«Arena»-Folge «Kaltherzige Schweiz?» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 14. Januar 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Arena» (Fernsehen SRF) vom 11. Januar 2019 («Kaltherzige Schweiz?»).[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Ich möchte mich hierbei über die Arena Sendung vom 11. Januar beschweren. Das Thema (steigende Sozialhilfekosten) ist enorm wichtig und sollte in der Tat vertieft und analytisch betrachtet werden. Leider wurde nichts aus all dem. Die Arena Sendung hat wieder einmal versucht anhand eines Einzelschicksals auf die Tränendrüsen der Zuschauer zu drücken anstatt eine relevante Diskussion zu fördern. Nirgends gingen die Gesprächsteilnehmer vertieft in die Probleme ein (Zuwanderung ins Sozialwesen, Scheinasylanten, Scheidungen, etc. etc.), zumal sie es durch die grosse Anzahl Gesprächsteilnehmer und den schlechten Moderationsstil gar nicht konnten.
Wenn ich mich an die Zeit in den 90-Jahren zurückerinnere, als man noch starke Persönlichkeiten in der Arena gegeneinander antreten liess (z.B. Blocher gegen Bodenmann), da konnte sich jeder ein Bild und eine Meinung machen. Vertiefte Diskussionen waren das Resultat, harte Schlagabtäusche auch, aber man erhielt als Zuschauer ein gutes Gesamtbild der Thematik. Das können sie heute vergessen. Vielleicht sollte man den Moderator hier mal auswechseln und für etwas frischen Wind sorgen.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Arena» antwortete deren Teamleiterin, Frau Franziska Egli:
«In seinem Schreiben vom 14. Januar beanstandet Herr X die Sendung vom 11. Januar 2019 ‘Kaltherzige Schweiz?’.
Insbesondere kritisiert er einerseits die Einladung von Frau Eveline Brown. Andererseits bemängelt er, dass die Thematik nicht vertieft und analytisch genug betrachtet und die Debatte zudem von einem schlechten Moderationsstil geprägt gewesen sei. Gerne nehme ich dazu Stellung.
Anlass für die Sendung vom 11. Januar war unter anderem eine Studie, die im Auftrag der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS gemacht wurde. Diese kommt zum Schluss, dass Sozialhilfe heute eher zu tief berechnet sei. Die politischen Meinungen gehen diesbezüglich natürlich auseinander. Aber unabhängig davon, ob man dies nun als richtig oder falsch betrachtet, gibt es in der Schweiz zahlreiche Menschen, die von Sozialhilfe leben. Über Sozialhilfe-Empfänger zu sprechen, ohne dass eine betroffene Person anwesend ist, scheint uns jedoch in keinem Fall richtig. Deshalb hat die Redaktion entschieden, Frau Eveline Brown in die Sendung einzuladen.
Frau Brown war unseres Erachtens sehr gut als Diskussionsteilnehmerin geeignet, da sie die Sicht als Betroffene in die Debatte einbringen konnte. Sie ist selbst nach einer Scheidung zur Sozialhilfeempfängerin geworden - also aus einem jener Gründe, die Herr X in der Diskussion offenbar dennoch vermisst hat. Natürlich ist Frau Brown nicht repräsentativ für sämtliche Sozialhilfeempfänger/innen der Schweiz – diesem Anspruch kann die Redaktion mit der Einladung einer Einzelperson auch keinesfalls gerecht werden – und selbstverständlich gibt es auch Menschen, die Sozialhilfe missbrauchen. Ziel der Einladung von Frau Brown war jedoch keineswegs <auf die Tränendrüsen der Zuschauer zu drücken>, sondern vielmehr die Lebensrealität einer alleinstehenden Frau mit zwei Kindern, die von Sozialhilfe abhängig ist, in die Sendung einzubringen.
Der hingegen – selbstverständlich mindestens ebenso relevante – missbräuchliche Bezug von Sozialhilfe wurde sowohl im Gespräch mit Frau Brown als auch von Herrn Matthias Müller, Vizepräsident der Jungfreisinnigen, wie auch vom Herrn Nationalrat Thomas Müller in die Debatte eingebracht. Darüber hinaus hatte dieser Aspekt und dessen Vertiefung durchaus Platz in der Sendung, etwa als Frau Bircher, Gemeindepräsidentin von Aarburg und SVP-Kantonsrätin, die Missbrauchsthematik thematisierte. Auch der von Herrn X angesprochenen Problematik der steigenden Kosten der Sozialhilfe, insbesondere für die Gemeinden, wurde Rechnung getragen: So ist Thomas Müller nicht nur Nationalrat der SVP, sondern auch Stadtpräsident von Rorschach. Und auch Monika Bircher als Präsidentin der Gemeinde Aarburg brachte die finanzielle Belastung ihrer Gemeinde durch die steigenden Sozialhilfekosten in die Sendung mit ein. Ebenso hat auch der Vizepräsident der Jungfreisinnigen, Herr Matthias Müller, diesen Umstand mehrmals angesprochen.
Das Thema Sozialhilfe umfasst viele Facetten. Aktuell liegen einige kantonale Vorstösse auf dem Tisch. Diese Vorschläge – deren Absender vorwiegend SVP- und FDP-Politiker sind – und die damit verbundenen Hintergründe wurden in der ‘Arena’ ausgiebig diskutiert und vertieft. Es ist uns einerseits ein Anliegen, Themen so zu gewichten, dass das Publikum den grössten informativen Nutzen zur Meinungsbildung daraus ziehen kann. Andererseits sind wir auch immer um eine ausgewogene Diskussion bemüht. Da aber die Sendezeit begrenzt ist, können im Rahmen einer einzigen ‘Arena’ leider nicht immer alle Facetten eines Themenbereiches gleichermassen vertieft werden. In der besagten Sendung kamen jedoch verschiedene Aspekte zur Diskussion, die es den Zuschauerinnen und Zuschauern unseres Erachtens erlaubten, sich in Bezug auf diese Materie eine eigene Meinung zu bilden.
Ich bedaure es ausserordentlich, dass Herr X die heutige ‘Arena’, deren Moderator und die Gäste im Vergleich zu jener der 1990er Jahren nicht schätzt. Dass der Beanstander allerdings nicht genauer darauf eingeht, was konkret er am Stil des Moderators bemängelt, verunmöglicht es mir, an dieser Stelle ausführlicher dazu Stellung zu nehmen.
Aufgrund obiger Ausführungen bitte ich Sie die Beanstandung von Herrn X zur ‘Arena’ vom 11. Januar, ‘Kaltherzige Schweiz?’ nicht zu unterstützen.
Für Nachfragen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Der Mensch neigt dazu, Erfahrungen, die er vor mehreren Jahrzehnten gemacht hat und die nicht gerade traumatisch waren, zu verklären. So scheint es auch Ihnen zu ergehen, wenn Sie von der «Arena» unter der Leitung von Filippo Leutenegger schwärmen, bei der oft die Nationalräte Christoph Blocher (SVP), Franz Steinegger (FDP) und Peter Bodenmann (SP) im Ring standen, die überdies gleichzeitig die faktischen oder heimlichen nationalen Präsidenten ihrer Parteien waren. Diese «Arena» war immer lebendig, zweifellos, aber nicht unbedingt lösungsorientiert, denn gerade Christoph Blocher und Peter Bodenmann pflegten noch und noch die gleichen Aussagen zu variieren, ohne sich stark darum zu kümmern, was die Gegenseite sagte. Außerdem gab es keine redaktionellen erklärenden Einspieler wie heute.
In der «Arena» vom 11. Januar 2019 zur Sozialhilfe gab es vier erklärende und versachlichende Einspieler. Die teilnehmenden Politiker – Nationalrat und Stadtpräsident Thomas Müller (SVP), Jungfreisinnigen-Vizepräsident Matthias Müller (FDP), Nationalrätin Mattea Meyer (SP) und die Aarburger Gemeinderätin Martina Bircher (SVP) - hatten eine Ahnung vom Thema, die Praktiker Felix Wollfers (SKOS-Co-Präsident) und Andreas Frey (Sozialhilfe-Leiter von Aarau) kannten die konkreten Probleme, und die Professoren Ueli Mäder (emeritierter Ordinarius für Soziologie an der Universität Basel) sowie Christoph Schaltegger (Professor für Volkswirtschaft an der Universität Luzern) hatten sich wissenschaftlich mit dem Thema befasst. Dass mit Eveline Brown auch eine Betroffene in der Sendung war, rundete den Erfahrungshorizont ab. Ich halte es für wichtig, dass in Diskussionssendungen nicht nur «Anwälte» eines Themas auftreten, sondern auch Direktbetroffene. Dass die Redaktion mit dem insgesamt kurzen Auftritt von Eveline Brown «auf die Tränendrüsen der Zuschauer» drücken wollte, wie Sie es darstellen, habe ich überhaupt nicht so empfunden. Das Thema wurde breit diskutiert, es traten durchaus Differenzierungen zutage, wobei klar ist, dass eine Diskussionssendung nie den gleichen analytischen Tiefgang haben kann wie eine Informationssendung, die den Hintergrund ausleuchtet.
Bleibt noch Ihre Kritik an Moderator Jonas Projer. Er leitete die Sendung unparteiisch und souverän. Das einzige, was ihm misslang, war die Abarbeitung aller Unterthemen: Gegen Schluss kam er in Zeitnot, und es stimmt: Die Belastung des Sozialsystems durch Migranten kam nur am Rande zur Sprache. Ihr Vorschlag, den Moderator mal auszuwechseln, fällt nicht in den Aufgabenbereich des Ombudsmanns. Wie Sie ja sicher wissen, hat Jonas Projer entschieden, Fernsehen SRF im Herbst zu verlassen. Wer auch immer sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin sein wird, der Stil wird wieder etwas anders sein. Vielleicht werden Sie dann Jonas Projer vermissen.
Per Saldo kann ich Ihrer Kritik, dass das Publikum kein Gesamtbild der Thematik erhielt, nicht zustimmen. Das Bundesgericht stellt an Diskussionssendungen in Bezug auf die Sachgerechtigkeit nicht die gleich hohen Anforderungen wie an Informationssendungen. Vor diesem Hintergrund war die Sendung absolut sachgerecht. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
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