«Tagesschau»-Beitrag «Radikaler Konvertit» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 1. Januar 2019 beanstandeten Sie die Schlagzeile «radikaler Konvertit» der «Tagesschau» vom 31. Dezember 2018 und den Beitrag «Marokko: Verdächtiger Schweizer der Polizei bekannt».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Alles Gute im neuen Jahr, mit der Bitte und in der Hoffnung, dass die Berichterstattung von SRF ehrlicher und nicht noch falscher wird.
Konkretes Beispiel: Tagesschau 19:30 vom 31. Dez. 2018. Marokko: Verdächtiger Schweizer der Polizei bekannt: "Die Festnahme des Schweizers steht im Zusammenhang mit der Ermordung zweier skandinavischer Rucksacktouristinnen. Der 25-jährige war in der Schweiz bereits polizeilich bekannt."
Das SRF betreibt mit seiner Berichterstattung Rassismus und Denunziation gegen die eigenen Schweizer Staatsbürger. Wenn Nationalitäten genannt sein sollen, dann bitte ehrlich. Und wenn es sich um einen dem IS angeschlossen und in Marokko lebenden Schweizer Doppelbürger handelt, dann ist es nicht nur ein Schweizer, sondern ein
in Marokko lebender Marokkanisch-/Schweizerischer Doppelbürger. Punkt.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» äusserte sich Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter:
«Mit Mail vom 1. Januar hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau vom 31. Dezember 2018 eingereicht. Konkret geht es um Aussagen zur Person, zur Staatsbürgerschaft und zum Hintergrund des in Marokko im Zusammenhang mit einem Terrorakt verhafteten Mannes.
Die Redaktion nimmt dazu wie folgt Stellung:
Bereits in den Schlagzeilen zu Beginn der Sendung ist die Rede von einem ‘radikalen Konvertiten’. Es wird von einem ‘Schweizer, der der Polizei bekannt ist’, gesprochen. In einer Schlagzeile von 8 Sekunden können nicht alle Einzelheiten verpackt werden. Die wichtigen und neuen Elemente sind drin: Der Mann ist radikal und ist zum Islam konvertiert, hat die Schweizer Staatsbürgerschaft und ist der Polizei nicht unbekannt.
In der Moderation zum Beitrag (ab 05:34) wird im ersten Satz gesagt, der in Marokko Festgenommene sei Schweizer, was er in Tat und Wahrheit auch ist. Bereits im zweiten Satz wird die schweizerisch-spanische Doppelbürgerschaft erwähnt.
In der ersten Sequenz des Beitrages wird die Person des Festgenommenen weiter beschrieben; er sei 2011 zum Islam konvertiert und habe sich ‘Abdallah’ genannt. Zusammen mit den Bildern aus seinem Facebook-Eintrag wird der islamistische Hintergrund des Festgenommenen für das Publikum klar ersichtlich. Im Text wird weiter ausgeführt, dass er dem islamistischen Milieu im Umfeld einer Moschee in Genf zugerechnet wird, mit Verbindungen zur Terror-Organisation Islamischer Staat.
Die Sprecherin des Bundesamtes für Polizei fügt weitere Informationen an: So sei der Festgenommene in der Vergangenheit (vor seiner Ausreise aus der Schweiz) wegen krimineller Delikte der Polizei bekannt gewesen. Der Mann habe die Schweiz 2015 in Richtung Marokko verlassen. Die Schweizer Staatsbürgerschaft ist davon nicht betroffen; diese wurde ihm weder aberkannt, noch hat der Festgenommene darauf verzichtet.
Am Schluss des Beitrages werden noch die konkreten Vorwürfe der marokkanischen Behörden gegen den Festgenommenen erwähnt; dieser habe in der Logistik und der Vorbereitung der Ermordung zweier skandinavischer Touristinnen eine wesentliche Rolle gespielt.
Fazit
Die Tagesschau hat sachgerecht über den in Marokko festgenommenen schweizerisch-spanischen Doppelbürger berichtet. Sie hat die Doppelbürgerschaft und den islamistischen Hintergrund (radikaler Konvertit) nicht verschwiegen; im Gegenteil – die Verbindungen des Festgenommenen zu radikalen Ansichten und Terrorgruppen wurden früh im Beitrag offengelegt und immer wieder erwähnt.
Das Publikum konnte sich ein klares Bild zur Person des Festgenommenen und zu dessen Verwicklung in die islamistische Terrorszene machen. Die Tagesschau lehnt den Vorwurf, mit der Berichterstattung ‘Rassismus und Denunziation gegen die eigenen Schweizer Staatsbürger’ betrieben zu haben ab. Die Tagesschau hat die doppelte Nationalität des Festgenommen richtig genannt.
Ich beantrage, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Nehmen wir einmal an, der in Marokko Verhaftete wäre einfach ein zum Islam konvertierter, islamistischer Spanier gewesen, und man hätte ihm das Gleiche vorgeworfen, nämlich logistisch an der Ermordung zweier skandinavischer Touristinnen beteiligt gewesen zu sein: Die «Tagesschau» von Fernsehen SRF hätte darüber bestimmt nicht berichtet. Es werden täglich irgendwo in der Welt irgendwelche Menschen verhaftet, die verdächtigt werden, zu einem Mord beigetragen zu haben. Die «Tagesschau» berichtet nicht darüber, weil das gar nicht möglich und für das Publikum auch nicht relevant ist. Relevant war der Fall nur, weil der Verhaftete Schweizer ist und aus Genf stammt. Es war daher richtig von der «Tagesschau», zuerst vor allem zu betonen, dass es sich um einen Schweizer handelt. Die Doppelbürgerschaft wird später hinzugefügt, wie alles andere auch. Die Berichterstattung war absolut korrekt.
Wenn Sie der «Tagesschau» vorwerfen, sie würde mit der Art ihrer Berichterstattung «Rassismus und Denunziation gegen die eigenen Schweizer Staatsbürger» betreiben, dann unterstellen Sie, dass Schweizer, allein weil sie Schweizer sind, nie zum Islam konvertieren, sich nie islamistisch radikalisieren und nie zu einem Mord beitragen würden. Wie aber kommt es, dass die Schweizer Gerichte immer wieder auch Schweizer zu Gefängnisstrafen verurteilen? Der Vorwurf, den Sie der «Tagesschau» machen, fällt auf Sie zurück. Ihre Beanstandung kann ich nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-31-12-2018-1930?id=85ad1fd7-87df-4749-acd8-70dda33c1fd6
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