«Rundschau»-Beitrag «Gemeinde in Aufruhr: Wenn der Priester Knabenfüsse massiert» (I)
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Mit Ihrer E-Mail vom 17. Januar 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Rundschau» vom 16. Januar 2019 und dort den Beitrag «Gemeinde in Aufruhr: Wenn der Priester Knabenfüsse massiert».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Das Bild das im Beitrag ‘Priester massiert Knabenfüss’» von der Kirchgemeinde Riehen gezeichnet wurde hat mich als Atheisten schockiert. Trotz farbiger Bilder wurde praktisch nur schwarzgemalt und skandalisiert. Als Kronzeuge wurde dem Psychiater Hegner dreimal das Wort überlassen. (Inkl. Schlusswort) Diesem Wortgewaltigen Mann wurden einfache Leute ohne entsprechende Fähigkeiten gegenübergestellt. Bzw. zur Schau gestellt. Zur Show gerieten auch die Interviews vor der Kirche. Der Reporter provozierte dermassen, dass für mich nur der Schluss übrigbleibt ‘Ein Skandal muss her’.
Vergeblich habe ich nach den Reisszähnen dieses aggressiven Journalisten gesucht.
Mein Fazit: Dieser Beitrag war nicht ausgewogen. Teilweise sogar beleidigend. Das pure Gegenteil zur nachfolgen Homestory ‘Rahmenabkommen’.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Rundschau» äußerte sich deren Redaktionsleiter, Herr Mario Poletti:
«Gerne nehmen wir Stellung zur Beanstandung von Herrn X. <Ein Skandal muss her>, unterstellt uns der Beanstander. Das weisen wir entschieden zurück.
Zum Beitrag: Der Priester Stefan Küng stellte sich in Riehen zur Pfarrwahl. Er war 2012 verurteilt worden wegen des Straftatbestandes ‘sexuelle Handlungen mit Kindern’. Küng liess die Gemeindemitglieder im Glauben, er habe damals Jugendlichen nur die Füsse massiert. An der Pfarrgemeindeversammlung bekräftigten Priester Stefan Küng und auch der Präsident der Pfarrwahlkommission, Rechtsanwalt Stefan Suter, es sei um Fussmassagen gegangen und um nichts anderes.
Die ‘Rundschau’ forderte per Öffentlichkeitsgesetz den Strafbefehl an und stellte fest, dass Küng neben den Fussmassagen bei einem 15-Jährigen weitergegangen war. In der Folge haben wir am Sonntag vor dem Gottesdienst die Kirchgänger mit dem Strafbefehl konfrontiert – und dokumentiert, dass eine Mehrheit der Gläubigen gar nichts von den pädophilen Handlungen wissen will, für die der Priester damals einen Strafbefehl erhielt. Einige sagten auch, dass sie den Justizbehörden nicht über den Weg trauen.
Selbstverständlich ist es legitim, wenn die Medien bei einer Pfarrwahl genau hinschauen. Der Pfarrer beansprucht als Hirte und spiritueller Betreuer der Gemeinde eine verantwortungsvolle Führungsaufgabe, und er steht damit auch im Fokus der Öffentlichkeit. Wenn sich nun ein Priester zur Wahl stellt, der in der Vergangenheit wegen einer pädophilen Straftat verurteilt wurde, dann hat die Kirchgemeinde und damit die Öffentlichkeit ein Anrecht auf offene Information.
Die Katholische Kirche hat jahrzehntelang systematisch sexuelle Verbrechen an Kindern und Jugendlichen begangen. Bischöfe und Kardinäle vertuschten die Gräueltaten in der Regel, schützten die kriminellen Ordensmänner vor der weltlichen Justiz und versetzten sie in andere Pfarreien, wo sie nicht selten erneut Übergriffe begingen. Die Kirchenverantwortlichen sagen heute, ein Umdenken habe eingesetzt, es gelte die ‘Null-Toleranz-Regel’. Darum hat auch Bischof Gmür im Nachgang zur Berichterstattung im Fall Riehen zu einer Pressekonferenz einberufen. Er erklärte, dass er dem Priester klar gesagt habe, er müsse die Gemeinde transparent informieren. Das habe dieser nicht getan, und damit habe er gegen seine Auflagen verstossen. Ihm selbst, dem Bischof, seien allerdings die Hände gebunden gewesen. Weiter sagte er an der Pressekonferenz: <Es ist gut, dass die Medien alles an die Öffentlichkeit gebracht haben.> Anzufügen ist, dass das ‘Fachgremium sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld’ zuhanden der Bischofskonferenz einen klaren Antrag stellt. Inskünftig sollen Personen, die im Kirchendienst arbeiten, bei jeder Neuanstellung einen Auszug aus dem Strafregister vorlegen.
Selbstverständlich sind im Beitrag Befürworter und Gegner des Priesters zu Wort gekommen, ebenso der Sprecher des Bischofs, auch die Gutachten wurden erwähnt. Der pensionierte Psychiater Bernhard Hegner hat den Kopf nicht in den Sand gesteckt, sondern Unterschriften gegen Küngs Kandidatur gesammelt. Selbstverständlich ist auch legitim, Bernhard Hegner und seine basisdemokratische Aktivität zu dokumentieren.
Die Kritik des Beanstanders, wir hätten dem ‘wortgewaltigen Mann’ nur ‘einfache Leute’ entgegengesetzt, weisen wir zurück. Der Bischofssprecher tritt auf und der Präsident der Pfarrwahlkommission, Rechtsanwalt Stefan Suter, lässt sich mit einem Zitat verlauten. Wir bedauern, dass Rechtsanwalt Suter, der Priester und auch der Bischof selbst unsere Einladung zum Interview nicht angenommen haben.
Die Befragung der Kirchgänger war keine ‘Show’, sondern eine offene Befragung der Glaubensgemeinschaft, die mehrheitlich zu ihrem Priester gestanden ist. Wenn jemand angriffig agierte, dann waren das eine Kirchgängerin und der Sakristan, die dem Reporter den Strafbefehl aus den Händen rissen. Die Kirche ist ein Ort der Begegnung, der Vorplatz ein öffentlicher Bereich. Der Journalist hat höflich gefragt und erntete eine geballte Ladung Zorn. Der Sakristan erhält seinen Lohn von der Kirchgemeinde wohl nicht, um unliebsame Fragensteller vom Platz zu jagen. Wir haben die kurze Szene gezeigt, um zu verdeutlichen, wie unerwünscht kritische Fragen sind, wie vehement die Person des Priesters verteidigt wird.
Fazit:
Die ‘Rundschau’ hat ein hochemotionales Thema angepackt und in der Gemeinde Riehen Befürworter und Gegner des Priesters zu Wort kommen lassen. Der Konflikt wurde transparent herausgearbeitet, Fakten wahrheitsgetreu abgebildet. Das Publikum konnte sich jederzeit eine eigene Meinung bilden. Darum sind wir überzeugt, sachgerecht berichtet zu haben. In diesem Sinne bitten wir Sie, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzuweisen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Die Pfarrei St. Franziskus in Riehen ist zuständig für 3505 römisch-katholische Gläubige in Riehen und Bettingen, den beiden Landgemeinden des Kantons Basel-Stadt. Das ist nicht nichts, obwohl die Katholiken in Riehen und Bettingen, zwei über Jahrhunderten reformierten Dörfern, in der Minderheit sind. Heute sind allerdings alle Religionen Minderheiten:
Religionszugehörigkeiten in Riehen und Bettingen (BS)[2]
Religionen | absolut | In Prozent |
Evangelisch-Reformierte | 4’726 | 25,9 |
Römisch-Katholische | 3’505 | 19,1 |
Andere Christen | 1’246 | 6,8 |
Muslime | 392 | 2,1 |
Andere nicht-christliche Religionen | 286 | 1,6 |
Konfessionslose | 7’918 | 43,3 |
Keine Angabe | 221 | 1,2 |
Zusammen | 18’295 | 100,0 |
Diese über 3000 Katholiken von Riehen und Bettingen standen Anfang 2019 vor der Frage, ob sie Stefan Küng als neuen Pfarrer berufen sollten. Weil 136 Pfarreimitglieder es per Unterschrift verlangten, sollte der Entscheid in einer geheimen Urnenabstimmung fallen. Der vom Psychiater Bernhard Hegner angeführte Widerstand war entstanden, weil gegen den Kandidaten Vorbehalte wegen eines früheren Vorfalls sexuellen Missbrauchs mit Minderjährigen im Raum standen.
Geht ein solcher kircheninterner Vorgang die Medien etwas an? Haben sie eine Wahl von lokaler Bedeutung überregional aufgebauscht und damit die Privatsphäre eines Priesters vor der gesamtschweizerischen Öffentlichkeit verletzt? War die «Rundschau» zu Recht oder zu Unrecht in Riehen vor Ort?
Sehen wir uns doch zunächst einmal die Fakten an: Die Katholische Kirche hat sich lange geweigert, den tausendfachen und weltweiten sexuellen Missbrauch durch Priester aufzuklären und zu ahnden. Sie hat die Opfer sich selbst überlassen und sich nicht bei ihnen entschuldigt. Erst in letzter Zeit kam die Wende, dank der Vorarbeit durch Papst Benedikt XVI. und den entschlossenen Handlungsanweisungen von Papst Franziskus I. Jedenfalls ist der sexuelle Missbrauch in der Katholischen Kirche weltweit ein Thema von hoher öffentlicher Relevanz.
Der von der Riehener Pfarrwahlkommission für das Pfarramt vorgeschlagene Stefan Küng war früher Pfarrer im Thurgau und dann im Aargau tätig. Die Medien haben schon berichtet, als er 2010 in Untersuchungshaft genommen wurde und als es 2012 einen Strafbefehl gegen ihn. Es gab also schon länger eine schweizweite Aufmerksamkeit für ihn. Die Printmedien berichteten auch jetzt wieder breit.[3]
Der in Solothurn sitzende Bischof von Basel, Felix Gmür, liess die Eignung von Stefan Küng für das Pfarramt in Riehen durch vier Gutachten abklären. Diese kamen zum Schluss, dass der Bischof ihn ernennen könne, allerdings unter Ausschluss der Jugendarbeit. In der Folge haben aber weder der Bischof noch die Pfarrwahlkommission noch Stefan Küng mit offenen Karten gespielt: Die Vorfälle von damals wurden kleingeredet als «blosse Fußmassage». Was wirklich vorgefallen war, wurde vertuscht. Das heißt: Die Riehener und Bettinger Gläubigen und die Öffentlichkeit wurden angelogen. Es ging daher nicht mehr um die Frage, ob ein verurteilter Priester eine zweite Chance erhalten soll, sondern um die Frage, ob alle Fakten auf den Tisch gelegt wurden.
Genau dies rief die Medien auf den Plan. Sie übten zu Recht ihre Kritik- und Kontrollfunktion aus, die auch gegenüber der Kirche gilt. Die Katholiken in Riehen, die von der «Rundschau» vor und nach der Informationsveranstaltung und vor dem sonntäglichen Gottesdienst zum Fall befragt wurden, empfanden die Medieneinmischung als extrem störend. Das ist aber die Funktion der Medien in der Demokratie: Sie müssen stören.
Die «Rundschau» hat diese Funktion nach bestem Wissen und Gewissen wahrgenommen. Sie hat die Gläubigen befragt. Sie hat die Position der Pfarrwahlkommission und des Bistums gespiegelt (wobei Bischofssprecher Hansruedi Huber einen denkbar schwachen Auftritt hinlegte). Sie hat mit dem Anführer der Opposition gesprochen und auch einen Disput zwischen ihm und einem Küng-Anhänger wiedergegeben. Sie wollte auch mit dem Kandidaten sprechen, der sich aber weigerte. Sie hat den – anonymisierten – Strafbefehl von 2012 gezeigt. Sie hat die Riehener Geschichte in einen gesamtkatholischen Rahmen gestellt. Sie hat nichts falsch gemacht. Der Beitrag war in keiner Weise unausgewogen und beleidigend. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/priester-massiert-knabenfuesse-rahmenabkommen-theke-corrado-pardini-omas-gegen-rechts?id=2d3f3f39-3e30-4650-898b-c1676208900b
[2] https://www.statistik.bs.ch/zahlen/tabellen/1-bevoelkerung/religionszugehoerigkeit.html
[3] http://www.news.ch/Strafuntersuchung+gegen+Thurgauer+Pfarrer/433286/detail.htm
http://www.onlinereports.ch/News.117+M51339d77862.0.html
https://www.nzz.ch/schweiz/riehen-affaere-um-uebergriffen-priester-bringt-bischof-in-noete-ld.145241
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