«Tagesschau»-Beitrag über die Parteilage der SVP und der CVP beanstandet (II)

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Mit Ihrer E-Mail vom 27. Januar 2019 beanstandeten Sie die «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom 26. Januar 2019 und dort den Beitrag «Die SVP verschärft ihr Profil im Wahljahr 2019».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Da es sich bei SRF um einen Monopolbetrieb handelt stehen die Chancen einer eingereichten Beanstandung, hinsichtlich Beachtung geschweige denn Beantwortung dieser, nicht gerade gut. Um jedoch meinen Gedanken Ausdruck zu verleihen versuche ich es trotzdem.

Begründung der Beanstandung

Als Auslandschweizer, und in den USA lebend, bin ich mir einiges gewohnt in Sachen Berichterstattung. Die Tagesschau vom 26. 1. 2019 um 7.30 Uhr mit dem Bericht über den Parteitag der SVP bedarf einer Beanstandung. In diesem gibt u.a. Erwin Schmid folgendes zur Kenntnis des Fernsehpublikums:

<Mit Patriotismus und scharfer Rethorik gegen Ausländer und gegen die EU so will die SVP ihren Wähleranteil halten> . Liegt noch im Erträglichen, der folgende Satz jedoch sicher nicht mehr: <Die SVP steht unter Druck. Sie verliert in den Kantonen und in den Umfragen, nun reagiert sie nicht mit neuen Themen sondern mit einem wieder verschärften Tonfall, inklusive Poltern, Diffamieren, populistischer Rethorik gegen Ausländer und gegen Europa>.

Ich bin kein regulärer SRF Kunde, bezweifle jedoch denselben rüden Umgang mit den anderen Parteien in der Schweiz. Die Abneigung von Schmid, oder möglicherweise könnte es auch Missgunst sein, bezeugt er durch diskriminierendes wenn nicht gar indoktrinierendes Gedankengut und versucht somit eine Meinungsbildung des Zuschauers auszublenden. Dieser Teil der Tagesschau hatte mit einer fairen Berichterstattung nichts zu tun. Als Parteiloser entzieht es sich meiner Erkenntnis und bleibe dahingestellt ob dies Partei in Umfragen verliert oder nicht. Gehört jedoch nicht zur Raportierung. Kurz: Poltern, Diffamieren und populistische Rethorik, der Vorwurf an die SVP, ist das was Schmid selber von sich gibt. Auch, wie mir scheint, braucht er etwas Nachhilfe in Geographie, denn die EU ist nicht Europa.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» äusserte sich Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter der Sendung:

«Mit Mail vom 27. Januar 2019 hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau vom 26. Januar eingereicht. Es geht um die Berichterstattung über die Delegiertenversammlung der SVP. [2]

Das Parteiprogramm, das an der DV in Gossau/SG verabschiedet wurde, steht unter dem Titel ‘für eine freie und sichere Schweiz’. Alle Referate standen unter diesem Fokus. Es ist daher sachgerecht, den Fokus des Beitrages ebenfalls so zu wählen. Die SVP will mit diesem Fokus ihr Profil schärfen, wie es in der Moderation einleitend heisst. Diese Betonung dieser Themen war nicht selbstverständlich, gab es doch im letzten Jahr parteiintern auch Stimmen, welche eine thematisch breitere Aufstellung der Partei angemahnt hatten.

Die Tatsache, dass die SVP wieder vermehrt auf die Kernkompetenzen in den Bereichen Heimat, gegen EU, Sicherheit und Migration setzt, wird allein schon durch die Titel der Referate bestätigt: ‘Schweizer Werte, Heimat und Identität stärken’ (Präsident Albert Rösti), ‘Für eine freie und sichere Schweiz’ (Nationalrat Peter Keller), ‘Zuwanderung begrenzen – Asylmissbrauch stoppen, Damit die Schweiz Schweiz bleibt’ (Nationalrat Andreas Glarner), ‘Schweiz schützen – EU-Anbindung verhindern’ (Nationalrat Roger Köppel). Auch die Delegierten, die zu Beginn des Beitrages zu Wort kommen, äussern den Wunsch nach klaren Positionen in der EU- und Migrationsfrage. Die Redeausschnitte gemäss Text wie auch gemäss vorgetragener Rede (Video-Rohmaterial auf dem beigelegten Stick) belegen den klaren Stil einer konfrontativen SVP-Politik.

Nationalrat Andreas Glarner bezeichnet Schulleiter und Schulpfleger als in der Mehrheit als ‘links-grün-alternativ und nett agierend’. Und weiter: <Mulitkulturell ist inzwischen mit multikriminell gleichzusetzen.> Im Zusammenhang mit Menschen muslimischen Glaubens sagt Andreas Glarner, dass sich die Schweiz mittlerweile immer mehr dem Islam anpassen würde (Wienerli aus Pouletfleisch, Cervelatverbot, keine Schulreisen oder Prüfungen während des Fastenmonats Ramadan). Und weiter: <Die Schweiz löst sich auf wie ein Stück Zucker im Wasser. Wer sich beispielsweise in Einkaufszentren umschaut, sieht kaum mehr einen Schweizer oder eine Schweizerin.> Nationalrat Andreas Glarner macht Migranten und Ausländer pauschal für die Kriminalität verantwortlich.

Abweichend vom schriftlichen Redetext verweist Nationalrat Andreas Glarner auf die Unicef; gemäss dieser internationalen Organisation werden in Afrika alle zwölf Tage 1 Million Menschen geboren. Die 1,5 Millionen Menschen, die Europa im Sommer 2015 aufgenommen habe, seien in 18 Tagen bereits wieder nachgeboren. Um weiterzufahren: <Stellen Sie sich vor, Europa würde heute in einem einmaligen, grosszügigen humanitären Akt 10 Millionen Afrikaner aufnehmen. Meine Damen und Herren, die wären am 26. Mai bereits wieder nachproduziert.> Die Delegierten lachen und applaudieren (Stick ab Beginn). Allein die Wortwahl ‘nachproduziert’ zeugt von einer gewissen Verachtung Menschen aus Afrika gegenüber. Die Tagesschau hat darauf verzichtet, diesen Teil der Rede zu senden.

Präsident Albert Rösti verwendete in seiner Rede pauschalisierende Formulierungen: <Auf meinen vielen Reisen durch die Schweiz bietet sich mir an grossen Bahnhöfen stets dasselbe Bild: Da hängen Alkohol trinkende Gruppen von Wirtschaftsmigranten in Designerklamotten herum. Menschen, die sich nicht integrieren lassen, die nicht wissen, was sie mit der Zeit anfangen sollen und die von Steuergeldern leben.> Nationalrat Roger Köppel äussert sich in seiner Rede (ebenfalls in Abweichung vom Redetext) abschätzig über EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er spielte mehrmals auf dessen kolportierte Alkoholprobleme an. Auf Nachfrage von SRF sagte Köppel im Interview: <Das ist eine klassische Beschreibung. Ich habe gesagt: Die Institution prägt den Menschen, und der Mensch prägt die Institution. Wir haben ja gesehen, Herr Juncker zuwei­len etwas schwankend unterwegs, verkörpert in dem Sinn auch diese Institution.> SRF hat diese Interviewpassage nicht ausgestrahlt; die Anspielung auf Gerüchte, wonach Jean-Claude Juncker Alkoholprobleme habe, hätten einer Entgegnung bedurft. Die Tagesschau strahlt keine allenfalls persönlichkeitsverletzende Aussagen aus, die diffamierend sind oder den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen könnten (Interview auf Stick, ab 0:51).

Das beigelegte SMD-Dossier unterstützt die Hauptaussagen des Tagesschau-Beitrages. Gegen Zuwanderung, gegen das EU-Rahmenabkommen, für eine eigenständige Schweiz mit ihren traditionellen Werten. Die Rhetorik an der Delegiertenversammlung kann der Programmatik rechtspopulistischer Bewegungen.[3] zugeordnet werden. Zentrale Mobilisierungsthemen rechtspopulistischer Partei­en seien meist die Ablehnung des politischen Establishments, ‘ neoliberale ’ wirtschafts­poli­tische Forderungen und eine rassistische, kulturalistische und/oder nationalistische Identi­täts­politik. ‘ Schweizer Werte Heimat und Identität stärken ’, so lautete der Titel der Rede von Albert Rösti an der Delegiertenversammlung in Gossau. In ihren Reden bezogen die beiden Nationalräte Andreas Glarner und Roger Köppel klare Positionen mit provozierenden Aussagen in ihren Kerngebieten Ausländer und EU. Ein Programmparteitag dient dazu, die Delegierten und letztlich die Mitglieder mit den Kernthemen des kommenden Wahlkampfes vertraut zu machen und sie zu motivieren. Im Zusammenhang mit den kommenden eidgenössischen Wahlen vom Herbst ist ein Hinweis auf aktuelle Umfragen und Wahlergebnisse in Kantonen und Gemeinden in der jüngsten Vergangenheit durchaus berechtigt.

Im In-Statement nimmt Bundeshausredaktor Erwin Schmid eine Einordnung vor. Die von ihm gewählten Worte <verschärfter Tonfall, inklusive Poltern, Diffamieren, populistische Rhetorik gegen Ausländer und gegen Europa> sind aufgrund der Redetexte und der ergänzenden Aussagen an der Delegiertenversammlung begründet. Dieses In-Statement ist für das Publikum klar als einordnende Stimme zu erkennen.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Die SVP wurde zwischen 1917 und 1919 als Milieu- und Interessenpartei der Bauern, Gewerbetreibenden und mittelständischen Bürger gegründet, und da sie sich sofort einreihte in die bürgerliche Abwehr gegen den sozialistischen Klassenkampf, stieg sie rasch zur Regierungspartei auf. Bereits 1929 erhielt sie einen Sitz im Bundesrat. Rund siebzig Jahre lang hielt sie einen Wähleranteil von etwa 10 Prozent. Dann trat Christoph Blocher auf den Plan und modelte die Partei um in eine nationalkonservative Gesinnungspartei, die zwar in den Kantonen und im Bund in den Regierungen sass, aber zunehmend Opposition betrieb gegen die bisherige Regierungspolitik und gegen die «Elite». Diese Oppositionsrolle führte zum Erfolg: Mit der Wende zum 21. Jahrhundert wurde die SVP zur stärksten Partei der Schweiz, 2003 beanspruchte sie einen zweiten Sitz im Bundesrat, den sie inzwischen auch unbestritten innehat. Ihren Rückhalt in der Bevölkerung hat sie aber nicht wegen ihrer Regierungsarbeit, sondern wegen ihrer radikalen Rhetorik und ihrer pausenlosen Appelle ans Volk mit Initiativen und Referenden vor allen in den Bereichen Migrationspolitik und Europapolitik. Mit dieser radikalen Rhetorik will sie jetzt den Wahlkampf in den eidgenössischen Wahlen vom Herbst 2019 bestreiten, und exakt darum ging es am Parteitag in Gossau und folglich auch im Bericht der «Tagesschau».

Es ist normal, dass ein «Tagesschau»-Bericht die Fakten referiert und diese Fakten dann auch einordnet. Die Worte, die Erwin Schmid dabei wählt, stützen sich auf die vorangegangenen Reden: Wie man in den Wald ruft, so tönt es heraus. Ich finde nicht, dass die «Tagesschau» damit den Boden der Fairness und der Sachgerechtigkeit verlassen hat.

Hingegen haben Sie Recht, dass Europäische Union (EU) und Europa nicht dasselbe sind. Es ist korrekt, von Europapolitik zu sprechen, wenn es um die Beziehungen der Schweiz zur EU, zur EFTA, zum Europarat oder zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geht. Aber es ist nicht korrekt, Europa zu sagen und die EU zu meinen. Hier sollten die Journalistinnen und Journalisten von SRF stärker differenzieren.

Alles in allem kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen. Die «Tagesschau» hat journalistisch korrekt berichtet. Die Wortwahl «Europa» statt «EU» ist ein Fehler in einem Nebenpunkt, der die freie Meinungsbildung des Publikums nicht beeinträchtigt. Es ergeht jedoch die Mahnung an die Redaktion, hier genauer zu sein.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-26-01-2019-1930-?id=f2dbdb73-8e45-401a-9b4e-c673956943df
(SVP ab 04:52, CVP ab 07:21)

[2] https://www.svp.ch/partei/publikationen/delegiertenversammlungen/delegiertenversammlung-26-januar-2019-in-gossau-sg/

[3] Herbert Kitschelt 1996: The Radical Right Wing in Western Europe

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