«Auf und davon. Schweizer Auswanderer und ihre Abenteuer» beanstandet (I)

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Mit Ihrer E-Mail vom 1. Februar 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Auf und davon» (Fernsehen SRF) vom 25. Januar 2019.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten. Leider mussten Sie über Gebühr lange auf diesen Schlussbericht warten, weil die Ombudsstelle zurzeit überlastet ist und die Beanstandungen sich stauen. Für die leichte Überschreitung der 40-Tage-Bearbeitungsfrist möchte ich mich daher entschuldigen. An Ihren Rechten ändert sich dadurch nichts: Die 30tägige Frist für eine allfällige Beschwerde vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) beginnt erst mit dem Tag, an dem dieser Schlussbericht in Ihrem Briefkasten liegt.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Mit Begeisterung schauten wir bisher Ihre Sendung. Immer wieder kamen wir ins Schmunzeln und Staunen, ab den einzelnen Charakteren, Familien und Geschichten. Als berufstätige Eltern von zwei kleinen Kindern, ist es für uns eine gemütliche ‘Freitagabendbeschäftigung’. Nun haben wir auch in diesem Jahr wieder zugeschaltet - als ‘Auf und davon’ gestartet ist. Gewundert haben wir uns schon ein wenig ab der Familie Tokay. Erst nur aufgrund derer Naivität danach eher darüber, wie das SRF auf die Idee kommt, einer solchen Familie eine derart grosse Plattform zu bieten.

In der 3./ 6 Sendung, vom 25.01.19, haben Sie die Vorbereitung und Durchführung des Herbstfestes ausgestrahlt. Vorrangig wurde in der Familie vor der Kamera darüber diskutiert, dass das Geld fehle, um den Kindern der Armutsschicht, Essen zu finanzieren. Als die Haushaltshilfe beim Staubsaugen gefilmt wurde, stellte sich Frau Tokay als ‘Mutter Theresa’ dar, welche der Frau ja eine Arbeit gebe und 15 Franken!! Am Tag zahle! Kurz darauf kam die Einspielung, wie die afrikanischen Kinder farbige Hände auf ein Plakat machen durften! Ist es Ihnen als Filmteam entgangen, dass man nicht alles für die Selbstinszenierung von einer einzelnen Familie mitmachen soll? Dass man kleine afrikanische Kinder der Unterschicht nicht für die Belustigung anderer Menschen ausnützen darf?

Anschliessend filmte man um die 30 Kinder und Erwachsene, die nach dem Umzug nun tatsächlich dasassen und KEIN Essen, sowie KEIN Getränk erhielten. Falls Sie jetzt denken, dass man möglichst authentisch filmen soll, so muss ich Ihnen sagen, dass ich eher erwartet hätte, dass man einer solch asozialen Haltung, wie jene der Familie Tokay als Filmteam hätte entgegen sollen und müssen. Sie hätten den Kindern und Erwachsenen, einer weniger privilegierten Schicht, das Essen schlichtweg finanzieren müssen. Die Darstellung, wie im Film, erinnerte stark an die Aphartheid - wer etwas über die Geschichte weiss!!! Hier durfte man zwar dabei sein. Man durfte den Umzug beleben, ihm ein Gesicht geben - aber ‘DAZU’ gehörte man deshalb noch lange nicht! Ist es tatsächlich das, was Sie uns da zeigen wollen? Eine Schande, so eine Situation auch noch zu nutzen, um wehrlose Menschen zu filmen und in der Schweiz damit Geld zu machen! Empathie scheint wohl keinen Platz in diesem Teil der Sendung zu haben.

Der heutige Kommentar des Ehepaars Tokay hat mir dann vollends den ‘Nuggi rausgehauen’.

Nachdem ein Angestellter der Familie sich kurz, wegen Schwindel hinsetzte, meinten die beiden im Gespräch, dass ihre Angestellten gefälligst mit vollem Magen zur Arbeit erscheinen sollen. Es gehe sie nichts an, wenn diese nicht fit seien und sie hätten keine Verantwortung für dessen Befinden! Zusätzlich äusserte Herr Tokay ja noch, dass er als gute Seele diesen Männern arbeite gäbe - es sei ja auch günstig hier!

Ich bin damit einverstanden, dass man viele Facetten und Arten des Auswanderns belichtet. Dass man aber in einem staatlich finanzierten Betrieb auf dieses Niveau zurückgreift ist unglaublich.

Das Bewusstsein, dass das Leben in Südafrika anders ist, als hier in der Schweiz, kann man auch darüber erreichen, dass man der Armut etwas abgibt, Menschlichkeit zeigt und Empathie vorlebt - auch als auftragegebende Instanz dieses Formats! Man kann durchaus die Sonnen- und Schattenseiten des Landes und des dortigen Lebens beleuchten, ohne eine Bevölkerungsschicht - darunter Kinder - vorzuführen

Es ist meine Erste Beanstandung an ihren Betrieb und ich hoffe auch die letzte! Ich erwarte eine Stellungnahme zu meinen Aussagen und hoffe, dass sie in Zukunft mehr auf die Qualität und die Menschlichkeit achten werden.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für „Auf und davon“ äußerte sich Herr Marc Gieriet, Executive Producer DOK-Serien:

„Gerne nehme ich, als leitender Produzent der DOK-Serien von SRF, zur Beanstandung von Frau X zur DOK-Serie ‘ Auf und davon ’ vom 25. Januar 2019 Stellung:

Die von Ihnen beanstandete Episode rund um das Herbstfest in Südafrika hat auch innerhalb der Redaktion für Gesprächsstoff gesorgt. Wie Sie erwähnen, besteht diese Episode aus mehreren Teilsequenzen, nämlich aus der Organisation und Vorbereitung (Plakate aufhängen, Bastelarbeiten, Diskussionen innerhalb der Familie Tokay), der Durchführung des Anlasses (Parade, Musikveranstaltungen) und dem Nachgang (Feierlichkeiten mit Verpflegung, bzw. fehlender Verpflegung).

Unser Reporterteam filmte diese Episode während eines von fünf Besuchen bei der Familie Tokay. Während dieser Besuche wurde das SRF-Team regelmässig Zeuge davon, dass sich die Familie in ihrer neuen Heimat für Fragen der Integration interessiert und sich auch dafür engagiert. Folgerichtig wurde in besagter Sendung gezeigt, beziehungsweise erwähnt, dass Herr Tokay Mitglied des Organisationskomitees des Festes ist und dass Frau Tokay mit den Kindern verschiedene Vorbereitungen trifft. Nicht nur in der beanstandeten Sendung, auch in der ersten Folge und in mehreren nachfolgenden Sendungen wurde erwähnt, dass der Familienvater Tibor Tokay mehrere Jahre seiner Kindheit in Südafrika gelebt hatte und somit die gesellschaftlichen und politischen Begebenheiten des Landes kennt.

Bei manchen Zuschauerinnen und Zuschauern sorgte insbesondere die Szene für Irritation, als nach Abschluss der Parade keine Verpflegung für die Kinder aus den Townships angeboten wurde. Die Familie Tokay stand vor der Frage, ob sie kurzfristig in Eigenregie Früchte und Getränke organisieren sollte oder nicht. Für uns als Betrachtende ist das Dilemma leicht erkennbar. Tatsächlich gehen auch die Reaktionen, die wir vom Publikum erhalten haben, auseinander. Für die einen ist es selbstverständlich, dass die Schweizer hätten helfen müssen. Für die anderen ist ebenso klar, dass es als ‚ leicht kolonialistisch ‘ hätte empfunden werden können, wenn die Schweizer aus eigener Tasche vor laufender Kamera die Verpflegung gesponsert hätten. Die Familie konnte sich nicht durchringen, die Verpflegung zu bezahlen, sie verlieh aber ihren Zweifeln offen Ausdruck.

Wie Sie in Ihrer Beanstandung erwähnen, hätten Sie erwartet, dass das SRF-Team eingreift. Mit Ihrem Hinweis auf die Authentizität liegen Sie absolut richtig. Unsere Aufgabe ist es, wahrheitsgetreu und sachgerecht zu berichten. Die dokumentarischen Formate von SRF setzen stark auf die beobachtende Kamera. Besonders Serien wie ‚Auf und davon‘ leben davon, dass das Publikum den Protagonisten bei ihrem Handeln und Reflektieren vorurteilsfrei zuschauen und zuhören kann. Nur so können sich Zuschauerinnen und Zuschauer ein verlässliches Bild der Situation machen. Alles andere wäre unseres Erachtens eine unzulässige Manipulation der Geschehnisse. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu Akteuren unserer Darstellung zu werden. Entstehen Situationen, die uns stossend, fragwürdig oder unverständlich erscheinen, stellen wir, wie auch in den beanstandeten Sequenzen, journalistisch begründete Fragen. Die Reporterin gab dem Ehepaar immer wieder die Gelegenheit, sich zur Problematik zu äussern. Wir sind überzeugt, dass die Abfolge der Szenen sehr gut aufzeigt, wie schwierig es mitunter sein kann, sich in einem Land wie Südafrika einzufügen. Das Publikum hat durch die authentische Darstellung die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Absicht der Familie Tokay und des gesamten Komitees war, mit dem Herbstfest die verschiedenen Kulturen zusammen zu bringen. Die Familie hat mit der Organisation zweifellos einen Beitrag geleistet.

Am Rande möchten wir erwähnen, dass sich das Reporterteam unmittelbar nach Abschluss der Dreharbeiten spontan entschieden hat, den Kindern einen Imbiss zu bezahlen. Dass wir dies nicht zum Thema gemacht haben, versteht sich.

Die zweite Szene, die Sie erwähnen, handelt vom Umgang mit den einheimischen Mitarbeitern. Einer dieser Angestellten der Familie Tokay setzt sich wegen Schwindels einen Augenblick hin, um sich zu erholen. Die spontane Reaktion von Herrn Tokay mag ein wenig kaltherzig erscheinen. Sein Hinweis, dass die Mitarbeiter - wie er sagt – ‚ genährt zur Arbeit erscheinen sollen ‘ kann möglicherweise irritieren. Versetzen wir diese Szenerie aber in den Thurgau, in die ehemalige Heimat der Familie Tokay, relativiert sich das Gezeigte möglicherweise. Haben nicht die meisten Arbeitgeber hierzulande die berechtigte Erwartung, dass Mitarbeiter bei Kräften sind, wenn sie zur Arbeit erscheinen? Immerhin bespricht er die Situation vor laufender Kamera mit der Ehefrau. Sie kommen überein, dass sie den Mitarbeitern Getränke und Sandwiches organisieren und tun dies auch. Das Publikum kann teilhaben an diesen Situationen und sich gut das eigene Vorgehen vorstellen. Wir sind davon überzeugt, dass die DOK-Serie ‚Auf und davon‘ seit zehn Jahren einen wichtigen Beitrag leistet, damit das Publikum das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen kennen lernen kann. Allerdings sind wir nicht die auftraggebende Instanz einer Auswanderung, sondern die filmischen Begleiter der jeweiligen Auswandererfamilien. Diese erhalten weder ein Honorar noch sonst eine Bezahlung. Alle Auswanderer sind in ihren Entscheidungen jederzeit frei und für sich selbst verantwortlich. Eine Randbemerkung zum Lohn der einheimischen Angestellten der Familie Tokay: Natürlich erscheint uns in der Schweiz der Tageslohn von 15 Franken als sehr gering. Unsere Recherchen haben aber bestätigt, dass dies der absolut übliche Lohn für die lokalen Haushalthilfen und Angestellten ist.

Selbstverständlich sind uns Werte wie Menschlichkeit und Empathie ebenso wichtig wie die handwerkliche Qualität unserer Arbeiten. Wir sind überzeugt, dass sich die Zuschauerinnen und Zuschauer eine unabhängige Meinung bilden konnten. Die DOK-Serie ‘Auf und davon’ vom 25. Januar 2019 hat das Sachgerechtigkeitsgebot umgesetzt.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Es ehrt Sie, dass Sie es kaum aushalten, wenn an einem Fest in Südafrika die Erwachsenen etwas zu essen kriegen, die Kinder aus den Townships aber nicht. Das spricht für Ihr Gerechtigkeitsempfinden. Wahrscheinlich ist es sogar ein typisch schweizerischer Sinn für Gerechtigkeit, Gleichbehandlung und Ausgleich. Ich stimme Ihnen zu, dass es grundsätzlich ein No Go ist, wenn Kinder zusehen müssen, wie andere essen.

Die Frage ist aber, ob Fernsehen SRF, ob das Reporterteam einen Fehler gemacht hat, indem es diese Szenen filmisch andeutete und die Diskussionen darüber vermittelte, und ob es damit gegen die Bestimmungen des Radio- und Fernsehgesetzes verstieß. Was ist die Hauptaufgabe einer Fernsehreportage? Die Realität zeigen, Ausschnittvergrößerungen der Wirklichkeit zugänglich machen, nicht eine Postkartenwelt darstellen, sondern Licht und Schatten abbilden, wie das Leben eben spielt. Genau das tut das Reporterteam: Es vermittelt sowohl das Faktum, dass die Kinder aus den Townships an dem Fest nichts zu essen bekommen, als auch das Werweißen darüber, wie man das offensichtliche Problem wohl lösen könnte. Das Fernsehen hat darum keinen Fehler gemacht. Und das Team hat hinterher, außerhalb der Sendung, zudem dafür gesorgt, dass die Kinder tatsächlich etwas zu essen kriegten. Bei allem Verständnis für Ihre Empörung kann ich daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/play/tv/auf-und-davon/video/schweizer-auswanderer-und-ihre-abenteuer-46?id=aa95214c-437e-47cb-b908-4de5ebb907bf

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