünsche.

Sie werfen der Redaktion weiter Unvollständigkeit vor. Ich muss aber darauf hinweisen, dass sich Radio und Fernsehen SRF immer wieder mit der Goldgewinnung, den Goldschmelzereien und dem Goldhandel befassen, so auch seinerzeit der «Kassensturz» in Zusammenarbeit mit dem ZDF.[2] Durch kontinuierliche Berichterstattung entsteht Vollständigkeit. Eine einzelne Sendung kann das nicht leisten.

Sie werfen der Redaktion schliesslich Skandalisierung vor. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Der Beitrag ruft nicht «Skandal! Skandal!», sondern fragt nüchtern nach, warum die Uhrenhersteller keine Nachhaltigkeitsberichte erstellen und die Herkunft des Goldes nicht deklarieren. Ich kann auch nicht bestätigen, dass Nick Hayek wenig respektvoll befragt wurde: Obwohl er widersprüchlich argumentiert und nicht wirklich erklären kann, warum die Position von Swatch nicht im Geschäftsbericht dargelegt wird, bleibt die Journalistin höflich-zurückhaltend und gibt ihm die Möglichkeit, sich zu positionieren.

Natürlich hätte man den Beitrag anders aufziehen können. Sicher hätte der eine oder andere Punkt noch angesprochen werden können. Das alles liegt aber in der Programmautonomie der Redaktion. Die Medienfreiheit ist in der Schweiz mit Grund ausgedehnt; alles andere wäre mit einer freiheitlichen Gesellschaft nicht vereinbar. Aus all den Gründen kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

Noch ein Wort zum Begriff «Staatsfernsehen», den Sie in Ihrer Beanstandung verwenden: Es gibt in der Schweiz keine Staatsmedien. Staatsmedien sind Lautsprecher der jeweiligen Regierungen. Es gibt sie beispielsweise in China, in Kuba, in Nordkorea, in Saudi-Arabien, in Iran, in Thailand, in Russland, in der Türkei, in Ägypten oder in Syrien, nicht aber in der Schweiz. Die SRG ist nicht der Lautsprecher des Bundesrates, im Gegenteil: Auch in den Programmen der SRG werden Bundesrat und Parlament immer wieder kritisiert, und das ist auch richtig so, denn Medien in der Demokratie müssen stören. Die Grundordnung für Radio und Fernsehen wird in der Schweiz zwar vom Bund festgelegt, und der Bund legt auch die Gebühren fest, die dann eine private Firma bei den Nutzerinnen und Nutzern einzieht, aber inhaltlich sind Radio und Fernsehen (und damit auch die SRG) vom Staat unabhängig. Das steht ausdrücklich in der Bundesverfassung (Art. 93, Abs. 3)[3] als auch im Radio- und Fernsehgesetz (Art. 3a)[4].

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.srf.ch/news/schweiz/sauberes-gold-das-schweigen-der-schweizer-uhrenindustrie

[2] https://www.srf.ch/sendungen/kassensturz-espresso/die-dreckige-geschichte-hinter-dem-glaenzenden-gold

[3] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/index.html

[4] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html

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