«Echo der Zeit»-Beitrag «The jungle grows back – der Dschungel kehr zurück», Interview mit Robert Kagan beanstandet
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Mit Ihren e-Mails vom 29. Januar und vom 3. Februar 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Echo der Zeit» (Radio SRF) vom 22. Januar 2019 und dort den Beitrag «The Jungle grows back – Der Dschungel kehrt zurück», das Interview mit Robert Kagan.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten. Leider erhalten Sie diesen Schlussbericht verspätet, nach Ablauf der 40-tägigen Behandlungsfrist. Ich möchte mich dafür entschuldigen. Der Grund ist, dass die Ombudsstelle zurzeit überlastet ist und dass sich die Beanstandungen stauen. Dies beeinträchtigt allerdings Ihre Rechte nicht: Die Frist von 30 Tagen für eine allfällige Beschwerde vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) läuft von dem Moment an, da Sie den Schlussbericht in Ihrem Briefkasten haben.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«1. Gewaltsverharmlosender Inhalt
Zum Irakkrieg befragt, ob Kagan bereue, den Irakkrieg unterstützt zu haben, erklärt Kagan, er bereue die Konsequenzen davon. Nicht zuletzt weil durch den Irakkrieg die Amerikaner keine Lust mehr hätten die Rolle des Weltpolizisten auszuüben. Zitat Kagan: <I solely regret the konsequences>.
Der Krieg gegen den Irak war ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg der unter falschen Vorwänden und ohne Zustimmung der UNO begonnen wurde. Die Bevölkerung wurde absichtlich getäuscht. Robert Kagans Geschichtsverdrehung unwidersprochen stehenzulassen empfinde ich als Beihilfe zu Gewaltverharmlosung. Stellen Sie sich vor, Adolf Hitler hätte sich vor einem Gericht verantworten müssen und hätte ausgesagt, dass er den Angriffskrieg auf Russland bereue weil dadurch das deutsche Volk die Lust Kriege zu führen verloren hätte... Kagans Erklärung dass (eben) alle Menschen Fehler machen ist ruchlos angesichts der ungezählten Opfer welche dieser Krieg forderte und weiter fordert. Weite Teile Iraks sind auf lange Zeit radioaktiv verseucht wegen der Munition welche die Allierten völkerrechtswidrig verwendeten. Die UNO wurde ausgehebelt und dem internationen Rechtsgefüge wurde schwerer Schaden zugefügt.
Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots
Zitat Kagan: <Wir haben den Irakkrieg und die Wirtschaftskrise mitgespielt> - Korrekt müsste es heissen ausgelöst / herbeigeführt. Im Abspann des obengenannten Beitrags wird Kagan verkürzt als ehemaliger aussenpolitischer Berater von George Bush und Buchautor dargestellt. Sicher hat Kagen Bücher geschrieben auch das in der Sendung besprochene Buch ‘The Jungle grows back’ gehört dazu. Auch Hitler war Buchhautor - aber war das sein herausragendstes Wirkungsfeld?
Korrekt müsste es heissen: R. K. ist leitender Wissenschaftler der einflussreichen Denkfabrik Brookings Institution, deren Geldgeber im Hintergrund bleiben. Nebenbei bemerkt: das Wort ‘Denkfabrik’ ist irreführend: Ein (Think-) ‘Tank’ ist ein Panzer, eine Waffe. Einen intellektuellen Panzerschützen der zur Anstiftung zu schweren Verbrechen Mitverantwortung trägt hat die Redaktion von Echo der Zeit widerspruchslos 5 Minuten in die Köpfe der Zuhörenden schiessen lassen.
Rainer Mausfelds schreibt in seinem neusten Buch Warum schweigen die Lämmer, S. 174:
<Da die Machtunterworfenen in der Mehrzahl sind und die Machtausübenden in der Minderheit, ist, wie schon David Hume bemerkte, ‘nichts überraschender als die Leichtigkeit, mit der die Vielen von den Wenigen regiert werden’. Abgesehen von brutaler Unterdrückung bleibt den Herrschenden, wie Hume erkannte, nur eine Möglichkeit, durch die sich ihre Herrschaft sichern lässt, nämlich die Kontrolle der Meinung. Hierfür verfügen sie über ein umfassendes Arsenal von Techniken, wie es vor allem in den USA mit grossem Aufwand und unter massiver Beteiligung der Sozialwissenschaften systematisch entwickelt wurde und wird. Zu diesen gehören vor allem geeignete Bedeutungsverschiebungen vertrauter und positiv besetzter Begriffe wie ‘Freiheit’, ‘Gerechtigkeit’, ‘Liberalisierung’, ‘Reformen’ (...).>
Kagans Aussage, dass sich noch nie in der Geschichte der Menschheit eine Nation so viel aufgeladen habe für Stabilität und Frieden auf der Welt wie die USA in den letzten Jahrzehnten kann so richtig eingeordnet werden.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für das «Echo der Zeit» äußerte sich dessen Redaktionsleiter, Herr Beat Soltermann:
„Besten Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Herrn X aus Aeschi b. Spiez. Er kritisiert das Gespräch mit Robert Kagan, welches im ‚Echo der Zeit‘ vom 22. Januar 2019 zu hören war und macht die Verletzung Gewaltverherrlichungsverbots und des Sachgerechtigkeitsgebots im Sinne von Art 4 Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) geltend.
Robert Kagan hat ein neues Buch verfasst (‚The Jungle Grows Back‘), in dem er die Folgen der Aussenpolitik von Präsident Donald Trump beschreibt. Seine These: Als Folge des Rückzugs der Supermacht USA aus der Welt entsteht ein Macht-Vakuum, das von Konkurrenten der USA auf der Weltbühne gefüllt wird, vor allem von China und Russland. Diese Akteure sind meistens autokratische Regime, die Idealen wie Freiheit, Kapitalismus und Menschenrechte weniger verpflichtet sind als die USA und ihre Alliierten. Das Gespräch im ‚Echo der Zeit‘ fokussierte sich auf dieses Buch und diese These.
Im Gespräch geht es zuerst um die Definition dieses ‚Dschungels‘, dann um die Gründe des Zurückwachsens und warum die westlich geprägte liberale Weltordnung historisch vielleicht eher eine Ausnahme darstellt. Weiter wird die Rolle der USA als Weltpolizist erörtert. Im Gespräch geht es auch um Kagan selbst – sein Verhältnis zur Republikanischen Partei und seine Arbeit als Fürsprecher für den umstrittenen Irak-Krieg unter Präsident George W. Bush.
Herr X macht eine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebot geltend. Robert Kagan wurde seiner Ansicht nach nicht richtig oder unvollständig vorgestellt. Die Verortung von Gesprächspartnern ist der ‚Echo‘-Redaktion ein wichtiges Anliegen. Nur, wenn die Hörerinnen und Hörer wissen, aus welcher Ecke jemand kommt, können sie dessen Aussagen entsprechen bewerten und einordnen.
Der 60jährige Robert Kagan blickt auf eine lange Karriere zurück. Er ist/war unter anderem Berater von Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten, Berater von US-Aussenministern (auch Demokraten wie Clinton und Kerry), Autor mehrerer Bücher, Historiker, Think-Tank-Gründer und Mitglied mehrerer Think-Tanks (Brookings Institution, Council on Foreign Relations, Projekt for the New American Century, Foreign Policy Initiative) und Kolumnist der ‚Washington Post‘. Wir haben die beiden wichtigsten Funktionen herausgegriffen: Buchautor (sein neuestes Werk war Anlass für das Gespräch) und Berater von Präsident George W. Bush. Diese Funktionen wurden sowohl vor wie auch nach dem Gespräch erwähnt.
Im Gespräch selbst kam in einer Frage auch Kagans umstrittene Rolle als einer der Promotoren des Irak-Kriegs zur Sprache. Auch auf die politische Ausrichtung des Think-Tanks ‚Brookings-Institution‘ haben wir übrigens vor Beginn des Gesprächs hingewiesen. Die Denkfabrik ist weder klar dem linken noch dem konservativen oder libertären Umfeld zugewiesen und bezeichnet sich auch selbst als überparteilich.
Das Publikum konnte sich also sehr wohl ein Bild vom Hintergrund Kagans machen. Es kann schon aufgrund der zeitlichen Restriktionen nicht sein, dass bei jedem Gespräch auch noch das komplette Leben des Gesprächspartners ausgebreitet wird. Der Irak-Krieg und seine fragwürdigen rechtlichen und faktischen Grundlagen wurden im ‚Echo der Zeit‘ mehrfach thematisiert – sowohl vor, während und auch nach dem Krieg sowie nochmals ausführlich zum 10. Jahrestag.[2]
Gleichzeitig darf man Kagans Einfluss aber auch nicht überschätzen. Klar hat er seine neokonservative Politik vertreten. Doch am Ende haben andere entschieden. Kagan gar mit Hitler zu vergleichen, wie es Herr X macht, ist unserer Ansicht nach nicht nur unzulässig, sondern verharmlost tatsächlich das Nazi-Regime, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust.
Womit wir beim zweiten Kritikpunkt sind – das Interview sei gewaltverharmlosend. Im Gespräch ging es – wie bereits ausgeführt – um die neuen geopolitischen Realitäten und nicht um den Irak-Krieg. Die ‚Echo‘-Redaktion darf, ja soll im Rahmen ihrer journalistischen Freiheit und unter Beachtung des Sachgerechtigkeitsgebot Themen, Zugänge zu Themen und auch Gesprächspartner frei wählen. Wir sind der Meinung, das ist hier geschehen.
Wir sind aus diesen Gründen überzeugt, dass das Gespräch mit Robert Kagan nicht gegen Art. 4 RTVG verstösst. Wir bitten Sie daher, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzulehnen.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Sie haben Recht: Der Irakkrieg (2003) war ein schlimmer Fehler, basierend auf falschen Annahmen, und die Folgen sind fatal, ja verheerend. Schon die erste Intervention der Amerikaner und ihrer Verbündeten am Golf (1991) war schrecklich; schon damals war das importierte Leid enorm. Saddam Hussein war zwar ein grässlicher Diktator, der unter anderem die Kurden und die Schiiten unterdrückte und gegen Iran einen verlustreichen Krieg führte, so dass sein Sturz als Befreiung wirkte. Aber es wäre nicht Aufgabe der Amerikaner und der Briten und anderer Alliierter gewesen, diesen Sturz herbeizuführen, sondern Aufgabe des irakischen Volkes. Die Invasion westlicher Truppen brachte im Nahen Osten praktisch alles durcheinander.
Diesen Krieg haben damals viele in Europa, namentlich in Frankreich und in Deutschland, bekämpft, aber viele in den USA und in Großbritannien haben ihn ebenso vehement unterstützt, nicht nur Robert Kagan. Den Entscheid, den Krieg zu führen, fällten allerdings nicht die Berater, sondern Vizepräsident Dick Cheney, Verteidigungssekretär Donald Rumsfeld und Präsident George W. Bush in Übereinstimmung mit dem britischen Premierminister Tony Blair. Trotzdem würde ich als Journalist Blair interviewen, ebenso Cheney, Rumsfeld, Bush. Sie bleiben als Figuren der Zeitgeschichte interessant.
So auch Robert Kagan, der übrigens als neokonservativer Berater, Intellektueller und Buchautor richtig beschrieben ist.[3] Seine These, dass dunkle Kräfte zurückkehren und Räume besetzen, die vordem der liberalen Demokratie gehörten, ist ebenso richtig, wie es richtig ist, die USA als brutalen Weltpolizisten zu sehen. Wenn ich die Wahl habe zwischen Systemen, die außenpolitische Aggressivität mit innenpolitischer Freiheit und Demokratie koppeln, und Systemen, die außenpolitische Aggressivität mit innenpolitischer Repression und Autokratie verbinden, dann würde ich ohne zu zögern die erste Variante wählen. Darum war es nicht nur legitim, Kagan zu interviewen, es ist auch nachvollziehbar, wenn im Interview vor allem seine im neuen Buch ausgebreiteten Thesen zur Sprache kommen und nur sekundär seine Rolle im Irakkrieg.
Wenn Sie das Verbot zitieren, an Radio und Fernsehen Gewalt zu verharmlosen oder gar zur Gewalt aufzurufen [4], dann sind nicht Hintergrundsendungen oder Gespräche über Kriege und Terror gemeint, sondern konkrete Gewaltszenen, Gewaltanleitungen oder Gewaltverherrlichungen. Die Tatsache, dass Robert Kagan interviewt wurde, schafft diesen konkreten Bezug nicht. Das Gesetz ist folglich nicht verletzt. Es gibt im Beitrag auch keine Anzeichen, dass er nicht sachgerecht ist. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen,Roger Blum, Ombudsmann
[1] https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/bolsonaros-auftritt-am-wef
[3] https://www.brookings.edu/experts/robert-kagan/ ; https://rightweb.irc-online.org/profile/robert-kagan/
[4] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html , Art. 4, Abs. 1.
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