«Tagesschau»-Beiträge «Shutdown in den USA geht weiter» und «Anstehen für Gratis-Essen» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 20. Januar 2019 beanstandeten Sie die «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom gleichen Tag und dort die zwei Beiträge «Shutdown in den USA geht weiter»[1] und «Anstehen für Gratis-Essen».[2] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Ich versuche mich täglich zu informieren und dazu nütze ich möglichst mehrere Quellen. Als erste immer SRF (Teletext, dann Zeitungen, dann andere ausländische Sender. Dann muss man auch nachdenken und nicht wie ein Papagei nur widerholen.
Peter Düggelin heute Abend in Nachrichten 19.40 Uhr. Es war wirklich tendenziös, dass es kaum zu aushalten war. Die ‘arme’ US Amerikaner sind nach etwas mehr als 20 Tagen ohne Löhne, praktisch ‘Mittellos’! Heiss das, dass alle Menschen leben eigentlich von Monat zu Monat, ohne jegliche Reserve. Was für ein Unsinn. Und dazu natürlich nur die Demokraten, sich äussern könnten. Schrecklich, was man in der Schweiz hören und lesen bekommt (auch Teletext ist schrecklich, bei vergleichen mit ÖRF und andere ausländische Sender. Warum? Das gleiche, nicht nur beim Trump, aber auch bei Brexit und viele andere Sachen. Ich denke manchmal, dass ich wieder erlebe das Gleiche schon in Kindheit erlebte. Ich komme ursprünglich aus früher kommunistische Prag. Aber klar, ich kann das überleben und weiss, dass ich das übergehen kann und weiter denken und nicht nur zuhören. Vor allem nicht einen Peter Düggelin und ganze SRF Team. Es kommt sowieso anders, als diese Team träumt. Ich kann euch eine Prognose machen. Trump bekommt was er verlangt und bei Brexit kommt zum ‘harten Brexit’. Wetten wir?»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» antworteten Frau Regula Messerli, Redaktionsleiterin, und Frau Corinne Stöckli, Fachspezialistin:
«Herr X beanstandet unsere Berichterstattung zum Shutdown in den USA in der Hauptausgabe der ‘Tagesschau’ vom 20. Januar 2019.[3] In einem ersten Beitrag haben wir die aktuelle politische Situation aufgezeigt. Darauf folgte eine Reportage aus den USA über die konkreten Folgen des Shutdown für die Beamten.
Der Beanstander schreibt zur Reportage über die konkreten Folgen für die Bundesangestellten: <Es war wirklich tendenziös, dass es kaum auszuhalten war. Die ‘armen’ US-Amerikaner sind nach etwas mehr als 20 Tagen ohne Löhne, praktisch ‘mittellos’! Heisst das, dass alle Menschen eigentlich von Monat zu Monat leben, ohne jegliche Reserve. Was für ein Unsinn.>
Mit dieser Kritik sind wir nicht einverstanden. In der beanstandeten Reportage ging es explizit um <die Beamten, die seit vier Wochen ohne Lohn dastehen>. Diesen Fokus hat bereits die Anmoderation deutlich gemacht. Wörtlich lautete sie:
<Ausbaden müssen den Streit um die Mauer also die Staatsangestellten. Der Shutdown unter dem Präsidenten Donald Trump ist der längste der amerikanischen Geschichte und wird langsam aber sicher zu einem Problem für etliche Beamte, die seit vier Wochen ohne Lohn dastehen – und bald nicht mehr genug zum Leben haben.>
Den vom Beanstander verwendeten Begriff ‘mittellos’ gebrauchen wir weder in der Reportage noch in der Anmoderation. Hingegen sagen wir in der Anmoderation, dass <etliche Beamte> <bald nicht mehr genug zum Leben haben>, im Beitrag sprechen wir von «finanziellen Sorgen» von Bundesangestellten. Der Beanstander meint dazu: <Was für ein Unsinn.>
Anders als der Beanstander meint, lebt tatsächlich ein Grossteil der Amerikaner von Lohnzahlung zu Lohnzahlung (paycheck to paycheck). Eine repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2017 [4]zeigt, dass es über 75 Prozent der Amerikaner sind, die (immer oder teilweise) von Lohnzahlung zu Lohnzahlung leben. Sogar 10 Prozent derjenigen, die über 100'000 Dollar jährlich verdienen, leben von Monat zu Monat. In der Folge haben die meisten Amerikaner keine oder kaum Reserven. Bei einer unvorhergesehenen Notfallausgabe von 1000 Dollar könnte der kleinere Teil auf seine Ersparnisse zurückgreifen, wie eine kürzliche Umfrage [5] bestätigte. Die Reportage hat also nicht etwa Einzelfälle aufgezeigt. Der mehrwöchige Lohnausfall ist für viele Bundesangestellte ein ernstzunehmendes finanzielles Problem.
Die Reportage zeigt die Situation an verschiedenen Orten in den USA auf und belegt, dass die Aussage keineswegs eine Übertreibung ist: Zuerst zeigt unser Reporter, wie sich <Bundesangestellte mit finanziellen Sorgen am Stand eines Hilfswerks gratis Karotten, Kartoffeln und Essen aus der Büchse holen>. Dann lässt er eine Frau zu Wort kommen, die sagt, dass es <definitiv eng wird finanziell> und eine zweite, die meint, dass es sie schon betreffe. An einem zweiten Schauplatz zeigt der Reporter, wie <im Zentrum Washingtons beurlaubte Regierungsbeamte Schlange stehen für ein Gratis-Mittagessen>. Der dritte Schauplatz zeigt die Situation von Flughafen-Mitarbeitern auf: <Und gespendete Mahlzeiten gibt es an diesem Flughafen in Tennessee für Mitarbeiter der Flugsicherheit, die derzeit ohne Lohn arbeiten.> Der vierte Schauplatz findet sich schliesslich in Kalifornien: <Und auch in Kalifornien werden Lebensmittel verteilt. Auch an Leute, die nicht direkt beim Bund, sondern für die Regierung im Auftragsverhältnis arbeiten.> Der letzte Teil der Reportage zeigt schliesslich auf, dass der Kreis der Betroffenen über Beamte hinausgeht und auch private Unternehmen betrifft, die für den Staat arbeiten.
Die Bilder belegen also eindrücklich, dass die Beamten wirklich unter den Folgen des Shutdown leiden. Die Reportage war in keiner Hinsicht tendenziös, sondern hat schlicht die Fakten aufgezeigt, wie sie sind. Zum Shutdown hiess es: <Unwürdige Folgen eines unwürdigen politischen Gezänks.> Es wird also nicht etwa eine Partei als schuldig bezeichnet, sondern die Verantwortlichen insgesamt.
Der Beanstander schreibt: <Und dazu natürlich nur Demokraten, die sich äussern konnten>. Da in der Reportage von Peter Düggeli keine Personen nach Parteizugehörigkeit auftraten, gehen wir davon aus, dass der Beanstander den vorangehenden Beitrag (‘Shutdown in den USA geht weiter’) [6] meint. In diesem ersten Beitrag wurde zuerst der Kompromiss-Vorschlag von Trump erwähnt, worauf Trump auch selbst zu Wort kam. Direkt im Anschluss an sein Zitat wurde Trumps Angebot an die Demokraten genauer erläutert. Darauf kamen kurz zwei verschiedene Kongressabgeordnete der Demokraten zu Wort, welche sich gegen die Mauer aussprachen. Der Beitrag machte keine Seite für den Shutdown alleinverantworlich. Wörtlich hiess es im Beitrag:
<Beide Seiten wollen einander die Verantwortung für den Shutdown zuschieben. Im Kernpunkt geben auch die Demokraten keinen Jota nach. Sie bieten Trump zwar eine Milliarde Dollar zusätzlich für die Grenzsicherheit, nicht aber für die Mauer. Und so ist noch immer keine Budget-Einigung in Sicht.>
Und zum Schluss des Beitrages hiess es:
<Eine Patt-Situation, bald einen Monat nach Anfang des Shutdowns. 800'000 Bundesangestellte bleiben derweil im Zwangsurlaub oder arbeiten ohne Gehalt.>
Die Kernaussage des Beitrages, dass beide Seiten auf ihrer Position beharren, hat der Beitrag deutlich und nachvollziehbar dargestellt. Auch dieser erste Beitrag war also in keiner Weise tendenziös.
Der Beanstander schreibt weiter: <Aber klar, ich kann das überleben und weiss, dass ich das übergehen kann und weiterdenken und nicht nur zuhören. Vor allem nicht einen Peter Düggeli und das ganze SRF Team. Es kommt sowieso anders, als dieses Team träumt.> Dazu möchten wir festhalten, dass wir Zuschauer und Zuschauerinnen schätzen, die sich über politische Entwicklungen Gedanken machen. Wir informieren unser Publikum grundsätzlich so, dass es sich eine eigene Meinung bilden kann. Es geht uns dabei aber nicht um ‘Träume’, sondern um die Vermittlung von Fakten und Hintergründen. Selbstverständlich steht es dem Beanstander frei, sich über die von ihm bevorzugten Kanäle zu informieren.
Zusammenfassend sind wir der Meinung, dass wir korrekt und in keiner Weise ‘tendenziös’ berichtet haben. Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung nicht zu unterstützen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Zunächst: Ich beglückwünsche Sie zu der Art, wie Sie sich informieren. Es ist vorbildlich, wenn Sie verschiedene Quellen nutzen, sie vergleichen und sich dann Ihre Meinung bilden. Das sollten viel mehr Bürgerinnen und Bürger tun.
Aber: Im konkreten Fall hatten Sie wohl nicht genügend Quellen oder die falschen und bezichtigen die «Tagesschau» zu Unrecht, Zustände zu dramatisieren oder schief darzustellen. Wie die Redaktion in ihrer Stellungnahme nachweist, gibt es eben sehr viele Amerikanerinnen und Amerikaner, die von Lohnzahlung zu Lohnzahlung leben und über keine Reserven verfügen. Und wie ich mich bei der Sichtung der Beiträge überzeugen konnte, wird der Budgetstreit nicht einseitig dargestellt. Ausgangspunkt ist das Projekt einer Mauer an der Grenze zu Mexiko, für die Präsident Trump jetzt Kredite vom Kongress verlangt. Die Demokraten, die im Repräsentantenhaus über die Mehrheit verfügen und damit alles blockieren können, wollen zwar Geld bewilligen, aber nicht so viel, wie der Präsident verlangt, und nicht für die gleichen Zwecke. Solange sich Weisses Haus und Kongress nicht einigen konnten, ging der Shutdown – also die vorübergehende unbezahlte Beurlaubung von rund 800'000 Bundesbeamten – weiter. Dies hat die «Tagesschau» korrekt dargestellt, ohne Schlagseite Richtung Republikaner oder Richtung Demokraten. Die Berichterstattung war sachgerecht. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/shutdown-in-den-usa-geht-weiter?id=29b90bf7-7f54-49fe-8bf5-9e95e5bfcb0b
[2] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/folgen-des-shutdown-fuer-beamte?id=d5683fc8-9fa5-4b1a-aa44-5d88ede3b4ea
[3] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-20-01-2019-1930?id=a0ea8841-3abb-4312-9bcb-7fe797cbea4f
[4] http://press.careerbuilder.com/2017-08-24-Living-Paycheck-to-Paycheck-is-a-Way-of-Life-for-Majority-of-U-S-Workers-According-to-New-CareerBuilder-Survey
[5] https://www.bankrate.com/banking/savings/financial-security-january-2019/
[6] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/shutdown-in-den-usa-geht-weiter?id=29b90bf7-7f54-49fe-8bf5-9e95e5bfcb0b
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