Beitrag «Führende Partei-Mitglieder verlassen Labour» von «Echo der Zeit» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 20. Februar 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Echo der Zeit» (Radio SRF) vom 18. Februar 2019 und dort den Beitrag «Führende Partei-Mitglieder verlassen Labour».[1]Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandungwie folgt:
«Hier ist es so, dass Moderatorin Nicoletta Cimmino im Studio die Einseitigkeit ihres Korrespondenten Martin Alioth zu korrigieren versuchte. Doch der notorische alt-Linke Alioth hingegen führte dessen ungeachtet aus, dass er über die Hintergründe des Austritts der sieben Labour-Abgeordneten nur spekulieren könne und spinnt dann irgendwelche Geschichten zu einer 2. Brexit-Abstimmung, für die es, wie er selber eingestehen muss, im Unterhaus keine Mehrheit gibt. Dass Corbyns Antisemitismus einer der wichtigsten Gründe ist für den Schritt der Dissidenten ist, wird der SRF-Hörerschaft verschwiegen. Das ist bewusste Manipulation. Bewusst darum, weil andere Medien diesem Umstand sehr wohl Rechnung trugen:
- Spiegel-Online: <Ihren Parteiaustritt zelebrieren die sieben vor der Presse als Abrechnung. Labour sei ‘rassistisch’, sagt Berger. Es herrsche eine ‘Kultur der Schikane’. Und Leslie ergänzt: Die Partei sei ‘gekapert’ von der ‘Politik der radikalen Linken’.> – Kein Wort von Brexit...
- NZZ (online): <Es hagelt Kritik an Jeremy Corbyns Brexit-Kurs und antisemitischen Tendenzen.>
- Tages-Anzeiger (online): <Aus Protest an Jeremy Corbyn und antisemitischen Tendenzen in der Partei wollen sieben britische Labour-Abgeordnete eine eigene Fraktion bilden.>
Es mutet geradezu pathologisch an, wie gewisse Kreise bei SRF bestrebt sind, Hinweise auf linken oder muslimischen Antisemitismus kategorisch zu negieren und zu verschweigen.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für das «Echo der Zeit» äußerte sich Herr Beat Soltermann, Redaktionsleiter der Sendung:
«Besten Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Herrn X. Er kritisiert die Brexit-Berichterstattung unseres Korrespondenten Martin Alioth im <Echo der Zeit> vom 18. Februar 2019. Sein Vorwurf: Die Sendung würde Antisemitismus nur dann thematisieren, wenn dieser aus dem politisch rechten Umfeld stamme. Er stützt seine These auf ein Gespräch, das in der besagten Sendung ausgestrahlt wurde. Es ging darin um den Parteiaustritt von sieben Labour-Abgeordneten.
Am 18. Februar gaben sieben Labour-Abgeordnete bekannt, dass sie ihre Partei aus Protest verlassen würden – und dies mitten in der Schlussphase des Brexits. Als Hauptgrund für den Austritt gaben die Abgeordneten die Brexit-Politik ihrer Partei an, die sie nicht länger unterstützen könnten. Im <Statement of Independence>[2]der in der sog. <The Independent Group> zusammengeschlossenen Politiker-Gruppe geht es primär um die Politik Labours in der Brexit-Frage. Die Abgeordneten monieren auch den moralischen Zerfall ihrer Partei und kritisieren den Antisemitismus innerhalb von Labour – auch wenn das Wort im Statement selbst nicht vorkommt. Seit Jahren werden gegen Labour und deren Chef, Jeremy Corbyn, Antisemitismus-Vorwürfe erhoben. Im Sommer 2017 räumte Corbyn öffentlich ein, dass Disziplinarverfahren gegen antisemitische Parteimitglieder zu langsam und zu zaghaft betrieben worden seien (das <Echo der Zeit> hat darüber berichtet).
Die Abgeordneten-Gruppe informierte die Öffentlichkeit am Mittag. Radio SRF berichtete zum ersten Mal um 12 Uhr in den Nachrichten darüber. Am Abend griff das <Echo> das Thema auf. Da die Neuigkeit schon einige Stunden alt war, sollte das Gespräch am Abend mit Martin Alioth bewusst über das Vermelden des Austritts hinausgehen. Die Idee war, diese jüngste Entwicklung in einen grösseren Kontext zu stellen und zu fragen, was diese Abspaltung über die Politik des Vereinigten Königreichs aussagt. Die Analyse und Reflexion des Geschehens im In- und Ausland gehören zu den Aufgaben, die im Mandat der Sendung festgehalten sind. Das ‘Echo der Zeit’ soll sich nicht mit der reinen Berichterstattung aus dem Tage begnügen.
Nichtsdestotrotz: Aufhänger für das Gespräch blieb natürlich der Parteiaustritt. Schon in der Ansage wurde <die Empörung über den Umgang mit antisemitischen Tendenzen innerhalb von Labour> als einer der Austrittsgründe erwähnt – neben dem Hauptgrund, der Brexit-Politik von Labour-Chef Jeremy Corbyn. Alioth selbst ist überrascht, dass es jetzt zu dieser Abspaltung kommt. Er legt dabei tatsächlich mehr Gewicht auf den Brexit-Termin (40 Tage bis zum Stichtag vom 29. März 2019) als auf den Antisemitismus – wenngleich er Corbyns umstrittenen Führungsstil ebenfalls erwähnt. Das Gespräch stoppt aber nicht dort. Es geht weiter und thematisiert eine Tendenz der politischen Radikalisierung, die die Mitte schwächt und die Extreme stärkt. Tatsächlich geben zwei Tage später auch drei Tory-Mitglieder wegen der Brexit-Frage den Austritt aus ihrer Partei bekannt, etwas, was Martin Alioth im Gespräch bereits vermutet hatte. Die politische Mitte werde heimatlos, sagte er. Doch die Erfolgsaussichten einer neuen Mitte-Partei seien wegen des britischen Wahlsystems gering.
Die <Echo>-Redaktion hat sich aus den bereits dargelegten publizistischen Überlegungen dafür entschieden, den Fokus des Gesprächs anders zu setzen, als sich dies Herr X gewünscht hat. Es ging uns mehr um die Auswirkungen, die die Abspaltung hat, weniger um die Gründe. Die <Echo>-Redaktion darf, ja soll im Rahmen ihrer journalistischen Freiheit und unter Beachtung des Sachgerechtigkeitsgebot Themen, Zugänge zu Themen und auch Gesprächspartner frei wählen. Wir sind der Meinung, das ist hier geschehen.
Es trifft nicht zu, wie Herr X unterstellt, dass Corbyns Antisemitismus dem ‘Echo’-Publikum verschwiegen wurde – weder am 18.2.2019 noch in früheren Sendungen. Es trifft auch nicht zu, dass der Antisemitismus der <wichtigste Schritt ist für die Dissidenten>. Der Antisemitismus ist in letzter Zeit leider zu einem häufigen Thema in der Sendung geworden. In weiten Teilen der Gesellschaft ist der Judenhass wieder salonfähig. Das <Echo der Zeit> hat das Thema in den letzten Monaten verschiedentlich aufgegriffen – mit unterschiedlichen Gesprächspartnern, mit Berichten aus verschiedenen Ländern (auch Grossbritannien).
Hier einige Beispiele aus jüngster Zeit:
28.3.2018 Gedenkmarsch für ermordete Holocaust-Überlebende in Paris
4.4.2018: Islamischer Antisemitismus darf nicht verharmlost werden
19.4.2018: Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: ‘Antisemitismus in Deutschland wieder spürbarer’
2.8.2018: Antisemitische Tendenzen in England?
22.08.2018: Antisemitismus in Polen
09.11.2018 80. Jahrestag der Reichspogromnacht - Zeitzeugen erinnern sich
12.11.2018: Antisemitismus in den USA. Gespräch mit Jonathan Weisman, Journalist der New York Times.
12.2.2019: Antisemitismus in Frankreich – ça suffit! Gespräch mit Dominique Vidal, französischer Journalist.
Wer das <Echo der Zeit> regelmässig hört, weiss, dass es egal ist, aus welcher Ecke der Antisemitismus kommt – die Sendung berichtet darüber. Eine Aufgliederung des Juden-hasses in solchen aus rechten, linken und muslimischen Kreisen erscheint uns nicht ziel-führend. Es gibt auch nicht <besseren> oder <schlimmeren> Antisemitismus. Antisemitismus ist und bleibt Antisemitismus.
Die Kritik von Herrn X ist folglich nicht stichhaltig. Wir sind deshalb überzeugt, dass unsere Berichterstattung über die Labour-Dissidenten am 18.2.2019 nicht gegen Art. 4 RTVG verstösst. Wir bitten Sie daher, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzulehnen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Sie haben teilweise Recht: Laut britischen Medienberichten war an der Medienkonferenz der sieben Dissidenten der Antisemitismus in der Labour-Party einer der Gründe den Austritt und für die Bildung einer neuen parlamentarischen Gruppe: Zwei Abgeordnete nannten explizit den Antisemitismus, vier nannten die Brexit-Politik und praktisch alle nannten den Führungsstil der Gruppe um Parteichef Corbyn.[3]Die Erwägungen von Martin Alioth rund um die Brexit-Politik waren zwar gut begründet. Auch seine Einschätzung der Wichtigkeit dieser sieben Abgeordneten – nämlich eher zweite oder dritte Liga – und der Chance einer neuen Mitte-Partei hatten Hand und Fuß (und widersprachen dem Titel des Beitrags: «Führende Partei-Mitglieder...»!). Aber er unterschlug den Antisemitismus-Grund, und insofern war der Beitrag nicht sachgerecht. Ich kann daher Ihre Beanstandung teilweise unterstützen. Die Ausführungen von Herrn Soltermann zeigen aber, dass keine Rede davon sein kann, SRF negiere und verschweige den linken und muslimischen Antisemitismus kategorisch.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Roger Blum, Ombudsmann
[1]https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/streit-zwischen-polen-und-israel
[3]http://theconversation.com/independent-group-why-seven-labour-mps-have-left-the-party-112038; https://www.libdemvoice.org/seven-mps-quit-labour-and-form-the-independent-group-60006.html; https://www.theguardian.com/politics/2019/feb/18/in-their-own-words-why-seven-mps-are-quitting-labour-independent-group
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