«RTS Revue avec …» Yacine Nemra
Komiker zu sein bei RTS, bringt mir so einiges. Vor allem, dass ich mich tagtäglich auf den sozialen Medien beschimpfen lasse. Äusserst liebenswert. Und: Ich habe hier mein soziologisches Profil entdeckt. Demnach bin ich ein junger, gut erzogener Städter mit liberalen Ideen, oder – wie die Leser von LesObservateurs.ch es ausdrücken: «Ein naiver Dummkopf mit Linksdrall.»
Wenn Sie sehr rechts stehen oder einer der feurigen Verfechter der No-Billag-Initiative sind, glauben Sie, dass jeder Angestellte der SRG SSR diesem Profil entspricht und die Schweiz mit ihren Traditionen auf dem Altar des Sozialismus verbrennen will. Das ist falsch. Ich muss Ihnen nämlich etwas Furchtbares gestehen: Bis vor kurzem habe ich unser geliebtes öffentliches Radio und TV weder gehört noch geschaut. Für mich war RTS der Fanclub von Alain Morisod und sein Publikum so alt, dass es wieder Windeln trägt; oder die nationalen Stelldichein wie der Musikantenstadl – der lebendige Beweis dafür, dass ein simpler Röstigraben sehr breit sein kann. Kurz: Schweizer Fernsehen und Radio – das war altmodisch.
Aber dann läutete die Stunde der Revolte! Und die kam vom Internet – Sie wissen schon: dieses Zeugs, wo man Katzen- Videos findet, Porno, Fotos von Füssen am Strand und eben Porno. Tatsächlich gibt es auf RTS seit 2017 die Site «Tataki» , von der man zusammenfassend sagen kann, sie sei «Brut oder Konbini – aber auf schweizerisch».
Ich will euch «Swisscred» genauer vorstellen, die Leuchtturm-Sendung, mit Argumenten von alten Reaktionären. Es handelt sich dabei um ein Spiel, bei dem sich jede Folge um eine Stadt in der Westschweiz dreht. Das Ziel? Zur «besten Stadt der Romandie» gekürt zu werden. Um das zu erreichen, muss ein Einheimischer dem Moderator Sacha Porchet ein lokales Street Foodgericht und eine typische Aktivität des Orts feilbieten, um ihn zu überzeugen. Weitere Punkte gewinnt man mit Antworten auf Fragen zur allgemeinen Kultur. Schliesslich erhält eine Stadt jedes Mal einen Punkt, wenn ihr Video geteilt wird. Das alles basiert auf einer ultradynamischen «Kikoolol»-Montage bestehend aus Gifs, Youtube-Videos und Referenzen aus der Geschichte der Popkultur, um zu zeigen «WOW – RTS IST MEGA HIPP – SO MILLENNIAL BABY». So altmodisch ich RTS zuvor fand, so sehr ist das jetzt eine Überdosis von «SCHAUT HER, WIE COOL WIR SIND». Da wird die Westschweiz zu einem Clip von Wu-Tang. Alle Jugendlichen, die ihre Städte präsentieren – SOGAR JENE IN BULLE –, tragen eine Jogginghose und eine Baseballmütze und sprechen, als hausten sie in einem Treppenhaus in Seine- Saint-Denis. In 16 Sendungen kommen gerade mal vier Mädchen vor, was statistisch mit der saudischen Autoflotte vergleichbar ist. Die lokale Nahrung ist ultralokal: Kebab, Burger – Burger, Kebab. Wenn jemand, der noch nie einen Fuss in die Schweiz gesetzt hat, dieses Programm schaut, glaubt er, wir alle seien übergewichtige Rapper. Man hat auch Anrecht auf typische Folklore-Vorführungen der präsentierten Orte, wie breakdancend FIFA oder Basketball spielen. Mit mehr Folgen hätte man noch zahlreiche weitere lokale Praktiken wie Superbowl schauen können. Indessen, paradoxerweise und nach 16 Episoden Beobachtung von Globalisierungs-Verwüstungen, lautet der Schlusssatz des Siegers aus Bulle: «Fuck Frankreich, fuck Amerika – es lebe die Schweiz.» Hut ab!
Gut, im Nachhinein muss ich gestehen, dass ich vor allem wütend bin, weil Lausanne auf dem elften Platz landete. Also, macht eine zweite Ausgabe, damit wir nochmals eine Chance haben! Und lasst mich meine Stadt repräsentieren – umso mehr, weil ich weiss, wo es super Durum gibt. Überhaupt nicht teuer.
Yacine Nemra, RTS-Comedian
In der LINK-Kolumne «RTS Revue avec ...» geben fünf junge RTS-Comedians ihren persönlichen «Senf» zum RTS-Programm. Mit mehr als nur einer Prise Humor.
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